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Der Edelsteinhort von Opar

Auf dem Boden der Schatzkammer unter den Ruinen von Opar lag Tarzan lange Zeit auf demselben Fleck, auf welchen er hingestürzt war. Er lag wie tot, aber er war es nicht. Endlich regte er sich. Er öffnete die Augen und fand sich im Dunkel. Er faßte sich am Kopf und hatte klebriges, geronnenes Blut an der Hand. Er beroch seine Finger, wie ein wildes Tier das warme fließende Blut an einer verletzten Pfote beschnüffelt hätte.

Er erhob sich langsam in sitzende Stellung und lauschte. Kein Laut drang in die verschütteten Tiefen seines Grabes. Er raffte sich wankend auf die Füße und tastete sich an den Stapeln der Barren entlang. Wo war er? Der Kopf schmerzte ihm, aber sonst fühlte er weiter keine üblen Folgen des Schlages, welcher ihn gefällt hatte. An den Unfall selbst konnte er sich nicht mehr erinnern, wie ihm denn überhaupt die Erinnerung für alles, was dazu geführt hatte, völlig geschwunden war.

Seine Hände tasteten über seine Glieder, seinen Rumpf und den Kopf wie über etwas Fremdes. Er befühlte den Köcher auf dem Rücken, das Messer im Lendentuch. Irgend etwas in seinem Gehirn wollte sich eine Erinnerung erzwingen. Ah! Er hatte es. Er kroch über den Boden hin und fühlte mit der Hand nach dem Ding, dessen Fehlen ihm instinktiv bewußt war. Zuletzt fand er es – es war sein schwerer Kriegsspeer, welcher in den letzten Jahren eine so wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hatte, daß er fast ein Stück von ihm bildete, so unzertrennlich war er bei jeder Tat mit ihm verwachsen, seit er in längstvergangenen Tagen seinen ersten Speer einem seiner Gewandtheit zum Opfer gefallenen Schwarzen entriß.

Für Tarzan war es sicher, daß noch eine andere Welt vorhanden sein mußte außer dieser einen dunklen zwischen vier Steinwänden. Er setzte seine Suche fort und entdeckte schließlich den Gang nach der Stadt und dem Tempel. Er verfolgte diesen Weg ohne jede Vorsicht, kam an die steinernen Stufen, welche zu dem oberen Gang führten, erstieg sie und ging nach dem Brunnen weiter.

Nichts stachelte seine Erinnerung an frühere Vertrautheit mit der Umgebung an. Er tappte so gedankenlos durch die Finsternis, als ob er eine Ebene unter dem Glanz der Mittagssonne durchstreifte, und so geschah plötzlich, was unter solchen Umständen kommen mußte. Er erreichte den Rand des Brunnens, trat ins Leere, fiel vornüber und schoß in die dunkle Tiefe hinab. Mit dem Speer in der Hand schlug er auf das Wasser auf und versank tief.

Vom Fall unverletzt, tauchte er wieder zur Oberfläche empor, schüttelte sich das Wasser aus den Augen und fand, daß er sehen konnte. Von der Öffnung weit droben über seinem Haupte drang Tageslicht in den Brunnen und erhellte schwach die Wände. Tarzan schaute um sich. In Höhe des Wasserspiegels sah er in der feuchten, algenbezogenen Wand eine weite Öffnung. Er schwamm dorthin und zog sich auf den nassen Rand eines Tunnels heraus.

Er folgte diesem Tunnel, aber jetzt ging er ganz langsam, denn der Affentarzan begann wieder zu lernen. Der unerwartete Abgrund hatte ihn Vorsicht bei Begehung dunkler Stollen gelehrt – einer zweiten Lektion bedurfte er nicht.

Für eine lange Zeit verlief der Gang gerade wie ein Pfeil. Der Boden war schlüpfrig, weil wohl gelegentlich das Wasser des Brunnens übertrat und hier durch abfloß. Schon dies allein verzögerte Tarzans Schritte, denn er konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten.

Der Gang endete wieder am Fuße einer Treppe, die Tarzan hinaufstieg. Sie machte viele Windungen, bis sie ihn endlich in eine kleine, kreisrunde Kammer brachte, deren Düster durch schwaches Licht gebrochen wurde, das ein röhrenförmiger Schacht einließ. Dieser hatte mehrere Fuß im Durchmesser, stieg auf hundert Fuß oder mehr in die Höhe und endete in einem Steingitter, durch das Tarzan blauen, sonnenhellen Himmel erblickte.

Neugierde trieb den Affenmenschen zur Untersuchung seiner Umgebung. Der ganze Inhalt des Raumes bestand aus einigen metallbeschlagenen Kisten mit kupfernen Nägeln. Tarzan tastete mit den Händen darüber; er befühlte die Nägel, zog an den Scharnieren und hob schließlich zufällig an einer den Deckel.

Ein Ausruf des Entzückens brach über seine Lippen, als er den hübschen Inhalt sah. Glänzend und gleißend im Halbdunkel der Kammer stand da eine große Truhe voll leuchtender Steine. Tarzan hatte keinen Begriff vom fabelhaften Wert seines Fundes, weil er durch seinen Unfall im Denken wieder auf den Urzustand zurückgeworfen war. Für ihn waren es nur wertlose Kiesel. Er tauchte mit der Hand tief hinein und ließ sich die unbezahlbaren Juwelen durch die Finger laufen. Er untersuchte die übrigen Kisten und fand abermals große Mengen wertvoller Steine. Fast alle waren bereits geschliffen. Er suchte eine Handvoll heraus und füllte die Tasche an seiner Seite damit – die ungeschliffenen warf er in ihre Kisten zurück.

