Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Tag.

Ein Kapitel über die Denkmäler und warum ich wie ein Löwe aussah. Kunst und Landwirtschaft, nebst einem Lob der Barbiere. Wie Onkel Theo ein Verbrecher wurde.

 

In Norddeutschland, wo auch das kleinste Dorf drei oder vier Denkmäler hat, wo man in den Städten ruhig eins in die Tasche stecken kann, ohne daß jemals der Verlust bemerkt wird, hat man gar keine Vorstellung davon, welch ein Mangel und eine Not in manchen Gegenden Mittel- und Süddeutschlands an Denkmälern herrscht. Die schönsten Landschaften werden dadurch minderwertig, und der Kunstsinn der Bewohner muß verkümmern.

Ich befand mich jetzt schon den dritten Tag unterwegs und hatte noch kein Denkmal gesehen. Früh war ich von Limburg aufgebrochen – den Dom hat ich für fünf Pfennige auf einer Ansichtskarte besichtigt und gleich mitgenommen – und saß nun jetzt in Runkel traurig, wie es der Ort erheischte, im Ahnenkeller des alten Schlosses, wobei mich eine Flasche von dem berühmten Runkeler Roten tröstete, und mir der Kellermeister die ergreifende, wenn auch langweilige, Geschichte vom Grafen Sifrid Runkel-Wied und dem bösen Erzbischof Balduin von Trier erzählte.

Aber diese Mordgeschichte konnte mich nicht erheitern, und erst als der Alte mir mitteilte, bei Villmar gäbe es ein wirkliches und wahrhaftiges Denkmal vom deutschen König Konrad I., bekam ich neues Vertrauen zu den Naturschönheiten der Lahn.

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« meinte ich und brach sofort auf.

Es war natürlich eine Enttäuschung. Daß Konrad nicht hoch zu Roß saß, will ich noch dahingehn lassen, denn damals war vielleicht nur das Radfahren Mode, während die Pferde noch unerfunden in dem durch Schiller bekannten Zeitenschoße schlummerten – aber er war in Zivil, er hatte noch nicht einmal seine Orden angelegt, und trug höchsten so eine Art Theaterkostüm.

Ich bin selbst nicht Soldat gewesen, obgleich der Oberst, der die Aushebung leitete, mich wegen meines robusten Körperbaus unbedingt nehmen wollte, wogegen der Arzt von offensichtlichen mentalen Defekten sprach (diese Wissenschaftler kommen immer mit Fremdwörtern, wenn sie sonst nichts zu sagen wissen). Die beiden zanken sich übrigens noch heute meinetwegen. Also obgleich ich nicht gedient habe, schwärme ich für Uniformen und jugendlich wattierte Schultern – Sie müßten mich nur einmal sehen, wie ich mich als Husar habe photographieren lassen – und ich kann es nur als einen Unfug bezeichnen, Denkmäler in Zivil zu errichten. Wenn man schon einmal einen großen Dichter oder meinetwegen auch einem sogenannten Gelehrten eins errichten will, so soll man diese Leute nach ihrem Tode noch zu Landwehroffizieren ernennen und sie in der Uniform ihrer Regiments aushauen. Nur dann können die Denkmäler ihren Zweck, das künstlerische Feingefühl des deutschen Volkes zu heben, voll und ganz ausfüllen.

Vor dem Denkmal Konrads stand ein Mann, ganz in Wolle gekleidet, und als ich erfuhr, daß er Oberlehrer war, sagte ich ihm meine Ansicht über das Denkmal, und daß es ein Skandal sei, einen deutschen König in einem solchen Kostüm darzustellen. Aber meinen Sie, der Mann hätte mir recht gegeben? Das wollte nun ein Jugenderzieher sein, und dabei behauptete er in allem Ernst, in früheren Zeiten wären die Leute überhaupt nur in diesen alten, zerschlissenen Theatermänteln herumgelaufen, sie hätten mit den Auerochsen aus dem Zoologischen Garten gekämpft und des Abends statt im Bett auf Bärenhäuten geschlafen.

