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XIII.

Wu und Chang – Bürgerkrieg in China – Das japanische Volk Nachahmung, nichts als Nachahmung

 

Es ist und bleibt eine große Enttäuschung, daß wir in China nichts weiter sehen konnten als Kanton, Hongkong und Schanghai – und das alles nur aus dem Grunde, weil in China ein Bürgerkrieg zwischen General Wu und General Chang wütet! Wenn du, lieber Leser, diese Zeilen liest, ist dieser Bürgerkrieg gewiß längst vorüber. Aber zur Zeit war das Reisen in China wirklich kein Vergnügen; liest man doch in den Zeitungen, daß der Expreßzug nach Peking dann und wann durch eine Bande von drei- bis vierhundert Banditen bestürmt wird, Soldaten des Wu oder des Chang, die ihren Sold nicht erhalten hatten, und nun den Zug zum Entgleisen brachten und die Reisenden herausholten … Also mußten wir Peking streichen und auf die Paläste verzichten, in denen die Schatten chinesischer Kaiser umhergeistern – konnten nicht die Grabmäler der Mingdynastien sehen und nicht die Große Mauer …

Dabei weiß ich jetzt gewiß, daß ich viel lieber in China reisen würde als in Japan. Das Wenige, das ich dort von Land und Leuten sah, war mir weit sympathischer, schien mir viel edler, feiner, aristokratischer. Gewiß, China ist noch heute ein seltsames Land, aus dem niemand klug werden kann. Hunderte von Flugzeugen wurden bestellt; sie liegen irgendwo herum und verfaulen. Und doch berührt mich dieses Land sympathisch. Zwar glauben die Chinesen mit ihrem Verstande, daß die höchste westliche Kultur die wahre sei, zugleich aber sträubt sich ihr jahrhundertealtes eingeborenes Gefühl gegen diese Kultur. Was sollen wir mit diesen Flugzeugen anfangen? denkt der Chinese verächtlich, sobald er sie hat. Ein Papierdrachen in der Luft ist schöner! Der Jahrhunderte hindurch aristokratisch war und bleibt.

Was die miteinander kämpfenden Generale eigentlich wollen, weiß niemand; die Mitarbeiter der ersten Zeitungen gestehen das auch rückhaltslos ein, und darum weiß ich es nicht. Weiß nur, daß ich die Große Mauer nicht sehen mag, solange dort die Menschen gegeneinander kämpfen.

Und nun denke ich über das japanische Volk nach. Gewiß, ich reiste nur so obenhin durch dieses Land, aber ich spreche mir doch ein gewisses Recht auf Urteil zu: wer viel reist, lernt allmählich, in kurzer Zeit viel zu sehen und viel zu ergründen. Als ich vor mehr als achtzehn Jahren zum erstenmal in Italien herumreiste, und zwar in einem Auto, klagte ich darüber, daß ich nichts ordentlich sähe, daß alles nur so rasch und flüchtig an mir vorüberglitte. Das ist jetzt ganz anders geworden. Auch vom Auto aus, bei einer Geschwindigkeit von 25-3o Kilometer, sehe ich alles, darf beinahe sagen, daß kein Blättchen, kein Würmlein meiner Aufmerksamkeit entgeht. Freilich fahre ich gerade hier in Japan wenig mit dem Auto, weil die Wege schlecht sind. Und wenn ich auch sage, daß ich nur »so obenhin« reise, so darf man doch nicht glauben, daß ich alles nur oberflächlich sehe. Denn mein Auge erfaßt alles viel besser als vor achtzehn Jahren, obwohl es jetzt weniger scharf sieht. Keine Einzelheit entgeht mir. Ich versuche, Charakter und Seele eines Volkes zu ergründen, wenn ich mich auch nur wenige Wochen bei ihm aufhalte. Und es ist kein törichter Hochmut, wenn ich das so offen ausspreche. Es ist nur das Bewußtsein eines gewissen berechtigten Selbstvertrauens. Wer in kurzer Zeit durch ein Land reist, braucht darum durchaus nicht immer hinter dem bedächtigen Herrn zurückzustehen, der dreißig Jahre in diesem Lande gelebt und dabei allmählich Übersicht und Einsicht verloren hat …

