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VIII.

Die tausendhändigen Bildnisse – Der goldene Pavillon – Die Kunst des Gartenbaues – Das Shogunbildnis – Der singende Fußboden – Sonnenuntergang

 

Ich suche mir hier in Kioto in dem schauerlich kalten April, dem Monat der japanischen Kirschblüte (!), auf alle Weise meine Begeisterung zu erhalten: ist denn dieses ferne Land voller Geheimnisse, diese Natur, die von so vielen gepriesen wird, sind diese prächtigen Tempel und Paläste, die Erzeugnisse großer und kleiner Kunst in Bronze, gestickter Seide, Lackarbeit, die prächtigen Magazine dieser Stadt und die ganze Eigenart des japanischen, aus Orientalischem und Westeuropäischem gemischten Lebens … sind sie vielleicht nicht eine wahre Schatzkammer für einen Reisenden, der seine Eindrücke schildern soll? Kann er nicht mit vollen Händen aus all dem schöpfen, was ihn umringt, und muß seine Begeisterung nicht mit jedem Tag noch steigen?

Tempel – ja, Tempel: Du mußt es geduldig ertragen, lieber Leser, daß ich dich heute in viele Tempel schleppe! Es gibt ihrer Tausende in Japan; Shinto- und Buddhatempel sind in dem ganzen Land verstreut, und wir müssen sie alle sehen, obgleich sie einander mehr oder weniger gleichen. Müssen Tempel nach Tempel besuchen – Lafcadio Hearn hat es ja auch getan, und er ist voller Begeisterung über alle diese Tempel gewesen!

Heule also nehme ich meine Leser in die Tempel mit. Zuerst in den San-ju-san-gen-do, den Tempel mit den dreiunddreißigtausenddreihundertdreiunddreißig Bildnissen der Kwannon, der gleichen Göttin der Barmherzigkeit wie die chinesische Kwan-Yin. Man darf ruhig gleich nach der Lektüre dieses Kapitels oder vielleicht noch früher den Namen dieses Tempels vergessen; man merke sich nur, daß 33 333 Bildnisse sich darin befinden. Die Fassade ist nicht interessant, sie weist den eintönigen Typus auf, den wir bereits in Nagasaki und in Kobe sahen, und der sich, mit mehr oder weniger Ornamenten verziert, immer wiederholt. Man zieht die Schuhe aus und schlüpft in die bereitstehenden Pantoffeln. Drinnen im Dämmerlicht sind amphitheatralisch die Tausende von Kwannon-Bildnissen aufgebaut. Wir wollen einander nicht zum Narren halten, wollen uns auch von den literarisch angehauchten Japanern nicht zum Narren halten lassen. Seit der Tempel, nachdem er einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen war, im Jahre 1266 vom Kaiser Kameyama neu erbaut wurde, seit der Shogùn Ietsuna im Jahre 1662 das Gebäude restaurierte, standen nicht mehr als tausend Kwannon-Bildnisse auf den Stufen dieses von dürftigem Licht erhellten Amphitheaters. Aber jedes Bild trägt wiederum auf dem Kopfschmuck oder auf der Brust eines oder mehrere Miniaturbildnisse von sich selber. Und alle diese großen und kleinen Bilder und Bildchen zusammen dürften die Zahl dreiunddreißigtausenddreihundertdreiunddreißig erreichen. – Im übrigen ist das eine sehr schöne und mystische Zahl. Wir wollen sie daher ruhig unangezweifelt lassen. Dort also stehen die vergoldeten Bildnisse der oft tausendhändigen Kwannon in seltsamem, dämmrigem Lichte in langen Reihen. Die Tausendhändige wird sie genannt, weil sie auf jedes Leid, auf jede Lebenswunde eine Hand legen soll, aber ausgeführt sind oft nur zehn Hände. Wie eine Aureole umgeben sie die Göttin, die dadurch etwas Vor-Indisches bekommt. Wer näher herantritt, bemerkt, daß die Bildnisse nur grob geschnitzt sind und ihre Vergoldung nicht von erster Qualität ist. Die Wirkung, die sie auslösen, beruht auf ihrer Vielfältigkeit und ist der unberechenbaren Anzahl ihrer wohltätigen Hände zuzuschreiben. Wer einen Menschen verloren hat, der ihm lieb war, möge zwischen diesen Götterbildnissen umhergehen, von denen eines dem andern gleicht. Und wenn er gut sucht, wird er das Ebenbild dessen, den er verlor, zwischen den zahlreichen Bildern wiederfinden.