Solche Scherze trug er aber nicht etwa zu meiner Erheiterung vor, sondern er war steif und fest davon überzeugt. Ja, als ich mir erlaubte, etwas an seinem Verstande zu zweifeln – ich wies mit dem Finger gegen meine Stirne – wurde er direkt komisch in seiner wilden Wut, und was er sagte, war nicht grade höflich. Ich lachte ihn aus und ließ ihn stehen, man darf sich mit solchen Narren nicht gemein machen.

Aber im Ernst, ich denke mir, die alten Deutschen werden wohl so eine Art Landwehruniform getragen haben – wie hätten sie auch sonst die Römer besiegt? Und Gewehre hatten sie, nicht solche moderne kleinkalibrige, sondern richtige, alte urgermanische Flinten, die einem noch Löcher in den Leib schossen, durch die man hindurchsehen konnte.

Wie ist denn nun eigentlich der Unfug entstanden, daß man Leute wie Gottfried von Bouillon und Peter den Kahlen, so seltsam vermummt auf unsere Plätze und Brücken hingestellt hat? Gewiß waren es Bildhauer, die dem militärischen Leben gänzlich fern standen, die damit angefangen haben. Das Publikum machte vielleicht aus reinem Ulk die Sache mit, bis man später gar nicht mehr wußte, bei welchen Truppengattungen nun die einzelnen Herren eigentlich gedient hatten.

Aber jetzt ist es Zeit, daß dem ganzen Unfug gründlich ein Ende gemacht wird, selbst wenn auch dabei einmal ein König oder Graf ein falsches Regiment erwischt. Karl den Großen haut man einfach in der Uniform der Garde du Corps aus, und die andern Herrn verteilt man nach ihrer Wichtigkeit auf die einzelnen Armeekorps. Natürlich müßten sie dann auch in die betreffenden Regimentsgeschichten ausgenommen werden, die dadurch nur gewinnen können. Die Hauptsache ist nämlich, was ich immer behaupte, der künstlerische Standpunkt, und mit diesen altfränkischen, steinernen Karrikaturen muß so schnell wie möglich aufgeräumt werden, denn nur die Uniform vermag einem modernen Menschen noch etwas zu sagen und höhere Empfindungen in ihm auszulösen.

Ferner sollte man in Deutschland alljährlich eine große nationale Denkmalsausstellung stattfinden lasten. Jede Gemeinde würde da ihr bestes Reiterstandbild auf einige Wochen hinsenden und könnte nachher dem staunenden Fremden einen Großen Kurfürsten zeigen, besten Gaul eine goldene Medaille als ersten Preis für korrekte Beinstellung trüge.

Weiß man denn überhaupt, welche Entwicklungsmöglichkeiten uns die Zukunft in diesen Dingen noch bietet? Ich wenigstens sehe die Zeit herannahen, da an jeder Ecke, vor jedem Hause ein Denkmal steht. Die Kaufleute hängen ihre Firmenschilder, die Barbiere ihre Becken daran auf; der Hutmacher setzt dem alten Fritz einen Zylinder auf den Kopf, der Schneider zeigt die Wirkung der neuesten Bügelfalte an einer Hose, die er Johann Cicero angezogen hat; Friedrich Wilhelm der Dritte trägt eine Holzkiste mit Harzer Käse, und dem armen Otto dem Faulen stellt eine rücksichtslose Hausfrau gar den Mülleimer auf das Postament.

Natürlich laufen alle diese Denkmäler auf Rädern, und beim Umzug bindet man sie hinten an den Möbelwagen. Nachts können sie mit einer Kette angeschlossen werden, damit sie keiner stiehlt, oder was noch bester ist, man stellt vor jedes Exemplar einen Schutzmann als Wache auf.

Auch die ärmeren Leute schaffen sich dann allgemein Denkmäler an, dafür sorgen schon die Abzahlungsgeschäfte, die solche Kunstwerke ohne Anzahlung auf Kredit liefern, und es wird allgemeine Sitte werden, daß keine deutsche Jungfrau einem deutschen Jüngling das Jawort und den ersten Kuß gibt, wenn er nicht den Besitz von mindestens einem Denkmal nachweist. Denn das Denkmal ist das wichtigste Stück vom ganzen Mobilar. Dann wird es auch zum Beispiel Berlin ein leichtes sein, das neidische Paris an Einwohnerzahl zu überflügeln, indem es einfach die Denkmäler mitzählt.

