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Belgier und Araber

Nur dem guten Namen, welchen er entehrte, hatte es Leutnant Albert Werper zu verdanken, daß er nicht schimpflich aus dem Dienste gestoßen wurde. Als man ihn nach dem gottverlassenen Posten am Kongo versetzt hatte, statt ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen, wie er es eigentlich verdient gehabt hätte, war er in seiner damaligen, geknickten Stimmung dafür dankbar gewesen. Aber sechs Monate der Langeweile in der furchtbaren Einöde und Verlassenheit hatten seine Gefühle geändert.

Der junge Mensch brütete beständig über seinem Geschick. Daß er die Tage mit krankhaftem Beklagen seines Loses hinbrachte, schuf allmählich in seinem charakterschwachen Gehirne Haß gegen eben die Leute, welche ihn hergesandt hatten, obgleich er ihnen erst innerlich so dankbar gewesen war, daß sie ihn vor schimpflicher Degradierung gerettet hatten.

Er beklagte den Verlust seines lustigen Brüsseler Lebens, aber nie die Verfehlungen, welche ihn aus jener lebensfrohesten aller Großstädte hinweggerissen hatten, und mit der Zeit faßte er sogar einen immer wachsenden Haß gegen den im Kongo anwesenden Vertreter jener Behörde, die ihn verbannt hatte – gegen seinen nächsten Vorgesetzten, den Hauptmann.

Besagter Offizier war ein kalter, schweigsamer Mensch, der seinen unmittelbaren Untergebenen wenig Zuneigung einflößte, obgleich ihn die schwarzen Soldaten seines kleinen Kommandos verehrten, wenn auch fürchteten.

Wenn die beiden auf der Veranda ihres gemeinsamen Quartiers saßen, stierte Werper gewöhnlich stundenlang seinen Vorgesetzten an, während sie ihre Zigaretten rauchten, ohne daß einer von beiden Lust zu haben schien, das Schweigen zu brechen.

Der sinnlose Haß des Leutnants wuchs sich endlich zu einer Art Verfolgungswahn aus. Des Hauptmanns angeborene Schweigsamkeit wurde in Werpers Empfinden zum gesuchten Bestreben, ihn wegen seiner vergangenen Entgleisung zu demütigen. Er bildete sich ein, daß ihn sein Vorgesetzter verachte und stachelte sich selbst innerlich so lange auf, bis seine Narrheit eines Abends plötzlich mordlustig wurde.

Seine Finger suchten den Griff des Revolvers in der Hüftentasche, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und schließlich sprang er auf und schrie:

Jetzt haben Sie mich die längste Zeit beleidigt! Ich bin ein Ehrenmann und lasse mir das nicht länger gefallen, ohne Rechenschaft zu fordern! Du verdammter Kerl!! Der Hauptmann drehte sich überrascht nach seinem Leutnant um. Da er schon öfter Leute mit dem Tropenkoller gesehen hatte – eine Gehirnerkrankung, welche durch Einsamkeit, langes Grübeln, vielleicht auch durch Fieberanfälle entsteht – erhob er sich, wollte dem anderen beruhigend die Hand auf die Schulter legen und ihm gütlich zureden, aber er kam nicht mehr dazu. Werper legte die Bewegung seines Vorgesetzten als Versuch aus, ihn anzufassen. Er zielte mit dem Revolver nach des Hauptmanns Herz und, als dieser einen Schritt machte, drückte er ab.

Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Getroffene auf die rohen Dielen der Veranda und mit seinem Fall verzog sich der Nebel, welcher das Gehirn des unglücklichen Werper umhüllt hatte. Er sah, was er angerichtet hatte, und sah seine Tat im gleichen Lichte, in dem sie seinen künftigen Richtern erscheinen mußte.

Aus der Unterkunft der Mannschaften vernahm er erregte Rufe und hörte, wie Leute auf ihn zurannten. Sie würden ihn ergreifen, und selbst wenn sie ihn nicht gleich umbrachten, würden sie ihn den Kongo hinunterbringen, wo das Kriegsgericht das ebenso gründlich, wenn auch etwas formgerechter besorgen würde.

Werper hatte keine Lust zu sterben. Nie hatte er sich so nach dem Leben gesehnt als jetzt, da er das seine gründlich verwirkt hatte.

Die Leute kamen gelaufen. Was tun? Er sah sich nach irgendeiner Tatsache um, die sein Verbrechen berechtigt erscheinen lassen könnte, aber er sah nur die Leiche des grundlos erschossenen Mannes.

Verzweifelt vor den herannahenden Soldaten fliehend, rannte er quer über das Kampong, das Wohnlager, immer noch mit dem Revolver in der Hand, aber der Wachtposten am Tore rief ihn an. Werper hielt sich nicht mit Reden auf, noch wartete er ab, ob ihm sein Dienstgrad vorbeihelfen würde; er hob die Waffe und schoß den armen Schwarzen nieder. In einem Augenblick riß er Gewehr und Patronengurt des getöteten Wachtpostens an sich, stieß das Tor auf und verschwand in der finsteren Dschungel.

