J. F. Cooper
Der letzte Mohikaner - Gekürzte Jugendbuchversion
J. F. Cooper

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24. Kapitel

Der Stamm der Delawaren, der seinen Lagerplatz in der Nähe der Huronen hatte, zählte ungefähr die gleiche Anzahl Krieger wie dieses Volk. Gleich anderen Stämmen hatten sich auch die Delawaren den Kriegszügen Montcalms angeschlossen und mehrere Einfalle in die Jagdgebiete der Mohikaner vorgenommen. Später hatten sich die Delawaren von den Kriegszügen Montcalms mit der Begründung zurückgezogen, ihre Tomahawks seien stumpf geworden, und müßten erst neu geschliffen werden.

An dem Morgen, an dem Magua seinen Trupp nach dem Walde führte; schien die aufgehende Sonne über das Lager der Delawaren. Die Weiber liefen von Hütte zu Hütte, um den Morgenimbiß zu bereiten. Die Krieger standen, sich unterhaltend, in Gruppen zusammen. Jagdgeräte lagen am Boden. Hier und da prüfte ein Krieger seine Waffen.

Da erschien in dem Dorf ein Mann. Er war unbewaffnet. Als er von den Delawaren bemerkt wurde, blieb er stehen und machte das Zeichen der Freundschaft. Er hob die Arme empor und ließ sie bedeutungsvoll auf die Brust herabsinken. Die Bewohner des Dorfes erwiderten seinen Gruß. Langsam kam der Fremde näher, und bald erkannten die Delawaren den Huronenhäuptling Le Renard Subtil.

Die Krieger traten beiseite, um einem ihrer Häuptlinge Platz zu machen.

»Der Hurone ist willkommen«, sprach der Delaware.

Der Häuptling streckte den Arm aus und lud den Gast ein, in seine Hütte zu treten und sein Morgenmahl zu teilen. Während des einfachen Mahles entspann sich vorsichtig die Unterhaltung.

»Ist das Antlitz des großen Kanadavaters wieder seinen Kindern, den Huronen zugewendet?« fragte der Delaware.

»Wann war es anders?« entgegnete Magua stolz.

»Die Tomahawks Eurer jungen Krieger sind sehr rot geworden«, erwiderte der Delaware und versuchte das Gespräch auf die Absichten des Huronen zu lenken.

»So ist es! Aber jetzt sind sie blank und stumpf. Die Engländer sind tot und die Delawaren unsere Nachbarn.«

Der Delaware beantwortete diese Bemerkung mit einer huldvollen Bewegung der Hand und schwieg.

»Haben meine Brüder Sorgen mit der Gefangenen?« fragte Magua.

»Sie ist uns immer willkommen.«

»Der Weg zu den Huronen ist kurz. Schickt sie zu meinen Weibern, wenn sie meinem Bruder lästig fällt.«

»Sie fällt uns nicht lästig«, erwiderte der Häuptling bestimmt.

Magua dachte kurze Zeit nach. Sein erster Versuch, Kora wieder zurückzuholen, war gescheitert.

»Lassen meine jungen Krieger den Delawaren genügend Raum auf den Bergen für ihre Jagden?« fragte Magua.

»Die Lenapen sind Herren ihrer eigenen Berge!« versetzte stolz der Delaware.

»Howgh! Gerechtigkeit ist die Tugend der Rothäute. Warum sollen sie gegeneinander kämpfen? Es gibt genug Bleichgesichter.«

»Howgh!« riefen einige der Zuhörer.

Magua wartete etwas und fuhr dann fort:

»Sind nicht fremde Mokassins in den Wäldern gewesen? Haben meine Brüder nicht die Fußtritte weißer Männer getroffen?«

»Die weißen Männer werden die Lenapen nicht schlafend finden«, erwiderte der Delaware.

Da Magua merkte, daß der Delaware ihm stets ausweichende Antworten gab, versuchte er, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. »Ich habe meinem Bruder Geschenke mitgebracht. Sein Stamm wollte nicht auf den Kriegspfad gehen. Aber ihre Freunde haben für sie Beute besorgt.«

Der Häuptling breitete vor den Augen seiner Wirte die Geschenke aus. Die Verteilung dieser Kleinigkeiten machte der Klugheit des Huronen alle Ehre. Dieser wohlberechnete Kunstgriff blieb auch nicht ohne Wirkung.

»Mein Bruder ist ein kluger Häuptling«, sprach der Delaware. »Er ist uns sehr willkommen!«

»Die Huronen lieben ihre Freunde, die Delawaren«, erklärte Magua.

»Die Rothäute sollten Freunde sein und mit offenen Augen auf die weißen Männer schauen. Hat mein Bruder keinen Kundschafter in den Wäldern aufgespürt?«

Der Delaware vergaß seinen früheren festen Vorsatz und sprach:

»Fremde Mokassins sind um mein Lager gewesen. Ihre Spur reichte bis an meine Hütten.«

»Hat mein Bruder die Hunde weggejagt?« fragte Magua.