Aber auch auf dem Lande gehen wir besseren Zeiten entgegen. Die langweiligen Telegraphenstangen verschwinden immer mehr, überall stehen steinerne Soldaten, die mit gezücktem Säbel oder erhobener Lanze die Drähte festhalten. Daß die Meilen- und Grenzsteine durch Statuen ersetzt werden, ist selbstverständlich, aber auch die Bäume an den Landstraßen sollten abgehauen und durch schattenspendende Chausseedenkmäler ersetzt werden. Wenigstens hörten dann endlich die ewigen Klagen über obststehlende Handwerksburschen auf.

Die Bäume sind überhaupt die Schmerzenskinder der neueren deutschen Entwicklung. Auf jedem forstwissenschaftlichen Kongreß wird gejammert, daß man unseren Waldbäumen keinen wirklich graden Paradewuchs beibringen kann. Dabei gibt es Dichter, die noch immer die Eiche, dieses krummbeinigste Gewächs auf Gottes Erdboden, als deutschen Baum besingen. Nein, was uns nottut, ist ein möglichst viereckiger Mastbaum, der genau bis zur vorgeschriebenen Höhe emporwächst und seine Äste in ebenso vorgeschriebenen Abständen und Winkeln hinaussendet, damit man sie auch richtig numerieren kann. Aber dieses Ideal eines deutschen Baumes wird man vorläufig schwerlich erreichen, und ich schlage vor, statt dessen einfach einen Wald von steinernen Denkmälern zu errichten, zu dem wir hinauspilgern, um aus der Alltagsstimmung herauszukommen und unsere Gemüter aufzurichten. Wie schön haben es dann auch unsere Kinder, die jetzt über den langweiligen Geschichtsunterricht jammern, während sie später ihre Hohenzollern in dem intimen Reiz ihrer ganzen Persönlichkeit täglich vor Augen haben.

Mit solchen Zukunftsgedanken ging ich die Lahn hinauf und überall, wo eine schöne Stelle kam, da vertiefte ich mich einen Augenblick in den Zauber der Landschaft und pflanzte in Gedanken ein Denkmal dahin. Hätte ich Zeit gehabt, sie wirklich aufzubauen, dann ständen jetzt zwischen Villmar und Aumenau hundertsieben Denkmäler, und an der Lahn lehnte sich ein Hotel an das andere, um den Fremdenstrom aufzunehmen, der sich dieses Wunder ansähe. Aber leider werden grade die besten Ideen (besonders wenn sie von mir sind) nicht ausgeführt.

In Aumenau kehrte ich im Gasthaus zum lahmen Anton ein und die ganze Zeit während des Essens sah mich das kleine Wirtstöchterchen mit offenem Mund und höchst erstaunten Augen an. Diese unzweifelhafte Bewunderung tat mir wohl.

»Na, Kleine,« fragte ich sie, »was gefällt dir denn so an mir?«

Sie errötete etwas und meinte endlich: »Ja, Onkel, du siehst genau aus wie ein Löwe.«

Ich ließ mir natürlich nicht merken, wie sehr ich mich geschmeichelt fühlte, und brummte etwas von oben herab: »Dummes Ding, hast du denn schon mal einen Löwen gesehen?«

»O ja, beim Müller im Stall steht einer.«

»Aber, Frida,« fiel hier der Wirt ein, »das ist doch ein Esel.«

»Ja, so sieht der fremde Onkel aus,« sagte die Kleine mit Überzeugung, woran man wieder erkennen kann, daß Kinder absolut kein Verständnis für die Physiognomien hervorragender Männer haben. Überhaupt gefiel mir jetzt der Gasthof zum lahmen Anton lange nicht mehr so gut wie vorher, und ich atmete ordentlich auf, als ich diese blöde Gesellschaft verlassen hatte und wieder an der schönen Lahn entlang wanderte.

