J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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10. Kapitel

Der Hügel war hoch und abschüssig und sein Gipfel war abgeplattet. Seine Höhe und Form machten eine Verteidigung leicht und einen Überfall fast unmöglich. Da Heyward nicht mehr auf eine Befreiung hoffte, betrachtete er gleichgültig diese Eigentümlichkeiten. Die Pferde weideten das wenige Gestrüpp auf dem Hügel ab. Trotz des schnellen Marsches hatte einer der Indianer ein Hirschkalb erlegt. Ohne Zubereitung wurde das Fleisch in rohem Zustande von den Wilden verschlungen. Magua hielt sich von seinen Genossen entfernt und schien in tiefes Nachdenken versunken. Heyward versuchte nochmals den Huronen in seinen Gedanken zu bestärken.

»Wird der Häuptling von ›William Henry‹ nicht mehr erfreut sein, wenn er seine Töchter noch heute wiedersieht? Eine zweite Nacht könnte sein Herz erhärten und seine Geschenke gäbe er weniger gern.«

»Lieben die Bleichgesichter ihre Kinder weniger am Morgen als am Abend?« fragte der Indianer. »Das Herz des weißköpfigen Häuptlings ist sanft zu seinen Kindern, doch hart gegen seine Krieger!«

»Er ist streng gegen die Bösen, aber gerecht gegen die Guten.« Heyward schwieg. Er konnte sich den eigenartigen Ausdruck nicht erklären, der die Züge des Indianers verfinsterte.

»Geh!« sprach der Hurone. »Sage der schwarzlockigen Tochter, daß Magua sie sprechen will!«

Duncan glaubte nach diesen Worten des Wilden, daß er sich nochmals der versprochenen Gaben versichern wolle, und holte Kora herbei.

Der Indianer stand langsam von seinem Sitze auf und verharrte fast eine Minute schweigend vor ihr. Dann gab er Heyward mit der Hand ein Zeichen, sich zurückzuziehen. Nachdem der junge Offizier gegangen war, sprach Kora:

»Was will Le Renard der Tochter Munros sagen?«

»Hör!« antwortete der Indianer und legte seine Hand fest auf ihren Arm. »Magua wurde als Häuptling unter den Huronen geboren. Er sah die Sonnen von zwanzig Sommer und den Schnee von zwanzig Winter, ehe er ein Blaßgesicht erblickte, und er war glücklich! Dann kamen seine kanadischen Väter in die Wälder und gaben ihm Feuerwasser zu trinken und er wurde ein Bösewicht. Die Huronen trieben ihn von den Gräbern seiner Väter. Er rannte zu den Ufern der Seen hinab. Hier jagte und fischte er, bis das Volk ihn zurück durch die Wälder in die Arme seiner Feinde trieb. Der Häuptling, der ein geborener Hurone war, wurde jetzt ein Krieger unter den Mohawks.«

»Ich habe früher davon gehört«, sagte Kora.

»Ist es Le Renards Schuld, daß sein Haupt nicht aus einem Felsen geschaffen war? Wer gab ihm das Feuerwasser? Wer machte ihn zu einem Bösewichte? Die Blaßgesichter, das Volk deiner Farbe tat es!«

»Bin ich verantwortlich dafür, daß es auch unter den weißen Menschen Bösewichte gibt?« fragte Kora ruhig den aufgeregten Wilden.

»Hör!« wiederholte der Indianer. »Als seine englischen und französischen Väter das Kriegsbeil aus der Erde gruben, zog Le Renard mit den Mohawks und kämpfte gegen seine eigene Nation. Dein Vater war der große Anführer unserer Kriegspartei. Er machte ein Gesetz, wonach ein Indianer, der Feuerwasser tränke und in die Zelte seiner Krieger käme, bestraft werde. Magua öffnete den Mund und das Feuerwasser führte ihn in Munros Hütte. Was tat der Graukopf? Seine Tochter soll es sagen!«

»Er übte Gerechtigkeit und bestrafte den Schuldigen«, sprach das Mädchen.

»Ist das Gerechtigkeit«, rief der Indianer, »wenn man das Übel schafft und dann dafür bestraft! Magua war es nicht selbst! Das Feuerwasser sprach und handelte für ihn. Aber Munro glaubte es nicht. Der Huronenhäuptling wurde vor allen Kriegern gebunden und wie ein Hund durchgepeitscht!«

Kora schwieg. Sie wußte nicht, wie sie ihm gegenüber das Verhalten ihres Vaters rechtfertigen sollte.

»Sieh«, fuhr Magua fort, »hier sind Narben von Messern und Kugeln, deren ich mich vor meiner Nation rühmen kann. Aber hier auf dem Rücken des Huronenhäuptlings hat dein Vater Spuren hinterlassen, deren ich mich schämen muß!«

»Wenn mein Vater dir Unrecht tat, so zeige ihm, daß ein Indianer vergeben kann, und bring ihm seine Töchter zurück! Du hast von Major Heyward gehört, daß wir dich belohnen werden.«

Magua schüttelte den Kopf.

