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XXII.

Die »Himmelsleiter« – Nikko – Wasserfälle

 

Wenn man mich fragt, was auf mich in Japan den größten, den allergrößten Eindruck gemacht hat, so muß ich sagen: Nikko.

Ehrlich: Das Triptychon der berühmten Landschaften ist schon von großer Schönheit. Allein diese Schönheit ist sehr abhängig von der jeweiligen Stimmung der Natur selber. Von diesem Triptychon sah ich zwei Teile, und zwar Miyajima und Ama-no-Hashi-date. Die dritte – Matsushima – die eigenwillig aneinander gereihten Inseln mit ihren phantastischen und mystischen Namen, sollten meine Augen nicht mehr schauen …

Miyajima, mit seinen am Meer gelegenen Heiligtümern, die im perlenweißen Licht einer nebelfeuchten Mondnacht wie auf Flößen schweben – Miyajima, dessen Tempeldächer als dunkle Silhouetten über das wundersame Mondennebelgewoge hinausragen, von dem die Torii ganz durchflutet erscheinen, erhebt sich wie eine geheimnisvolle Pforte zum Reiche der Götter. Kleine Hirsche mit ihren feinen Silhouetten werden drüben hin und wieder im Park und auf der Heide sichtbar. Dieses Miyajima kann wunder-, wunderschön sein. Aber Nacht, Mond, Meeresglanz und Schimmer: alles muß helfen, die rechte Stimmung zu weben. Miyajima sollte man nur in so einer stimmungsvollen Mondnacht sehen. Oh, was für ein Zauberer ist doch der Mond, der Vollmond zumal, wenn er mit seinem silbernen Glanze übers Meer und über Tempelgebäude schwebt, oder wenn er gar erst hinter den Granitsäulen und dem zierlich gebogenen Architrav der Torii aufsteigt, der nun nichts anderes mehr zu tragen scheint, als den weiten perlfarbigen Himmel, die silberne Mondnacht. Tagsüber kann dieser Zauber gar leicht gestört werden, wenn die Ebbe die Wasser, fortzieht, und wenn dann die Tempelgebäude auf ihren Pfählen eher einer Badeanstalt gleichen … und der Fischgeruch aus dem nassen Sande aufsteigt.

Ama-no-Hashi-date ist die zweite »anerkannte« Landschaftsschönheit. Es ist fast amüsant, wie die Japaner so ganz offiziell die drei größten Naturschönheiten als Verkörperung der japanischen Natur schlechthin herausstellen! Der Deich, der als »Himmelsleiter« oder »Treibende Himmelsbrücke« gilt, liegt unweit vom Städtchen Miyazu. Pinienbäume reihen sich auf dem schmalen Landstreifen aneinander und verlieren sich in weiter Ferne. An der einen Seite kann das Meer vor Wut toben; an der anderen werden gleichwohl stets die Wasser in kaum bewegter Stille ruhen. Auf einer Hügelhöhe, von der aus sich Bucht und Deich, Meer und Berge überblicken lassen, windet sich eine jahrhundertealte Pinie dem Himmel entgegen. Unter ihr ließ sich dereinst, sieben Jahrhunderte vor Christi Geburt, Saion Zenji als Einsiedler nieder, litt Hunger und Kälte –, aber wenn er seine Blicke über die schöne Landschaft schweifen ließ, die der Gebirgsgürtel umschnürte, so vermochte er gleichwohl über die höheren Dinge nachzugrübeln, die der Seele höchster Besitz sind. Die Schönheit dieser Landschaft wirkt am stärksten und eindringlichsten am nebligen Morgen oder in mattsilberner, nebeliger Mondnacht. Sie muß uns etwas zu raten und zu träumen aufgeben. Man muß hier oben an die Legende vom Eremiten denken, der unter dieser selben Pinie beinahe Hungers starb, fast vor Kälte verging – daß er sich da vom Fleische einer erfrorenen Hündin nährte, was dem Buddhisten als sündig gilt, daß aber die Göttin der erbarmenden Gnade, die Kwannon selber, sich ihm in der Gestalt der toten Hündin dargeboten hatte, um ihn zum Heil der Menschheit zu retten, der er heilige Wahrheit predigte. Über dem Gedanken an solche fromme Überlieferung wird einem im perlweißen Morgennebel oder im Mondenglanze auch leichtlich der Deich zur »Himmelsleiter« oder zur »Treibenden Himmelsbrücke«. Ja, und dann sind da die kleinen Feuerfliegen, die in schwülen Sommernächten zu Tausenden umherschwärmen: gefallsüchtige japanische Frauen fangen sie ein, um sie an ihrem Busen und in ihrem Haar glitzern und dann sterben zu lassen. Sind solche Frauen und Mädchen der Erde nicht doch noch zu nahe verwandte, als daß sie sich auf die »Himmelsbrücke« wagen dürften? Noch einmal: Nebel, Morgengrauen oder nächtliches Dunkel verleihen dieser zweiten, offiziellen »landschaftlichen Schönheit« von Dai-Nippon (Groß-Japan) die größte Wirkung. Mittags aber, in der vollen Glut der Sommersonne, ist die »Himmelsleiter« nicht mehr als jeder andere Deich, und so verliert Ama-no-Hashidate allen mythischen Zauber …

