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II.

Die Straßen von Kanton – Chinesische Kaufware – Taoistisches Kloster – Das Opfer Tempel – Die Stadt der Toten

 

Kanton ist die Stadt der Farben und der tausend farbigen Einzelheiten. Ein beinahe unentwirrbares Netz enger, winkliger Wege und Gäßchen, hin und wieder durchschnitten von einer neuen, mit fast brutaler Rücksichtslosigkeit angelegten Straße, die sich dann wieder im Labyrinth der altchinesischen Stadt verliert. Hie und da sind diese Straßen mit einem waffelartigen Dach aus Bambus und geöltem Papier überdeckt, und durch dessen kleine Scheiben fällt das Licht herein. Soweit das Auge reicht, trifft es auf lange Wimpel und windgeblähte Fahnen: purpurrot oder gelb, meeresblau, blütenrot oder taubengrau: darauf stehen chinesische Schriftzeichen, diese prächtigen dekorativen Lettern, die sehr groß und golden geheimnisvoll überall aufleuchten. So ist gewissermaßen die ganze Stadt »vollgeschrieben« mit Gold, aber auch mit Rot auf Weiß, mit Gelb auf Blau, mit Rosa auf Grau: das Ganze ist wie ein Zauberbuch, darin man nur nicht zu lesen vermag.

In drei Sänften – den Mandarin voran – tragen trippelnde Kulis uns durch dieses Gewoge von Gold und Farben. Ungeheuer viel Gold: vornehme Läden, Juweliere, abseits gelegene Winkel haben oft vollständig vergoldete, reich verzierte Fassaden, und golden thront im Hintergrunde der Läden, auf erhabenem Hausaltar das Bildnis der Gottheit, zuweilen gewahrt man auch nur ihr heiliges Zeichen, nichts anderes als ihren Namen, der nur selten ausgesprochen werden darf, und davor brennen Weihrauchstäbchen und -stückchen in bronzenen Vasen oder Schüsseln. Auf den Schwellen stehen oft noch sehr niedrige kleine Tonbänkchen mit Vertiefungen, in denen ebenfalls Weihrauch verbrannt wird; zweifellos, um böse Geister am Überschreiten der Schwelle zu hindern. Die süßen Düfte, die den guten Göttern wohlgefällig sind, vertreiben die Dämonen …

Es ist unbeschreiblich bunt. Fast unnatürlich kommen einem so viele Farben mit soviel Goldverzierungen vor. Dabei ist das Ganze doch nur das Alltägliche und Übliche des geschäftlichen Treibens in Kanton. Es gibt keinen eigentlichen »Markt«; alle Eßwaren findet man hier zwischen den Läden, in denen Brokate, Elfenbein, Jaspis und Jade verkauft werden: hellrosafarbene Zwiebeln, Fische mit karminroten Rücken, scharlachglühende Tomaten; große und kleine Kugeln der Orangen, gekochte Hühner, feine Gemüse grün und gelb dazwischen: die Hausfrauen scheinen mitten durch das Gedränge zu schweben; sie tragen ganz winzige Portiönchen von allem Eßbaren auf einem Tablett oder in ganz kleinen Schalen. Eine hat ein rohes Ei, das schon in eine Tasse geschlagen worden ist, und dieses winzige Etwas in Weiß und Gelb trägt sie wie eine große Kostbarkeit, wie ein Heiligtum behutsam in beiden Händen nach Hause.

Hier ist die Schlangen-Apotheke: ein sehr interessanter Laden, in dem giftige Schlangen gehalten werden – Kobras, die sich winden und schlängeln und deren Gift im günstigen Augenblick und zu günstiger Jahreszeit mit Wein vermengt wird. Wie mir unser Führer sagte, soll dieser Schlangenwein kranken Wöchnerinnen und vielen andern Leidenden Genesung bringen.

Nun blicke ich auf zu den chinesischen Pforten und Dächern, die mit lauter Kommas und Akzenten an ihren nach oben gekehrten Ecken in die Luft hineinragen. Dröhnender Hammerschlag: das sind die Schmiede, die in ihren dunklen Werkstätten in der engen Straße an großen sprühenden Feuern arbeiten – mongolische Zyklopen, matt zitronengelb und muskulös, die zu uns herüberschielen. – Dort werden Särge gezimmert; in Mengen stehen sie da, glatt gehobelt und düster, und duften nach frischem Holz. – Dort wiederum wunderhübsche Vögelchen in wunderhübschen, vergoldeten, roten und grünen Käfigen, mit Sitzstangen aus Elfenbein und winzig kleinen Trink- und Futternäpfen aus Porzellan; hin und wieder steht gar ein Zwergbäumchen darin.