»Was willst du also haben?« fragte Kora nach einer Weile.

»Was ein Hurone liebt! Gutes für Gutes, Böses für Böses! Als Magua sein Volk verließ, wurde sein Weib einem anderen Häuptling gegeben. Er hat jetzt wieder Freunde unter den Huronen und will zu ihnen zurückkehren. Die Tochter des englischen Häuptlings soll mit ihm gehen und in seinem Wigwam leben.«

Kora war über diesen Vorschlag empört, doch sie beherrschte sich und antwortete:

»Magua hätte keine Freude, seine Hütte mit einem Weibe zu teilen, das er nicht liebt. Es wäre besser, er nähme Munros Gold und kaufte sich das Herz eines Huronenmädchens.«

Der Indianer sah sie finster an und antwortete boshaft:

»Als die Hiebe auf dem Rücken des Huronen brannten, wußte er, wo er das Weib suchen mußte, um für diese Schmerzen zu büßen. Die Tochter Munros sollte sein Wasser schöpfen, sein Kornfeld hacken und sein Wildbret kochen.«

»Ungeheuer!« rief Kora. »Nur ein Teufel konnte solche Rache ersinnen!«

Für Magua war dieses Gespräch beendet, er verließ sie und trat zu seinen indianischen Begleitern. Der Hurone redete sie mit der Würde eines indianischen Häuptlinges an. Da Magua sich seiner Muttersprache bediente, konnten die Gefangenen nur aus den Gebärden auf den Inhalt seiner Worte schließen. Anfangs waren die Worte und Bewegungen des Huronen ruhig und bedächtig. Dann aber erhob er seine Stimme und sprach von den Weibern und Kindern der Erschlagenen und von ihrem Elend und dem Unglück, das noch nicht gerächt sei.

»Sind die Huronen Hunde, daß sie so etwas ertragen müssen?« rief er aus. »Was soll man den alten Männern sagen, wenn sie nach Skalpen fragen und wir ihnen kein Haar eines Blaßgesichtes zeigen können? Die Weiber werden mit Fingern auf uns zeigen. Ein schwarzer Flecken haftet auf dem Namen der Huronen, der nur mit Blut abgewaschen werden kann!«

Seine Stimme verhallte unter dem Rachegeschrei der Wilden. Auf einen Wink sprangen sie auf und stürzten mit gezückten Messern und erhobenem Tomahawk auf die Gefangenen. Heyward stellte sich zwischen die Schwestern und die Angreifer. Zwei starke Krieger stürzten sich auf Heyward und ein dritter bemächtigte sich des Singemeisters. Keiner der Gefangenen unterlag ohne einen verzweiflungsvollen Kampf. Nachdem die Gefangenen überwältigt worden waren, band man jeden einzelnen an einen Baum. Die Huronen trafen nun Vorbereitungen, um die Wehrlosen zu martern. Einige suchten Äste zusammen, um einen Holzstoß zu errichten. Einer von ihnen schnitzte Splitter einer Fichte, um sie brennend den Gefangenen ins Fleisch zu stoßen. Doch Maguas Rache war noch nicht befriedigt.

»Was sagt die Tochter Munros?« rief er. »Ist ihr Haupt noch zu gut, um ein Kissen in dem Wigwam Le Renards zu sein?«

»Was will das Ungeheuer?« fragte erstaunt Heyward.

»Er ist ein Wilder und weiß nicht, was er tut«, entgegnete Kora.

»Sprich, Kora, was will der Hurone?« fragte Alice mit zitternder Stimme.

Einige Augenblicke ruhten die Augen der Schwestern ineinander, dann antwortete Kora:

»Alice, der Hurone bietet uns das Leben an, wenn ich ihm in die Wildnis folge und sein Weib werde.«

»Nein, nie! Lieber sterben wir gemeinsam, wie wir zusammen gelebt haben!«

»So stirb!« schrie Magua und warf wütend seinen Tomahawk gegen die Wehrlose. Knapp über ihrem Kopf schlug das Beil in den Baum. Dieser Anblick brachte Duncan zur Verzweiflung. Unter gewaltsamer Anstrengung sprengte er seine Fesseln und stürzte auf einen Wilden, der im Begriffe war, ebenfalls seinen Tomahawk gegen das Mädchen zu werfen. Sie faßten sich und fielen zu Boden. Der nackte Leib des Wilden bot Heyward keinen Halt. Er entschlüpfte ihm und drückte ihn mit dem Knie auf der Brust nieder. Schon sah Duncan das Messer aufblitzen, als der scharfe Knall einer Büchse erfolgte und die Kraft des Indianers nachließ. Mit einem kurzen Röcheln sank der Wilde tot auf die dürren Blätter neben ihm nieder.


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