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XXVIII.

Utamaros Kunst – Yoshiwara-Leben in vergangenen Zeiten – Die Oiran oder Tayu – Sklavinnenleben – Die Geishas: »Les Amuseuses«

 

Edmond de Goncourt war 70 Jahre alt, als er durch das »Oeuvre innombrable« Utàmaros, des Zeichners und Verherrlichers von Yoshiwara, bezaubert wurde. Der feine, sympathische Kunstkenner hatte etwas Neues gefunden. Und wer würde es ihm wohl mißgönnt haben, in seinem Alter mit einer raffinierten Freude das zu genießen, was er gefunden zu haben glaubte, dieses »Neue«, das ihn zu weiteren Studien und Arbeiten anregte?

Utàmaro gab das ganze Leben der Yoshiwara von Tokio in seinen Zeichnungen wieder. Da war die Ankunft der Gäste im Teehaus, dessen Besitzer der Vermittler zwischen seinen Gästen und dem ist, was sie suchen. So war es zu Utàmaros Zeiten, und wir dürfen wohl annehmen, daß dieser Zustand nicht vollends überlebt ist. Utàmaro gab dann den sich daranknüpfenden Empfang der Gäste in dem »nachtlosen Hause« selber wieder, und alles war stets elegant, zierlich, anmutig auf seinen Bildern, auf die man in jenen Jahren so erpicht war, daß er sich stets überarbeiten mußte, um nur all die Bestellungen ausführen zu können. Er idealisierte alle seine Frauen. Er zeichnete sie stets wie Königinnen in den prächtigsten, schleppenden Kimonos und Gürteln, die aber stets eine viereckige Schleife vorn aufwiesen – im Gegensatz zu der Gepflogenheit der anständigen Frauen, die sich diese Schleifen unterhalb des Rückens banden.

Er zeichnete diese Frauen schlank und geschmeidig, obwohl keine einzige japanische Frau diesen Typus verkörpert; sein Zeichenstift ließ die Schleifen und Falten ihrer Gewänder sie wie Wogen umgeben; ihr Haar, das von Kamelienöl glänzte, war sehr kunstvoll hoch frisiert und mit viel Bandschleifen geschmückt. Breiter Korallenschmuck und ein Strahlenkranz von vielen langen Nadeln aus Schildpatt oder Elfenbein machte Königinnen und Göttinnen aus ihnen. Und jeder neue »Fall« bot eine neue Gelegenheit zum Idealisieren. So will etwa ein »Gast«, der des Morgens genug von den Yoshiwara-Freuden hat, fortgehen, aber durch die Papierscheiben hindurch sieht er, daß ein Schneesturm ausgebrochen ist; nun wird gleich eine große Schar von Dienerinnen damit beschäftigt, das bronzene Holzkohlenbecken in Glut zu setzen und den Gast davon zu überzeugen, daß der Schneesturm hier drinnen am ehesten zu ertragen ist und daß er darum ruhig noch einen Tag bleiben soll.

Es ist mir nicht möglich, all die glänzenden Bilder aufzuzählen, die Utàmaro hier nur so aus dem Ärmel schüttelte. Da ist unter anderem der Shinzo-Aufzug: »Shinzo« ist ein neues Schiff, das zum erstenmal aufs Wasser gebracht wird. Ein Mädchen von 13 Jahren, das indessen schon von seinem sechsten Jahre an bei einem Wirte in Dienst stand, ward einer der vornehmsten Kurtisanen als weiblicher Page beigegeben. Nun hat es sich zum erstenmal die Zähne geschwärzt – ein uralter, nun völlig vergessener Zug von Koketterie! – und geht im Zuge neben vielen anderen Frauen mit kunstvoller Haartracht und reichen brokatenen Kimonos durch die Yoshiwara, während Diener runde Körbe nachschleppen, weil sie ja in allen »grünen« Teehäusern des Stadtviertels Besuche abstatten und allen »Patronen«, Matronen und Leidensschwestern kleine Geschenke geben wollen.

