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IV.

Erste Blüten – Kobe Göttliche Botschafter – Japanische Schulbuben Nach Kioto

 

In der Stadt wird das Fest des Lenzes gefeiert. Aber was für ein eisigkalter Lenz ist das! Überall wird noch geheizt. Die Menschen tragen Überzieher, husten und haben täglich Fieber oder mindestens »Temperatur«. Staubwolken weht einem der kalte Atem der Götter ins Gesicht. Die engen Geschäftsstraßen sind mit farbigen Wimpeln verziert; man sieht Girlanden aus künstlichen Kirschblüten, Papierlaternen und Papierschlangen. Bettelmönche klappern mit einer Art von Kinderrassel. Überall Gedränge buntfarbiger Kimonos. – »Was tun all die Menschen hier?« frage ich. »Sie kommen, um sich die Kirschblüte anzusehen«, antwortet der Führer. In der Tat: die Kirschen blühen. Große rosafarbene dichte Blüten. Aber Früchte werden sie kaum geben. Sie blühen hier inmitten all der alten Gebäude dieses buddhistischen Klosters. Bemooste Steine; graue Steintreppen, die in einen Klostergarten führen. Ein großer Buddha leuchtet hinter dichtem Gitter in mattem Golde auf. Dann ein paar vereinzelte Bäumchen, Kirschbäume, deren zarte Blüten sich an das alte Gemäuer schmiegen. Das scheint fast ein wenig »gemacht«, so ganz und gar nicht zufällig wirkt es. Ob wohl unsere europäischen Maler, wenn sie hierherkämen, jemals ein neues Motiv finden könnten?

Draußen ein Trauerzug: weinende, in Weiß gehüllte Frauen in Rickschas, die von trabenden Kulis gezogen werden, und dahinter der vornehmste Trauernde in dunklem Kimono, aber mit einem Fächer, obzwar der kalte Wind die Blüten von den Bäumen schüttelt. Mir scheint, daß ein Fächer hier soviel bedeutet wie bei uns ein Zylinderhut, wenngleich der Japaner, sobald er einen Gehrock trägt (worauf er sehr erpicht ist!), ebenfalls einen Zylinder aufsetzt und keinen Fächer mehr nimmt! Sehr seltsam gemischte Eindrücke!

Aber dies alles ist noch Nagasaki. Ja – was ist Nagasaki? Es ist eigentlich noch nicht Japan; es ist kaum eine der allerersten »Torii« von Japan.

Wir nehmen Abschied von unserem Führer. Er lieh mir zwei prächtige Bücher, die er nicht verkaufen will. Sie sind von einem Japaner verfaßt und behandeln die Kunst der Malerei. Auf schwerem Büttenpapier gedruckt und mit schönen Illustrationen versehen. Er scheint mir sehr viel Vertrauen entgegenzubringen, dieser Führer! Und nun sitzen wir bereits mit den kostbaren Büchern auf unserer »Kaiserin von Asien« und sind auf dem Wege nach Kobe!

Es geht durch das Binnenmeer. Zwischen den vier Inseln des Reiches Nippon liegt dieses poetische Binnenmeer. Kleine Buchten, Landzungen, die in schäumende Wasser hinausragen, Gruppen kleiner Inseln, knorrige Pinien mit stachligen Kronen. Genau so mußte das alles sein, und genau so war es; und als ich einen Pfirsich-Melba gegessen hatte und auf das Deck zurückkam, wo man im Smoking unter der kalten Brise erschauerte, da lag der Schein des Mondes genau so über allem, wie er eben liegen mußte: auf Landzungen und Pinienbäumen und über den langsam dahingleitenden Felsen.