Bin ich zu hochfahrend mit solchen Urteilen? Hochmut kommt vor den Fall … Die Strafe bleibt nicht aus: schon regt der Fuchs seine Klauen, schon schlägt er mir die Zähne in den Magen …

Ich liege still da, habe nicht einmal gerufen, nicht geklingelt. Der Mensch gewöhnt sich an alles, selbst an Schmerzen und Qualen. So ein Zustand fängt schon beinahe an, »normal« zu werden, wenn einem auch die dicken Tränen aus den Augen rinnen, weil es eben doch eine Folter ist. Eine schweigend erduldete Folter. Ich liege still da – denke nach über das japanische Volk, denke …

Ich finde das Volk sehr kraftvoll und voller Vitalität, aber grob organisiert. Die Feinheit des Ostens ging ihm bei seinen europäischen Ambitionen verloren. Nur dann kann ein Volk gedeihen, wenn es sich selbst treu bleibt, seine Eigenart und sein nationales Wesen unversehrt erhält. Das japanische Volk hat das nicht getan; es ist ein Zwitterding geworden. Nichts Halbes und nichts Ganzes, zwischen Osten und Westen schwankend. Möglich, daß die Japaner eine Entwicklungslinie vor sich sehen, doch diese muß dann zu gröbstem Materialismus führen. Sie sind die ewigen Nachahmer. Ihre ganze Kultur stammt seit Jahrhunderten und aber Jahrhunderten aus China, dem Lande des höheren Intellektes. Es ist anerkennenswert, daß die Japaner sich von diesen Chinesen belehren ließen: sie selber aber vermochten auch nicht ein Atom Echtes und Ursprüngliches einzufügen. Ihre Herkunft ist noch immer in tiefstes Dunkel gehüllt, bleibt geheimnisvoll; Ainu und Polynesien spielen dabei eine Rolle. Auch ihre Art, Häuser zu bauen und sich zu kleiden, ist geheimnisvollen Ursprungs: weder chinesisch noch koreanisch. Haus und Kimono sind aber so ziemlich die einzigen unerklärbaren Elemente ihrer Kultur. Es ist geradezu frappant, wie viele von ihnen Affen gleichen. Ich sage das nicht, um damit etwas Unangenehmes auszusprechen. Ich stelle nur fest, was jedem aufmerksamen Beobachter sofort auffallen wird: daß sowohl Prinzen und Marquisen wie auch Zimmerbediente den gleichen Typus haben. Die Männer sind sehr häßlich. Wenn mein Boy, der übrigens ein famoser Kerl ist, in meinem Zimmer die Fenster putzt, hinaufklettert und sich mit Fingern und Zehen an einem der Fensterrahmen festklemmt, so daß ich fürchte, er könnte herunterstürzen, so gleicht er durchaus einem Affen, und wenn man die vornehmsten Japaner in Cut und Zylinder sieht, sehen sie genau so aus wie verkleidete Affen. Gleich diesen machen sie alles nach: erst die edle chinesische Kultur, die ihnen ins Auge stach, später die westeuropäische. Diese letztere wird ihren Untergang besiegeln. Ein Volk darf nicht ungestraft seine Rasse so sehr verleugnen. Sonne und Regen, Luft und Atmosphäre, Berge und Wasserströme bestimmen seine Rasse. Diese Rasse muß rein erhalten bleiben, wenn nicht Volk und Rasse zugrunde gehen sollen. Ich glaube nicht an Japans Zukunft. Die Amerikaner, die mir übrigens gar nicht besonders sympathisch sind, leben nach den Gesetzen, die ihrer Rasse gemäß sind. Darum werden sie es in unserer Welt sehr weit bringen – in unserer abscheulichen Welt, die nur Geld und »business« kennt. Und nimmer wird es den alles nur nachahmenden Japanern gelingen, gegen ihre Echtheit und Eigenheit aufzukommen. Dieses Volk wird in Zukunft verkrüppeln, wie eines ihrer Zwergbäumchen verkrüppelt, wenn es nicht mehr durch die Kunst eines japanischen Gärtners gepflegt und besorgt wird …