Werper floh die ganze Nacht, weiter, immer weiter in das Herz der Wildnis. Dann und wann brachte ihn das Brüllen eines Löwen zu einem kurzen Lauschen; aber er fürchtete die menschlichen Verfolger mehr als die Raubtiere vor sich und mit schußbereit gehaltenem Gewehr hetzte er wieder vorwärts.

Die Dämmerung kam herauf, aber immer noch quälte sich der Mann fürbaß. Die Angst vor Festnahme verscheuchte Hunger und Müdigkeit. Er konnte nur an Flucht denken. Ehe er nicht vor weiterer Verfolgung sicher war, wagte er nicht zum Ruhen oder zum Essen zu rasten, und so stolperte er vorwärts, bis er endlich fiel und das Aufstehen vergaß. Er wußte nicht, wie weit er gekommen war und machte sich keine Gedanken mehr darüber. Eine Ohnmacht infolge äußerster Erschöpfung verbarg ihm die Erkenntnis, daß er am Ende seiner Kräfte und seiner Flucht angelangt sei.

So fand ihn der Araber Achmed Zek. Achmeds Leute waren dafür, ihrem Erbfeind einfach einen Speer durch den Leib zu rennen, aber er hatte andere Gedanken. Er wünschte den Belgier zu befragen, und es war leichter, den Mann erst auszufragen und dann zu töten als umgekehrt.

Er ließ daher den Leutnant Albert Werper in sein eigenes Zelt bringen, wo seine Sklaven dem Gefangenen so lange Palmwein und feste Nahrung in kleinen Mengen eingaben, bis er wieder zu sich kam. Als er endlich die Augen aufschlug, sah er schwarze Gesichter um sich und einen Araber im Zelteingang stehen, aber nirgends war eine Uniform seiner Soldaten.

Der Araber drehte sich um und trat ins Zelt, als er in die geöffneten Augen des Gefangenen blickte:

Ich bin Achmed Zek, belehrte er ihn. Wer bist du und was bringt dich in mein Gebiet? Wo sind deine Soldaten?

Achmed Zek! Werper riß die Augen weit auf und fühlte seinen Mut sinken. Er war in den Krallen des berüchtigten Banditen, welcher alle Europäer und besonders solche in belgischer Uniform haßte. Seit Jahren führte die Militärmacht von Belgisch-Kongo einen erfolglosen Krieg gegen diesen Mann und seine Spießgesellen, einen Krieg, in welchem von keiner Seite Pardon gegeben oder auch nur um Gnade gebeten wurde.

Und doch, gerade in dem Haß dieses Mannes gegen alles, was belgisch war, erblickte Werper für sich einen Hoffnungsschimmer. Auch er war ja ein Ausgestoßener, ein Verbrecher. Insoweit wenigstens hatten sie gemeinsame Interessen, und Werper war sofort entschlossen, diese Tatsache bis zum Äußersten auszunützen.

Ich habe von dir gehört, erwiderte er, und ich suchte nach dir. Meine Landsleute haben sich wider mich gekehrt. Ich hasse sie. Eben jetzt suchen ihre Soldaten nach mir, um mich zu töten. Ich weiß, daß du mich vor ihnen schützen wirst, denn auch du hassest sie. Ich bin ein tüchtiger Soldat, ich weiß zu kämpfen und deine Feinde seien meine Feinde!

Achmed Zek betrachtete schweigend den Europäer. Er überlegte hin und her und war im Inneren überzeugt, daß dieser Ungläubige log. Immerhin war es möglich, daß er doch nicht log, und wenn er wirklich die Wahrheit gesprochen hatte, war sein Vorschlag wohl der Betrachtung wert, denn streitbare Männer konnte man nie genug bekommen, besonders nicht Weiße mit der Schulung und Erfahrung, welche ein europäischer Offizier in militärischer Beziehung notwendig besitzt.

Achmed Zek machte ein finsteres Gesicht, und Werper bekam es bereits mit der Angst zu tun. Aber er kannte eben Achmed Zek nicht, der immer da, wo andere Leute lächelten, finster blickte und da lächelte, wo andere mit Blicken drohten.

Wenn du mich belogen hast, sagte er, kann ich dich jederzeit töten. Welchen weiteren Lohn außer deinem Leben verlangst du für deine Dienste?

Vorerst nur deinen Schutz, erwiderte Werper. Später, wenn ich dir mehr wert bin, können wir wieder darüber reden. Werper hatte ja im Augenblick nur den Wunsch, sein Leben zu retten. So einigten sie sich zunächst, und Leutnant Albert Werper ward Mitglied einer Bande von Elfenbein- und Sklavenjägern unter dem berüchtigten Achmed Zek.

Monate ritt der abtrünnige Belgier mit den wilden Kerlen. Er focht mit wilder Hingabe. Achmed Zek überwachte seinen Rekruten mit Adleraugen und sich steigernder Genugtuung, die schließlich in höherem Vertrauen zum Ausdruck kam und dahin führte, daß Werper größere Handlungsfreiheit bekam.

