Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der abessinische Jagdtrupp

Sobald Werper die Attrappe in seinem Bett zurechtgemacht hatte, schlich er sich unter der Rückwand seines Zeltes durch in das dunkle Lager hinaus und begab sich geradewegs zu der Hütte, in der Jane gefangengehalten wurde.

Vor der Tür hockte ein schwarzer Wachtposten. Werper näherte sich ihm kühn, sagte ihm ein paar Worte ins Ohr, gab ihm ein Päckchen Tabak und betrat die Hütte. Der Neger grinste und blinzelte, als der Europäer im Dunkel des Inneren verschwand.

Der Belgier konnte sich natürlich, als einer der vornehmlichsten von Achmed Zeks Leutnants, in oder außer dem Dorfe bewegen, wie er wollte, deshalb zog der Wachtposten sein Recht, die Hütte der weißen Gefangenen zu betreten, gar nicht in Frage.

Als Werper sich in der Hütte befand, flüsterte er leise auf französisch: Lady Greystoke! Ich bin es, Monsieur Frecoult. Wo stecken Sie? Aber er bekam keine Antwort. Der Mann fühlte hastig herum, tappte blindlings mit ausgestreckten Händen durch die Finsternis. Es war niemand im Raume!

Werpers Erstaunen wuchs ins Unbeschreibliche. Er war schon drauf und dran, hinauszugehen und die Schildwache zu befragen, als seine sich an die Dunkelheit gewöhnenden Augen in der Hinterwand der Hütte nahe dem Boden einen etwas weniger dunklen Fleck bemerkten. Nähere Prüfung ergab die Tatsache, daß der Fleck eine in die Wand gebrochene Öffnung war. Sie war groß genug, um einen Körper durchzulassen. Überzeugt, wie er war, daß Lady Greystoke durch diese Öffnung einen Fluchtversuch aus dem Dorfe unternommen hatte, verlor er keine Zeit, um denselben Weg zu benützen. Er gab sich auch nicht weiter mit einer nutzlosen Nachsuche nach Jane Clayton ab.

Sein eigenes Leben hing davon ab, wieweit er Achmed Zek täuschen und ihm zuvorkommen konnte, wenn dieser Würdige erst einmal entdeckt hatte, daß er entkommen war. Sein ursprünglicher Plan hatte die Befreiung der Lady Greystoke aus zwei sehr triftigen Gründen in sich geschlossen. Der erste Grund war, daß er durch ihre Befreiung sich die Dankbarkeit der Engländer sichern konnte und damit die Möglichkeit seiner Auslieferung verringerte, für den Fall, daß seine Persönlichkeit festgestellt und das an seinem Vorgesetzten begangene Verbrechen gegen ihn anhängig gemacht wurde.

Der zweite Grund beruhte auf der Tatsache, daß ihm nur noch eine einzige Richtung zur Flucht offenstand. Nach dem Westen konnte er nicht, weil die belgischen Besitzungen zwischen ihm und dem Atlantischen Ozean lagen. Der Süden war ihm durch die gefürchtete Anwesenheit des grimmen, von ihm bestohlenen Affenmenschen versperrt. Im Norden befanden sich die Freunde und Verbündeten von Achmed Zek. Nur der Weg nach Osten, durch Britisch-Ostafrika, bot eine sichere Aussicht auf Freiheit.

Wenn er von einer vornehmen englischen Dame begleitet kam, die er vor einem schrecklichen Geschick gerettet hatte und die ihn als Franzosen namens Frecoult ausweisen würde, konnte er nicht ohne Grund auf tätige Hilfe der englischen Behörden rechnen, sobald er mit ihren ersten Außenposten in Berührung kam.

