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Neunter Tag.

Geschichten von Barometern und Wahrsagerinnen, nebst einer feierlichen Erklärung über meine wissenschaftliche Weltanschauung. Die umfassende Aussicht vom Großen Dolmar und zum Schluß: der Schlangenmensch, oder durch diese hohle Gasse muß er kommen.

 

Natürlich, beim Frühstück saßen wieder zwei Hotelgäste zusammen und stritten sich, was es wohl heute für ein Wetter geben werde. Man soll nicht zu viel über das Wetter reden, es wird nicht besser dadurch, höchstens schlechter, und wie die beste Frau diejenige ist, über die man am wenigsten spricht, so bleibt auch das Wetter nur so lange ideal, wie es uns unmerklich weich und lind umgibt und weder durch schlechte Laune noch durch übertriebene Liebenswürdigkeit auffällt.

Die beiden hatten nämlich eine sogenannte Wetterprognose von der deutschen Seewarte vor sich und konnten sich natürlich absolut nicht einigen, ob sie danach einen heißen, trocknen Tag oder einen nassen, kalten erwarten sollten. Schließlich baten sie mich um meine Meinung, und ich las, was folgt:

 

»Voraussichtliche Witterung für morgen. Warm und schwül, heiter bei starken Regenschauern und lebhaften südöstlichen und nördlichen Winden. Vorwiegend wolkig oder heiterer Sonnenschein. Erdbeben, Wolkenbruch und starke Trockenheit nicht ausgeschlossen. Temperatur kühl, stellenweise drückend, spätere Aufklärung mit Hagelschlag wahrscheinlich. Sonst unverändert bei fortdauernder Gewitterneigung. Anhaltendes schönes Wetter, Automobilrennen oder Sturm bestimmt zu erwarten. Nachts dunkel.«

 

Ich muß gestehen, selbst ich, der ich doch nach dem einstimmigen Urteil meiner sämtlichen Bekannten und Freunde sogar bei gewissen, von Schiller erwähnten Dingen den Verstand nicht zu verlieren pflege, ich wurde beim Lesen dieses Wetterberichts etwas konfus im Kopf, und ich fand es für das heutige Wetter sehr schwierig, sich danach zu richten, ohne selber seekrank zu werden.

»Ja, und was soll das Automobilrennen zwischen schönem Wetter und Sturm?« fragte der eine Herr ganz entrüstet.

»Recht haben Sie!« stimmte ich ihm zu. »Wenn die Leute unparteiisch wären, dann hätten sie wenigstens noch die Luftschiffahrt hineingebracht oder irgend einen andern Sport. Ich pfeife überhaupt auf die ganze moderne Wetterprognose. Die ist allein an dem vielen schlechten Wetter schuld, das wir in den letzten Jahren gehabt haben.«

Wir schimpften alle drei noch eine Weile, bis uns der Kellner einen Barometer brachte, der natürlich einen vierstündigen Wolkenbruch mit Hagelschlag prophezeite (mit Aufhellung für den nächsten Tag). Meine beiden Freunde ließen sich dadurch bestimmen, heute noch in Meiningen zu bleiben und ihre Zimmer weiter zu bestellen, ich aber brach auf. Mir imponiert schon längst kein Barometer mehr, am wenigsten ein Hotelbarometer, der ein heimliches Räderwerk hat und vom Wirt oder Kellner für jedes gewünschte Wetter aufgezogen wird.

Es gibt komischerweise immer noch Leute, die für Barometer schwärmen, die mit leuchtenden Augen von der guten alten Zeit erzählen, da noch jeder seinen eigenen Barometer hielt und sich bei diesem nach Bedarf Sonnenschein und Schneegestöber bestellte. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Damals war vielleicht ein Barometer noch ein Freund der Familie, der sich durch Generationen vom Vater auf den Sohn vererbte. Keine Kindtaufe konnte ohne ihn stattfinden, bei jeder Hochzeit bekam er den Ehrenplatz neben dem Brautpaar, und vor jedem wichtigen Unternehmen bat man ehrfürchtig um seinen Rat. Schon in der Schule lernen wir ja auch, daß die alten Deutschen vor der Hermannsschlacht ihre Barometer befragten, was den Römern die wahrscheinlich eine moderne Prognose von der italienischen Seewarte hatten, bekanntlich sehr schlecht bekommen ist. Ja, das war früher.

