J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Kapitel

»Es wäre unverantwortlich«, sprach der Kundschafter, »wenn wir länger hier im Verstecke blieben, während solche Schreie im Walde zu hören sind. Die Frauen mögen hierbleiben, während wir Männer auf dem Felsen Wache halten werden.«

»Ist denn die Gefahr so groß?« fragte Kora.

»Lady«, sprach feierlich der Jäger, »ich kenne seit über dreißig Jahre alle Geräusche und Töne in den Wäldern und mein Ohr ist darauf besonders geschult, denn es hängt oftmals Leben und Tod davon ab. Aber weder die Mohikaner noch ich vermögen uns jene Töne zu erklären.«

Die Männer traten jetzt aus der Höhle. Ein leiser Abendwind wehte über dem Fluß. Der Mond war aufgegangen und sein Licht schimmerte auf dem Wasser. Der untere Teil des Felsens, auf dem sie standen, lag noch im Schatten. Nur das Rauschen des herabstürzenden Wassers war zu hören. Vergeblich richteten sich alle Augen auf die engegengesetzten Ufer, um vielleicht doch irgendwelche Anzeichen zu finden, die die Störung erklären konnten.

»Es ist nichts zu sehen und zu hören«, flüsterte Duncan.

Doch kaum hatte er diese Worte gesprochen, als wieder derselbe Schrei ertönte.

»Hat jemand jemals solch eigenartige Töne gehört?« fragte Falkenauge, als sich das letzte Echo in den Wäldern verloren hatte.

»Hier ist jemand, der euch Aufklärung geben kann«, sprach Duncan. »Es ist der schreckliche Angstschrei eines Pferdes im Todeskampf. Mein Pferd ist entweder in den Krallen von Bestien des Waldes oder es wittert Gefahr, ohne ihr entrinnen zu können. Jetzt im Freien erkenne ich den Laut genau, ohne mich zu irren.«

Der Kundschafter und seine Gefährten hörten aufmerksam diese Erklärung an. Die Indianer bekräftigten ihre zustimmende Auffassung mit einem »Howgh!«

»Ich kann Euren Worten nicht widersprechen«, erwiderte der Jäger. Dann sprach er zu Unkas gewandt in delawarisch: »Fahre mit dem Kanu hinunter und wirf einen Feuerbrand unter die Wölfe, sonst haben wir morgen früh keine Pferde mehr.«

Der junge Eingeborene war an das Wasser hinabgestiegen, als ein langes Geheule vom Ufer des Flusses zu hören war. Es schien, als ob die Raubtiere, von plötzlichem Schrecken ergriffen, freiwillig ihre Beute im Stiche ließen. Unkas kam sofort zurück, und die drei Waldbewohner hielten erneut eine leise Beratung ab.

»Jetzt beginnen wir wieder klarzusehen und wir müssen jetzt eingehend überlegen«, sprach Falkenauge.

Instinktiv richtig hatte der Kundschafter die Gefahr der augenblicklichen Lage erkannt. Doch er war bereit, ihr zu trotzen. Das gleiche Gefühl teilten auch die Mohikaner. Sie setzten sich so nieder, daß sie beide Ufer überschauen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Heyward bereitete für die beiden Frauen und sich eine einfache Lagerstatt und hieß die beiden Schwestern sich niederlegen. Auch David folgte diesem Beispiel. So vergingen mehrere Stunden, ohne weitere Unterbrechungen. Der Mond goß sein fahles Licht auf die ruhige Landschaft. Außer den Waldbewohnern waren alle in tiefen Schlaf versunken. Falkenauge und die beiden Mohikaner aber wachten. Unbeweglich wie der Fels lagen sie da, während ihre Augen unablässig die Umgebung musterten. Als der Mond untergegangen war und ein blasser Lichtstreif über den Gipfeln der Bäume den Anbruch des Tages verkündete, rührte sich der Jäger zum ersten Male. Er kroch zu Duncan und rüttelte ihn aus seinem tiefen Schlaf.

»Es ist Zeit zum Aufbruch«, flüsterte Falkenauge. »Weck die Frauen und haltet euch bereit, in das Kanu zu steigen, das ich holen werde.«

In dem Augenblick, da Heyward die Schwestern wecken wollte, erscholl ein gellendes Geheul. Es war, als ob alle Dämonen der Hölle die Luft mit ihren barbarischen Tönen erfüllten. Mitten in diesem Lärm erhob sich David, trat aus der Höhle und rief, mit beiden Händen die Ohren schließend: »Woher kommen diese Mißtöne, ist hier die Hölle los?«

Der Knall von wohl zwölf Büchsen am entgegengesetzten Ufer des Stromes folgte und streckten den armen Singemeister, der sich so bloßgestellt hatte, besinnungslos auf den Felsen nieder.

Die Mohikaner erwiderten sofort das Geheul der Feinde, die in ein wildes Triumphgeschrei ausbrachen, als sie David fallen sahen. Die Schüsse folgten jetzt schnell und ununterbrochen. Voller Ungeduld horchte Duncan, ob sich nicht Ruderschläge hören ließen. Schon glaubte er, daß der Kundschafter sie im Stich gelassen hätte. Da ertönte aus dem Felsen der Knall eines Schusses und ein Schmerzensschrei verkündete, daß Falkenauges Büchse ihr Opfer gefunden hatte. Nach diesem Verlust zogen sich die angreifenden Indianer plötzlich zurück, und allmählich wurde es so still, wie es vordem gewesen war. Duncan benutzte die Gelegenheit, den verletzten David in den Schutz einer Felsspalte zu tragen. Kurze Zeit darauf waren alle an dieser Stelle versammelt.