Aber nun, da Lady Greystoke verschwunden war, sah er zwar immer noch seine Hoffnung im Osten liegen, aber seine Aussichten auf Rettung hatten sich verringert, und eine andere Nebenabsicht, die er gehegt hatte, fiel völlig in sich zusammen. Vom ersten Augenblick an, seit er Jane gesehen hatte, hatte er eine heimliche Leidenschaft für die schöne amerikanische Gattin des englischen Lords empfunden, und als Achmed Zeks Entdeckung der Edelsteine eine Flucht nötig gemacht, hatte, träumte der Belgier in seinen Plänen von einer Zukunft, in der er Lady Greystoke davon überzeugen konnte, daß ihr Gatte tot sei, und in der er sie durch Anspruch auf ihre Dankbarkeit für sich gewinnen konnte.

Auf der den Toren des Dorfes entgegengesetzten Seite bemerkte Werper zwei oder drei lange Stangen, die von einem nahen Haufen, den man zum Bau von Hütten zurechtgelegt hatte, weggenommen und gegen die Zinnen der Palisade gelegt waren, so daß ein zwar schwieriger, aber nicht unmöglicher Weg zur Flucht geschaffen war.

Er schloß ganz richtig daraus, daß Lady Greystoke auf diese Weise ein Mittel zur Ersteigung der Palisade gefunden hatte, und verlor keinen Augenblick, ihrer Führung zu folgen. Sobald er in der Dschungel war, nahm er seinen Weg in östlicher Richtung auf. Einige Meilen südlich davon lag Jane keuchend auf den Ästen eines Baumes, auf den sie sich vor einer jagenden hungrigen Löwin geflüchtet hatte. Ihr Entkommen aus dem Dorfe war viel leichter gegangen, als sie sich gedacht hatte. Das Messer, mit welchem sie durch die aus Buschwerk gebaute Wand ihres Gefängnisses einen Weg zur Freiheit geschnitten hatte, hatte sie in der Wand der Hütte steckend gefunden. Zweifellos hatte es der frühere Bewohner der Hütte versehentlich zurückgelassen, als er aus ihr auszog.

Es hatte für sie nur einiger Minuten bedurft, um, sich stets im Schatten haltend, an der Rückseite des Dorfes vorbeizukommen, und der glückliche Umstand, daß sie die Balken für eine Hütte in nächster Nähe der Palisade fand, hatte für sie die Aufgabe gelöst, über die hohe Wand zu kommen.

Eine Stunde weit folgte sie der alten Wildspur nach Süden, bis ihr scharfes Gehör die verstohlenen Tritte eines sie von rückwärts beschleichenden Raubtiers vernahm. Der nächste Baum gab ihr sofortige Sicherheit, denn sie war viel zu erfahren im Dschungelleben, um ihre Sicherheit auch nur noch einen Augenblick auf das Spiel zu setzen, sobald sie merkte, daß sie gejagt wurde.

Werper hatte mit besserem Erfolge langsam seinen Weg bis Tagesanbruch verfolgt, als er zu seiner Bestürzung einen berittenen Araber auf seiner Spur fand. Es war einer von Achmed Zeks Häschern, die in großer Zahl nach allen Richtungen den Wald durchstreiften, um den flüchtigen Belgier zu suchen.

Als Achmed Zek und seine Spitzbuben aufbrachen, um Werper wieder einzuholen, war Janes Entkommen noch nicht entdeckt. Der einzige Mensch, der Werper nach Verlassen seines Zeltes noch gesehen hatte, war der schwarze Wachtposten vor dem Eingang der Hütte, in der Lady Greystoke gefangengehalten wurde, und dieser wurde durch die Entdeckung der Leiche des Mannes, der ihn abgelöst hatte – des Wachtpostens, den Mugambi in die andere Welt befördert hatte – zum Schweigen gebracht.

Der Empfänger der Bestechung nahm natürlich an, daß Werper seinen Kameraden erschlagen hatte, wagte aber aus Furcht vor Achmed Zeks Zorn nicht, einzugestehen, daß er ihn hatte die Hütte betreten lassen. Da nun das Geschick wollte, daß er der einzige war, der den Körper des Wachtpostens sah, nachdem der erste Alarm gegeben war, sobald Achmed feststellte, daß ihn Werper diesmal überlistet hatte, schleppte der schlaue Schwarze die Leiche ins Innere eines nahen Zeltes und nahm selbst wieder den Posten vor dem Hütteneingang ein, denn er war immer noch des Glaubens, daß das Weib drin sei.