Aber wo will man heute noch solch einen guten biederen Barometer auftreiben? Die Sorte ist ja längst ausgestorben. Was sich heute auf der Welt als Barometer herumtreibt, das sind durch die Bank schlechte, charakterlose Geschöpfe, die durch den Umgang mit Menschen völlig verdorben und degeneriert sind. Es ist damit grade wie mit den Hunden. Früher besaß jede Familie einen kugelrunden, asthmatischen Mops, der sich nur mühsam von seinem Platz hinter dem Ofen erheben konnte, und jedem ein Vorbild behaglichster Faulheit war. Aber heute hat man Windhunde, die mit einer Geschwindigkeit von dreißig Grad im Schatten durch die Straßen sausen und die Leute ärgern; Polizeihunde, die auf die höchsten Bäume klettern und dort Raubmörder suchen; doch ich will mich jetzt nicht bei Hunden aufhalten, ich komme noch ein andermal, wahrscheinlich auf Seite 276 dieses Buches, auf diese Tiere zu sprechen. Jedenfalls, die Barometer sind ebenso heruntergekommen wie die Hunde, und mein Onkel Theo behauptete immer, sie seien alle bestochen. Mein Onkel Theo muß das wissen, denn er ist 1870 als Armeelieferant reich geworden und hat auch schon gesessen. Er sagte, es würden jährlich Unsummen vom Verband deutscher Regenschirmfabrikanten an die Barometer gezahlt, damit sie schlechtes Wetter prophezeien.

Nur einmal in meinem Leben habe ich einen wirklich anständigen Barometer besessen, und der hat natürlich nicht lange gelebt. Ich bekam ihn als Hochzeitsgeschenk, und meiner Frau gefiel er auf den ersten Blick. Sie meinte, er habe so etwas Rundes, Gemütliches an sich und würde sicher nur schönes Wetter prophezeien. Und darin hatte sie recht. Er besaß das beste Gemüt von der Welt und gab sich alle Mühe, uns zufrieden zu stellen. Wir konnten den ganzen Tag spazieren gehen, der Barometer besorgte uns, was wir haben wollten. Und wenn meine Frau einmal Regen brauchte, weil eine Freundin in einem neuen Hut ausgegangen war, dann schickte er einen Wolkenbruch.

Aber der Barometer war wohl zu gut für diese Erde. Einmal hatte unser Dienstmädchen den ganzen Tag über nichts zerbrochen, und wir wunderten uns. »Vielleicht ist sie krank,« sagte ich. »Wir wollen doch zum Arzt schicken.« Auch meine Frau war sehr beunruhigt. Sie konnte es nicht begreifen, warum das Mädchen grade an diesem Tage noch nichts zerbrochen hatte.

Schließlich ließen wir sie nach vorne rufen, und ich fragte sie, ob sie sich nicht hinlegen wollte. Jeder habe einmal müde Stunden, in denen der Tätigkeitstrieb erlahme.

»O, ich bin nicht lahm!« sagte sie lachend und hatte im nächsten Augenblick mit einer Feuerzange, die sie in der Hand hielt, den Barometer entzwei gestoßen.

Ich habe nie wieder einen Gegenstand gesehen, der durch eine einzige, energische Bewegung so ruiniert war. Drei Tage trauerten wir, während der Himmel schleunigst das Regenwetter nachholte, das er versäumt hatte. Endlich raffte sich meine Frau auf. »Wir müssen einen neuen kaufen!« sagte sie und fuhr in die Stadt.

Auch der neue Barometer schien gar nicht so schlecht zu sein. Er gab sich wirklich Mühe, und die ersten Tage ging es noch gut. Aber er war wohl noch etwas zu jung und überschätzte seine Kräfte. Eines Tages schlief er mitten im schönsten Wetter ein, und meine Frau zog zum Ausflug ihr neues, weißes Kleid an. Himmel, gab das einen Regen! Wir saßen nachher wie ertrunkene Hühner in unserer Stube, und es dauerte drei Tage, bis wir wieder ein trockenes Gefühl im Leibe hatten.

Man kann meiner Frau nicht Mangel an Temperament vorwerfen – im Gegenteil. Aber die Art, wie sie mit dem Barometer umging, war doch eine etwas zu heftige. Schließlich war sie doch nicht mit ihm verheiratet. Er fiel vor Schreck von der Wand herunter und erlitt schwere innerliche und äußerliche Verletzungen.