Denn sie wurde jetzt wirklich schön, die gute alte Lahn. Einen über zehn Kilometer langen Engpaß hat sie sich nördlich von Aumenau durch das Hochplateau gefressen, und nur links vom Fluß ist ein schmaler steinerner Leinpfad geblieben, während rechts die waldbewachsenen Kalk- und Schieferfelsen steil in das Wasser führen. Weder Mensch noch Vieh, ja nicht einmal eine Malerin begegnete mir auf dem ganzen Wege, trotzdem in meinem Führer stand, daß die Gegend für den Landschaftsmaler eine unerschöpfliche Fundgrube bildet. Nur einmal flogen ein paar Zentner Müll dicht an mir vorbei in die Lahn und zeigten mir, daß hoch über mir auf dem Berge ein Dorf lag, dessen Bewohner auf solche einfache Weise den Abfuhrunternehmer sparten.

In Weilburg, wo ich totmüde ankam, wurde ich in großartiger Weise empfangen. Schon aus der Ferne hörte ich Kanonen- und Böllerschüsse, und als ich mich der alten Stadt näherte, sah ich, daß sie festlich geschmückt war. Aus jedem Haus hingen Fahnen, und die Menschen trugen besondere Orden und Abzeichen. Unter einer Triumphpforte aber stand das Komitee, jeder Mann in Zylinder, weißen Handschuhen und eine papierene Ordenskette mit Kotillonsternen auf der gehrockschwarzen Brust, und sie schrieen hurra, als sie mich sahen. Erst als ich schon eine huldvolle Dankesrede begann, bemerkte ich, daß der Jubel nicht mir galt, sondern einem andern, nämlich einem riesigen, bändergeschmückten Mastochsen, den man hinter mir herführte, denn in Weilburg wurde grade eine große landwirtschaftliche Ausstellung eröffnet.

Für mich persönlich war das ja eine Enttäuschung, es passiert einem so selten, daß man irgendwo festlich empfangen wird, aber die Stadt und die Ausstellung gefielen mir trotzdem. Vor jedem Hause und an jeder Guirlande hing immer wieder dasselbe Plakat mit der von Eichenlaub umkränzten Inschrift:

 

»Des Vaterlandes Mut und Kraft
Die liegen in der Landwirtschaft«;

 

und ich merkte bald, daß der Rhythmus dieser schönen Verse alle Köpfe und Beine ergriffen hatte. Ehrenjungfrauen und Landräte tanzten danach, die Drehorgeln spielten sie, die Betrunkenen gröhlten sie mir in die Ohren und die deutschen Edelschweine grunzten sie von den Ausstellungshallen herüber.

Im Schloß befand sich diese eigentliche Ausstellung, und einen großen, hufeisenförmigen Saal, der sonst als Bildergallerie von dem Kunstsinn ausgestorbener Grafengeschlechter zeugte, hatte man dafür hergerichtet. Nie wieder habe ich eine so ideale Verbindung von Kunst und Landwirtschaft gesehen. Eisengepanzerte Ritter lächelten friedlich auf die hessischen Fettschafe herab, die vergebens an den gemalten Beinschienen leckten. Gepuderte Rokokodamen konnten kaum durch Perlzwiebel- und Knoblauchschnüre hindurchblicken, die man ihnen über das Gesicht gehängt hatte. Und einem hölzernen Sankt Christophorus wurde bald das linke Bein ausgerissen, weil das Kalb, das daran festgebunden war, sich zu heftig nach seinem heimatlichen Stall sehnte.

In Weilburg war natürlich in keinem Gasthof und Hotel mehr ein Zimmer frei. Jedes Sofa war für irgend einen logierenden Agrarier belegt, und im Wilden Schwein schliefen der Bürgermeister von Pfaffenkalbach und der Landrat von Ifflingshausen nebeneinander auf einem Billard. Aber ich bekam doch noch eine Unterkunft, ja sogar einen Salon. Denn als mir der Oberkellner mitteilte, sie hätten nur noch ein Zimmer frei, und das wäre für den Baron von Tonderotonn bestellt, da warf ich dem Mann nur einen einzigen Blick zu und fragte ihn, ob er mir nicht an der Nase ansähe, daß ich der Baron von Tonderotonn wäre, worauf er zusammenknickte und mir selbst hinaufleuchtete. Ich gab ihm noch den Auftrag, falls sich irgend ein Betrüger unter meinem Namen einfinden sollte, den Kerl sofort und energisch vor die Türe zu werfen, und ließ mir dann einen Barbier kommen.

