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Daheim

Als sich Tarzan durch die Zweige dahinschnellte, drang der Lärm des zwischen den Abessiniern und den Löwen tobenden Kampfes immer deutlicher an sein scharfes Ohr und bewies ihm, daß es um die Sache der menschlichen Partei in diesem Kampfe bereits recht kritisch stand.

Endlich leuchtete der Feuerschein des Lagers hell durch die noch vor ihm befindlichen Bäume. Einen Augenblick später hielt des Affenmenschen riesige Gestalt auf einem überhängenden Zweige an und sah auf das Bild des ungleichen Kampfes zwischen Mensch und Raubtier unten hinab.

Sein rasches Auge erfaßte mit einem Blick die ganze Szene unten und blieb auf der Gestalt einer Frau haften, die sich einem großen, auf dem Körper eines toten Pferdes stehenden Löwen gegenüber befand.

Das Raubtier kauerte sich eben zum Sprung nieder als Tarzan das Drama entdeckte. Numa befand sich fast gerade unter dem Zweige, auf dem der Affenmensch nackt und waffenlos stand. Aber im Vorgehen des letzteren zeigte sich nicht das geringste Zögern – es war gerade, als ob er in seinem raschen Vordringen durch die Bäume gar nicht erst angehalten hätte, so blitzartig rasch gewann er einen Überblick und ein Urteil über die unter ihm vor sich gehenden Geschehnisse – so unmittelbar folgten seine sich danach richtenden Bewegungen.

Für so völlig hoffnungslos sah Jane ihre Lage an, daß sie in todesmüder Gleichgültigkeit den Ansprung des ungeheuren Körpers erwartete, dessen Wucht sie zu Boden schleudern würde – sie wartete nur noch auf den kurzen Todesschmerz, den ihr grausame Pranken und scharfe Fänge zufügen würden, ehe mit dem Eintreten einer mitleidigen Bewußtlosigkeit alle Sorgen und alles Leid für sie zu Ende gehen würden.

Wozu einen Fluchtversuch machen? Es war ebensogut, dem furchtbaren Ende entgegenzusehen wie sich auf nutzloser Flucht von hinten niederreißen zu lassen. Sie schloß nicht einmal die Augen, um den entsetzlichen Anblick des fauchenden Gesichtes zu vermeiden. So sah sie denn auch, wie sich der Löwe zum Sprunge anschickte, und dann, wie eine bronzefarbige riesige Gestalt in gleichem Augenblick von einem überhängenden Zweige herniedersprang – gerade als der Löwe im Sprunge anstieg.

Weit auf riß sie ihre Augen vor Verwunderung und Ungläubigkeit, als sie diese anscheinend von den Toten auferstandene Erscheinung erblickte. Der Löwe, ihre eigene Gefahr – alles war vergessen – alles, außer dem unfaßlichen Wunder dieser merkwürdigen Wiederkehr. Mit offenen Lippen, die Hände an die schweratmende Brust gepreßt, weitgeöffneten Auges lehnte sich die junge Frau verzaubert der Vision ihres toten Gatten entgegen.

Sie sah die sehnige Gestalt auf die eine Schulter des Löwen stürzen und wie ein riesiger Rammblock gegen die anspringende Bestie rennen. Sie sah, wie das fast auf sie stürzende Raubtier zur Seite gedrückt wurde und nun wußte sie im Nu, daß es kein körperloses Gespenst sein konnte, das so leibhaftig mit noch mehr roher Kraft, als selbst der Bestie innewohnte, den Angriff des tobenden Löwen abwendete.

Tarzan, ihr Tarzan, lebte! Ein Schrei unaussprechlichen Glückes brach über ihre Lippen und erstarb alsbald in Entsetzen, als sie sah, wie völlig waffenlos ihr Gatte war, als sie bemerkte, wie sich der Löwe wieder faßte und sich in wilder Rachsucht gegen Tarzan kehrte.

Zu des Affenmenschen Füßen lag das abgeschossene Gewehr des toten Abessiniers, dessen verstümmelter Leichnam sich noch in der gleichen Stellung befand, in der ihn Numa gelassen hatte. Der rasche Blick, der den Boden nach einer Verteidigungswaffe abgesucht hatte, entdeckte das Gewehr. Als der Löwe sich auf der Hinterhand aufrichtete, um das unvorsichtige Menschenwesen zu packen, das gewagt hatte, mit seinen armseligen Kräften sich zwischen Numa und seine Beute zu werfen, pfiff der schwere Kolben durch die Luft und zersplitterte auf der breiten Stirne.

Wenn Tarzan zuschlug, war es nicht so, wie wenn ein gewöhnlicher Sterblicher einen Schlag austeilt. Bei ihm standen hinter der rasenden Leidenschaftlichkeit eines wilden Tieres auch noch die stahlharten Sehnen, die ihm seine wilde Kindheit im Urwald verliehen hatte. Als der Schlag traf, drang der splitternde Kolben durch den splitternden Schädel in das wilde Gehirn und der schwere stählerne Gewehrlauf bog sich zu einem flachen Bogen.