Das Innere der Geschäfte enttäuscht. Die Sächelchen aus geschnitztem Elfenbein und Sandelholz sind recht minderwertig und locken nicht zum Kaufen, nur ansehen möchte man sie und sich all der schönen Farben freuen. Hinter den Geschäften liegen oft Gärten mit kleinen Felsgebilden und Wasserfällen und einem Altar mit einem zierlichen Götzenbilde: ganz plötzlich taucht das alles in grellem Sonnenschein auf. Ein Händler, der an einem Bambusrohr Käfige mit Spatzen über der Schulter trägt, bleibt auf der Schwelle stehen und will uns seine Ware verkaufen. Der Seidenhändler aber gibt ihm höflich zu verstehen, daß wir keine Spatzen brauchen können, da wir gerade auf Reisen sind.

Die Chinesen, die hier umhergehen, machen häufig einen sehr distinguierten Eindruck. Die Männer in ihren langen seidenen Samaren und die sorgfältig und glatt frisierten Frauen wirken vielfach auffallend vornehm. Übrigens tragen auch die begüterten Geschäftsinhaber ebenso wie unser Führer mit Vorliebe Gewänder aus schwarzer, grauer oder buntgeblümter Seide.

Nun hat man uns durch eines der Stadttore hinausgetragen, eines jener wuchtigen Tore mit eisernen Türflügeln und einem schräg abfallenden spitzigen Dach, das so charakteristisch für chinesische Architektur ist. Auf so einem wuchtigen Tor wirkt es drückend, oft jedoch kann dieser Stil einer Pagode oder einem Tempeldach etwas Leichtes und Luftiges geben, das an den Flug eines Vogels, einer Schwalbe erinnert. Hier am Stadttor von Kanton wirkt das dunkle Dach mehr wie eine zusammengehockte dunkle Eule. Diese Tore sollen übrigens ebenso geschleift werden wie die ganze alte Festung, die vor modernen Kriegsmaschinen doch nutzlos wäre.

Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, begaben wir uns in ein taoistisches Kloster, das breit und vornehm, mit hohen Treppenfluchten zwischen schwere Kampferbäume gelagert ist.

Die verschiedenen Kulte mit ihren besonderen Eigentümlichkeiten sind eingehenden Studiums wert, bevor man sich Tempel und Klöster anschaut. China und Japan sehen, will aber soviel heißen, wie: Klöster und Tempel sehen, Klöster und Tempel, die unter Pinien- und Kampferbäumen und inmitten üppig wuchernder Kirschblüte liegen …

Von Taoismus, Naturismus, Konfuzeismus und Buddhismus also müssen wir wenigstens eine Ahnung haben, wenn wir Tempel und Klöster besehen. Sonst würden wir uns wie oberflächliche Touristen unwissend im Labyrinth der orientalischen Glaubensformen verlieren.

Der »Tao« bedeutet vor allem philosophischen Gottesdienst, dessen Stifter um die Zeit des Konfuzius lebten. (Fünftes Jahrhundert vor Christi.)

Henri Borel hat uns anschaulich Lao-Tsze geschildert, den älteren Zeitgenossen des Konfuzius und erhabenen Philosophen, in dem die Taoisten ihren Meister verehren. Allein seine erhabene Lehre ist nicht wie die der Taoisten, wie die des Tschouang-Tsen oder gar wie die des Epikuräers Yang-Tehou oder des Tantheisten Lie-Tsen. Während Lao-Tsze nur eine allumfassende Gottheit kannte, verehren die Taoisten zahlreiche Götter.