Nikko dagegen ist zwar nicht als »offizielle Landschaftsschönheit« anerkannt, aber seine Schönheit bleibt immer die gleiche, in welcher Beleuchtung, zu welcher Stunde man sie auch schauen möge. Aus diesen meilenweiten Cryptomeria-Alleen (die zu der im düstern Schatten der Bäume gelegenen Gräberstadt führen) weicht die Stimmung nie. Jede Lebensfreude freilich ist dieser Stimmung fern. Der Gedanke an Tod und Vergänglichkeit des Lebens erfüllt Tag und Nacht diese Landschaft – obzwar die Tempelgebäude und die Grabmäler, die von Ieyasu und Iemitsu gestiftet wurden, von einer Schönheit und Üppigkeit sind, wie sie kaum sonstwo in Japan zu finden sein dürfte. Ob die Sonne den ungeheuren Zedernstämmen einen ersten schwachen Schimmer leiht, oder durch das Laub schwebt, wenn sie aufgeht – oder ob sie in rötlicher Glut in das fast schwarze Dunkel dieser Wälder und Parks hin einsinkend untergeht; ob es regnet und mächtige Wassergüsse sich durch das Laub und an den Stämmen entlang ergießen, oder ob dann der wieder sieghafte Mond über diesem geheimnisvollen Blätterdom aufgeht und die Regenperlen erschimmern läßt, die noch in dem hohen Blättergewirr hängen: die Stimmung wird niemals fort sein, sie ist beklemmend und zugleich ergreifend; sie wahrt stets diese düstere Schönheit. Und das buddhistische Glöcklein, das immer wieder aus der Ferne läutet oder in der Nähe seine unvergeßliche Litanei singt, ist so rührend, daß ich jetzt noch, indem ich diese Worte niederschreibe, monatelang nach meinem Besuch Nikkos, in meinem Ohr und in meiner Seele ihren zu frommer Hingabe mahnenden Klang zu vernehmen glaube, diesen Klang, der nur durch das dunkle Laub der Bäume ringsumher gedämpft wird.

Die überladene Pracht der Tempel und Grabstätten von Ieyasu und Iemitsu – zwei Shogùns, die uns sehr wenig bedeuten! – wird auf uns vielleicht überwältigend, sehr viel eher aber ernüchternd wirken. Darum soll man sich lieber die Landschaft selber besehen, diese ganze zauberhafte Umgebung, soll den Kirifuri-no-Taki-Wasserfall in ein, zwei, drei, vier breiten Sturzfluten herabstürzen sehen, gleich als ob Riesenhände ihn viermal zurückhielten und sich dennoch die Flut nach links und rechts Bahn bräche, allem Widerstand zum Trotz …


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