Der Mann, den man mir nach einer Weile brachte, trug eine Auszeichnung für erfolgreiche Schweinezucht auf der Brust, aber man konnte es ihm auch zur Not anriechen, daß er sich mit solchen Stallbewohnern abgab. Er hatte ein gutmütiges, sympathisches Gesicht und verlangte unbedingt von mir, ich müsse mich auf den Tisch legen, anders könne er mich nicht rasieren. Nun ist es mein Grundsatz, mich überall den Sitten und Gewohnheiten eines Landes zu fügen, aber ich empfand doch meine Lage als sehr unbequem, und als der Mann fertig war, fragte ich ihn, warum man in Weilburg die Leute auf so merkwürdige Art rasiere. Ja, sagte er, er sei ja eigentlich kein richtiger Friseur, aber man habe bei dem Trubel keinen anderen auftreiben können. Bisher habe er nur Leichen rasiert, die lagen immer wagerecht da, und er hoffte, daß ich trotzdem mit ihm zufrieden sei.

Das war ich wirklich, und nach der Art, wie er mich behandelt hat, bin ich fest davon überzeugt, es war für die Leichen ein Vergnügen, von diesem äußerst geschickten Menschen rasiert zu werden. Ich versprach ihm auch, ihn zum Freiherrlich Tonderotonnschen Leibfriseur zu ernennen und gab ihm den Auftrag, meine sämtlichen Ahnen, so weit sie in der Familiengruft noch vorhanden sind, noch einmal nachträglich zu rasieren, was den Mann bis zu Tränen rührte, so daß er weiter keine Bezahlung verlangte.

Als wir von einander schieden, hatte ich das Gefühl, eine edle Tat vollbracht zu haben, denn dem Mann war es wirklich bisher zu schlecht gegangen. Sein Vater war, wie er mir erzählte, gestorben, seine Großmutter war gestorben, seine Kinder waren gestorben, seine Frau, kurz alles war gestorben. Und es war rührend, wie er mit schmerzerstickter Stimme hinzusetzte: »Aber das ist noch gar nichts gegen den Ärger, den ich diesen Sommer mit meinen Schweinen gehabt habe.«

Man wird sich wundern, warum ich mich mit diesem einfachen Mann so leutselig unterhalten habe. Aber ich liebe nun einmal die Friseure, und in meiner Jugend habe ich lange geschwankt, ob ich Opernsänger, Leutnant oder Friseur werden sollte. Schließlich wählte ich doch als Ideal den Friseurberuf, er schien mir der vornehmste, feinste, eleganteste zu sein. Freilich waren das Knabenträume, die sich nie verwirklichten, aber noch heute schaue ich einem Friseurgehilfen, wenn er des Sonntags frisch gebügelt, von einer Parfümwolke umgeben, spazieren geht, mit Bewunderung nach. Jeder Kellner, dem er ein entsprechendes Trinkgeld gibt, redet ihn mit ›Herr Graf‹ an, und die Herzen der Mädchen schlagen schneller, wenn er sie mit seinen seelenvollen Augen ansieht.

Und doch gibt es Leute, die keine Barbiere leiden können. Man schimpft über sie und redet ihnen Untugenden und Laster nach, die sie gar nicht besitzen. Aber das ist wohl alles nur der Neid, der aus solchen Menschen spricht.

