J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29. Kapitel

Als am nächsten Tage die Sonne aufging, befand sich das Volk der Delawaren in tiefer Trauer. Kein Jubelruf, kein Triumphgesang feierte den großen Sieg, den sie errungen hatten. Die Hütten standen verlassen, und der ganze Stamm hatte sich in ernstem Schweigen an einem Platz versammelt, an dem die Trauerfeierlichkeiten stattfanden.

Sechs delawarische Mädchen standen neben einer Bahre, die die irdischen Überreste der edelmütigen Kora trug. Zu ihren Füßen saß Munro. Sein ehrwürdiges Haupt beugte sich vor Schmerz und Gram. Gamut stand an seiner Seite. Heyward lehnte an einem Baum und bemühte sich, seinen Schmerz zu überwinden.

Am anderen Ende des Platzes war Unkas aufgebahrt. Es schien, als ob der junge Mohikaner am Leben wäre. Seine Gestalt war mit Kostbarkeiten geschmückt. Vor dem Toten saß Chingachgook ohne Waffen und ohne Kriegsbemalung. Nur das glänzend blaue Stammbild seines Geschlechtes zierte die nackte Brust. Unbewegt schaute der Vater auf das kalte, leblose Antlitz seines Sohnes. Der Kundschafter stand bei ihm, während Tamenund, von den Ältesten seiner Nation begleitet, auf einem erhöhten Platz saß.

In der Mitte des Kreises stand ein fremder Offizier, dessen Uniform auf einen hohen Rang deutete. Es war ein Abgesandter des Statthalters von Kanada, der gekommen war, um Frieden zu stiften. Leider war er zu spät erschienen, um noch den furchtbaren Streit zu verhindern.

Völlig bewegungslos verharrte die Menge und nahm Abschied von dem großen Toten. Da reckte Tamenund, der Patriarch der Delawaren, einen Arm aus, stützte sich auf die Schultern seiner Begleiter und erhob sich langsam.

»Männer der Lenapen!« sprach er dumpf; »Manitus Gesicht verbirgt sich hinter einer Wolke! Sein Auge hat sich von euch gewendet, seine Ohren sind verschlossen, seine Zunge gibt keine Antwort! Ihr seht ihn nicht und doch sind seine Gerichte vor euren Augen. Macht deshalb eure Herzen auf und laßt keine Lüge sprechen! Männer der Lenapen, Manitus Antlitz ist hinter einer Wolke!«

Nach diesen Worten des Weisen trat wiederum tiefe Stille ein. Dann traten die Häuptlinge vor und jeder von ihnen rühmte die Taten des Toten. Nach ihnen stimmten delawarische Mädchen Klagelieder an, in denen sie die guten Eigenschaften des jungen Mohikaners priesen.

Während der Trauerfeierlichkeit ruhte der Blick Chingachgooks unverwandt auf seinem toten Sohn.

Jetzt trat ein berühmter Krieger langsam aus der Menge hervor und stellte sich vor den Toten.

»Warum hast du uns verlassen, Stolz der Delawaren?« sprach er. »Deine Zeit war kurz wie der Lauf der Sonne an einem Tag. Dein Ruhm war glänzender als ihr Licht um die Mittagszeit. Deine Füße glichen Adlerschwingen, dein Arm war schwerer als die Äste an den Fichten und deine Stimme glich der Stimme Manitus, wenn er zu uns aus den Wolken spricht. Stolz der Mohikaner, warum hast du uns verlassen?«

Jetzt ließ sich in der stillen, feierlichen Runde ein leiser tiefer Ton vernehmen. Chingachgook hatte seine Lippen zu dem Trauergesang für seinen Sohn geöffnet. Der Gesang war geradeso laut, um vernehmbar zu werden. Dann wurde er schwächer, als ob er von einem flüchtigen Windhauch davongetragen werde.

Jetzt gab einer der älteren Häuptlinge den Frauen, die in der Nähe von Koras Leiche standen, ein Zeichen. Die Mädchen hoben die Bahre und schritten langsam vorwärts. Munro folgte dem schlichten Zuge mit der festen Miene eines tapferen Soldaten. Seine Freunde begleiteten ihn. Selbst der junge Franzose, der Abgesandte des Statthalters, schloß sich dem Trauergeleit an. In der Nähe eines kleinen Hügels setzten die Mädchen ihre Last ab.