Der Optiker, zu dem ich ihn hintrug, war nebenbei Schneidermeister und hatte das Geschäft zugleich mit seiner Frau geheiratet. Er sah den Patienten aufmerksam an und strich seinen Ziegenbart. »Da ist nichts zu machen, der Lebensfaden ist abgeschnitten. Wenn erst einmal die Hauptnähte geplatzt sind, hilft kein Aufbügeln mehr!« Er riet mir, einen neuen zu kaufen. »Sehen Sie, diesen hier – zwanzig Mark, nadelfertig!«

Ich nahm den Barometer und fragte nur, ob er auch auf Roßhaar gearbeitet sei. Aber er verstand meinen Witz nicht – es ist merkwürdig, niemals verstehen andere Leute meine Witze – und er schwätzte mir in der Geschwindigkeit noch einen mit Seide gefütterten Paletot auf. Vor einem Kammgarnanzug rettete ich mich durch die Flucht.

Meine Frau machte zwar einige Bemerkungen über den neuen Paletot, wobei eine Blumenvase zerbrochen wurde, aber der Barometer gefiel ihr. Er hatte eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit dem ersten, und sie nagelte ihn besonders fest an die Wand, damit er nicht wieder herunterfiele.

Leider war die Ähnlichkeit eine rein äußere. Innerlich hatte er einen ganz anderen Charakter. Vor allen Dingen war er unheilbar nervös. Er litt an einer zerebralen Neurasthenie und geriet über die geringste Kleinigkeit in Aufregung. So genierte er sich jedesmal, wenn bei uns gepfändet wurde, was damals – Onkel Theo war zu jener Zeit noch nicht gestorben – öfters vorkam. Sobald die Uniform des Gerichtsvollziehers auch nur auftauchte, drehte er sich mit einer Geschwindigkeit herum, die ich aus mindestens 99 Grad Celsius in der Minute schätze. Er sah dann direkt geisterhaft aus. Der Beamte warf ihm immer einen kopfschüttelnden Blick zu, aber eines Tages meinte er, er könne das Ding wohl als perpetuum mobile verkaufen. Und er nahm ihn gleich mit.

Meine Frau und ich waren froh, daß wir den Barometer los wurden, denn um das Wetter hatte er sich überhaupt nicht gekümmert, und die ganze Zeit war ein solcher Regen gewesen, daß die Elektrische nicht mehr fahren konnte, weil so viele Pilze auf den Geleisen wuchsen.

Wir kauften also einen neuen. Er war mehr länglich gebaut und bedeutend billiger. Auch zeigte er keine Spur von Nervosität. Im Gegenteil, seine Seele war bequem und fett, und er entschloß sich höchst ungern zu einem Witterungsumschlag. Hatte er sich einmal vorgenommen, den Sommer über Regen zu bringen, dann blieb er auch dabei, selbst wenn sich draußen die ganzen deutschen Flüsse vor Trockenheit in kleine, anmutige Bächlein verwandelten.

Ich weiß es noch gut. Es war damals ein so heißer Sommer, daß die ältesten Barometer sich nicht erinnerten, einen ähnlichen erlebt zu haben, die meisten waren mit ihrem Zeiger in die äußerste Ecke auf anhaltende Dürre, Erdbeben, Feuersbrünste und Kometenschwärme gekrochen und hatten sich dort häuslich eingerichtet. Nur der unsrige zeigte auf Sturm und Regen.

Wer es nur irgend vermochte, der hatte seine Sommerfrische am Nordpol aufgeschlagen oder wenigstens in Grönland und spielte dort Tennis, nur wir blieben zu Hause und verließen uns auf unsern Barometer. Es mußte ja bald ein Witterungsumschlag kommen, und wir freuten uns, wie die andern verregnen würden. Als aber das Wetter mit jedem Tage schöner wurde, verlor meine Frau die Geduld, und eines Morgens erklärte sie dem Barometer in ihrer festen, bestimmten Weise ihre Meinung.