Ohne eine Ahnung davon zu haben, war der Affenmensch in den vergessenen Edelsteinort von Opar geraten. Seit Jahrtausenden hatte dieser unter dem Tempel des Feuergottes begraben gelegen, denn keiner der abergläubischen Nachkommen jener alten Sonnenanbeter hatte es gewagt oder auch nur Lust gehabt, die vielen, dunklen Gänge zu betreten.

Tarzan wurde zuletzt der Unterhaltung mit den Steinen müde und suchte weiter seinen Weg aus dem Juwelenraum, von wo ihn ein Gang mit scharfer Steigung aufwärts führte. In Windungen und Kurven, aber immer steigend, ging der Tunnel mehr und mehr an die Erdoberfläche und endete schließlich in einem flachen Gewölbe.

Über ihm am Ende einer Flucht von Stufen enthüllte eine Öffnung ein von der Sonne strahlend beleuchtetes Bild. Tarzan erblickte die weinumrankten Säulen mit stiller Bewunderung. Er zermarterte sein Gehirn in der Bemühung, sich an etwas Ähnliches zu erinnern. Er war seiner selbst nicht sicher und hatte das quälende Gefühl, daß ihm etwas entging, daß er viele Dinge hätte kennen sollen, von denen er eben nichts wußte.

Ein donnerndes Brüllen aus der Öffnung über ihm unterbrach plötzlich sein ernstes Nachdenken. Nach dem Brüllen hörte er Rufe und Schreie von Männern und Weibern. Tarzan packte seinen Speer fester und stieg hinauf. Als er aus dem Halbdunkel des Kellers in die helle Beleuchtung des Tempels kam, bot sich ein merkwürdiger Anblick seinen Augen.

Er erkannte die Geschöpfe vor sich wohl als das, was sie waren: Männer, Frauen und ein riesiger Löwe. Die Männer und die Weiber hasteten nach den rettenden Ausgängen, während der Löwe mitten im Tempel stand über dem Körper des einen, welcher weniger Glück gehabt hatte als die anderen. Gerade vor Tarzan stand ein Weib neben einem Steinwürfel, auf dessen Fläche ein Mann ausgestreckt lag. Tarzan überschaute die ganze Szene und sah, wie der Löwe seinen schrecklichen Blick auf die zwei im Tempel Verbliebenen richtete. Ein neues Brüllen brach aus dem wilden Rachen, das Weib schrie auf und fiel bewußtlos über den Körper des Mannes auf dem steinernen Altar.

Der Löwe kroch einige Schritte vor und kauerte sich nieder, während die Spitze seines geschmeidigen Schweifes nervös zuckte. Als er eben anspringen wollte, trafen seine Blicke den Affenmenschen.

Der hilflos auf dem Altar liegende Werper sah, wie sich das große Raubtier zum Sprunge anschickte, dann sah er, wie die Augen des Tieres nach irgend etwas auf der anderen Seite des Altars wanderten, wohin er nicht sehen konnte, und wie sich der gewaltige Körper zum Stehen aufrichtete. Eine Gestalt schoß an Werper vorbei, ein mächtiger Arm fuhr in die Höhe und ein starker Speer begrub sich in der breiten Brust des Löwen.

Der Löwe schnappte und schlug nach dem Schaft der Waffe, als – Wunder über Wunder – der nackte Riese, welcher den Speer geschleudert hatte, nur mit einem Messer bewaffnet das große, mit fürchterlichen Fängen und Pranken bewehrte Raubtier angriff.

Der Löwe wich etwas zurück, ehe er dem neuen Feind begegnete und knurrte fürchterlich, da hörten die angstvoll lauschenden Ohren des Belgiers, wie ein ganz ähnliches, wildes Knurren über die Lippen des Menschen brach, als er auf das Tier losschnellte.

Mit einem blitzschnellen Seitensprung vermied Tarzan den ersten fegenden Schlag der Löwentatze. Er schoß an die Seite des Löwen und sprang auf den lohfarbenen Rücken. Seine Arme umklammerten den mächtigen Nacken, seine Zähne gruben sich tief in das Fleisch der Bestie. Brüllend, springend, rollend und zappelnd suchte die Riesenkatze ihren grimmigen Gegner loszuwerden, während immer wieder eine große, braune Faust ihr ein langes, scharfes Messer in die Seite trieb.

La kam während des Kampfes wieder zu sich. Wie verzaubert stand sie und beobachtete das Schauspiel. Es schien unglaublich, daß ein Mensch dem König der Tiere im Einzelkampfe standhalten konnte und doch ereignete sich das Unwahrscheinliche gerade vor ihren Augen.

Endlich fand Tarzans Messer den Weg zu dem Herz und mit einem letzten krampfhaften Zucken rollte der Löwe tot über den Marmorboden. Der Sieger erhob sich, setzte einen Fuß auf den erlegten Körper, hob das Antlitz zum Himmel und stieß einen so fürchterlichen, weit durch den Tempel hallenden Ruf aus, daß La und Werper zitterten.

Dann drehte sich der Affenmensch um und Werper erkannte den Mann, welchen er für tot im Schatzraum hatte liegen lassen.


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