Warum sind sich die Japaner nicht selber treu geblieben? Kann ein östliches Volk nicht sich selber treu bleiben? Muß es Cut und Zylinder tragen? Muß es Fabriken gründen, bis sein reiner Himmel von Rauch und Gestank umwölkt wird, wie es in Kobe und Osaka der Fall ist? Ich weiß es nicht, möglich, daß ein östliches Land nicht ohne so etwas auskommen kann – in China, das doch vermutlich in tief innerster Seele unsere Kultur ablehnt, sehe ich die gleiche Schwäche. – Dann aber würde ein Fluch auf dem ganzen Osten ruhen, der Fluch unserer verdammten europäischen Kultur. Ein Fluch wäre es, daß die östlichen Reiche sich dieser unserer Maschinenkultur anpassen müssen, die über den wenigstens noch idealreicheren Sozialismus zum Wahnsinn des Kommunismus führte. Maschinen, Flugzeug oder was sonst immer wird den Bankerott der ganzen Welt herbeiführen …

Möglich, daß ich jetzt zu weit gehe. Darum will ich nur sagen: die modernste Maschine, die erst noch erfunden werden muß, wird ebenso sicher Japans Bankerott besiegeln, wie der Zylinder seine Lächerlichkeit bereits besiegelt hat. Dieses Volk eignet sich nicht dazu, Fabriken zu bauen. Warum veredeln die Japaner nicht ihr Handwerk? Ich glaube, daß ich mit Gandi nicht in allem übereinstimme, doch die Tatsache, daß er nur Kleidungsstücke trägt, die von ihm selbst oder den Seinen gewebt wurden, scheint mir die erste schüchterne Rückkehr zum Glück zu bedeuten. Wir können all diese Dinge von zweierlei Standpunkten beurteilen: dem unserer angeborenen und anerzogenen Überkultur oder dem unserer innersten Seele, die es plötzlich wie eine Erleuchtung fühlt und empfindet, daß dies ganze kleinliche, elende, materialistische Leben ein Unding ist, ein ungeheurer Irrtum; daß Menschen und Völker ganz anders leben könnten; daß die Götter uns prächtige Dinge bescherten, die wir mit Füßen treten: Schönheit, Beschaulichkeit, Ruhe, die Gabe, wie eine Blume duftend zu leben und in Träumen von ewigen Dingen zu vergehen.

Dieses Japan, dieses japanische Volk ist eine Enttäuschung für jeden, der hier reist, der sich hier niederläßt, der hier wohnt. Die Architektur ist eintönig, die Kunst ist mehr und mehr zur Kleinkunst geworden. Nicht so sehr ihre oft schöne, in der Regel aber nach chinesischem Vorbild gebildete Kunst der Malerei: Tosaschule, Kanoschule. Doch: Bedeutendes in der Plastik haben sie mit Ausnahme der drei ungeheuren Dai-Butzu's, der Koloßbilder der Buddha, nicht vorzuweisen. Ich verkenne nicht den Wert der prächtigen, aus alter Zeit stammenden Holzstatuen der Shogùns, Heiligen und Nonnen: jedoch wen oder was haben sie heute? Wo ist ein großer Dichter, wo ein großer Maler, wo der Musiker, wo der Philosoph Japans? In geistiger Dürre muß ihr Geist sich verengen, im engen Kreis sich ihr Sinn verengen, dieser Sinn, der nur auf das Materielle gerichtet ist und kein hohes Ideal kennt, das es zu erreichen gälte …


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