Anfangs war er verstockt und schwieg. Als er aber sah, daß sie ihm in jeder Beziehung überlegen war, gab er knurrend nach und kroch langsam über Veränderlich auf Schön Wetter. Hier blieb er aber stehen, und keine Macht der Erde hätte ihn veranlaßt, etwa noch auf Beständig zu klettern. Im Gegenteil, er gab durch sein Gesicht deutlich zu verstehen, daß er für die Folgen in keiner Weise aufkommen werde. Aber das war uns egal, wir konnten zufrieden sein, daß wir wenigstens etwas erreicht hatten, und schleunigst packten wir unsere Koffer. Abends saßen wir schon im Zug und freuten uns auf die erfrischende Seeluft.

Bald schliefen wir ein, und während der ganzen Nacht träumte ich merkwürdigerweise von einem gewaltigen, sintflutartigen Regen. Morgens fuhr ich erschrocken auf, denn ich hörte deutlich, wie schwere Tropfen gegen die Scheiben schlugen. »Ein kurzes Gewitter!« tröstete ich meine Frau. »Nachher wird es um so schöner.«

Kurz darauf gab es einen größeren Aufenthalt. »Wegen einer Geleisüberschwemmung!« sagte der Schaffner. Und nun erfuhren wir, daß die ganze Nacht durch der Regen schwer und gleichmäßig vom Himmel gefallen war. Immer so wolkenweise, und die ganze Umgegend stand unter Wasser.

»Ja, haben Sie denn keinen Barometer? Seit gestern sind die doch alle so rapide gefallen, und von überall her wird ein vollständiger Witterungsumschlag gemeldet. Alle Züge sind überfüllt von Leuten, die aus der Sommerfrische heimkehren. Bis zum Winter regnet das jetzt sicher so fort.«

Zwölf Stunden später langten wir wieder zu Hause an, und meine Frau warf den Barometer zum Fenster hinaus. So wurden wir ihn glücklich los, nur daß wir dabei die Kurkosten und eine größere Entschädigung an den Mann bezahlen mußten, der dabei getroffen wurde.

Ich war gegen die weitere Anschaffung von Barometern, ich hatte die Hoffnung verloren, jemals wieder einen anständigen zu finden. Aber meine Frau sagte, sie wollte das noch einmal sehen.

Wir wechselten jetzt die Barometer so oft, wie andere Leute ihre Dienstmädchen, alle acht Tage hatten wir einen neuen. Schade, daß meine Frau den meisten Barometern ihre Freundschaft in einer etwas zu energischen Weise kündigte. Wären sie gesund und am Leben geblieben, ich hätte sie später in einer Schaubude ausgestellt und viel Geld damit verdient. Denn es waren merkwürdige Kerle darunter.

Mit einem habe ich übrigens ein Geschäft gemacht. Er war nämlich so verlogen, daß ich ruhig immer das Gegenteil von seinen Prophezeiungen einem berühmten Professor mitteilte. Der wurde dadurch noch berühmter, als er schon war, und gab eine ganz neue Theorie der Luftströmungen heraus. Aber lange dauerte das auch nicht. Der Barometer muß wohl etwas von der Sache erfahren haben, denn er gab nun aus reiner Niedertracht sein bisheriges Lügen auf, sodaß man sich nicht mehr auf ihn verlassen konnte.

Meine Frau ließ schließlich Annoncen in die Zeitung einrücken: »Anständiger Barometer gegen hohen Lohn gesucht. Familienanschluß. Keine Kinder, kein Klavier. Jede Woche ein Ruhetag.«

Aber es half alles nichts. Auch nicht ein blutrotes Plakat an allen Litfaßsäulen mit hundert Mark Belohnung.

Bis wir eines Morgens aus aller Not gerettet wurden.

Eine Freundin meiner Frau besuchte uns und war sehr erstaunt, daß wir uns wegen des Wetters nach den Barometern richteten.

»Warum lassen Sie sich nicht einfach die Karten legen?«

»Weiß denn eine Wahrsagerin auch über das Wetter Bescheid?« fragte meine Frau ganz erstaunt.

»Aber natürlich, selbstverständlich! Bei uns im Hause geschieht nichts, ohne daß wir die Kartenlegerin um Rat fragen.«

Meine Frau ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte sich sofort mit einer kartenkundigen Matrone in Verbindung.