Ein einziger derartig idealisierter Aufzug möge meinen Lesern genügen. Ich für mein Teil kann Utàmaro nicht mehr sehen. Es sind immer die gleichen, oberflächlichen, nach einem bestimmten Modell gezeichneten, ausdruckslosen Gesichtszüge, immer dieselben unverändert langen, schlanken Körperformen, immer wieder der banale Reichtum gestickter oder gewebter Stoffe. Allerdings werden all diese Gestalten stets in den geschickten Kombinationen vor Augen geführt, denn dieser Maler besaß viel Talent, das nur im Laufe der Jahre zu virtuoser Geschicklichkeit ausartete. Wenn man viele Drucke von Utàmaro durch die Hände gehen läßt, kann einen deren Eintönigkeit zur Verzweiflung treiben. Ich kann es nur bedauern, daß Goncourt, lediglich bestochen durch diese außerordentliche Grazie, niemals empfunden hat, welch großes Elend, welches weltumfassende verzweifelte Frauenleid sich hinter diesen flüchtig ausgeführten, allerliebsten Illustrationen verbarg. Utàmaro wußte wohl darum, aber er brachte es nicht zum Ausdruck. Er verbrachte ganze Tage und Nächte in den »nachtlosen Häusern« und praßte und schlemmte und idealisierte immer weiter. Hätte er doch nur ein einziges Mal diesen oft wiederkehrenden Fall gezeichnet: den Doppelselbstmord von zweien dieser Frauen, die entfliehen und sich ertränken, um ihrem Dasein als Märtyrerinnen der Lust ein Ende zu machen …

Damals traten die Besucher der Yoshiwara durch die »O-Man« (die große Pforte) des Stadtviertels nie anders als mit einem großen Strohhut, der ihnen bis über die Nase reichte und ihr Gesicht verbarg: eine Gewohnheit, die nun gänzlich verloren gegangen ist. Hatten sie erst das Teehaus betreten und war von dort aus in eines der grünen Häuser Botschaft gesandt worden, so begleitete ein Diener des ersten Hauses sie zu dem andern. Das alles war sehr kompliziert. Der »Gast« entkleidete sich und zog einen Kimono des Hauses an, was bedeuten sollte, daß alle Besucher, die hier zu Gaste kamen, in bezug auf Rang, Stand und Namen gleich waren. Aber dennoch mußte Rang, Stand und Name angegeben werden, weil die Wirte und die Wirtinnen es vermeiden wollten, mit irgendeinem Individuum etwas zu tun zu haben, das etwa von der Polizei gesucht wurde. Der Gast bestellte sich Geishas, Saké, Delikatessen, und jeder mußte ein Trinkgeld bekommen, das der Wirt oder die Wirtin der Einfachheit halber gleich selber notierte. Hatte er eine Gefährtin für die Nacht erwählt, eine »Tayu« oder eine »Oiran« – diese Frauen hatten ihrem Rang entsprechend verschiedene Namen, und der allgemeine Name lautete »Joro« – so bestand noch die Möglichkeit, daß eine berühmte Schönheit des grünen Hauses etwa die Nase rümpfte und sprach: »Es paßt mir nicht, diesen Herrn zu empfangen.« Und wenn der Wirt auch ein Tyrann und Henker für die armen Frauen war, die ihre Karriere erst begannen, das Metier noch nicht kannten, rasch ermüdeten oder von dem tierischen, ausschweifenden Leben und dem vielen Branntwein krank wurden – waren es doch oft arme Kinder von kaum 14 oder 15 Jahren! – so fürchtete er um so mehr die Launen der »Oiran« oder »Tayu«, die dank ihrer besonders kräftigen Gesundheit die ersten entsetzlichen Jahre verhältnismäßig gut durchgemacht und es verstanden hatte, ihre Schönheit zu voller Entfaltung zu bringen und zur Berühmtheit seines Hauses zu werden. Sie schritt durch die Gänge und über die Treppen wie eine Königin, war königlich geschmückt mit extravaganter Haartracht und begleitet von ihrem Gefolge, ihren kleinen Pagen, Mädchen von 8 und 9 Jahren, manchmal auch von einem Diener. Und da empfanden die Gäste, die sie kommen und gehen sahen, vor ihr einen heiligen Respekt, und fragten den Wirt, wie hoch der Preis sei …

