J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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22. Kapitel

Falkenauge wußte genau, welche Schwierigkeiten und Gefahren vor ihm lagen. Auf dem Wege nach dem Lager überlegte er, wie er am besten die Wachsamkeit der Feinde täuschen könnte. Als er sich dem Dorfe näherte, verlangsamte er seine Schritte. Eine verwahrloste Hütte stand etwas abseits von den anderen. Als er näher kam, bemerkte er durch die Ritzen ein schwaches Licht. Vorsichtig trat der Jäger, immer noch in dem Gewande des Bären, näher. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, daß es die Hütte Davids war. Hierher hatte sich der Singemeister mit seinen Sorgen geflüchtet. Gamut saß auf einem Bündel Sträucher. Das Haupt stützte er auf seinen Arm und war in tiefem Nachdenken versunken. Falkenauge war unbemerkt in die Hütte eingetreten. Um David nicht zu erschrecken, gab sich der Kundschafter sofort zu erkennen. Nachdem sich der Singemeister von seinem Erstaunen erholt hatte, erkundigte er sich nach Alice und Heyward.

»Ja, die sind beide glücklich vor den Tomahawks der Schufte gerettet«, sprach der Kundschafter. »Doch könnt Ihr mich auf die Fährte von Unkas bringen?«

»Der junge Mohikaner ist gefangen und sein Tod wurde bereits beschlossen.«

»Ihr müßt mich zu ihm führen.«

»Das ist sehr schwer«, antwortete David zögernd.

»Kommt! Führt mich zu ihm«, sprach entschlossen Falkenauge und setzte den Bärenkopf wieder auf.

Die Hütte, in der Unkas gefangengehalten wurde, stand in der Mitte des Dorfes. Im Vertrauen auf seine Verkleidung, schlug der Kundschafter den kürzesten Weg ein. Nur vier oder fünf Wilde hielten sich in der Nähe der Hütte auf, um den Gefangenen zu bewachen. Als sie Gamut mit einem Begleiter in der bekannten Maske eines ihrer Medizinmänner erblickten, machten sie sofort Platz und ließen die beiden eintreten. Das Innere der Hütte war nur durch die erlöschende Glut eines Feuers, das zum Kochen benutzt worden war, beleuchtet.

Unkas stand an Händen und Füßen gebunden in einer Ecke des Raumes.

Als der Bär eintrat, würdigte er das Tier keines Blickes. Brummend näherte sich der Bär dem Gefangenen. Da Unkas nicht auf die Bewegungen des Tieres achtete, ließ der Kundschafter statt eines Brummens den leisen Zischlaut einer Schlange vernehmen. Kaum hatte der Mohikaner den ihm wohlbekannten Laut vernommen, als er sich forschend umsah. Da gab der Jäger nochmals den gleichen Ton zu hören. Aufmerksam hatte Unkas jetzt den Bären betrachtet. Dann sprach er mit gedämpfter Stimme:

»Falkenauge!«

Schnell schnitt der Singemeister die Fesseln des Gefangenen durch. Im gleichen Augenblick streifte Falkenauge die Bärenhaut von seinem Körper und gab sie dem Mohikaner, der sie sofort überzog. Der seltsame Kleiderwechsel war rasch erledigt. Da wandte sich der Kundschafter an David.

»Nun, Freund«, sprach er, »ein Kleiderwechsel wird Euch auch sehr guttun. Da nehmt mein Jagdhemd und meine Mütze. Gebt mir dafür Eure Decke und Euren Hut. Aber auch Euer Buch und die Brille müßt Ihr mir anvertrauen. Wenn wir uns einst wiedertreffen, sollt Ihr alles zurückerhalten.«

David überließ ihm bereitwillig diese Dinge. Falkenauge legte nun die Kleidungsstücke des Sängers an. Da beide fast die gleiche Größe hatten, konnte man den Jäger bei der Dunkelheit für den Singemeister halten.

»Die größte Gefahr wird Euch in dem Augenblick drohen, wenn die Wilden Euch finden werden und merken, daß sie betrogen sind«, sprach der Kundschafter, »doch ich glaube, daß Euch auch weiterhin Euer Geisteszustand schützen wird. Wenn Ihr aber mit uns fliehen wollt, dann sagt es, noch ist es Zeit.«

»Nein!« antwortete David entschlossen. »Ich bleibe hier. Gern will ich dem Delawaren, der tapfer für mich gekämpft hat, diesen kleinen Dienst erweisen.«

Nach diesen Worten schüttelte der Kundschafter dem Singemeister herzlich die Hand. Dann verließ er, von dem neuen Darsteller des Bären begleitet, die Hütte.

Als Falkenauge in die Nähe der Huronen kam, richtete er seine hohe Gestalt nach der unbeholfenen Weise Davids empor. Dann reckte er seinen Arm aus, als ob er den Takt schlagen wolle, und sang einen Psalm.

Auch Unkas ahmte durch lautes Brummen vorzüglich den Bären nach. Keiner der Huronen merkte etwas. Unbeachtet ließ man beide vorübergehen.

Auf diese Weise gelang es dem Kundschafter und Unkas, aus dem Gesichtskreis der Wächter zu kommen.

Sobald sie feststellten, daß sie nicht mehr beobachtet werden konnten, beschleunigten sie ihre Schritte und eilten schnell dem schützenden Walde zu. Da hörten sie aus der Richtung des Dorfes ein lautes anhaltendes Geschrei. Im nächsten Augenblick erfüllte ein schrilles Geheul das ganze Dorf. Rasch legte Unkas die Bärenhaut ab und beide beeilten sich, tiefer in das Dickicht des Waldes einzudringen.


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