»Das ging nicht! Der Fremde ist den Kindern der Lenapen immer willkommen.«

»Der Fremde! Aber nicht der Spion! Die Engländer haben ihre Kundschafter ausgeschickt. Sie sind in meinen Wigwams gewesen! Dann flohen sie zu den Delawaren. ›Die Delawaren sind unsere Freunde!‹ erklärten sie, ›sie haben sich von Montcalm losgesagt!‹«

Diese Worte bestürzten sichtlich die Delawaren. Sie wußten, daß der neue Abfall ihres Stammes von den Franzosen, in deren Gebiet sie sich aufhielten, sehr schlecht vermerkt worden war.

»Mein Vater aus Kanada wird uns nicht verändert finden«, sprach der Delaware einlenkend. »Es stimmt, meine jungen Krieger gingen nicht mit auf dem Kriegspfade. Aber sie verehren den großen weißen Häuptling.«

»Wird er es glauben, wenn er hört, daß sich sein größter Feind in dem Lager seiner Kinder aufhält?«

»Wer soll sich bei den Delawaren aufhalten?«

»Die Lange Büchse!«

Die Delawarenkrieger erschraken bei dem wohlbekannten Namen. Sie verrieten durch ihr Erstaunen, daß sie erst jetzt erfuhren, welch ein berühmter Krieger sich in ihrer Gewalt befand.

»Was meint mein Bruder?« fragte der Delaware überrascht.

»Ein Hurone lügt nie«, entgegnete Magua. »Wenn die Delawaren ihre Gefangenen zählen, so werden sie einen finden, dessen Haut weder rot noch blaß ist.«

Die Eröffnung Maguas hatte die Delawaren sehr überrascht, und sie besprachen sich eingehend. Dann beschlossen sie, daß sofort eine feierliche öffentliche Versammlung des ganzen Stammes folgen solle. An dieser wichtigen Entscheidung erkannte Magua, daß seine Pläne günstig standen. Zufrieden verließ er die Hütte.

Nach einer halben Stunde war der Stamm mit Weibern und Kindern an dem Beratungsplatz versammelt. Ohne ein Zeichen der Ungeduld von sich zu geben, warteten die Indianer ruhig auf das Erscheinen ihrer Häuptlinge und Stammesältesten. Endlich ließ sich ein dumpfes Gemurmel hören, und der ganze Stamm stand auf. Da öffnete sich die Tür einer Hütte, und drei Männer traten heraus. Langsam nahten sie sich dem Platz. Alle waren hochbetagt und älter als irgendeiner der Anwesenden. Der in der Mitte gehende Greis, der sich auf seine Gefährten stützte, schien ein besonders hohes Alter erreicht zu haben. Seine Gestalt, einst aufrecht und stolz, beugte sich unter der Bürde von mehr als hundert Jahren. Langsam und beschwerlich legte er Schritt für Schritt den kurzen Weg zurück. Sein dunkles faltenreiches Gesicht war von langen weißen Locken umrahmt, die über seine Schultern hingen und ihm das Ansehen eines ehrwürdigen Patriarchen gaben. Seine Bekleidung bestand aus schönen Fellen. Seine Brust war mit Gedenkmünzen aus Silber und Gold bedeckt. Sein Tomahawk war versilbert und der Griff seines Messers schimmerte von Gold. Nachdem sich die erste freudige Aufregung über das unerwartete Erscheinen dieses verehrten alten Mannes gelegt hatte, hörte man von Mund zu Mund den Namen »Tamenund«! Oft hatte Magua den Ruhm dieses weisen und gerechten Delawarenhäuptlings preisen hören. Ein Ruhm, der so weit ging, daß man ihm sogar die Zwiesprache mit dem großen Geist zuschrieb.

Nach einer ehrfurchtsvollen Pause erhoben sich die angesehensten Häuptlinge, traten vor den Patriarchen und legten seine Hände auf ihre Häupter, als wollten sie seinen Segen erbitten. Die jüngeren Männer begnügten sich, sein Kleid zu berühren oder sich ihm zu nähern. Nach diesen Zeichen der Zuneigung und Ehrfurcht traten die Häuptlinge wieder auf ihre Plätze zurück. Der alte Indianer bestieg jetzt, auf seine ehrwürdigen Begleiter gestützt, eine Art Podium und ließ sich mitten unter seinem Volke nieder.

Da erhoben sich einige junge Krieger, verließen die Versammlung und begaben sich nach einer Hütte. Kurze Zeit darauf erschienen sie wieder und wurden von den Fremden begleitet, die die Einberufung dieser Versammlung verursacht hatten.


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