Und seitdem kommt jede Woche ein altes Weib in unser bestes Zimmer, hängt die Perrücke über einen Stuhl, spuckt den Kautabak auf den Teppich und prophezeit meiner Frau aus den Karten das Wetter, wie sie es haben will. Unsern Hund müssen wir zwar einsperren, so lange die weise Frau da ist, auch geben wir jetzt viel Geld für Insektenpulver aus und halten immer eine Mischung von Pomeranzen und Brennspiritus bereit, die die Frau in größeren Quantitäten einnimmt, wenn sie an Rheumatismus leidet (sie leidet immer an Rheumatismus!), aber sonst führen wir seit dieser Zeit das glücklichste Familienleben.

Man wird mir gestatten, wenn ich anläßlich dieser Kartenlegerin noch einige Worte über meine wissenschaftliche Weltanschauung sage. Wer mich kennt, der weiß, daß jenes starke Selbstbewußtsein, das alle hervorragenden Männer auszeichnet, auch bei mir und zwar in einem besonders starken Maße entwickelt ist. Darum habe ich schon als Knabe mir niemals von Lehrern und sonstigen eingebildeten Menschen imponieren lassen und stets allen wissenschaftlichen Theorieen gegenüber eine selbständige, das heißt ablehnende Haltung eingenommen. So kann ich auch heute noch das dickste wissenschaftliche Werk mit jenem heimlichen, überlegenen Lächeln lesen, das wir bei den Aufschneidereien eines phantasievollen Oberförsters annehmen, und ich bewundere nur den scheinbaren Ernst, den all die Wissenschaftler zeigen, denn innerlich müssen sie ja gradezu einen goldenen Humor haben. Diese Leute werden natürlich auch über meinen Glauben an das Kartenlegen schimpfen, aber ich lasse sie ruhig schimpfen, im stillen sind sie ja doch ganz meiner Meinung.

Und wie leicht wird es mir durch diesen meinen vernünftigen Standpunkt mit meiner Frau in Harmonie und Frieden zu leben. Die meisten unglücklichen Ehen entstehen nämlich dadurch, daß die Männer sich auf der Schule und auch sonst im Leben mit einem gewaltigen Ballast wissenschaftlicher Ansichten und Ideen beladen, und nun so schwer begreifen können, daß die Wissenschaft sonst in der Welt vielleicht hier und da ihre Geltung haben mag, aber niemals in der Ehe und vor den Augen einer Frau. Eine Frau wird stets einem sogenannten Manne der Wissenschaft mit einem gesunden und unbesiegbaren Mißtrauen gegenüberstehen. Sie wird, wenn du krank bist, dem berühmtesten Professor die Tür weisen und dafür in Gemeinschaft mit dem Portier und dessen Großmutter ein ganz kompliziertes Sympathieheilverfahren ausdenken, das den Frieden deines Hauses auf ewig zerstören würde, wenn du dich dagegen auflehntest, das aber nachher die einzige Ursache gewesen ist, wenn deine Leibschmerzen sich nicht in Typhus verwandelt haben.

Ein vernünftiger Ehemann glaubt darum stets an Kaffeesatz und Eidotter, an Kartenlegen und Beschwörungen. Was er törichterweise von Lehrern und aus Büchern gelernt, das kann er in vorgerückter Stunde am Biertisch nützlich verwenden, wenn doch keiner mehr hört, was der andere redet. Denn die Wissenschaft mag uns noch so sehr erheitern, wenn der Ernst des Lebens an uns herantritt, gehen wir immer noch am besten zur Wahrsagerin.

Mit dem Wetter sollte ich übrigens heute recht behalten – keine Spur von Wolkenbruch zeigte sich, im Gegenteil, als ich auf dem großen Dolmar ankam, war der Himmel bis weit an den Horizont tiefblau und wolkenlos. Die Aussicht war wundervoll, und das Publikum benahm sich auch dem entsprechend, sodaß ich ordentlich ins Schwitzen kam, weil ich nicht in Gliederverrenkungen, Jodeln, Luftsprüngen und andern Ausdrücken der Bewunderung hinter den übrigen Leuten zurückbleiben wollte.

Besonders ein Herr ärgerte mich. Er hatte aus seinem Führer allerlei Bergnamen auswendig gelernt und gab sie nun zum besten, indem er seine Finger nach allen Richtungen der Windrose ausstreckte.