Da behauptet man, die Barbiere unterhielten sich in langweiliger Weise nur über das Wetter, und man hätte Mühe, sie auf Brandstiftungen, Mordtaten und ähnliche amüsantere Gesprächsstoffe zu bringen. Nichts ist falscher als das, denn der tüchtige Barbier unterhält sich mit seinen Kunden fast nur über deren Familienverhältnisse. Woher es kommt, daß er beim zweiten Besuch nicht nur ihre Namen, ihr Alter, ihre Steuerstufe und die Zahl und Höhe ihrer gerichtlichen Bestrafungen kennt, sondern auch ihre Zukunftspläne und sogar Geheimnisse, die den Kunden selbst bisher verborgen waren, weiß ich nicht. Ich nehme an, daß die Barbierlehrlinge und Gehilfen, die scheinbar nur damit beschäftigt sind, sich die Haare mit wohlriechender Salbe einzuschmieren, die, während sie den Leuten die Nasenlöcher und den Mund mit Seifenschaum ausfüllen, in harmloser Weise ihre Mahlzeiten wiederkäuen, daß alle diese Jünglinge sich in ihren Mußestunden in die Häuser einschleichen und das Verborgenste ausforschen. Darum begehe ich auch nie im Familienkreise eine Majestätsbeleidigung, ehe ich nicht die Kommodenschublade nach versteckten Barbierlehrlingen durchsucht habe.

Einem Barbier nimmt man gleich alles übel. So hatte ich einen Freund, der jedesmal wütend wurde, wenn ihm sein Barbier versicherte, er werde gleich rasiert werden, während doch noch siebzehn Mann im Lokal saßen und vor ihm an die Reihe kamen. Und ein anderer beklagte sich bei mir einmal bitter über die Zudringlichkeit eines Friseurgehilfen, der ihm nacheinander Haarwasser, Hühneraugentinktur, Zahnbürsten, Seife, Rattengift, Schweizerpillen und Kanarienvögel verkaufen wollte. Mein Freund hatte geschworen, nichts zu kaufen, aber er verließ das Lokal mit einem für zwanzig Mark erstandenen Amboß, der noch heute die Zierde seines Salons bildet.

Kurz gesagt, während sich sonst die Menschen gegenseitig mit der größten Liebe und Rücksicht behandeln und selbst die ärgsten Grobheiten und Beschimpfungen nur mit verdoppelter Freundlichkeit beantworten, an den armen Barbieren haben sie immer noch etwas auszusetzen. Und doch findet man grade unter ihnen die edelsten Charaktere.

Ja, was wäre wohl zum Beispiel aus meinem Onkel Theo geworden, wenn ihn nicht seinerzeit ein Barbier auf seine ihm vom Schicksal vorgezeichnete Laufbahn geleitet hätte. Onkel Theo war damals zwanzig Jahre alt und dazu noch ein Waisenkind. Auf der ganzen weiten Welt besaß er nichts außer seinem unschuldigen Gemüt und einem entfernten Verwandten, der in Bielefeld als Leinenhändler lebte. Diesem Verwandten wollte er sich vorstellen, und so kaufte er sich eines Tages ein Billett und fuhr hin. Aber bevor er den Leinenladen betrat, ging er noch einmal zu einem Friseur, um seinem Äußern jenen letzten Schliff zu geben, der nun einmal dazu gehört, einen vorteilhaften Eindruck zu machen. Und dabei hatte Onkel Theo auch nicht die leiseste Ahnung, daß dieser Besuch beim Friseur für sein ganzes ferneres Leben entscheiden und aus einem armen und harmlosen Menschen einen erfolgreichen, beneideten Verbrecher machen sollte.

Ein ganz merkwürdiger Haarkünstler war das, in dessen Salon er einkehrte. Selbst Onkel Theo, der doch in der Gegend fremd war, fiel seine seltsame Zerstreutheit und Nervosität auf. Freilich hätte er gewußt, was er erst später erfuhr, daß dieser Mann zu eben dieser Stunde einen Familienzuwachs erwartete, er würde sich weiter nicht gewundert haben. Sind doch schon junge Väter ausgezogen, um die Geburt ihres ersten Sohnes anzumelden und haben statt dessen in der Aufregung die Feuerwehr alarmiert.

Aber damals glaubte Onkel Theo, es sei eine Spezialität der Bielefelder Barbiere, mit dem Kopf gegen den Spiegel zu rennen und die Scherben lächelnd zu betrachten. Ihn interessierte es sogar, als dieser Mann jetzt im August in einem kleinen Petroleumofen herumstocherte, daß er fünf Minuten lang versuchte, in einem Becken ohne Wasser Schaum zu schlagen. Erst als der Mann in bedenklicher Weise eine Flasche Zahnwasser über Onkel Theos Gesicht goß, wurde dieser etwas unruhig, aber er ließ sich sofort wieder besänftigen, als er hörte, es würde natürlich ein Junge sein.