In diesem Kult steckt viel Wohltuendes, viel Trostreiches. Das Ganze indessen wirkt grob und ein wenig jahrmarktsmäßig. Ein einziges imposantes, edelgeschnittenes Bildnis in künstlerischer Vergoldung – wie wir es im Museum von Kioto sahen – dürfte meiner Ansicht nach den Gläubigen mehr Trost spenden als diese Tausende und aber Tausende häßlicher, zusammengehäufter Bildnisse, die darauf berechnet sind, durch ihre große Zahl Eindruck auf die ungebildete Volksmenge zu machen. Kein feiner buddhistischer Geist wird in Kummer oder Nöten diesen Tempel der 33 333 Bildnisse betreten, glaube ich … Wir wenigstens verlassen den Tempel mit dem Eindruck, daß der reine Buddhismus – in dessen Pantheon diese Kwannon doch gehört – in Japan im Laufe der Jahrhunderte sehr entartet und vergröbert worden ist.

Aus diesem etwas panoptikumartigen Tempel will ich meine Leser nun in ein heiteres Heiligtum führen, das etwas weiter draußen gelegen ist: nach Kin-ka-ku-ji. Ich bitte wieder, diesen Namen ruhig zu vergessen und nur das Eine zu behalten, daß er bedeutet: »Der goldene Pavillon.« Ich bin überzeugt, daß diese Benennung besser haften und stärker auf sie wirken wird. Im Jahre 1397 wurde dieser goldene Pavillon, ein zierliches Gebäude aus Zedernholz und Zypressenbast, das unzähligemale restauriert, neuerbaut, frisch vergoldet worden ist, von Yoshimitsu, dem großen Shogùn, errichtet, als er das Zepter des Diktators zugunsten seines jugendlichen Sohnes aus der Hand gelegt hatte. Yoshimitsu ließ sich dann das Haar scheren, legte ein buddhistisches Mönchsgewand an und zog sich in diesen Tempelpalast zwischen Weihern und Gärten zurück, behielt aber immerhin die Verwaltung der weltlichen Geschäfte selber in Händen …

siehe Bildunterschrift

9. Blühende Kirschbäume in Tokio

Bisher fand ich in diesem südlichen Teil des Reiches, zwischen Nagasaki, Kobe und Kioto, die japanische Landschaft ein wenig dürftig. Der Japaner freilich, der auf Naturschönheiten sehr erpicht ist, hat sich jahrhundertelang mit seinen Gartenanlagen darüber getröstet, die meist von berühmten Gartenarchitekten stammen. Wie die Ufer dieser Wasserpartien geformt, die Inseln in diesen Weihern mit dunklen Pinien bepflanzt sind, deren Kontur uns von so vielen Abbildungen bekannt ist: das ist wahrlich etwas sehr Eigenartiges, Kunstvolles und Anmutiges. Auf diesem Gebiet ist der Japaner unvergleichlich, weil er eigentlich mit wenig Mitteln, mit ein paar Bäumen, die er allerdings zum Ausbreiten ihrer Äste zwingt, wenn es ihm gut dünkt, den Eindruck einer Naturschönheit erzeugt, der geradezu frappant ist. Wir in Europa haben fast überall Bäume und Blumen wachsen lassen, wie sie wollten. Allein der Japaner, der vielleicht schon seit Jahrhunderten die Dürftigkeit seiner heimischen Natur empfunden und bedauert hat, pflegt in hohem Maße die Kunst, mit jedem Baum einen malerischen Effekt zu erzielen. Ein Sonnenstrahl will ein wenig Licht in das Wasser bringen, auf dessen Spiegel blühende Junsai, eine Wasserpflanze, treibt, und sofort tauchen gelb, grün und golden die Karpfen empor, die gewohnt sind, von den Besuchern gefüttert zu werden. Es sind »heilige Fische« – was nicht hindern dürfte, daß sich ein Ungläubiger in einem günstigen Augenblick einen von ihnen für seine Abendmahlzeit fängt!

