J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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15. Kapitel

Die Abendschatten hatten sich bereits über den unheimlichen Platz gesenkt, als die fünf Männer die Ruinen von »William Henry« betraten.

Der Kundschafter und seine Begleiter trafen sogleich einige Vorbereitungen für die Nacht. Verschiedene verkohlte Balken wurden an eine eingestürzte Wand gelehnt, und Unkas bedeckte sie leicht mit Gestrüpp, um eine einfache Unterkunft zu haben. Nachdem die bescheidene Hütte fertiggestellt war, bat Heyward den alten General einzutreten.

Während Falkenauge und die Indianer ein Feuer anzündeten und ihre einfache Abendmahlzeit gedörrten Bärenfleisches verzehrten, begab sich Duncan auf einen Wall des zerstörten Forts. Hier blickte er auf die weite Wasserfläche des Horikan hinaus. Der Wind hatte sich gelegt und die Wogen schlugen nur noch sachte an das Ufer. Wehmütige Erinnerungen stiegen in Duncan auf. Da war es ihm, als höre er unerklärliche Laute, und eine innere Unruhe befiel ihn. Leise sprach Duncan mit dem Kundschafter und bat ihn, mit auf den Erdwall zu kommen, wo er soeben gestanden hatte. Falkenauge nahm seine Büchse über den Arm und folgte ihm.

»Horch!« sagte Duncan. »Ich höre wieder die gleichen Laute. Es wäre besser, wir löschten das Feuer und blieben auf der Hut. Hört Ihr nicht das Geräusch, das ich meine?«

»Ein Indianer schleicht nicht nachts um Gräber herum. Er ist wohl dabei, einen Feind zu erschlagen und ihm den Skalp zu nehmen. Wenn aber der Geist aus dem Körper geschieden ist, so vergißt er seine Feindschaft und gönnt den Toten ihre Ruhe.«

»Hört Ihr es nicht wieder?« wiederholte Duncan.

Falkenauge schüttelte langsam den Kopf. Dann winkte er Duncan, nach einer Stelle zu kommen, die das Feuer nicht beleuchtete. Nach dieser Vorsichtsmaßregel lauschte er aufmerksam in die Finsternis.

»Wir müssen Unkas rufen«, flüsterte er Duncan zu, »der Junge hat indianische Sinne und hört, was uns noch verborgen bleibt.«

Der junge Mohikaner, der sich am Feuer leise mit seinem Vater unterhielt, fuhr auf, als er den Ruf einer Eule vernahm. Er blickte ruhig nach den schwarzen Erdwällen, woher der Laut ertönte. Da wiederholte der Kundschafter den Schrei. In wenigen Augenblicken sah Duncan, wie Unkas vorsichtig an die Brustwehr heranschlich.

Falkenauge teilte ihm in kurzen Worten seine Wünsche in delawarischer Sprache mit. Nachdem der Mohikaner gehört hatte, um was es sich handele, verschwand er lautlos in der Finsternis.

»Was ist aus dem Mohikaner geworden?« fragte Heyward den Jäger nach einer Weile.

»Pst! sprecht leiser! Wir wissen nicht, was für Ohren uns belauschen. Unkas ist auf der Ebene, und die Maquas, wenn welche in unserer Nähe sind, werden mit ihm zu tun bekommen.«

Heyward betrachtete jetzt Chingachgook, der immer noch in der Nähe des Feuers saß.

»Seht Chingachgook an, wie ein großer Indianerhäuptling sitzt er am Feuer«, sprach Duncan. »Seine Gestalt ist deutlich sichtbar und er wird das erste und sicherste Opfer sein.«

»Ihr habt recht«, antwortete beunruhigt der Kundschafter. »Ich muß ihn warnen und ihn wissen lassen, daß wir den Mingos auf der Spur sind. Dann wird er sich schon richtig verhalten.«

Der Kundschafter hielt die Finger an den Mund und ließ den leise zischenden Laut einer Schlange hören. Chingachgooks Haupt ruhte auf seiner Hand und er schien in Gedanken versunken. Als er aber den warnenden Laut des Tieres vernahm, richtete er sich auf, und seine Augen blickten schnell und scharf nach allen Seiten. Doch bald darauf war jede Überraschung und Unruhe verschwunden. Seine Büchse lag, kaum beachtet, im Bereiche seiner Hand, Der Tomahawk, den er im Gürtel locker gesteckt hatte, fiel zu Boden. Seine Gestalt lehnte sich wieder bequem zurück. Nur die Lage seiner Hände hatte sich etwas verändert, so daß er jederzeit bereit war, die Waffen aufzugreifen.