»Sehen Sie den Inselsberg, und das ist das Fichtelgebirge – oh, und der Schneekopfturm! Wun–derbar!!«

Und dabei hatte der gemeine Mensch mich an einem Rockknopf gepackt und drehte mich im Kreise herum, bis ich schwindlig wurde.

Aber ich revanchierte mich dafür auch. Schnell benutzte ich die Gelegenheit, als er Atem schöpfen mußte, und schnitt ihm das Wort ab, worauf sich herausstellte, daß meine Stimme an Mächtigkeit und Ausdauer der seinigen weit überlegen war.

»Sehen Sie den schwarzen Punkt?« brüllte ich. Aller Augen richteten sich nach Norden. »Das sind die Domtürme von Berlin!«

Der gemeine Mensch wollte etwas bemerken, worauf ich mich natürlich verbesserte: »Ich meinte vielmehr, von Hamburg!«

Er machte von jetzt ab nur noch schwache Versuche, etwas zu sagen, und ich erklärte im schönsten Stil die Gegend zu Ende. »Im Süden sehen Sie die Alpenkette mit dem Loch in der Mitte – das ist der St. Gotthardtunnel. Im Westen das Mittelländische Meer, im Osten – na Rußland!«

Ich habe natürlich aus dem Stegreif gesprochen und kann jetzt nicht jedes Wort wiederholen was ich sagte, es war noch eine ganze Menge. Wer sich dafür interessiert, der braucht nur in den neuesten Ausgaben der Reiseführer nachzusehen. Denn der Wirt stand neben mir und notierte jeden Ort oder Berg, den ich nannte, um sie nachher mit der Überschrift: »Bei besonders klarem Wetter sieht man auch –« in diesen Büchern zu veröffentlichen.

Nachdem ich auf diese Weise den Ruf des großen Dolmar um ein Beträchtliches vermehrt hatte, brach ich auf und erwog beim Weiterwandern, wie doch unsere ganzen geographischen Kenntnisse auf ähnliche Weise entstehen. Etwas nach Mittag langte ich in Schmalkalden an.

In Schmalkalden ist Karl Wilhelm, der Komponist der Wacht am Rhein geboren (man kennt augenscheinlich von ihm nur die beiden Vornamen), und man hat ihm hier ein Denkmal gesetzt. Ich habe es aber nicht besichtigt, denn mir ist der Mann unsympathisch. Kaum war nämlich seine Melodie 1871 durch den Krieg berühmt geworden, sodaß ihm die Regierung eine Jahresrente von dreitausend Mark aussetzte, da starb er auch schon kurz darauf. Wenn man mir eine Jahresrente aussetzte (aber ein bißchen mehr könnte das deutsche Reich wohl anlegen!), ich stürbe überhaupt nicht mehr, schon aus Schikane nicht, um die Leute zu ärgern.

Bei Hergesvogtei kam ich in das Trusetal, welches so romantisch ist, daß ich unmöglich die lange und begeisterte Beschreibung, die mein Reiseführer darüber bringt, hier abschreiben kann. Ich muß Rücksicht darauf nehmen, daß mein Buch nicht zu dick wird, und außerdem würde der überschwengliche Stil ganz aus dem Rahmen meines sonstigen Geschreibsels herausfallen. Aber es war fein, und am meisten imponierte mir ein künstlich angelegter fünfzig Meter hoher Wasserfall, von dem ich heute noch nicht begreifen kann, wie sie das Wasser den steilen Felsen hinaufbringen. Eine Wasserleitung existiert in der Gegend schon gar nicht, sie müssen es direkt in Eimern hinauftragen. Scheußliche Arbeit – aber was tut man nicht alles, um den Fremdenverkehr zu heben.

Als ich in Brotterode ankam, hatte ich nach dem Abendessen noch das Vergnügen, eine Theatervorstellung zu sehen. Es wurde natürlich Wilhelm Tell gegeben, und als Geßler trat ein früherer Schlangenmensch auf, der sich bei den Worten: »Durch diese hohle Gasse muß er kommen!« durch eine fürchterlich gewundene enge Ofenröhre hindurchzwängte, und als er herauskam, einen großen Applaus erntete. Die Truppe war schon seit zwei Wochen an diesem Platze und spielte immer nur dieses eine Stück. Und von weither kamen die Dorfbewohner, um sich diesen Geßler anzusehen.


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