Alsbald nach Erkennung des dicht hinter ihm kommenden Arabers barg sich der Belgier im Blätterwerk eines dichten Busches. An dieser Stelle lief die Fährte eine beträchtliche Strecke geradeaus durch die schattigen Waldeshallen, unter deren bogenartig überhängenden Zweigen die weißgekleidete Gestalt des Verfolgers heranritt.

Näher, immer näher kam er. Werper kauerte sich unter den Blättern seines Verstecks dichter auf den Boden. Auf der anderen Seite der Fährte bewegte sich eine Ranke. Werpers Augen hefteten sich sofort auf diesen Fleck. Es wehte kein Wind, der das Laub tief unten in der Dschungel hätte bewegen können. Wieder rührte es sich in den Ranken. Die Überlegung sagte dem Belgier, daß nur die Anwesenheit einer unheimlichen und übelwollenden Macht diese Erscheinung erklären konnte.

Die Blicke des Mannes bohrten sich starr in den auf der anderen Seite der Fährte hängenden Blättervorhang. Langsam entdeckte er die Umrisse einer Gestalt – einer lohfarbenen, wilden und schrecklichen Gestalt, die aus gelbgrünen Augen furchterweckend über die schmale Fährte herüber gerade in die seinen starrte.

Werper hätte vor Angst schreien mögen, aber ein ebenso sicherer und nicht weniger schrecklicher anderer Todesbote kam die Fährte herunter. Vor Furcht fast gelähmt, verhielt er sich ruhig. Der Araber näherte sich. Jenseits der Fährte, Werper gegenüber, kauerte sich der Löwe zum Sprunge nieder, als der Reiter plötzlich die Aufmerksamkeit des Raubtieres auf sich zog.

Der Belgier sah den massigen Kopf sich dem Räuber zuwenden, und sein Herz hörte fast zu schlagen auf, während er das Ergebnis dieser Zwischenszene abwartete. Der Berittene kam im Schritt näher. Würde das nervöse Tier, das er ritt, vor der Witterung des Raubtiers erschrecken, und davonjagend Werper der Gnade des Königs der Tiere überlassen?

Aber das Pferd schien die drohende Gegenwart der großen Katze nicht zu ahnen. Mit gekrümmtem Hals, in Haltung gehend und auf dem Gebiß zwischen den Zähnen kauend, kam es heran. Der Belgier richtete seine Augen auf den Löwen. Die ganze Aufmerksamkeit der Bestie schien sich nun auf den Reiter zu heften. Pferd und Reiter waren jetzt auf einer Höhe mit dem Löwen, und immer noch sprang dieser nicht an. Wollte er etwa warten, bis sie vorbei waren, um erneut seine Aufmerksamkeit dem ursprünglichen Opfer zuzuwenden? Werper schauderte und erhob sich halb. In diesem Augenblick sprang der Löwe mit voller Wucht aus seinem Versteck auf den Berittenen.

Das Pferd brach mit einem schrillen Schreckenswiehern nach der Seite aus, fast über den Belgier stürzend, und der Löwe riß den hilflosen Araber aus dem Sattel, während das Pferd, wieder zurück auf die Fährte springend, nach Westen davonfloh.

Aber das Pferd floh nicht allein. Als sich das entsetzte Tier zu ihm hinübergedrängt hatte, bemerkte Werper mit Blitzesschnelle den leeren Sattel und die damit gebotene Gelegenheit. Der Löwe hatte den Araber noch nicht völlig aus dem Sattel gerissen, da packte der Belgier schon mit einer Hand in die Mähne, mit der anderen den Sattelknauf und sprang von der entgegengesetzten Seite auf den Pferderücken.

Eine halbe Stunde später schwang sich ein nackter Riese federleicht durch die unteren Äste der Bäume, hielt an und sog mit erhobenem Kopfe und geblähten Nasenflügeln die Morgenluft ein. Ein starker Blutgeruch machte sich ihm bemerkbar und mischte sich dazu mit der Witterung des Löwen Numa. Der Riese neigte das Haupt auf die Seite und lauschte.