»Seht einmal den schlauen Häuptling an«, flüsterte Falkenauge. »Er weiß, daß ein unvorsichtiger Blick oder eine falsche Bewegung unsere Pläne vereiteln und uns der Satansbrut in die Hände liefern kann –«

In diesem Augenblick ertönte der Knall einer Büchse. Feuerfunken erfüllten die Luft um den Platz, auf den die Augen der beiden Männer soeben noch mit Bewunderung gerichtet waren. Bald sahen sie, daß Chingachgook verschwunden war. Der Kundschafter ergriff seine Büchse und erwartete mit Ungeduld den Augenblick, wo sich ein Feind sehen ließe. Aber mit dem fruchtlosen Anschlag auf das Leben Chingachgooks schien der Angriff beendet zu sein. Mehrmals glaubten die Männer ein entferntes Rauschen der Büsche zu vernehmen. Dann hörten sie etwas in das Wasser plumpsen und gleich darauf folgte der Knall eines Gewehrs.

»Das ist Unkas«, sprach der Kundschafter, »ich kenne den Knall seiner Büchse.«

Inzwischen hatte Chingachgook ruhig seinen alten Sitz wieder eingenommen. Vorher hatte er den Feuerbrand untersucht, den die Kugel getroffen hatte, die ihn töten sollte. Jetzt hob er einen Finger empor und sprach: »Einer.«

In diesem Augenblick trat Unkas aus der Finsternis in den Kreis des Feuers und setzte sich zu seinem Vater.

»Was ist aus unserem Feinde geworden, Unkas?« fragte Duncan.

Der junge Häuptling schob eine Falte seines Jagdhemdes zurück und zeigte ruhig einen Haarschopf, den er als Siegeszeichen erbeutet hatte. Chingachgook legte die Hand auf den Skalp und rief: »Ein Oneida!«

»Ein Oneida?« wiederholte der Kundschafter. »Wenn die Oneidas uns auflauern, dann sind wir auf allen Seiten von Teufeln bedroht. Jetzt ist guter Rat teuer.«

Da zog Chingachgook gleichgültig eine Pfeife aus seiner Tasche und zündete sie mit einem hölzernen Rohre an. Nachdem er einige Züge geraucht hatte, gab er sie dem Kundschafter. Dreimal wiederholten sie den Brauch und einige Zeit verging in tiefstem Schweigen.

Endlich sprach Chingachgook und trug ruhig den Gegenstand der Beratung, einen Ausweg aus der augenblicklichen schwierigen Lage zu finden, vor. Ihm antwortete der Kundschafter und Chingachgook machte dagegen seine Einwendungen geltend. Unkas blieb ein stiller Zuhörer, bis auch er um seine Meinung gefragt wurde. Heyward schloß aus der Miene und den Gebärden der Sprecher, daß Vater und Sohn die eine Meinung verfochten, während der Kundschafter auf der anderen beharrte. Die Reden der Mohikaner waren von ausdrucksvollen Gebärden begleitet. Der Kundschafter dagegen sprach weniger ausdrucksvoll. Es schien, als ob die Angelegenheit bereits entschieden wäre und die Mohikaner ihre Meinung durchgesetzt hätten, als sich plötzlich der Jäger erhob und alle Künste indianischer Beredsamkeit aufbot. Mit seinem Arm wies er auf den Lauf der Gestirne. Dann beschrieb er einen langen mühevollen Weg über Felsen und durch Gewässer. Durch Zeichen machte er das hohe Alter und die Schwäche Munros deutlich. Die Mohikaner hörten ihm sehr ernst zu. Allmählich ließen sie sich überzeugen und gaben dann mit dem gewohnten Ausruf ihre Einwilligung zu den Worten des Kundschafters. Nachdem die Angelegenheit nun entschieden war, streckte Falkenauge seine hohe Gestalt vor dem verlöschenden Feuer auf der Erde aus und schlief bald ein.

Nicht viel später legten sich auch die Indianer zur Ruhe und Heyward folgte dem Beispiel der Waldbewohner.


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