»Der arme Bursche hat Glück gehabt, er hat seinen Skalp gerettet«, sprach der Kundschafter. »Bring ihn in die Höhle, Unkas, und leg ihn nieder! Er wird bald wieder zu sich kommen.«

»Glaubt Ihr, daß die Wilden einen neuen Angriff wagen?« fragte Heyward.

»Da sie einen Mann verloren haben, werden sie mit neuen Listen und Tücken bald wiederkommen. Unsere einzige Hoffnung kann nur sein, den Felsen so lange zu halten, bis Munro uns Hilfe schickt.«

Duncan führte die Schwestern in die Höhle und bat sie, die nächste Zeit hier auszuharren.

David schien bereits das Bewußtsein wiederzuerlangen und Heyward empfahl den Frauen, ihn zu pflegen. Dann begab er sich wieder zu Falkenauge und den Mohikanern, die immer noch in der Felsenspalte zwischen den beiden Höhlen lagen. Lange Zeit verging, ohne daß ein neuer Angriff unternommen wurde. Schon glaubte Duncan, daß ihr Feuer die Feinde zurückgetrieben habe. Als er seine Auffassung Falkenauge mitteilte, schüttelte dieser ungläubig den Kopf.

»Ihr kennt den Magua nicht, wenn Ihr glaubt, daß er sich so leicht ohne Skalp zurückschlagen lasse. Wenn an diesem Morgen auch nur einer dieser Teufel sein Geheul erhob, so waren doch bestimmt wenigstens vierzig dabei. Sie kennen unsere Zahl und unsere Lage genau und werden deshalb die Jagd nicht so bald aufgeben. – Doch da seht! Die satanischen Wagehälse versuchen den Strom herabzuschwimmen. Wenn wir Pech haben, so erreichten sie bereits die Spitze der Insel.«

Kaum hatte der Kundschafter zu sprechen aufgehört, als vier Menschenköpfe über ein paar Stämmen Treibholz ragten, die sich an den nackten Felsen angelegt hatten. Im nächsten Augenblick erschien noch ein fünfter am Rande des Wasserfalles. Der Wilde kämpfte mit allen Kräften und versuchte, seine Gefährten zu erreichen. Plötzlich wurde er von der wirbelnden Strömung fortgerissen. Mit aufgehobenen Armen und starren Augen stürzte er in den tief gähnenden Abgrund hinunter. Ein wilder Aufschrei erscholl, und dann war wieder alles so still wie zuvor.

Doch bald darauf ertönte aus den Wäldern ein neues lautes Geschrei. Auf dieses Zeichen hin sprangen die vier Wilden aus dem Verstecke des Treibholzes hervor. Heyward wollte ihnen entgegenstürmen, doch wurde er durch die Besonnenheit des Kundschafters und Unkas zurückgehalten. Als die anstürmenden Indianer nahe genug herangekommen waren, erhob Falkenauge langsam seine Büchse und schoß. Gleich darauf feuerte auch Unkas und zwei der Angreifer stürzten nieder. Im gleichen Augenblick sprangen der Kundschafter und Heyward den verbliebenen beiden Indianern entgegen. Es entstand sofort ein furchtbarer Kampf Mann gegen Mann. Falkenauge und sein Gegner hatten die erhobene, mit dem tödlichen Messer bewehrte Hand des anderen aufgefangen. Nur langsam gewannen die zähen Muskeln des Weißen die Oberhand über den weniger geübten Eingeborenen. Plötzlich entriß Falkenauge seine bewaffnete Hand dem schwächer werdenden Griff seines Feindes und stieß ihm die scharfe Waffe in das Herz. Unterdessen kämpfte Heyward mit einem nicht weniger gefährlichen, ebenbürtigen Gegner. Es entstand ein wildes Ringen. Jeder versuchte den anderen von der schwindelnden Höhe in den Abgrund des Wasserfalles hinabzustürzen. Die beiden Kämpfenden boten alle ihre Kräfte auf, und jeder neue Versuch brachte sie dem Rande des Absturzes näher. Schon spürte Heyward den Griff des anderen an seiner Kehle. Da fühlte er, daß sein Körper einer unwiderstehlichen Kraft zu unterliegen drohte. In dieser höchsten Not fuhr plötzlich eine dunkle Hand und ein glänzendes Messer zwischen ihn und seinen Gegner. Sein Feind ließ los; ihm waren die Sehnen der Handgelenke durchschnitten und das Blut floß in Strömen. Unkas rettender Arm riß Duncan zurück, während der Hurone in den vernichtenden Abgrund stürzte.

»Ins Versteck! Ins Versteck!« schrie Falkenauge, »wenn euch euer Leben lieb ist!«

Der junge Mohikaner erhob ein lautes Triumphgeschrei und eilte, von Duncan gefolgt, in den Schutz der Felsen und Sträucher zurück.


 << zurück weiter >>