Einen Augenblick noch und der Löwe sank leblos zu Boden. Jane warf sich in die offenen Arme ihres Gatten. Einen Atemzug lang preßte er ihre geliebte Gestalt an die Brust, dann ließ ein Blick in die Runde in dem Affenmenschen sofort das Gefühl für die sie auch weiter noch umgebenden Gefahren erstehen.

Die anderen Löwen warfen sich auf immer neue Opfer. Vor Furcht wahnsinnige Pferde bedrohten sie, indem sie sinnlos von einer Seite der Umfriedigung zur andern jagten. Die Schüsse der noch am Leben gebliebenen Verteidiger vermehrten noch die Gefahren ihrer Lage.

Weiteres Verbleiben bedeutete sicheren Tod. Tarzan ergriff seine Jane und hob sie auf die breite Schulter. Die Neger, welche sein Herzukommen bemerkt hatten, blickten erstaunt drein, als sie sahen, wie der weiße Riese federleicht auf die Zweige des Baumes sprang, aus dem er in so unheimlicher Weise auf der Szene erschienen war, wie er mit ihrer Gefangenen so spurlos verschwand, wie er gekommen war.

Aber sie hatten zuviel mit ihrer eigenen Verteidigung zu tun, als daß sie einen Versuch gemacht hätten, ihn anzuhalten. Sie hätten es auch höchstens dadurch erreichen können, daß sie einen kostbaren Schuß an ihn verschwendeten, den sie vielleicht im nächsten Augenblick bitter nötig hatten, um den Angriff eines grimmigen Tieres abzuwehren.

Auf diese Art entkam Tarzan unbelästigt aus dem Lager der Abessinier, aus dem ihm das Getöse des Kampfes noch bis weit in die Dschungel hinein nachscholl, bis es die sich vergrößernde Entfernung allmählich gänzlich verschlang.

Der Affenmensch kehrte zu der Stelle zurück, an der er Werper verlassen hatte. Freude herrschte nun in seinem Herzen, das Furcht und Trauer eben noch gequält hatten, und er beschloß in seinem Innern, dem Belgier zu vergeben und ihm bei seiner Flucht behilflich zu sein. Aber als er an die Stelle kam, war Werper verschwunden. Obgleich Tarzan mehrere Male laut nach ihm rief, erhielt er keine Antwort. Er mußte sich sagen, daß ihm der Mann aus nur diesem selbst bekannten Gründen aus dem Wege gegangen war. Daher fühlte Tarzan sich nicht weiter verpflichtet, seine Gattin weiterer Gefahr und Mühsal auszusetzen.

Der Mann hat durch seine Flucht seine Schuld zugegeben, Jane, sagte er. Lassen wir ihn in dem Bette ruhen, das er sich selbst bereitet hat.

Schnurstracks, wie zwei heimziehende Tauben, nahmen die beiden ihren Weg nach der Stätte der Ruinen und der Verwüstung, die einst der Mittelpunkt ihres so glücklichen Lebens gewesen war, der Stätte, die bald durch die arbeitsfrohen schwarzen Hände ihrer lachlustigen Arbeiter wieder aufgebaut sein sollte, jener treuen Gefolgsleute, die die Wiederkehr ihres als tot betrauerten Herren und seiner Frau wieder froh machen würde.

An Achmed Zeks Dorf führte sie ihr Weg vorbei, aber sie fanden dort nur die noch rauchenden verkohlten Überreste der Palisaden und der Negerhütten als stumme Zeugen, daß ein empörter und mächtiger Feind hier Vergeltung geübt hatte.

Die Waziri! erklärte Tarzan mit einem grimmigen Lächeln.

Gott segne sie! rief Jane.

Sie können noch nicht weit vor uns sein, bemerkte Tarzan. Es muß Basuli mit den andern sein. Das Gold und die Edelsteine von Opar sind verloren, Jane, aber wir haben einander noch und wir haben die Waziri – Liebe, Treue und Freundschaft sind uns geblieben. Welchen Wert besitzt Gold im Vergleich zu diesen?

Wenn nur der arme Mugambi noch lebte, erwiderte sie, und die anderen armen Menschen, die ihr Leben bei dem vergeblichen Versuch, mich zu retten, opferten!

In einem aus Glück und Trauer gemischten Schweigen zogen sie durch die vertraute Dschungel, und als der Nachmittag zu Ende ging, drang schwach an des Affenmenschen Ohren das gedämpfte Gemurmel entfernter Stimmen.

Wir sind den Waziri nahe, Jane, sagte er. Ich kann sie schon vor uns hören. Vermutlich sind sie beim Aufschlagen des Nachtlagers.

Eine halbe Stunde später trafen die beiden auf eine Schar ebenholzfarbiger Krieger, die Basuli zu seinem Rachezug gegen die Räuber gesammelt hatte. Bei ihnen befanden sich die geraubten Weiber des Stammes, die sie in Achmed Zeks Dorf wiedergefunden hatten, und groß, selbst unter den riesigen Waziri, ragte eine wohlbekannte schwarze Gestalt an Basulis Seite hervor. Es war Mugambi, den Jane als Leiche unter den verkohlten Ruinen ihres Bungalows begraben glaubte.

