J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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9. Kapitel

Vergebens lauschte Heyward auf irgendein Geräusch. Alles blieb still. Nichts war zu sehen oder zu hören. Die frische Morgenluft drang in ihr gemeinsames Versteck, und ihr stärkender Einfluß wurde wohltuend von den Bewohnern empfunden. So verging die Zeit. Da erhob sich plötzlich draußen ein lautes Geschrei. Mitten in diesem Tumult ließen sich Schritte hören, die nur wenig von der Höhle entfernt sein konnten. Schon glaubte Heyward, daß sie entdeckt worden seien. Da kündete ein erneuter Aufschrei der Wilden, daß sie etwas Besonderes erspäht haben mußten. Mit einem Mal riefen Stimmen durcheinander: »Die Lange Büchse, Wildtöter, die Lange Büchse!« Anscheinend hatten die Huronen das Gewehr des Jägers gefunden. Da ließen auch Geräusche vermuten, daß die Indianer den Eingang der nebenliegenden Höhle entdeckt hatten. Endlich nach längerer Zeit ängstlichen Wartens schien Ruhe einzutreten. Schon glaubten die Insassen der Höhle, daß die Gefahr vorüber sei, und wagten wieder neuen Mut zu schöpfen. Doch da öffnete sich der hintere Eingang der Höhle, und das grimmige Gesicht eines Wilden wurde sichtbar. Es war Le Renard Subtil, der über seine Entdeckung frohlockte. In diesem Augenblick hob Duncan seine Pistole und gab Feuer. Vom Knall des Schusses erdröhnte die Höhle. Als der Rauch sich verzogen hatte, war die Stelle leer, an der vorher das Gesicht des Verräters zu sehen war.

Unter den Wilden herrschte Totenstille. Da erhob Renard ein langes Geschrei, das von allen Indianern beantwortet wurde. Im gleichen Augenblick stürzten von allen Seiten die Wilden in die Höhle. Die Indianer schleppten die Insassen des Versteckes an das Tageslicht und triumphierend umstanden die Huronen ihre Gefangenen.

Als sich Duncan von dem Schrecken erholt hatte, stellte er fest, daß bis jetzt weder den Schwestern noch ihm durch die Wilden Leid zugefügt worden war. Nachdem die Huronen vergeblich längere Zeit die Höhlen durchforscht hatten, begaben sie sich zu den Gefangenen. Widerstrebend sprach Heyward seinen alten Führer an:

»Le Renard Subtil ist ein großer Krieger. Er möge mir erklären, was die Sieger von mir wissen wollen.«

»Sie fragen nach dem großen Jäger, der die Pfade der Wälder kennt«, antwortete Magua.

Da erschollen von mehreren Wilden wieder Rufe: »Die Lange Büchse!«

»Ihr hört«, sprach Magua, »die Huronen rufen nach dem Leben der ›Langen Büchse‹, oder sie nehmen das Blut derer, die ihn verborgen halten.«

»Er ist fort, er ist entronnen!«

Magua schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ist er ein Vogel oder ein Fisch? Der weiße Häuptling hält die Huronen für Narren.«

»Die ›Lange Büchse‹ ist kein Fisch, der Jäger kann aber gut schwimmen.«

»Warum blieb der weiße Häuptling zurück?« fragte immer noch ungläubig der Indianer.

»Der weiße Mann glaubt, daß nur Feiglinge ihre Weiber im Stich lassen.«

Magua murmelte einige unverständliche Worte und fuhr dann fort:

»Können die Delawaren ebensogut schwimmen? Wo ist die ›Große Schlange‹ und wo ist der ›Flinke Hirsch‹?«

»Wenn du damit die beiden Delawaren meinst, so muß ich dir sagen, daß auch sie den Fluß hinabgeschwommen sind.«

Die Huronen hatten das Gespräch geduldig abgewartet. Jetzt verdolmetschte Magua die Unterhaltung. Kaum hatten sie von der gelungenen Flucht erfahren, da erhoben sie ein furchtbares Geschrei und zeigten damit ihre ohnmächtige Wut. Heywards Besorgnisse, daß die Wilden tätlich gegen die Gefangenen werden könnten, milderten sich, als er sah, daß der Häuptling seine Krieger zu einer Beratung versammelte. Einige Huronen brachten das Kanu, mit dem sie die Felseninsel erreicht hatten, in das Wasser. Dann winkte der Häuptling den Gefangenen, in das Boot zu steigen. Heyward, der einsah, daß Widerstand zwecklos wäre, folgte dem Verlangen. Er schritt voran in das Kanu. Bald ließen sich auch die Schwestern und der verblüffte David nieder. Nachdem der indianische Steuermann seinen Platz eingenommen hatte, sprangen die anderen Wilden in den Fluß. Bald war das Kanu an der Stelle, wo man die Pferde zurückgelassen hatte. Das Boot legte an und die Gefangenen mußten aussteigen. Der Häuptling bestieg Heywards Pferd und verschwand mit dem größten Teil seiner Leute in die Wälder. Mit sechs anderen Huronen zusammen wurde Le Renard Subtil die Obhut über die Gefangenen anvertraut.