Aus allernächster Nähe kam von der Fährte herauf das nicht mißzuverstehende Geräusch, das ein gierig fressender Löwe verursacht. Das Krachen der Knochen, das würgende Schlucken großer Stücke, das zufriedene Knurren, alles bekundete, daß der König in der Nähe tafelte.

Tarzan näherte sich dem Fleck, hielt sich aber immer noch auf den Zweigen der Bäume. Er gab sich dabei keine Mühe, seine Annäherung zu verheimlichen, und bekam alsbald den Beweis, daß ihn Numa gehört hatte, in dem unheildrohenden, donnernden Warnungsknurren, das aus einem Dickicht neben der Fährte kam.

Tarzan blickte von einem niedrigen Zweige gerade über dem Löwen auf die greuliche Szene hinab. Sollte das unkenntlich gewordene Ding da unten etwa der Mensch sein, den er verfolgte? Der Affenmensch wunderte sich. Er war immer von Zeit zu Zeit auf die Fährte herabgestiegen und hatte seine Vermutung, daß der Belgier dieser Fährte nach Osten gefolgt war, durch Nachprüfung der Witterung bestätigt gefunden.

Zunächst begab er sich nun ein Stück über den bei seinem Mahle bleibenden Löwen hinaus, stieg auf den Boden hinab und untersuchte ihn mit der Nase. Aber er fand hier keine Witterung mehr von dem Manne, den er gejagt hatte. Tarzan kehrte wieder zu dem Baume zurück und suchte mit seinen scharfen Augen den Boden um den verstümmelten Körper nach einem Zeichen von seiner vermißten Tasche mit den hübschen Steinen ab. Aber er konnte nichts davon entdecken.

Er schalt Numa und suchte das große Tier fortzutreiben, aber nur ein zorniges Knurren beantwortete seine Bemühungen. Er riß kleine Zweige vom nächsten Ast und schleuderte sie nach seinem Erbfeind. Jetzt sah Numa wohl mit gefletschten Zähnen und tückischem Grinsen von seinem Mahle auf, aber von seiner Beute ging er doch noch nicht weg.

Nun legte Tarzan einen Pfeil auf seinen Bogen, zog den glatten Schaft weit zurück und ließ ihn mit aller Macht des zähen Holzes, das er allein biegen konnte, fliegen. Numa sprang mit einem aus Schmerz und Grimm gemischten Gebrüll auf die Füße, als der Pfeil ihm tief in die Flanke drang. Er versuchte einen nutzlosen Sprung nach dem lachenden Affenmenschen, zerrte an dem herausstehenden Ende des Pfeiles und schritt, auf die Fährte zurücktretend, unter seinem Peiniger hin und her. Jetzt schoß Tarzan erneut einen seiner raschen Pfeile ab. Diesmal saß das mit Sorgfalt gezielte Geschoß im Rückgrat des Löwen. Das große Tier hielt mitten im Schritt an und taumelte gelähmt mit einer ungeschickten Bewegung vornüber auf das Gesicht.

Tarzan sprang auf den Wildpfad hinab, lief an des Tieres Seite und trieb seinen Speer tief in das wilde Herz. Er zog sich erst seine Pfeile wieder heraus, dann wandte er seine Aufmerksamkeit den zermalmten Überresten des vom Löwen zerrissenen Opfers im Dickicht zu.

Das Gesicht fehlte. Die arabischen Kleidungsstücke ließen keinen Zweifel an des Mannes Persönlichkeit zu, denn er hatte ihm bis in das Lager der Araber hinein und wieder aus ihm heraus nachgespürt, und was die Bekleidung betraf, so hatte er sich diese leicht dort beschaffen können. So sicher war Tarzan, daß er die Leiche dessen, der ihn beraubt hatte, vor sich sah, daß er sich gar nicht erst die Mühe machte, aus dem vermischten Geruch des großen Raubtiers und des frischen Blutes von dem Opfer durch Feststellung der Witterung seinen Schluß nachzuprüfen.