siehe Bildunterschrift

1. Geschäftsstraße

Da ist die meditative Dreieinigkeit, die alle Welt beherrscht, der San-Tsing oder die Drei Reinen; dann gibt es weiter den Ordner der Welt, Yu-Houang, oder den König von Jaspis: den himmlischen Herrscher; weiter die drei kostbaren Funkelsteine, sowie ich weiß nicht welche anderen Götter, Sterne, Genien und legendarische Gottheiten noch. Auch eine Gottheit der Literatur gibt es, Wen-Tchang, und diese Tatsache ist natürlich für einen und Dichter eine besonders angenehme Überraschung – hätte ich doch nie geglaubt, daß wir gar eine besondere Gottheit unser eigen nennen dürfen! – und endlich kommen noch die weiblichen Gottheiten, die Königinmutter des Ostens, die Prinzessinnen der bunten Wolken … ich kann sie nicht alle aufzählen.

siehe Bildunterschrift

2. Im Tempel der 500 Arrhats (Das Bild links sollte Marco Polo verkörpern)

Unter Anrufung so vieler himmlischer Mächte suchten die Taoisten, suchte der Kaiser Shih-Huang-Ti (3. Jahrhundert v. Chr.) mit einer Schar von Zauberern und Alchimisten im Meer des Ostens nach der Feen-Insel, wo das Kraut der Unsterblichkeit und Allwissenheit wachsen sollte. Wer in die Mysterien eingeweiht war, vermochte, ledig aller Körperschwere, auf Flügeln gen Himmel zu fahren …

Wir sind mittlerweile an das Kloster herangekommen. Vermutlich sind diese Mönche sehr skeptisch geworden. Vor allem aber scheinen sie mir sehr reich zu sein – und es sind ihrer nicht viele. Die Zusammenhäufung der Tempel- und Klostergebäude mit ihren vielen hohen Stufen, die unter schweren Kampferbäumen dorthin führen, hat etwas sehr Stimmungsvolles.

Sonst aber fehlt alle religiöse Andacht und Weihe – selbst in den Kloster-Tempeln. »Das ist der Tempel der Reichen«, sagt unser Führer erklärend, und als wir die Treppen emporgestiegen sind und in das Heiligtum starren dürfen, wo in starrer Haltung vergoldete Idole stehen, die häufig an Buddha erinnern, ohne doch Buddha zu sein, fällt unser Blick auf eine lange Opfertafel mit kostbaren Spenden, wie nur die mit Glücksgütern reichgesegneten Leute sie den Göttern darzubringen vermögen: kostbare Schalen und Teller, kleine Vasen und Töpfe aus Porzellan, Amethyst und Jade für allerlei Backwerk, Obst und Zuckersachen. Das Ganze gleicht mehr einer Sammlung von Nippessachen als einem Opfertisch. Da liegt zum Beispiel auf einem geschnitzten Sockel aus Ebenholz eine einzige große Birne, oder fünf getrocknete Feigen sind auf einer entzückenden chinesischen Schale zu einer Art von Blatt zusammengelegt.

Und da kommt ein Kind in seidenen Röckchen mit seiner Tante oder seinem Kindermädchen; weil sein Großvater krank ist, bringt die Familie ein Opfer dar und hat das Enkelkind entsandt, den taoistischen Göttern Verehrung zu bezeigen, weil sie den Menschen ein langes Leben zu schenken vermögen. Möglich, daß die ganze Familie im stillen wünscht, der alte Großvater möge das Zeitliche segnen – aber offiziell entsendet sie das Enkelkind und veranstaltet ein Opfer. Mehr kann man von einem guten Taoisten schlechterdings nicht verlangen. Das Söhnchen unter Obhut der älteren Frau kniet nieder und verbrennt Weihrauch, gibt aber dann seiner Begleiterin sehr deutlich zu verstehen, daß ihm in seinen vielen seidenen Röckchen, die es übereinander trägt, viel zu warm sei. Schon schickt es sich an, ungeniert das violettfarbene Brokatübergewand auszuziehen; da kommen fünf prächtig anzuschauende Bonzen zum Vorschein. Ihre langen Haare sind zu Chignons frisiert; sie tragen kegelförmige Tiaren und weitärmelige, lange Opfermäntel mit wunderbaren Quasten; runde und viereckige Motive und Schriftzeichen heben sich prachtvoll altgolden vom stumpfen schwarzen Grunde ab. Und während sie sich vor den Gottheiten neigen, stellen sie sich in einem Halbkreis hinter stoffbezogene Tische, auf denen je ein Musikinstrument liegt. Der Oberpriester murmelt halb singend ein Gebet, und die anderen spielen auf der Flöte, auf dem Triangel, auf einem Tamburin, und ein Gong mischt seinen tiefen Ton darein.