Soviel, sagte der Wirt, und dann noch so und soviel für die Miete des Zimmers; die wurde immer besonders berechnet. Ihre »Futons« – die Matratzen – waren hoch aufgeschichtet und stets aus Samt und Seide. Aber nun hatte sie gesagt: »Es paßt mir nicht, diesen Herrn zu empfangen«, und dann in ihren kleinen Spiegel geschaut und sich kokett gepudert. Dann näherte sich ihr der Wirt und verhandelte mit ihr – wagte es aber nicht, grob zu werden – denn wenn sie auch ihm gehörte, so hatte sie doch infolge ihres Rufes eine gewisse Macht über ihren Ausbeuter erlangt. Sie hatte ihre reichen Beschützer, die vielleicht bereit waren, sie loszukaufen: und dann war der Wirt die Glanznummer seines grünen Hauses los! So flüsterte er ihr nur ins Ohr, daß dieser Gast, der sie erwählt habe, doch in der Tat ein Mann von Ehre, Tugend und Gesundheit sei. Sie aber antwortete, daß er ihr verdächtig vorkäme, daß er vermutlich nicht gesund sei, kurz: daß sie ihn nicht wolle, worauf sie dann wie eine Göttin, mit ihrer runden Kimonoschleppe, die von zwei kleinen weiblichen Pagen getragen wurde, die Treppe emporstieg und verschwand. Daraufhin rächte sich der Wirt dann an seinem geringeren Personal und quälte es, und dann war es wohl nicht weiter verwunderlich, wenn hin und wieder ein paar seiner Opfer gemeinsam die Flucht ergriffen und sich im Flusse ertränkten.

Wenn eine »Oiran« oder »Tayu« krank geworden war, ließ der Wirt sie auf sein eigenes Landgut überführen, von den besten Ärzten pflegen und versprach ihr absolute Ruhe, solange sie es nur wünschte. Erkrankte aber eines der geringeren Geschöpfe, so blieben sie, von Fieberschauern geschüttelt, in ihren kleinen Zimmern, und nur ihre Leidensschwestern waren um sie und pflegten sie.

Unweit der Yoshiwara war ein Kirchhof, auf dem alle, die starben, mit möglichster Eile begraben wurden. Oder sie wurden verbrannt. Im 18. Jahrhundert waren Doppelselbstmorde dieser Frauen, oder auch der Doppelselbstmord eines armen Liebenden und eines dieser armen Geschöpfe, das er lieb gewonnen hatte, so häufig, daß die Leichen oft als Abschreckungsmittel drei Tage lang ausgestellt wurden. Das waren die »Etas«, die »Parias« – eine Klasse, die noch heute in Japan besteht; oft arm, oft reich, immer verachtet und irgendwie mit den Juden in den früheren Ghettos vergleichbar. Wurden sie dann endlich bestattet, so besang man in langen Balladen, die manchmal ironisch, manchmal sentimental waren, hinterdrein ihre Geschichte auf den Straßen: man hoffte, durch solche Bekanntgabe ihres Schicksals und Endes andere vor gleicher Verzweiflungstat zurückzuhalten.

Ich könnte noch Seiten und Seiten voll schreiben über das Elend, das sich hinter der zierlichen Fassade der grünen Häuser verbirgt – seit Jahrhunderten schon und auch heute noch – und das die meisten Reisenden und Schriftsteller nicht sehen können oder wollen – so wenig wie Goncourt es hinter den Idealisierungen des Utàmaro sah. Aber jeder, der nur ein wenig Gefühl und ein wenig Phantasie besitzt, muß sich das selber vorstellen können, wenn er weiß, daß diese zierlich geschminkten, allzeit traurig vor sich hinstarrenden jungen Geschöpfe Sklavinnen ihrer Wirte sind, mit denen sie Kontrakte abgeschlossen haben, die sie nicht zu lesen vermochten, und die oft gefälscht sind – natürlich fehlt es ihnen auch stets an der nötigen Initiative, zu einem Advokaten zu gehen. So geht ihr Leben traurig dahin, bis sie alt, häßlich und krank sind, und dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in einem Winkel heimlich zu verenden. Währenddessen besuchen Tausende von Fremden die Yoshiwara und finden dort alles so ordentlich, so korrekt, so elegant, so ästhetisch und so anmutig und von der Behörde des Staates so glänzend geregelt …

Ich bin in Japan, aber »Geishas« habe ich meinen Lesern bisher nur im Kirschblüten-Ballett zu Kioto vorgeführt, jenem wenig oder kaum noch japanisch anmutenden Schauspiel, das ausschließlich für Fremde arrangiert wird, und das man ebensogut in Paris oder London in einer Revue sehen könnte, wenn sich der Manager vierzig Geishas verschrieben hätte. Die Geishas hier sind keine Kurtisanen, aber sie führen das gleiche Sklavenleben wie die armen Joros.