»Meine Töchter haben gut gehandelt, die weißen Männer danken ihnen«, sprach der Kundschafter.

Die Mädchen legten die Tote in einen Sarg aus Birkenrinde und ließen ihn dann in das Grab hinab.

Munros Haupt war während dieser Feier auf seine Brust gesunken. Da legte der junge Franzose seine Hand leicht auf Munros Schultern und zeigte auf einen Trupp junger Indianer, die mit einer Sänfte herannahten, und wies mit den Augen nach dem Stand der Sonne.

»Ich verstehe Sie, mein Herr«, sprach Munro gefaßt. »Ich verstehe Sie. – Kommen Sie, meine Herren, laßt uns gehen!«

Heyward folgte dem Rufe. Während seine Begleiter zu Pferde stiegen, fand er noch Zeit, dem Kundschafter die Hand zu drücken. Dann stieg auch er in den Sattel und lenkte sein Pferd an die Seite der Sänfte, aus der ein unterdrücktes Schluchzen die Anwesenheit Alices verkündete. Munro, Heyward und David folgten in düsterem Schweigen dem Abgesandten Montcalms und seiner Begleitung.

Von den Gefährten seiner Farbe verlassen, kehrte Falkenauge zu den Delawaren zurück. Er kam gerade zur rechten Zeit, um Abschied von Unkas zu nehmen. In einem langen feierlichen Trauerzug gab der Stamm dem jungen Häuptling das letzte Geleit. Die Leiche wurde in ruhender Stellung in das Grab gelassen, das Gesicht der aufgehenden Sonne zugewandt. Für die letzte große Reise legte man dem Toten sein Kriegs- und Jagdgerät zur Seite.

Alle blickten auf Chingachgook. Er hatte noch kein Wort gesprochen. Da öffneten sich seine fest zusammengepreßten Lippen:

»Warum trauern meine Brüder?« sprach er. »Warum weinen meine Töchter? Weil ein junger Krieger nach den glücklichen Jagdgründen gegangen ist – weil ein Häuptling seine Zeit mit Ehren erfüllt hat? Er war gut! Er war treu! Er war tapfer! Manitu hatte einen solchen Krieger nötig, und er hat ihn abberufen. Ich, der Vater meines Unkas, bin eine verdorrte Fichte, die in einer Lichtung steht, die von den Blaßgesichtern geschlagen wurde. Mein Geschlecht hat die Ufer des Salzsees und die Berge der Delawaren verlassen. Ich bin jetzt allein –«

»Nein, nein!« rief Falkenauge, der bisher teilnahmvoll auf die Züge des Mohikaners geschaut hatte. »Nein, Chingachgook, du bist nicht allein! Mag unsere Farbe auch verschieden sein, so werden wir auch weiterhin auf demselben Wege miteinander gehen. Auch ich habe keine Verwandten und habe auch kein Volk. Unkas war dein Sohn, und auch ich werde den Jungen nicht vergessen, der so oft an meiner Seite gekämpft und geruht hat. Unkas hat uns für kurze Zeit verlassen. Doch Chingachgook, du bist nicht allein!«

Chingachgook ergriff die Hand, die der Kundschafter ihm über die frische Erde hinüberstreckte. Stumm neigten die beiden Freunde ihre Häupter.

Mitten in dem ehrfuchtsvollen Schweigen erhob Tamenund seine Stimme und sprach:

»Es ist genug. Geht, Kinder der Delawaren! Der Zorn Manitus hat sich noch nicht gelegt. Warum sollte Tamenund noch länger hier verweilen? Die Blaßgesichter sind die Herren der Erde. Die Zeit der roten Männer ist noch nicht wiedergekommen. Mein Tag ist schon zu lang gewesen. Am Morgen sah ich die Söhne der ›Großen Schildkröte‹ glücklich und mächtig. Doch ehe die Nacht einbrach, mußte ich es erleben, den letzten Krieger des weisen Geschlechtes der Mohikaner zu schauen.« –

 


 


 << zurück