Achmed Zek zog den Belgier in hohem Maße in sein Vertrauen und enthüllte ihm endlich einen lange gehegten Lieblingsplan, zu dessen Ausführung sich aber nie eine Gelegenheit geboten hatte. Mit Hilfe eines Weißen würde sich die Sache indessen leicht ermöglichen lassen. Nun fühlte er bei Werper vor:

Hast du von einem Manne gehört, den die Leute Tarzan nennen? fragte er.

Werper nickte. Ich hörte von ihm, aber ich kenne ihn nicht.

Wenn er nicht wäre, begann der Araber wieder, könnten wir unser »Geschäft« in Sicherheit und mit hohem Gewinn betreiben. Aber er bekämpft uns seit Jahren, vertreibt uns aus den besten Landstrichen, beunruhigt uns und bewaffnet die Eingeborenen, damit sie uns zurückschlagen können, wenn wir in unseren »Geschäften« kommen. Nun ist er sehr reich. Könnten wir ihn daher irgendwie zwingen, uns viele Goldstücke zu zahlen, so würden wir uns nicht allein an ihm rächen, wir würden uns auch an ihm für alles das bezahlt machen, was wir an den Schwarzen unter seinem Schutze nicht verdienen konnten.

Werper nahm eine Zigarette aus seiner brillantengeschmückten Dose und zündete sie an.

Hast du einen Plan, der ihn zum Zahlen bringt? fragte er.

Er hat ein Weib, erwiderte Achmed Zek. Die Leute sagen, sie sei sehr schön. Weiter droben im Norden würde sie uns ein schönes Stück Geld bringen, falls es zu schwierig ist, von diesem Tarzan Lösegeld zu erhalten.

Werper ließ gedankenvoll den Kopf sinken, während Achmed Zek vor ihm stand und auf seine Entgegnung wartete. Das Gute, welches noch in Albert Werper geblieben war, empörte sich bei dem Gedanken, eine weiße Frau in die Sklaverei und Entwürdigung eines moslemitischen Harems zu verschachern. Aber als er aufsah und in die zusammengekniffenen Augen des Arabers blickte, da wußte er, daß der andere seine Abneigung gegen diesen Plan herausfühlte. Was hatte er, Werper, davon, wenn er sich weigerte? Sein Leben hatte dieser Halbwilde in der Hand, dem stand das Leben eines Ungläubigen kaum so hoch wie das eines Hundes. Und Werper hing am Leben. Was galt ihm überhaupt dieses Weib! Als Weiße war sie zweifellos ein Mitglied der zivilisierten Gesellschaft, er aber war ein Ausgestoßener. Jedes Weißen Hand war gegen ihn erhoben. Sie war also seine natürliche Feindin. Wenn er sich weigerte, die Hand zu ihrer Entführung zu bieten, würde ihn Achmed Zek einfach töten lassen.

Du zögerst, murmelte der Araber.

Ich erwog nur die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges, log Werper. Und meine Belohnung? Ich als Europäer kann leicht Zutritt zu ihrem Heim finden und Einblick in ihre Lebensgewohnheiten bekommen. Du hast keinen anderen, der so viel tun kann. Aber das Wagnis ist groß. Ich müßte also gut bezahlt werden, Achmed Zek!

Ein beruhigtes Lächeln glitt über das Gesicht des Räubers.

Wohl gesprochen, Werper, sagte Achmed Zek und klopfte seinem Leutnant auf die Schulter. Du verdienst gute Bezahlung und du sollst sie haben. Komm, lasse uns zusammen einen Plan entwerfen, wie wir das Unternehmen am besten durchführen.

Die ganze Nacht hockten die zwei Männer miteinander in leiser Unterhaltung in Achmeds verschossenem, einst so prächtigem Seidenzelt. Sie waren beide groß und bärtig, und Sonne und Wind hatten dem Gesicht des Europäers ein fast arabisches Aussehen verliehen. Da dieser außerdem bis ins kleinste in der Bekleidung die Tracht seines Führers nachahmte, war er äußerlich ein ebenso echter Araber wie der andere. Als er sich endlich erhob, um in sein Zelt zu gehen, war es spät geworden.

Werper sah den ganzen folgenden Tag seine alte belgische Uniform nach und entfernte jede Kleinigkeit an ihr, welche die frühere militärische Bestimmung hätte verraten können.

Achmed Zek seinerseits suchte unter einem kunterbunten Haufen von Beute einen Korkhelm und einen europäischen Sattel heraus. Dann stellte er aus einigen seiner schwarzen Sklaven und Gefolgsmannen eine Abteilung von Trägern, Asakern und Dienern auf, so daß sie eine bescheidene Safari wie für einen Jagdzug auf schweres Hochwild bildete. An der Spitze dieser Jagdtruppe brach Werper aus dem Lager auf.


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