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VI.

Der Sitz der Mikados – Der Gosho – Der Palastpark – Diminuendo Kamelien – Extreme

 

Wenn auch die ersten Eindrücke in dem neuen Lande, das man von Ausstellungen her so gut zu kennen glaubt, leicht enttäuschen, so gestehe ich doch gern, daß ich in Kioto oft wenigstens für ein paar Stunden ganz begeistert war. Ich begeistere mich gern und würde ungern auf meine Begeisterungsfähigkeit verzichten. Sie gibt mir großen Trost in der alltäglichen Misere unseres Daseins, das wie ein Fegefeuer ist. Versetzt uns irgend etwas Schönes in einen Zustand der Freude oder Begeisterung, so gewinnen wir dadurch wieder neue Kräfte, die uns ermöglichen, weiter auf dem Rost zu schmoren, unter dem beständig das kleine Höllenfeuer unseres täglichen Daseins brennt.

Kioto, die alte kaiserliche Hauptstadt, kann uns an und für sich nicht gerade leicht begeistern. Es ist eine langweilig-regelmäßig gebaute Stadt, deren Straßen einander rechtwinklig kreuzen. Viele Brände haben darin gewütet; mancher Wiederaufbau war nötig. Über die Zerstörungen wundert man sich nicht, wenn man die zerbrechlichen, niedrigen Häuser in den oft breiten, öfter engen Straßen sieht: Wohn- und Geschäftshäuser zeigen wohl hin und wieder so etwas wie ein starkes Fundament aus Stein und Holz, sind aber im übrigen aus dünnstem Material aufgebaut und wirken mit ihren Fensterläden aus Bambusrohr und den breiten, leeren Flächen der Papierscheiben zwischen kleinen Bambusstäben ganz erstaunlich puppenhaft und zerbrechlich. Wir hatten davon wohl schon gehört und manches auch auf Bildern gesehen, aber offen gestanden, hatten wir geglaubt, dies alles sei mehr malerische Tradition als Wirklichkeit. Zwischen diesen gebrechlichen Gebäuden begegnet einem dann die moderne Architektur der offiziellen Gebäude. Tempel, wiederum in prächtigen Gärten gelegen, wirken dazwischen doppelt schön und solid: sie bestehen in der Regel fast ganz aus schwarzem Zedernholz, mit dem sie auch gedeckt sind.

Schon in den ältesten Zeiten hatte der Mikado seinen Sitz in der Provinz Yamata, in der wir uns zurzeit befinden. Doch wechselten die Herrscher häufig ihre Residenz, zum Beispiel dann, wenn ein Mikado starb: dann blieb der neue Kaiser, einem religiösen Gefühl folgend, nicht im alten Palast. Der Kaiser Kwamma (Ende des 8. Jahrhunderts) wählte sich einen neuen Wohnort in Heinan-Jò, der »Stadt des Friedens«; dies war das spätere Kioto (auch Miyaki-Metropolis genannt). Das alte Kioto wurde nach dem Muster der chinesischen Hauptstädte jenes Jahrhunderts erbaut. Stets hielten ja die Japaner ihre Augen auf China gerichtet! Nichts ist aus dem 8. Jahrhundert übriggeblieben, wohl aber aus den darauffolgenden früh mittelalterlichen und mittelalterlichen Zeiten die berühmten Paläste und Tempel. Kioto gleicht in gewisser Weise dem schönen Neapel. Wer Kioto nicht gesehen, hat Japan nicht gesehen, wer aber Kioto gesehen hat, kann ruhig sterben! Kioto war die erste japanische Stadt, die ich sah. Ich hatte daher keine Vergleichsmöglichkeiten, gestehe aber gern ein, daß ich Schätze von Schönheit gefunden habe, die ich nicht vermutet hätte …

Rickshas bringen uns nach dem modernen kaiserlichen Palast, nach dem Nijo-Palast – man merke sich diesen Namen! – in das Museum und zu vielen Tempeln. Manche der kaiserlichen Villen und Tempel erreicht man im Auto. Ein weiter, etwas sparsam angelegter, dennoch im großen und ganzen großartig wirkender Park umgibt den modernen Palast, in dem sich der Kaiser fast nie aufhält; er ähnelt dem Hydepark bis auf die Cryptomerien und blühenden Kirschbäume. Dann gewähren hölzerne, monumentale, überdachte Eingänge den Zutritt zu den »intimeren« Parks, innerhalb deren die Paläste liegen.