Die auch außerhalb Japans so berühmt gewordenen Geishas sind gleichfalls keine »Freudenmädchen«. Wir sahen sie auf einem großen Fest in Kioto. Wenn man Glück hat, trifft man sie auch hin und wieder in intimerer Umgebung. Wird einem Gaste zu Ehren ein japanisches Diner veranstaltet, so werden auch Geishas bestellt. Die Gäste kauern mit gekreuzten Beinen auf Kissen vor kleinen lackierten Tischen. Im Zuge hereinschreitend, tragen nun die Geishas die Gerichte auf und stellen sie mit vielen Zeremonien auf diese Tischchen. Man ist durchaus nicht gezwungen, alle Delikatessen, die einem vorgesetzt werden, von den winzigen Tellern zu essen, man kostet nur davon; recht wählerisch zu sein, gehört zum »guten Ton«, und die Geisha, die einen bedient, sitzt dann gegenüber, blickt einen an und lächelt. Sie ist nur dazu da, zu amüsieren. Die Franzosen nennen sie darum auch »les amuseuses«. Sie bringt es fremden Gästen bei, wie man mit den Stäbchen ißt, und wie man von diesem nicht zuviel und von jenem nicht zu wenig genießen darf, und dann lacht sie und klimpert auf ihrer Laute und singt dazu. Und drüben singt eine andere Geisha für einen anderen Gast. Diese Musik ist so einfach, daß trotz der verschiedenen Melodien kaum eine Disharmonie entsteht, und man könnte beinahe meinen, daß sie überhaupt nicht falsch klingt, sondern daß alles so sein muß. Und währenddessen kreischen die Geishas wie Katzen: »Kätzchen« ist ihr Kosename: eine japanische Frau muß wie eine Katze sein.

Sind Damen mit den fremden Gästen gekommen, so betrachten und betasten die Geishas alles, was zur europäischen Toilette gehört, Hutnadel, Ringe, Halsketten … Das einzige Mal, da ich ein derartiges Diner mitmachte, fand ich es langweilig, mich so offiziell amüsieren zu lassen. Und dann war da noch etwas anderes! Ich hatte erfahren, daß die Geishas zwar keine Kurtisanen, aber doch auch die Sklavinnen ihrer Herren sind, und daß diese Sklaverei ganz gesetzlich geregelt ist, Kinder werden von ihren Eltern an die »Herren« verkauft, damit sie lernen, wie sie zu tanzen und zu singen und katzenartig heiter zu sein haben. Sind sie erst so weit, dann treten sie auf, werden zu Diners und Gesellschaften entsandt. Ihr Leben ist außerordentlich anstrengend. Sie kommen fast nie zur Ruhe. Sie erhalten fast gar kein Geld. Aller Verdienst fällt dem »Herrn« zu. Wieso und wofür? Nun, ganz einfach! weil er ihre Erziehung bezahlt hat. Er sorgt für ihre sehr reiche Kleidung, die immerfort gewechselt werden muß. Er gibt ihnen Kost und Logis. Wenn sie ein paar Yen in die Tasche bekommen, ist das genug. Und jeden Tag von neuem heißt es: tanzen und singen und fröhlich sein, mittags, abends, nachts.

Eine Geisha hat natürlich auch hin und wieder einmal ein Liebesabenteuer. Das hält sie aber vor ihrem Herrn streng geheim. Ist sie vernünftig, so versucht sie, mit einem ernsten Manne bekannt zu werden, der sie heiraten will. Dann aber muß er eine Kaufsumme, samt der Erstattung des Erziehungsgeldes an den derzeitigen Besitzer des Mädchens bezahlen, der es glänzend versteht, die Rechnung aufzumachen. Andere Geishas, die das Leid der alten Tage, die entsetzliche Aussicht auf Armut und Krankheit fürchten, versuchen Ersparnisse zu machen, sich ein paar reiche Beschützer zu halten und sich dann freizukaufen, wenn sie »erledigt« sind – und dann erziehen sie selbst einige Kinder zu Geishas.

Ein entsetzlich trauriger Zustand, viel weibliches Elend birgt sich auch hinter der leuchtenden Fassade dieser japanischen »amuseuses«. Sie sind müde, müde von all dem Singen und Tanzen, das kein Ende nehmen will. Sie fürchten sich, fürchten sich vor der Zukunft, die sie wie ein Gespenst bedroht, und Furcht und Müdigkeit verbergen sie hinter der Eleganz ihrer Erscheinungen, hinter dem reichen Brokat, der ihnen nicht gehört, hinter der pfirsichfarbenen Schminke, die bis in den Nacken hinab unter dem fast erfrorenen Lächeln ihr Köpfchen zu einer seltsamen Blume macht, die nicht das ist, was sie zu sein scheint …

 


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