Darauf begann der Haarschnitt. »Sie können mir hinten die Haare mit der Maschine schneiden,« sagte Onkel Theo. »Vorne ein eleganter Scheitel, und natürlich den Schnurrbart ausziehen!«

Der Meister nickte und biß sich in Gedanken ein Stück von seinem linken Daumen ab. Dann wickelte er Onkel Theo in eine weiße Zwangsjacke, und bald überzeugte diesen ein intensiver Schmerz am rechten Ohr, daß die Maschine in voller Tätigkeit war. Nur der obere Rand des Ohres war verschwunden, die Wunde wurde mit mehreren Lagen Watte zugeklebt. Überhaupt hatte diese Haarschneidemaschine zu viel Feuer. Eine Weile richtete sie noch Verheerungen auf dem Hinterkopf an, dann aber tauchte sie plötzlich am Horizont hervor und fuhr in einer schneidigen Kurve über jene Schädelgegend, wo sonst ein schöner Scheitel sich mit Öl und Pomade siegreich gegen alle Unbilden der Witterung zu behaupten pflegte.

Entsetzt sprang Onkel Theo auf, doch es war zu spät. Die Maschine hatte eine spiegelblanke Landstraße durch den Urwald seiner Haare angelegt, und er wußte nun, daß er die nächste Zeit poliert wie eine Billardkugel herumlaufen würde. Er hatte ja bis dahin noch keine Ahnung gehabt, daß man diese Maschine auch auf null Millimeter einstellen und als Rasiermesser gebrauchen konnte.

Sie wurden jetzt durch einen Nachbar unterbrochen, der den Kopf durch die Türe steckte und fragte, wie es mit der Frau stände. »Sie werden gleich rasiert!« war die Antwort, und der Kopf verschwand wieder. Dann schoß wie ein Meteor ein Lehrling zur vorderen Tür herein und zur hintern wieder hinaus und riß im Fluge den Kleiderständer mit, wodurch verschiedene Gegenstände zertrümmert wurden, unter anderm auch Onkel Theos neuer Zylinderhut, der sich in eine alte Burgruine verwandelte. Das letztere war meinem Onkel nun eigentlich egal, denn der Zylinder war doch durch den Haarschnitt viel zu weit geworden.

Onkel Theo hatte jetzt wenig Zeit mehr, noch über irgend etwas auf der Welt nachzudenken. Ein Meer von Seifenschaum überschwemmte plötzlich sein Gesicht. Schleunigst schloß er seine Augen und merkte nur noch, daß auch seine Nase wie ein letzter Mastbaum unterging. Er ergab sich in sein Schicksal, und was nun folgte, das sah er nicht mehr, aber er hörte oder fühlte es. Es war ihm so, als ob einzelne Teile seines Gesichts, Stücke von seinem Kinn und seinen Wangen ihm auf immerdar abhanden kämen. Doch das brach ihm nicht das Herz. Unangenehm empfand er es nur, als das Messer auch über die Gegend zwischen Nase und Mund fuhr, denn dort hatte bisher sein Schnurrbart gestanden.

Dazwischen hörte er das Ab- und Zuströmen von Menschen, und endlich kam einer herein, der von den andern mit ›Herr Doktor‹ angeredet wurde. »Alles gut abgelaufen! Ich gratuliere, ein Junge!«

Während die Leute sich gegenseitig hochleben ließen, wusch das Meteor – ich wollte sagen, der Lehrling – Onkel Theo den Seifenschaum aus den Augen, und der Barbier fiel ihm um den Hals und fragte ihn, ob er nicht Pate werden wollte. Onkel Theo aber gab keine Antwort, er hatte zufällig im Spiegel sein Gesicht gesehen und war in Ohnmacht gefallen. Als er wieder zu sich kam, sollte er sich das Kind ansehen, aber der Doktor protestierte, weil man die Wöchnerin nicht erschrecken dürfte. Mein Onkel stülpte sich also die Ruine über den Kopf – er mußte sie mit einer Hand festhalten, weil sie sonst bis auf die Schultern heruntergesunken wäre – und machte sich auf den Weg zu seinem Verwandten.