siehe Bildunterschrift

10. Der goldene Pavillon in Kioto

Wir setzen unsere Wanderung durch den goldenen Pavillon fort und »hissen« uns sozusagen die schmale Holztreppe empor. Bequeme Treppen hat es in japanischen Häusern oder Pavillons niemals gegeben. Sie sind meist so steil, daß man sich leichtlich den Hals brechen kann. In diesem Stockwerk stehen die Bilder von Kwannon und Amida, der sehr liebenswerten buddhistischen Nebengottheit, die das grenzenlose Licht spendet. Und dann bemerken wir in einem Versteck hinter mattfarbigem Vorhang, der halb aufgezogen ist, das beinahe angsterregende Bild des Shogùn, der den Tempelpalast erbaute. Man bückt sich und sucht im Schatten mehr von dem Bild zu erspähen, und es wirkt fast wie ein Gespenst. Dunkel, aus Holz geschnitzt, sitzt der Shogùn da; seine Pupillen starren wie lebend aus dem Weißen der Augen hervor. Die Beine hält er gekreuzt, die Knie gespreizt: es ist die beinahe unnachahmliche Haltung thronender Autorität, die wir später noch auf mehreren dieser Shogùnbildnisse beobachten werden. Die Beine liegen mit den gebeugten Knien fast horizontal auf einem Kissen. Wie kann ein Mensch sich so hinsetzen? Wie kann er aufstehen, wenn er so sitzt? Diese Haltung verschafft der Gestalt eine breite Basis, und die schweren Falten des in Holz geschnitzten Mantelgewandes geben ihr vom Kopf bis zu den Knien eine pyramidenartige Form, die man sonst noch nirgends gesehen hat und die ganz originell wirkt. Das Haupt ist von einer Mönchskappe bedeckt, deren Spitze den höchsten Punkt der Pyramide bildet. Der eine Finger hebt sich mit einer Gebärde, die durchaus ehrfurchtgebietend wirkt; die andere Hand scheint unbeweglich. Dieses düstere Schattenbildnis stellt einen besonderen Typus alter japanischer Bildhauerkunst dar. Woher hatte dieses Volk, das stets nur nachahmte und seine ganze Kultur dem chinesischen Vorbild entlehnte, in jenen früheren Jahrhunderten plötzlich solche originelle, ausdrucksvolle, staunenerregende porträtähnliche Bildform her? Das höchste Stockwerk endlich ist innen vollständig vergoldet; es wirkt wie eine mattgoldene Kiste und gab dem Pavillon seinen Namen. Auf dem Dach thront ein langbeiniger Phönixvogel, der einigermaßen primitiv gestaltet ist und sich scharf gegen den Himmel abhebt.

siehe Bildunterschrift

11. Seeraben (Cormoranten), mit denen Fische gefangen werden

Was? Ich habe meine Leser erst in zwei Tempel geführt? Nein, das genügt noch lange nicht! Wir müssen noch zu vielen anderen – im Auto, wenn sie so weit draußen liegen, wie der goldene Pavillon, – oder in der Ricksha, jenem leichten Wägelchen, vor das ein Mensch als Traber gespannt wird, dessen Dasein dabei durchaus nicht so elend ist wie zum Beispiel das manchen europäischen Fabrikarbeiters! – Vorerst aber will ich mich auf den prächtigen Chion-in beschränken und vor allem auf den herrlichen Blick verweisen, den man von der hochgelegenen Terrasse aus über ganz Kioto inmitten blühender Kirschbäume und Kamelien genießt. Es ist ausnahmsweise einmal eine Stunde voll späten goldenen Sonnenscheins. Seltsam ist die gewaltige Glocke, die dort hängt; sie wird nicht wie bei uns in Europa geläutet, sondern mit einem horizontalen Balken angeschlagen, der ihr gongähnliche Töne entlockt. – Im Innern eines solchen Tempels herrscht stets ein mystisches Dämmer, aus dem sich goldene Buddhabildnisse kaum abheben; Weihrauch erfüllt alles mit seinem süßlichen Duft. – Wir schreiten über die lange, bedeckte Galerie, deren aus Zedernholz gefügter Fußboden unter den vielen über ihn hinschreitenden Füßen kracht – nein, ich möchte eher sagen: leise singt, daher »singende Nachtigall« bezeichnet wird.

In einem Tempelgebäude nahe beim großen Haupttempel wird von der Iodo-Sekte, die dieses Heiligtum gründete und in der Nähe ein Kloster errichtete, Amida verehrt, der Spender des grenzenlosen Lichtes. Prächtig erhaben sitzt dieser angebetete Nebengott da wie vor glitzerndem Goldstaub, zu dem das vergoldete Schnitzwerk von den letzten Strahlen der Sonne beschienen wird. Sitzt auf einer Lotosblume und hält die Hände gefaltet. Er gilt hin und wieder auch als Gott der Weisheit. Wer bist du, Amida? Was ist das für ein »grenzenloses Licht«, das du spendest? Sind es vielleicht die strahlenden Wogen des Paradieses, auf denen Buddha selber schlummernd hinüberglitt und über den Lotosteich in das Nirwana hineintrieb, während alle Götter und Göttinnen im Kreise ringsum anbetend zuschauten? Und waren in diesem Augenblick das lautere Wasser und das lautere Licht ein einziges Element?

Die Sonne geht über Kioto unter. Und nun sehen wir, daß sich zu unseren Füßen in roter Glut ein Tal erstreckt … ein breites Tal voll großer Kamelienbäume mit glänzenden Blättern, deren Tausende und aber Tausende von Blüten purpurrot herabfallen, groß und schwer neben den faltergleichen und schmetterlingsleichten Blättern der Kirschblüten.


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