Das war ein Wiedersehen! Bis tief in die Nacht hinein dauerte das Tanzen und Singen, und fröhliches Lachen weckte das Echo des düsteren Waldes. Wieder und wieder wurden die Geschichten ihrer verschiedenen Erlebnisse erzählt. Immer noch einmal fochten sie ihre Kämpfe mit wilden Tieren durch, und der Tag graute schon, als Basuli zum vierzigsten Male erzählte, wie er mit einer Handvoll seiner Krieger dem Kampf um die Goldbarren gefolgt war, den Abed Moraks Abessinier gegen die arabischen Räuber Achmed Zeks bestanden hatten, wie die Sieger davongeritten waren und wie sie dann verstohlen aus dem Riedgrase am Flußufer hervorgeschlichen waren und sich mit den kostbaren Barren davongemacht hatten, um sie da zu verbergen, wo sie kein Räuberauge wiederfinden konnte.

Wenn man die Bruchstücke ihrer verschiedenen mit dem Belgier gemachten Erfahrungen zusammensetzte, dann wurde die Wahrheit über Albert Werpers gewissenlose Handlungsweise ganz augenscheinlich.

*

Monate waren vergangen. Die Arbeitsfreudigkeit der Waziri und das Gold von Opar hatten die verwüstete Heimat der Greystokes wiederaufgebaut und neu ausgestattet. Das einfache Leben auf der afrikanischen Farm verlief wieder so gleichmäßig, wie es vor dem Auftauchen des Belgiers und der Araber gewesen war. Die Kümmernisse und Gefahren der kürzlichen Vergangenheit waren vergessen.

Zum ersten Male seit Monaten hatte Lord Greystoke das Gefühl, einen Feiertag genießen zu können. So wurde denn ein großer Jagdzug angesetzt, um die treuen Arbeiter durch ein Fest für die Fertigstellung ihres Werkes zu belohnen.

Schon die Jagd an und für sich war ein Erfolg, und zehn Tage nach ihrem Beginn machte sich die mit vieler Beute beladene Jagdkarawane auf den Rückweg nach der Waziriebene. Lord und Lady Greystoke ritten zusammen mit Basuli und Mugambi an der Spitze des Zuges und lachten und plauderten miteinander in jener freimütigen Vertrautheit, die gemeinsame Interessen und gegenseitige Achtung zwischen ehrenhaften und intelligenten Menschen jeder Rasse schaffen.

Janes Roß scheute plötzlich vor einem an einer offenen Stelle der Dschungel halb im hohen Grase verborgenen Gegenstand. Tarzans scharfe Augen suchten alsbald nach der Erklärung.

Was haben wir denn hier, rief er und schwang sich aus dem Sattel. Einen Augenblick später umstanden die vier einen Menschenschädel und ein Häufchen gebleichter menschlicher Gebeine.

Tarzan bückte sich und zog eine lederne Tasche neben den Überbleibseln eines Menschen hervor. Die hart anzufühlenden Körper des Inhalts brachten einen Ausruf der Überraschung auf seine Lippen.

Die Edelsteine von Opar! rief er, die Tasche hochhaltend, und – er deutete auf die Gebeine zu seinen Füßen: alles, was von dem Belgier Werper übrig ist.

Mugambi lachte nur. Sieh einmal hinein, Bwana, rief er, dann wirst du finden, was diese Edelsteine von Opar sind – da kannst du sehen, wofür der Belgier sein Leben gelassen hat. Damit lachte der Schwarze wieder laut.

Weshalb lachst du? fragte Tarzan.

Weil ich des Belgiers Tasche mit Flußkieseln füllte, erwiderte Mugambi, ehe ich aus dem Abessinierlager, wo wir Gefangene waren, entwischte. Ich ließ dem Belgier nur wertlose Steine, während ich die Edelsteine, die er dir gestohlen hatte, mit fortnahm. Ich muß zu meiner Schande und zu meinem Kummer gestehen, daß ich sie mir später, als ich in der Dschungel schlief, stehlen ließ. Aber wenigstens waren sie für den Belgier auch verloren – öffne die Tasche, dann wirst du es sehen.

Tarzan zog die Schlinge auf, die die Öffnung des Ledersäckchens zusammenhielt, und ließ sich den Inhalt langsam in die hohle Hand rollen. Bei dem sich bietenden Anblick bekam Mugambi große Augen und die anderen stießen Rufe der Überraschung und des ungläubigen Staunens aus, denn aus der verschimmelten, verwitterten Tasche rann ein Strom leuchtender, funkelnder Steine.

Die Edelsteine von Opar! rief Tarzan. Aber wie kam denn Werper wieder in ihren Besitz?

Niemand konnte darauf Antwort geben, denn Chulk sowohl wie Werper waren tot, und keiner weiter wußte darüber Bescheid.

Armer Teufel! sagte der Affenmensch, als er sich wieder in den Sattel schwang. Wenigstens im Tode hat er sie noch zurückerstattet – mögen seine Missetaten mit seinen Gebeinen bestattet sein.

 

*

 


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