Die ganze Feierlichkeit ist in fünf Minuten zu Ende. Rasch legt das Kind in einer Ecke seine sämtlichen Gewänder ab und springt die Treppe herunter, und vermutlich werden die Bonzen, nachdem sich die Götter an dem Duft der Leckereien gütlich getan haben, das Substanziellere selber verzehren …

Was mich an dieser ganzen Schaustellung interessierte, war das ganz unverfälschte Antike. Stets haben die Vorväter, welcher Zeit und welchen Volkes sie auch sein mochten, auf solche Weise geopfert und die Hilfe der Götter angerufen. Und noch in unseren Tagen, während die Chinesen in Kanton sozialistischen Ideen huldigen und in ihren mit spinnwebfeinen Lettern bedeckten Zeitungen kommunistische Artikel lesen, denkt so eine reiche taoistische Familie: »Man kann nie wissen, wozu ein Opfer im Kloster gut ist.« Und reich und üppig war diese Zeremonie: unser Führer sagte uns, daß die paar Minuten den »Gläubigen« Tausende und Abertausende von Taëls kosteten.

Man darf sich die Tempel nicht allzu rasch über sehen: ich wenigstens gehe gern von einem zum andern. Ich habe den Tempel der heilkräftigen Kräuter gesehen, mit sechzig farbigen Bildern, deren jedes ein Jahr des chinesischen Kalenders und zugleich die verschiedenen Stufen des menschlichen Lebens symbolisiert. Ein heilkräftiger Buddha ist hier der Schutzheilige, und vor allem sind es die Großen, die zu ihm kommen, um ein langes Leben zu erflehen. – Ich habe den Tempel der fünfhundert »Arrhats« gesehen, der Jünger des Buddha. Die offiziellen Namen aber lauten: »Tempel des blühenden Waldes« oder »Tempel des Nebels über Ta-Tong, dem großen Erleuchteten«. Das war ein Einsiedler, der vermutlich trotz Wind und Wetter und Nebel hier seinen Grübeleien nachhing. Wenn man an fünfhundert vergoldeten Bildnissen vorübergehen muß, fühlt man beinahe so etwas wie Alpdruck. Schön sind sie nicht, vielmehr ziemlich unbeholfen; eines stellt angeblich Marco Polo dar, den berühmten venezianischen Seefahrer des 14. Jahrhunderts, der erst zum Chinesen gemacht und dann als Heiliger verehrt wurde. – Wir haben im Kloster der »Lauteren Intelligenz« am Lotosweiher neben der »Blumenreichen Pàgode« (Ton auf der ersten Silbe!), deren Turm sich aus neun glöckchenbehangenen Stockwerken aufbaut, den Tee eingenommen und dann das Kloster der »Leuchtenden Elternliebe« angesehen. Sobald man mich an heiligen Orten herumführt, die solche herrliche Namen tragen, bin ich schon ganz bezaubert und vergesse, daß oft der Name schöner ist als alles, was ihn trägt – und daß mich noch nirgends eine religiöse Stimmung überkam. An allen diesen Orten spürt man nur vollste Gleichgültigkeit, Sorglosigkeit und Nachlässigkeit. Nirgends liebevolle Pflege und Sauberkeit – Apfelsinenschalen und zerrissenes Papier liegen zwischen ein paar dürftigen Lotosblumen herum …

Etwas Besonderes ist die Stadt der Toten. Hier werden die Verstorbenen in ihren Särgen vorübergehend beigesetzt, bis der Tag der Bestattung günstig und die geeignete Stelle für das Grab gefunden ist. Oft warten die reichen Toten dort monatelang, manchmal gar zwei, drei Jahre lang in ihrer Kapelle. Die reichen Toten warten. Sie haben Geduld. Doch auch das Jenseits ist nur für die Begüterten angenehm. Mag man immerhin in Kanton über Kommunismus denken, wie man will: von einem kommunistischen Friedhof will ein chinesischer Kapitalist nichts wissen. Liegt er günstig, ist er in einem göttergesegneten Augenblick in sein eigentliches Grab gelegt worden, so ist seine Seele damit auch den Göttern nähergerückt.


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