Er beschränkte seine Aufmerksamkeit auf eine sorgfältige Durchsuchung nach der Tasche, aber nirgends an der Leiche oder in ihrer Nähe fand er eine Andeutung von dem vermißten Behältnis oder seinem Inhalt. Der Affenmensch war enttäuscht – möglicherweise nicht so sehr durch den Verlust der farbigen Steine als dadurch, daß ihn Numa um die Genugtuung der Rache gebracht hatte.

Der Affenmensch fragte sich verwundert, was wohl aus seinem Eigentum geworden sein mochte und machte sich schließlich wieder die Fährte entlang auf den Weg in der Richtung, aus der er gekommen war. Er dachte sich einen Plan aus, das arabische Lager zu betreten und zu durchsuchen, sobald es dunkel geworden war.

Dann schwang er sich auf die Bäume und bewegte sich auf der Suche nach Wild in südlicher Richtung, um möglichst noch vor Mittag seinen Hunger zu befriedigen und sich dann während des Nachmittags an irgendeinem Fleck ferne von dem Lager, an dem er ohne Furcht vor Entdeckung schlafen konnte, der Ruhe hinzugeben, bis es Zeit wurde, seine Absicht auszuführen.

Er hatte kaum die Wildspur verlassen, als ein großer schwarzer Krieger in unverdrossenem Trabe auf dem Wege nach Osten durchkam. Mugambi war es, der nach seiner Herrin suchte. Bei der Wanderung stieß er auf den Kadaver des toten Löwen und hielt an, um ihn zu untersuchen. Seine Gesichtszüge verrieten Verwirrung, als er sich bückte, um die Wunden zu suchen, die den Tod des Herrn der Dschungel verursacht hatten. Tarzan hatte seine Pfeile wieder herausgezogen, aber für Mugambi war die Todesart so klar, als ob sowohl die leichten Geschosse wie der Speer noch im Körper gesteckt hätten.

Der Schwarze sah sich verstohlen um. Der Körper war noch ganz warm, aus welchem Umstand er schloß, daß der Erleger des Löwen in nächster Nähe sein mußte, aber kein Zeichen verriet die Anwesenheit eines lebenden Menschen. Mugambi schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg auf der Fährte mit verdoppelter Vorsicht fort.

Den ganzen Tag hindurch setzte er seinen Marsch fort und hielt nur gelegentlich an, um das einzige Wort »Lady« zu rufen, weil er hoffte, sie könnte ihn schließlich hören und darauf antworten. Aber zuletzt war diese treue Ergebenheit die Ursache eines Mißgeschicks, das ihn befiel.

Seit mehreren Monaten suchte Abdul Morak, der Führer einer Abteilung abessinischer Soldaten, von Nordwesten aus hartnäckig nach Achmed Zek, weil dieser etwa sechs Monate vorher die Majestät von Abdul Moraks Herrscher dadurch beleidigt hatte, daß er einen Sklavenraubzug innerhalb der Grenzen von Meneliks Reich ausgeführt hatte.

Nun traf es sich, daß Abdul Morak gerade um Mittag an diesem Tage auf derselben Fährte kurze Rast hielt, auf der Werper und Mugambi ihren Weg nach Osten verfolgten.

Kurz nachdem die Soldaten abgestiegen waren, ritt der Belgier auf seinem müden Reittier, ehe er sich dessen versah, mitten unter sie, ohne ihre Anwesenheit vorher entdeckt zu haben. In einem Augenblick war er umringt und vom Pferde gerissen. Er wurde mit einem Regen von Fragen überschüttet und vor den Führer gebracht.

Werper griff auf seine europäische Nationalität zurück, versicherte Abdul Morak, daß er ein auf der Jagd in Innerafrika befindlicher Franzose sei, daß er von Fremden angegriffen worden sei, die seine Safari getötet oder versprengt hätten, während er selbst nur durch ein Wunder entkommen sei.

Aus einer zufälligen Bemerkung Abdul Moraks, des Abessiniers, entnahm Werper den Zweck der Unternehmung, und sobald er festgestellt hatte, daß diese Leute Achmed Zeks Feinde waren, faßte er sich ein Herz und schob sein Unglück auf den Araber.

