J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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23. Kapitel

Als einer der Huronen die Flucht des Gefangenen entdeckte, stürzten alle sofort in die Hütte. Dort fanden sie David. Ohne viel Umstände zu machen, bemächtigten sie sich des armen Singemeisters. In seiner Not begann David, ein Sterbelied zu singen. Da erinnerten sich die Indianer seines Geisteszustandes, ließen von ihm ab und eilten wieder ins Freie, um durch ihr Geheul das ganze Dorf zu alarmieren. Alle Krieger versammelten sich nun vor der Beratungshütte und erwarteten die Befehle ihrer Häuptlinge.

Einige Krieger erhielten den Auftrag, die nähere Umgebung abzusuchen. Die ältesten Häuptlinge zogen sich in die Hütte zur Beratung zurück. Da kündete das Geschrei einiger Stimmen die Rückkehr eines Streiftrupps an. Bald darauf traten mehrere Krieger in die Beratungshütte und brachten den Medizinmann mit, dem der Kundschafter seine Vermummung genommen hatte. Der Medizinmann schilderte seine Erlebnisse, danach trat der Vater der kranken Frau vor und erzählte, was er wußte. Da erhoben sich einige der erfahrensten Krieger und verließen die Hütte, ohne ein Wort zu sprechen. Rasch eilten sie zu der Höhle. In dem einen Gemach der Höhle herrschte Schweigen. Die Frau lag noch am gleichen Ort in ihrer früheren Stellung. Der Vater trat an das Lager der Kranken und betrachtete die starren Züge seiner Tochter. Sie war inzwischen verstorben. Der alte Häuptling hatte sich bald gefaßt und sprach, auf die Tote zeigend:

»Das Weib meines jungen Kriegers hat uns verlassen. Der große Geist zürnt seinen Kindern.«

In diesem Augenblick rollte plötzlich ein dunkler Körper aus dem Nebengemach in das Zimmer. Erstaunt blickten alle auf den seltsamen Gegenstand und entdeckten bald zur allgemeinen Überraschung die gefesselte Gestalt Maguas. Schnell wurde er von seinen Banden befreit. Der Hurone stand auf und schüttelte sich wie ein Löwe. Er sprach kein Wort. Seine Hand spielte erregt mit dem Griff seines Messers, während seine dunklen Augen die Anwesenden musterten. Da Magua aber nur die Gesichter seiner Freunde sah, knirschte er vor Wut mit den Zähnen. Endlich nahm einer der ältesten Häuptlinge das Wort.

»Mein Freund hat einen Feind gefunden«, sprach er. »Ist er in der Nähe, damit die Huronen Rache nehmen können?«

»Laßt den Delawaren sterben!« rief wütend Magua.

»Der Mohikaner ist schnellfüßig und springt weit«, erwiderte der andere. »Doch meine jungen Männer sind ihm auf der Spur.«

»Ist er fort?« rief Magua.

»Ein böser Geist ist unter uns gewesen. Der Delaware hat unsere Augen geblendet.«

»Ein böser Geist?« wiederholte spottend Magua. »Es ist der Geist, der schon viele Huronen getötet hat. Der Geist, der meine Männer an dem Flusse erschlug, der ihre Skalpe an der Quelle nahm und jetzt die Arme Le Renard Subtils gebunden hat.«

»Von wem spricht mein Freund?«

»Von dem Hunde, der unter einer blassen Haut das Herz und die List eines Indianers hat. Von ›Falkenauge‹ oder der ›Langen Büchse‹!«

Diese Worte hinterließen einen tiefen Eindruck auf die Zuhörer. Voll ohnmächtiger Wut schwuren sie ihrem Feinde blutige Rache.

»Laßt uns zu meinem Volke gehen«, sprach Magua. »Die Männer warten auf uns.«

Der Trupp verließ jetzt die Höhle und kehrte in die Versammlungshütte zurück. Aller Augen blickten auf Magua. Sofort gab er einen wahrheitsgetreuen Bericht. Jetzt erst erkannten die Indianer die List Falkenauges, der sie erlegen waren. Nach Beendigung seiner Rede beschäftigten sie sich alle nur mit dem Gedanken, wie sie der Feinde wieder habhaft werden und die erlittene Schlappe rächen könnten. Ein Häuptling nach dem anderen sagte seinen Vorschlag. Magua hörte sie alle mit ehrfurchtsvollem Stillschweigen an. Der verschlagene Wilde hatte seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen und ging jetzt mit gewohnter Vorsicht und List auf sein Ziel los. Nachdem alle gesprochen hatten, teilte auch er seine Ansicht mit. Besonders wichtig wurde seine Auffassung, da inzwischen einige der Läufer zurückgekehrt waren und berichteten, daß sich ihre Feinde in das Lager der Delawaren begeben und dort um Schutz nachgesucht hätten.

Nach Kenntnis dieser wichtigen Kunde legte der schlaue Häuptling dem Stamme seine Pläne vor. Sie wurden ohne Widerrede angenommen.

Magua hatte damit einen großen persönlichen Erfolg erreicht. Der Stamm übertrug ihm die Leitung des Kriegszuges gegen die Feinde. Er hatte wieder Achtung unter seinem Volke gewonnen.

Es wurden jetzt nach den verschiedenen Richtungen Läufer abgesandt. Kundschafter wurden in das Lager der Delawaren geschickt, alle Krieger in ihre Hütten entlassen, um sich zur Verfügung zu halten. Die Weiber und Kinder erhielten den Befehl, sich in die Höhle zurückzuziehen.

Nachdem diese Anordnungen getroffen waren, durchschritt Magua das Dorf. Hier und da trat er in eine Hütte, um seine Freunde in ihrem Vertrauen zu bestärken und die Wankenden zu ermutigen. Dann erst suchte er seine eigene Behausung auf. Das Weib, das er verlassen hatte, als er von seinem Volke verjagt wurde, war tot. Kinder besaß er nicht. Er hatte die Hütte allein inne. Hier zog sich Magua zurück. Während die anderen schliefen, fand er keine Ruhe. Im Schein eines schwachen Feuers saß er einsam in seiner Hütte und brütete finstere Rachepläne aus.

Vor Tagesanbruch trat ein Krieger nach dem anderen in Maguas Hütte. Bald waren über zwanzig versammelt. Jeder von ihnen war bewaffnet. Jetzt erhob sich Magua und gab das Zeichen zum Aufbruch. Er selbst stellte sich an die Spitze des Zuges. Magua machte mit seinen Leuten einen Umweg und folgte den Windungen des Stromes. Der Tag brach eben an, als sie eine Lichtung erreichten. Vorsichtig überquerten die Indianer die freie Stelle, um wieder in den nahen Wald zu gelangen. In dem Augenblick, da die Huronen im Walde verschwanden, bogen sich die Zweige eines Gebüsches auseinander und die Augen Chingachgooks verfolgten aufmerksam die Bewegungen der Feinde.


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