Ich freue mich, daß wir zu allererst den modernen Palast sehen, den Gòshò innerhalb einer gedeckten Umzäunung aus Zement und Erde – dem gleichen »Schlamm«, den wir in Afrika kennenlernten, nur daß die »Erde« hier, mit steiferen Bestandteilen vermischt, in der Tat Baumaterial darstellt und ein sehr korrektes Äußeres schafft. Fünfmal sind diese Mauern der Länge nach gestreift: Besonderheit kaiserlicher Gebäude! Stiefel aus, Filzschuhe an! Denn innerhalb der Paläste und Häuser geht man stets über elastische Matten, die sowohl als Fußboden wie auch als Sitzgelegenheiten dienen; daher setzt man nie einen staubigen europäischen Schuh auf diese leicht federnden Matten einer japanischen Wohnung. Geht man doch über eine Diele, die eigentlich ein Diwan ist! Die gesäumten Matten sind überall außerordentlich sauber gehalten. In diesem Gòshò ist überhaupt kein Stäubchen zu entdecken. Die Räume und Säle folgen einander in endlos langer Reihe. Fast überall ist das Deckengebälk aus Zedernholz. Jedesmal werden papierne Schiebewände in schwarz lackierten Rahmen vor uns zur Seite geschoben. Diese »Fusamas« sind hier von modernen Malern bemalt worden; ein wenig hell in der Farbe, ein wenig trocken im Umriß. Wir werden Schöneres zu sehen bekommen …

Durch die papiernen Scheiben dieser langen Galerien dringt mattes Dämmerlicht. Das Ganze macht den Eindruck, als bewege man sich durch eine Anzahl aneinander anschließender, ineinander geschobener, lackierter, höchst zerbrechlicher Kästen. Diese Kästen aber sind Kammern und Säle. Keinerlei Möbel: nur ein niedriger, viereckiger Podest, auf dem der Kaiser Platz nehmen kann, sobald die Polster darauf geordnet sind. Es wird dann eine einzige Vase mit Blumen und Zweigen daraufstehen und vielleicht noch ein einziger Kunstgegenstand aus Bronze; eine Statue, ein Weihrauchkessel – mehr nicht. Äußerste Einfachheit, dabei stets Höchstmaß künstlerischen Geschmackes, der schon Jahrhunderte alt und auf die damaligen Ästheten zurückzuführen ist. Hier und da sind kleine Kästchen wie golden lackierte Serviertabletts eingebaut: die bilden dann so etwas wie »Plauderecken«.

siehe Bildunterschrift

6. Fütterung der Karpfen

Im Thronsaal fallen die zwei lackierten Thronsessel ins Auge, die hoch und erhaben unter einem Baldachin aus roter, weißer und schwarzer Seide dastehen. Alles peinlich sauber. Wenig benutzt, noch weniger zerschlissen; kaum hat man den Mut, sich durch diese wie geleckten, mit Matten ausgeschlagenen, lackierten und papiernen »Kästchen« hindurchzubewegen, die kaiserliche Palastgemächer darstellen. Die Schiebewände mit den Papierscheiben werden geöffnet – nicht eine einzige kleine Scheibe ist zerrissen –, und man fürchtet, die leiseste unbedachtsame Bewegung könnte diese weißen, durchsichtigen Quadrate durchlöchern! – Dann warfen wir einen Blick in die parkartigen japanischen Gärten, die geradezu Wunder an kunstvollen Anlagen darstellen, und plötzlich ward es uns klar, warum die Japaner für Zwergbäume und -pflanzen schwärmen (wobei übrigens diese Zwergkultur wieder aus China stammt!): Pflanzen und Bäume von normalen Dimensionen waren von diesen niedrigen Häusern aus nicht zu sehen!