Da er indessen Furcht davor hatte, wieder in die Hände des Räubers zu fallen, suchte er Abdul Morak vor weiterer Fortsetzung einer Verfolgung abzuhalten, indem er dem Abessinier versicherte, daß Achmed Zek über eine starke und gefährliche Streitmacht verfüge und daß er in eiligen Märschen nach Süden ziehe.

Morak ließ sich überzeugen, daß noch lange Zeit nötig sein werde, um den Räuber einzuholen, und daß die Verhältnisse den Ausgang eines Kampfes sehr fraglich erscheinen ließen. Nicht allzu unwillig gab er daher seinen Plan auf und erteilte als Vorbereitung für den am nächsten Morgen beginnenden Rückmarsch nach Abessinien Befehl, an dem Platz, wo sie sich eben befanden, das Lager aufzuschlagen.

Im Laufe des Spätnachmittags wurde die Aufmerksamkeit der Lagerinsassen durch einen Ruf nach Westen gelenkt. Eine kräftige Stimme rief ein einziges Wort, sie wiederholte es mehrere Male: Lady! Lady! Lady!

Auf Abdul Moraks besondere Anweisung hin schlichen, dem Gebote der Vorsicht getreu, eine Anzahl Abessinier heimlich durch die Dschungel auf den Urheber des Rufes zu.

Eine halbe Stunde danach kamen sie zurück und brachten Mugambi mit sich. Als der riesige Schwarze vor den abessinischen Offizier geschleppt wurde, fielen seine Augen als erstes auf die Person des Monsieur Jules Frecoult, des Franzosen, der bei seinem Herrn zu Gast gewesen war, den er dann aber unter Umständen, die auf gute Bekanntschaft und Freundschaft mit den Räubern hindeutete, hatte Achmed Zeks Dorf betreten sehen.

Da Mugambi sich eigentümliche Gedanken über die Beziehungen machte, die zwischen dem Unglück seines Herrn und dem von dessen Haus sowie dem Franzosen bestanden, hütete er sich wohl, Werpers Aufmerksamkeit auf seine Persönlichkeit zu ziehen. Werper hatte ihn auch nicht im entferntesten wiedererkannt.

Unter der Vorgabe, er sei nur ein harmloser Jäger aus einem weiter im Süden lebenden Stamme, bat Mugambi um die Erlaubnis, seiner Wege gehen zu dürfen. Aber Abdul Morak, der an dem wunderbaren Körperbau des Kriegers Gefallen fand, beschloß, ihn als Geschenk für Menelik nach Addis Abeba mitzunehmen. Einige Augenblicke später beim Abrücken wurden Mugambi und Werper unter Bewachung fortgebracht, und der Belgier stellte zum ersten Male fest, daß auch er sich für seine Person mehr als Gefangenen wie als Gast zu betrachten hatte. Vergebens protestierte er gegen eine solche Behandlung, bis ihn ein stämmiger Soldat auf den Mund schlug und ihm mit Erschießen drohte, wenn er nicht endlich aufhörte.

Mugambi nahm sich die Sache weniger zu Herzen, weil er nicht den geringsten Zweifel hatte, daß sich ihm während des Marsches reichlich Gelegenheit bieten würde, die Wachsamkeit der Wächter zu täuschen und sein Entkommen zu bewerkstelligen. Während er nun diesen herrschenden Gedanken stets im Auge behielt, suchte er den guten Willen der Abessinier zu erlangen, stellte ihnen unzählige Fragen über ihren Herrscher und ihr Land, und bekundete eine stets wachsende Begierde, bald ihren Bestimmungsort zu erreichen, damit er rasch in den Genuß all der schönen Dinge käme, die Addis Abeba, wie man ihm versicherte, bieten sollte. Auf diese Weise entwaffnete er ihr Mißtrauen und fand bald heraus, daß die Wachsamkeit ihm gegenüber von Tag zu Tag nachließ.