Am Nachmittag lag Kobe plötzlich vor uns – gar nichts Überraschendes hat es! Formalitäten, Ärzte, Pässe. Mit Mühe suche ich meine vielen Koffer zusammen und bedaure nur sehr, daß ich nicht mit Geld und guten Worten unsern Führer aus Nagasaki an mich gefesselt habe. Denn der Angestellte des Tor-Hotel sowie der Chauffeur sprechen nicht ein Wort Englisch, ebensowenig die japanischen Dienstmänner, und so muß ich voller Verzweiflung mit großen Gebärden andeuten, was ich wünsche, ohne daß jedoch meinen Wünschen Rechnung getragen wird. Als endlich alles auf einem Pferdekarren verladen ist, fahren wir im Auto ins Tor-Hotel.

Ein reizendes, auf einem Hügel gelegenes Hotel, das kann ich nicht anders sagen. Ein japanischer Garten mit kleinen Weihern, Steinlaternen, Felspartien – und dann das Hotel mit hübscher braungetäfelter Halle, Kaminfeuer und einem Speisesaal voll blühender Azalien – auf jedem Tische eine Azalie. Vorzügliches Essen, gute Leitung, aufmerksame Bedienung.

Ich lag dort eine ganze Woche krank. Von meinem Bette aus sah ich den Hafen von Kobe jeden Tag im Nebel verschwinden. Ein elendkalter April – der Eishauch sämtlicher Götter fuhr durch den Kampferbaum, der seine glänzenden Blätter über unsere Terrasse breitete, während der »Wistaria« über eben jener Terrasse mit seinen kahlen Ästen noch im Winterschlafe lag. Zwei junge englische Ärzte nahmen sich meiner voller Teilnahme an. Es war eine regelrechte Grippe mit all ihren scheußlichen Nebenerscheinungen.

Doch allmählich kam ich dabei in einige Aufregung. Die Kirschbäume in Kioto fingen an zu blühen, und ich hatte eigentlich noch keinen einzigen gesehen – nur jene zarten, zitternden Bäumchen, die beim alten Buddhistenkloster von Nagasaki auf die kleinen graubraunen Zweige einen leichten rosigen Schein warfen! Hier aber, um und bei Kioto, Japans alter Hauptstadt, waren ganze Haine voll blühender Kirschblüten, Täler voller Kirschbäume, waren weite Provinzen übersät von rosa Blüten. Ein einziger Windstoß – und es wehte immerfort! – konnte all diese zarte Schönheit an einem einzigen Tage vernichten. Und währenddessen lag ich krank und starrte aus meinem Bett in den Nebel über dem Hafen von Kobe, und horchte auf den zitternden Kampferbaum, der mit seinen Blättern vor meinem Fenster raschelte, als wollte er mir sagen, daß auch er litte und krank sei wie ich …

Als ich von meiner Grippe genesen war, ging ich in den Shintotempel von Kobe. Verehrlicher Leser, dies ist nun schon der zweite japanische Tempel: aber ich kenne keine Schonung! Es müssen noch viel mehr Tempel besehen werden, shintoistische und buddhistische! Ich will aber wenigstens versuchen, meine Beschreibungen jedesmal ein wenig anders zu färben … Der Tempel von Nagasaki lag auf einem Hügel, von dem aus Stadt und Meer zu übersehen waren. Der große Tempel von Kobe liegt mitten in der Stadt. Nachdem wir die Torii durchschritten, sahen wir wiederum in einem Park die verschiedensten Gebäude und Teile, aus denen das Heiligtum bestand. Ein Zaun ist um das ganze Viereck herumgezogen. Ein überdeckter Brunnen dient zur Säuberung der Halle. Um den Hauptaltar im Hauptgebäude reihen sich die kleineren Stätten der Andacht. Besonders der kleine Inari-Tempel ist sehr eigenartig. Inari ist die Göttin der Reisernte, doch wird sie auch dem Fuchse gleichgestellt, einem heiligen Tier, von dem es mannigfache Legenden gibt. So stehen Kerzen und Weihrauchstöckchen vor Inari und dazwischen Bilder von Füchsen mit einem runden Bäffchen und Schleifen im hocherhobenen Schwanz. Wenn man solche kindischen Dinge sieht, steht man vor einem Rätsel. Ist es denkbar, daß mehr oder weniger vernünftige Landbauern in der Stadt solche Bildchen anbeten?