Auf der Straße stand still und friedlich ein Schutzmann und betrachtete lächelnd eine spielende Kinderschar. Als er Onkel Theo sah, stutzte er und folgte ihm nach. Ein zweiter Schutzmann schloß sich ihm an, ebenso ein dritter und zuletzt noch einige Herren, die wie geheime Kriminalbeamte von der allerschwersten Abteilung aussahen. Die ganze übrige Menschenmenge, die staunend mitging, bestand nur aus Neugierigen.

Als Onkel Theo den Laden seines Verwandten betrat, schloß dieser sofort die Kasse und den Geldschrank ab. »Paul, schnell die Polizei!«

Aber die kam schon von selbst herein, und das ganze Personal, einschließlich des stark zitternden Hausknechts atmete auf. Vergebens beteuerte mein Onkel, daß er nur zufällig so aussähe wie ein aus dem Zuchthaus entsprungener Raubmörder, und daß er doch nichts dafür könne, wenn eine Barbiersfrau in die Wochen komme.

»Das kennen wir!« sagte der Häuptling der Polizeibeamten. »Er versucht, den wilden Mann zu spielen.«

Auf dem Wege zum Gefängnis wurde Onkel Theo vom Publikum dreimal mit Erfolg gelyncht, und am Abend lag er, mit Ketten beladen, in einem unterirdischen Verließ, bewacht von einem Dutzend entschlossener und bis über die Ohren bewaffneter Beamten, die ihn keine Sekunde aus den Augen ließen.

Er sah so gefährlich aus, daß man ihm sämtliche Mordtaten zuschob, die in den letzten zehn Jahren begangen und nicht entdeckt waren – im ganzen hundertsiebenundvierzig Stück. Von hundertsechsundvierzig konnte er sein Alibi nachweisen, aber bei der hundertsiebenundvierzigsten gelang ihm das nicht vollständig, und er wurde nach dem Antrage des Staatsanwalts, der besonders das hartnäckige Nachweisen von Alibis als straferschwerend bezeichnete, zum Tode, zu sechs Tagen Haft und zu sieben Jahren Ehrverlust verurteilt.

Onkel Theo war immer eine friedliche Natur. Gegen die Todesstrafe hätte er sonst nichts eingewendet, auch über die sechs Tage Haft blickte er gleichmütig hinweg, aber die sieben Jahre Ehrverlust kränkten ihn. Schleunigst schrieb er an einen berühmten Psychiater einen pathetischen Brief und rettete dadurch sein Leben. Die ganze Wissenschaft erhob sich wie ein Mann und legte sich für ihn ins Zeug. Autoritäten aller Länder kamen ins Untersuchungsgefängnis, um an Onkel Theo Symptome zu studieren. Er war mit einem Schlag berühmt und unzurechnungsfähig geworden, ein bedauernswertes, atavistisches Ungeheuer, der Urtyp des Neandertalmenschen, was man schon daran sah, daß ihm ein Stück vom Kinn und eine halbe Ohrmuschel fehlte. Als er in der Revisionsverhandlung freigesprochen wurde, platzte der Staatsanwalt vor Wut – man kann jetzt noch die Naht sehen.

Von da ab ging es Onkel Theo glänzend, denn er hatte im Gefängnis von seinen Kollegen vieles gelernt, was ihm jetzt wohl zu statten kam. Was nützte es der Polizei, wenn sie ihn bei einem Einbruch ertappte? Kaltlächelnd zeigte er den Beamten sein ärztliches Attest, und während sie ihm respektvoll Platz machten, fuhr er in einem Auto nach Hause.

Aber nie vergaß mein Onkel Theo, wie viel er den Barbieren verdankte, und wenn jemand auch nur ein geringschätziges Wort über diese Leute in seiner Gegenwart geäußert hätte, er würde den Mann totgeschlagen haben. Denn Onkel Theo konnte sich jetzt wirklich so etwas leisten, er hatte ja sein Attest.


 << zurück weiter >>