Unter Ausnützung des Umstandes, daß er und Werper stets zusammengehalten wurden, suchte Mugambi zu erfahren, was dem anderen vom Verbleib Tarzans, beziehungsweise vom Grund zum Überfall des Bungalows sowie von Lady Greystokes Geschick bekannt war. Aber da er für seine Erkundigung auf gelegentliche Unterhaltung angewiesen war und nicht wagen konnte, Werper über seine Person aufzuklären, während umgekehrt Werper ebenso ängstlich bemüht war, vor der Welt zu verbergen, welchen Anteil er an der Zerstörung von seines Gastgebers Heim und Familienglück hatte, erfuhr Mugambi natürlich nichts – wenigstens nichts auf diesem Wege.

Aber dann kam eine Gelegenheit, bei der er durch Zufall eine höchst überraschende Feststellung machte. Der ganze Trupp hatte frühzeitig am Nachmittag eines schwülen Tages am Ufer eines schönen, klaren Flusses das Lager aufgeschlagen. Das Flußbett war mit Kies bedeckt und keine Spur von Krokodilen, jener in den Flüssen auf gewissen Teilen des schwarzen Kontinents vorhandenen Bedrohung für unbekümmert Badende, war zu entdecken. Deshalb nützten die Abessinier die Gelegenheit zu einem lange entbehrten und bitter nötigen Bade aus.

Werper wie Mugambi hatten Erlaubnis erhalten, sich ins Wasser zu begeben. Als Werper seine Kleider ablegte, bemerkte der Schwarze, mit welcher Vorsicht er eine um den Leib gebundene Sache löste, wie er sie mit dem Hemd zusammen abnahm und wie er den Gegenstand dabei mit dem Hemd bedeckt hielt, um das Objekt seiner verdächtigen Ängstlichkeit zu verbergen. Gerade diese besondere Sorgfalt zog des Schwarzen Aufmerksamkeit auf sich und erweckte die angeborene Neugierde im Krieger. Als daher der Belgier in nervöser Überängstlichkeit den verborgenen Gegenstand mit den Fingern ungeschickt anfaßte und dabei fallen ließ, sah ihn Mugambi zu Boden fallen und einen Teil seines Inhalts über den Rasen streuen.

Nun war Mugambi mit seinem Herrn in London gewesen. Er war nicht mehr der kenntnislose Wilde, der er seinem Äußeren nach schien. Er hatte sich in dem weltstädtischen Gewühl der größten Stadt der Welt eingelebt, er hatte Museen besucht und die Auslagen der großen Geschäfte besichtigt. Und zu alledem war er schon ohnehin ein schlauer und intelligenter Mensch. Im selben Augenblick, als die Edelsteine von Opar vor seinen erstaunten Augen funkelnd herumrollten, hatte er sie auch schon in ihrem vollen Werte erkannt. Aber er hatte noch etwas mehr erkannt, das ihn mehr, viel mehr interessierte als der Wert der Steine. An die tausend Male hatte er die Ledertasche an seines Herrn Seite hängen sehen, wenn Affentarzan sich in abenteuerlustiger Stimmung auf ein paar Stunden zu den primitiven Gewohnheiten und Gebräuchen seiner Jugend zurückzukehren erlaubte und im Kreise seiner nackten Krieger den Löwen, den Leoparden, den Büffel und den Elefanten auf die Weise jagte, die ihm am besten gefiel.

Werper sah, daß Mugambi Tasche und Steine erblickt hatte. Hastig sammelte er die kostbaren Steine auf und tat sie wieder in ihren Behälter, während Mugambi mit angenommener Gleichgültigkeit zum Flusse hinabschlenderte, um sein Bad zu nehmen.

Abed Morak raste am nächsten Morgen vor Wut und Ärger, als er entdecken mußte, daß ihm sein riesiger schwarzer Gefangener während der Nacht entkommen war. Werper war aus dem gleichen Grunde ganz verstört, bis seine zitternden Finger die immer noch am alten Platz unter dem Hemd befindliche Tasche und in ihr die harten Formen ihres Inhalts fühlten.


 << zurück weiter >>