Aufmerksam hatte Heyward den Abzug der anderen Gruppe beobachtet. Um aber über das weitere Schicksal der Gefangenen Klarheit zu erhalten, überwand Duncan erneut seinen Widerwillen gegen Magua. Er trat zu ihm und sprach möglichst freundschaftlich:

»Ich wünsche mit Magua Worte zu sprechen, die nur ein großer Häuptling hören darf.«

»Sprich, wenn deine Worte so sind, daß sie Magua hören kann!«

»Le Renard Subtil hat sich des ehrenvollen Namens, den ihm seine kanadischen Väter gaben, würdig erwiesen«, begann Heyward. »Ich erkenne seine Weisheit und alles, was er für uns getan hat. Ich werde an ihn denken, wenn die Stunde seiner Belohnung kommt.«

»Was hat Renard getan?« fragte der Indianer.

»Wie? Hat Le Renard nicht gesehen, daß die Wälder mit Feinden angefüllt waren? Verlor er nicht den Pfad, um die Augen der Huronen zu täuschen? Sagte er nicht, daß er zu seinem Stamme zurückkehren wolle? Ist das alles nicht wahr? Ließen die Huronen ihn nicht mit ihren Gefangenen allein? Will er nicht dem reichen Vater seine Töchter wiederzuführen? Der Befehlshaber von ›William Henry‹ wird ihn für seinen Dienst belohnen! Magua wird Gold haben, soviel er will! Auch ich werde die Weisheit Maguas besonders belohnen.«

»Was will der junge Häuptling geben?« fragte der Hurone.

»Ich will das Feuerwasser in Maguas Wigwam schneller fließen lassen, als der brausende Hudson strömt!«

Le Renard hatte Heywards Rede stillschweigend zugehört. Der Hurone besann sich einige Augenblicke, dann legte er seine Hand auf den Verband seiner verwundeten Schulter und fragte:

»Machen Freunde solche Zeichen? Schießt der weiße Häuptling sein Pulver in das Gesicht seiner Brüder?«

»Glaubt Magua, daß seine Freunde ihr Ziel verfehlen werden, wenn sie ihn töten wollten?« fragte Duncan aufrichtig lächelnd.

Eine längere Pause folgte diesem Gespräch. Duncan bemerkte, daß der Indianer unschlüssig war. Schon wollte er nochmals die in Aussicht gestellten Belohnungen aufzählen, als Magua seinem Vorhaben zuvorkam.

»Le Renard ist ein weiser Häuptling. Geh und halte den Mund geschlossen! Wenn Magua spricht, wird es Zeit zur Antwort sein.«

Bald gab Magua das Zeichen zum Aufbruch und trat selbst als Führer an die Spitze des Zuges. Dann folgten die Gefangenen. Ihnen zur Seite schritten die Indianer. Der Weg ging nach Süden, der Richtung von »William Henry« entgegengesetzt. Meile auf Meile wurde in den weiten Wäldern zurückgelegt und noch war das Ende der Reise nicht abzusehen. Kora erinnerte sich der Mahnung des Kundschafters und streckte von Zeit zu Zeit die Hand aus, um kleine Zweige zu zerknicken. Doch bald wurde ihre Absicht von den Indianern erkannt, so daß sie in Zukunft keine weiteren Spuren zu hinterlassen wagte.

Ohne einen anderen Führer als die Sonne zu haben, verfolgte Magua unbeirrt seinen Weg durch die hohen Fichtenwälder und kleinen Täler. Es schien, als ob ihm Ermüdung völlig unbekannt sei. Nachdem sie durch ein tiefes Tal mit einem rauschenden Bache gekommen waren, stieg er plötzlich auf einen Hügel. Als sie den Gipfel erreicht hatten, weilten sie auf einer geräumigen Fläche, die nur wenig von Bäumen bewachsen war. Magua hatte sich bereits im Schatten eines Baumes niedergelegt, als wolle er Ruhe suchen, deren sie so bedürftig waren.


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