siehe Bildunterschrift

Beschneiden der Zwergbäume

Japanische Parks – japanische Gärten – wer wäre nicht bezaubert, wenn er sie erblickt? Jede Wohnung hat ihren Miniaturgarten, ihren viereckigen Platz, auf dem sich ein alter, knorriger Baum aufwärtswindet, ein paar Felssteine übereinandergeschichtet liegen und neben einer blühenden Hecke eine steinerne Laterne, die dem Hausgott geweiht ist, in einem als Sockel dienendem Pilz oder aus der Hand eines Gnoms dekorativ hervorwächst! Mehr nicht: das genügt! Nach all diesen kleinen Gärten, in die der Wanderer hier und dort durch den Spalt einer geöffneten Türe einen Blick wirft, dem dann die Augen einer japanischen Frau mit rosenrot bemaltem Puppengesichtchen unter hohem, schwarz glänzendem Haarputz begegnen – – nach diesem Miniaturgärtchen ist dieser Park rings um den Sento Gòshò, – den kleineren Palast der Kaiserin Mutter, geradezu bezaubernd in seiner Zierlichkeit und kunstvollen Anlage. Denn gekünstelt ist diese ganze Gartenanlage. Der Japaner huldigt in seiner Einstellung zur Natur auch heute noch den Maximen seiner einstmaligen mittelalterlichen Ästheten. Die üppige Großartigkeit der Landschaft und die Urwälder Indiens erscheinen ihm überwältigend, und er vermag dem keinen Geschmack abzugewinnen. Das hörte ich aus dem Munde eines Japaners, der eben Sumatra und Java bereist hatte. Zu schätzen weiß er nur die Landzungen und die kleinen Kaps und die verästelten, knorrigen Bäume. Weiß vor allem auch seine Parks und seine Gärten zu schätzen, die ihn dazu lockten, gemächlich über die viereckigen Steine dahin zu wandeln; sie sind sorgsam angeordnet und bilden einen Pfad quer durch das Moos, das üppig wuchert, weil kein Fuß es betritt. Der Schritt des Wandelnden sucht stets die großen Steine, die selbst nach dem Regen stets sauber und trocken sind. Die Teiche sind häufig nach den Vorbildern berühmter Landschaften geformt; die Ästheten haben die Ufer umgebildet und etwa eine kleine Insel oder eine kleine Felspartie genau so angelegt, wie sie es schön fanden. Berühmte Männer sind es, die diese Parks und Weiher schon in früheren Jahrhunderten anlegten. Indem sie die Baumstämme mit Pflöcken und Holzgabeln niederbeugten und sie dann wieder in die Höhe schnellen ließen, erzielten sie diese kapriziösen Formen, die ein Resultat menschlicher Phantasie sind: die Natur selber wünschte sie nicht, duldete sie aber. Und nun scheint es beinahe so, als ob verfeinerte, ja sogar ein wenig dekadente Künstlerhände diese Natur geduldig geformt und geknetet hätten, bis sie diesen eleganten und durchaus gekünstelten Ausdruck bekam. Diese gekünstelte Natur findet man in der japanischen Kunst sehr getreu wiedergegeben, und man darf auch wohl ruhig behaupten, daß zuweilen die Natur selber in diesem Lande sich so seltsam und absurd gebärdet. Möglich sogar, daß die Ästheten zuerst nur Naturvorbildern folgten, die sie hier oder da in Entzücken versetzt hatten. So auch können wir uns vielleicht das zarte Endergebnis, das Diminuendo erklären, das der Japaner in seiner künstlichen Umformung der Natur so liebt: das hervorragende Kap zerfließt in einer langen, wogenden Linie, die im Wasser verläuft; sieht man einen Blütenzweig, so ist es meist ein einziger Ast mit wenigen Knospen, der sehr lang und weithin sozusagen davonflieht; sieht man einen Vogelflug, so zeigt er zwei, drei Vögel, die einander weichen oder folgen, sofern sie nicht bereits im Vordergrund niederstreichen. Diese ästhetische Forderung allzeit des Fließenden ist eben jener zarte Akzent, jenes Diminuendo, das wohl manchmal in der Natur selber vorkommt, das der Japaner aber bewußt sucht und in seiner Kunst nachbildet und sogar als Vorlage für seine Gartenanlagen verwendet: eine derbere Felsmasse verläuft schmaler im Wasser und endet schließlich in ein paar kleineren Steinen; oder um schwerstämmige Eichen und Pinien windet sich der sehr alte, dicke Stamm der Wistaria und läßt dann seine letzten Ranken wie über ein Staket herabhängen.

siehe Bildunterschrift

8. Hausierer mit seiner Ware

Der Garten des kaiserlichen Witwenpalastes ist im Grundriß in der Form eines Storches angelegt. Land und Wasser und Fels geben Körper und Beine, Flügel und Schnabel dieses Tieres zierlich wieder. Man würde es natürlich nicht bemerken, wenn einen der Führer nicht darauf aufmerksam machte. Die Ähnlichkeit ist auch dann mehr zu erraten, als zu sehen. Der Japaner aber liebt besondere Namen und literarische Beziehungen. Das, was die Franzosen lächelnd »de la litérature« nennen. Er liebt es, Gärten zu benennen: so auch den Garten, der wie ein Storch ist – oder sein soll. Der Storch ist ein heiliger, geliebter Vogel: sein Bildnis wurde auf einen goldblauen Wandschirm gemalt und in Seide und Atlas ausgestickt – und nach dem Umriß dieses Storches wurde dann der Garten angelegt.