Aber wirklich und wahrhaftig neigen sich die japanischen Frauen, allerdings meist solche, die aus dem einfachen Volk stammen, vor diesen Füchsen so tief wie vor den brennenden Weihrauchstäbchen.

siehe Bildunterschrift

3. Japanisches Haus in der Provinz

Sieht man dann wieder Hunderte von Tauben auf dem Tempel herumtrippeln oder sich von dem Torii zum nächsten Dach hinüberschwingen, so ist das wieder voll zartester Poesie; zumal wenn man weiß, daß diese Tauben als Sendboten der Götter betrachtet werden. Zwischen Himmel und Erde, zwischen abgeschiedenen Vorfahren und lebenden Nachkommen gehen stets Botschaften hin und her – zum mindesten warten die Lebenden darauf. In so einem Taubenflug nun findet diese stete Beziehung ein liebenswürdiges Symbol. Ich denke mir, daß Gläubige wie Abergläubische aus dem Fluge der Tauben zu schließen suchen, was ihnen Gutes oder weniger Gutes im Jenseits beschieden sein wird.

siehe Bildunterschrift

4. Weiher hinter dem Fuj-Ya-Hotel

Zwischen den Tempelgebäuden gibt es eine Art Jahrmarkt, der viel Leben in das Ganze bringt. Ich weiß noch nicht, ob das Volk wirklich so fromm und gottesfürchtig ist. Jedenfalls aber bewegt es sich in allen Altersstufen gern zwischen den Tempelgebäuden, den Tauben und in der Umgebung des Shintopferdes – des bronzenen wie des lebenden – umher. Rings um die kleinen Buden drängt es sich. Hier zeichnet ein Künstler auf Erbsen oder Reiskörnern ein Miniaturbildnis des Buddha. Dort formt ein Pastetenbäcker in seiner glühendheißen Form mit etwas flüssiger Teigmasse einen Fisch oder einen Vogel, wendet sie um und bietet dann den Vorübergehenden sein Gebäck solcher Art als Fisch oder Vogel an. Das mutet einen reizvoll und antik an und erinnert an uralte Gepflogenheit: in den frühesten Jahrhunderten wurden schon die Kuchen so gebacken. Hier füllt ein altes Weibchen Muscheln oder andere Schalen mit rosa und grünem Gelee. Kinder drängen sich, für einen Cent ein solches Muschelchen zu erstehen. Dort macht ein Kaufmann Reklame für seine Federhalter und Schreibstifte: unter lebhaften Reden und Anpreisungen zeichnet er eine Blume oder eine Priestergestalt mit dem kleinen Stift, den er verkaufen will, und wickelt ihn dann gleich in diese feine Zeichnung ein. So ein klein wenig künstlerisch veranlagt sind, wenn nicht alle, so doch immerhin viele.

siehe Bildunterschrift

5. Kawamoto vor dem Fuj-Ya-Hotel

Dennoch ist diese Volksmenge nicht so anziehend wie zum Beispiel die Chinesen in Kanton. Die chinesische Kleidung selbst der niederen Klassen wirkt viel eleganter als diese schlecht sitzenden Kimonos. Ein Kimono gilt in unseren Augen als Negligé: nicht weil wir ihn schon als Negligé übernommen hatten, sondern weil seine Linien und sein Faltenwurf für unseren europäischen Geschmack eben stets etwas Nachlässiges behalten, was uns veranlaßte, ihn für Männer wie für Frauen als bequemes Hausgewand einzuführen. Obendrein tragen die Japaner dieses Gewand sehr achtlos. In der Regel kommt ein europäisches baumwollenes Hemd oder eine Unterhose mit Sockenhaltern darunter zum Vorschein. Eine grobe Mütze oder ein alter Borsalino bildet dazu die allgemein übliche Kopfbedeckung.