Hier blühen Kamelienbäume. In unseren Wintergärten kennen wir wohl Stöcke mit zwei, drei Blüten, die dann vom Besitzer begeistert gezeigt werden. Hier aber sind die Kamelien Bäume. Sie stehen jetzt in voller Blust. Zwischen dem glänzenden Grün der Blätter stehen die Blüten, die Tausende von Blüten mit ihren goldgelben Herzen. Schwer fallen sie bald schon zu Boden und liegen noch ganz frisch und leuchtend auf dem gelb-grünen schweren, von keinem Fuß betretenen Moos. Frauen, Gärtnerinnen, die um den Kopf ein weißes Tuch mit grauen und schwarzen Letterzeichen geschlungen haben, gehen mit Besen und Körben auf und ab und beseitigen jeden dürren Ast, jedes dürre Blatt, die herabgefallenen Kamelien aber lassen sie liegen. Zweifellos haben sie Befehl, die abgefallenen Blüten nicht sofort zu entfernen: darum liegen sie da, diese Blumenrubinen, zu Hunderten, auf dem gelben Moose. Geht ein Japaner vorüber, so wird er wohl eine einzelne Blüte aufheben und sie in den Weiher werfen: das darf sein, das gilt nicht als unrein; die Blüten treiben mit dem Strom zwischen den Felspartien davon und sterben eines kühlen Todes.

Das alles ist äußerst anmutig und kultiviert. Daß es in der Stadt und auf den Straßen nicht immer so zugeht, werden wir bald genug bemerken. Daß der Japaner hybrid und doppelseelig ist, werden wir ebenfalls festzustellen haben: altmodisch und modern, in künstlerischer Hinsicht fein und plump zugleich, außerordentlich gepflegt oder außerordentlich vernachlässigt. Vielleicht ist das bei allen Völkern das gleiche – vielleicht erklärt es sich auch aus der Verschiedenheit der Gesellschaftsschichten und »Stände«. Der Japaner verneigt sich sehr tief vor einem jeden – ich sah in einem Hotel, wie ein japanischer Offizier sich sogar vor einem kleinen Boy verneigte, der ihm Mütze und Säbel reichte – dennoch erscheinen seine Manieren uns Europäern nicht immer gewählt. Seine Art zu sprechen, mit den vielen Kehllauten, die erklingen, ob er nun japanisch oder englisch spricht, wirkt unkultiviert, beinahe abstoßend. Zu der geradezu übertriebenen Sauberkeit, die in den Palästen und in vielen Wohnungen herrscht, steht die häßliche Unsauberkeit der Straßen und öffentlichen Anlagen in schroffem Gegensatz. Hält man auf der einen Seite an der Gewohnheit des sehr warmen Bades fest, so widerspricht dem auf der anderen das Aussehen des gewöhnlichen Volkes, das recht verwahrlost ist und mit vielen Hautkrankheiten geradezu Ekel erregt. Eins wie das andere geht immer gleich ins Extrem: wagen wir in diesen Palästen kaum, unsere in Pantoffeln steckenden Füße niederzusetzen, wagen wir auf diesen sauber und fast symmetrisch geharkten Gartenpfaden kaum einherzugehen, so fürchten wir in den Straßen und öffentlichen Parks die Menge, die ihre Kirschblüte feiert, auch nur mit dem Ellbogen zu berühren; und Boden und Gras ist hier mit Obstschalen und Unrat bedeckt und besudelt.

So haben wir bis jetzt nur geteilte Eindrücke empfangen. Dennoch war ich höchst begeistert von dem kaiserlichen Garten und der Kamelienblüte. Begeistert auch vom Nijo-Palast und dem Chion-Tempel. Seltsam, wie die Japaner solche Paläste und Tempel an dazu geeigneten Stellen zu erbauen wissen, deren Lage schon an und für sich, dann noch aus der bewußten Absicht der Baumeister etwas von beinahe heiliger Bedeutung hat. Gewiß, die Griechen und die späteren Römer wählten auch die Stellen, auf denen sie bauten, und zwar auf Grund von Wahrsagungen und Beratung durch Weise und Priester. Daß man aber diese besondere Sorgfalt bei der Auswahl der geeigneten Plätze auch in Japan findet, ist frappant. Die beiden Schönheiten, die ich bereits nannte: der Chion-Tempel und der Nijo-Palast, trieben meine Begeisterung, die schon angesichts des Kaiserinnen-Gartens groß war, auf den Gipfel; ich muß erst neuen Atem schöpfen, neue Worte suchen, um über diese Schönheit sprechen zu können. Nun, da ich an einem herrlichen, japanischen Lenztage die Schönheit dieses Tempels und dieses Palastes geschaut habe, ist es mir klar, daß ich nicht umsonst nach Japan gekommen bin …


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