Die Schuljugend bildet ein Kapitel für sich. Alle Kinder tragen weiß auf blau oder weiß auf schwarz bedruckte Kimonos und eine Art von weitem Samurai-Rockbeinkleid, durch das sie an alte Tugenden und alte Tüchtigkeit erinnert werden – dazu aber natürlich eine europäische Mütze. Mit den Büchern unterm Arm vertreten sie die neue Generation. Sie sind aber auch sehr versessen auf Fußball und Radsport. Die Frauen fallen besonders durch ihr sehr glänzendes Haar auf, das mit Kämmen und Nadeln hochgehalten und mit künstlichen Blumen geziert ist. Die ganze Gesellschaft versündigt sich wider den guten Geschmack. Wenn auch manche dieser Frauengesichtchen unter ihrer pfirsichfarbenen oder kirschroten und blütenweißen Schminke, die so grell gegen die schwarzen Chignons absticht, noch so fein sein mögen, so fallen doch auch viele Frauen – und auch viele Männer und Kinder – durch ihr kränkliches Aussehen auf. Unter den vielen, die einen stets umringen, sind eine große Zahl solcher, die kranke Augen oder Hautleiden haben. Und sie umringen einen oft allzu dicht … Jeder Fremde zieht ihre volle Aufmerksamkeit auf sich …

Es ist gerade ein »heiliger Tag«: der Todestag Jimmu Tennos, des ersten Kaisers von Japan. Shintopriester in schwarz lackierten Holzschuhen, prächtigen Mänteln und mit seltsamen, schwarzlackierten Mützen auf dem Kopfe ziehen heran; sie tragen heilige Schriften und Tafeln in der Hand und treten in ein Heiligtum vor den großen Altar – das mir noch ganz geheimnisvoll und unnahbar erscheint – und da verrichten sie mit Verbeugungen und Niederknien ihre Zeremonien – und dann drehen sie sich plötzlich auf den Knien wie Kreisel herum: so vollzieht sich allerlei Seltsames vor einem Zweig mit dürren Blättern, an dem Opferzettel aus weichem Löschpapier hangen. Der Zweig aber ist auf einen sehr einfachen kleinen Altar aus weißem Holz gepflanzt. Ich habe nie erfahren, was das alles zu bedeuten hatte. Weil mich viel Volk umdrängte, entwich ich aus der Menge, trat zu einem kleinen Verkaufsstand und kaufte unversehens irgend etwas, ohne noch zu wissen, was das eigentlich war: einen ausgehöhlten Bambus, der durch einen kleinen Elfenbeinstöpsel verschlossen wird und ein paar gelbe, braune, schwarze und rote Körner birgt, die der Händler hineingetan hat. Was in Gottes Namen mag das sein? Etwas zum Schnupfen? Es scheint eßbar zu sein. Eine Delikatesse? »Was ist es nur?« frage ich einen unserer Rickscha-Leute. Sie kichern und lachen. Als ich nun darauf bestehe, daß sie etwas davon essen sollen, tun sie es auch. Es scheint ihnen aber nicht zu schmecken. Was in Gottes Namen habe ich gekauft? Ich muß unseren Führer aus Nagasaki nachkommen lassen. Ohne eine vernünftige Führung kann man hier keinen Schritt machen. Kein Mensch versteht ein Wort Englisch. Und im Hotel fand ich keinen mir sympathischen Führer …

Ohne Führer kehrten wir ins Hotel zurück. Ohne Führer machten wir von Kobe nach Kioto eine Eisenbahnfahrt von zwei Stunden, vorüber an Osaka, der »Stadt der hundert Schornsteine«, dem Zentrum der japanischen Industrie. Der Zug war überfüllt: von lauter Leuten, die sich einen freien Tag leisteten, um in Kioto die Kirschblüte zu bewundern. Wir wollten das gleiche und kamen auch gerade noch im rechten Augenblick.

Ich aber war ganz müde von all den vergeblichen Versuchen, mich auf Englisch mit Bahnbeamten und Gepäckträgern zu verständigen. Und aus Kioto, aus dem Hotel dort telegraphierte ich schleunigst an unsern Führer in Nagasaki: »Come immediately« – »Kommen Sie sofort herüber!!«


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