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Auf dem Wege nach Opar

Zwei Wochen später, als er gerade auf dem Heimritt von einer Besichtigungsreise über seine weitläufigen afrikanischen Besitzungen war, erblickte John Clayton, Lord Greystoke, die Spitze einer Karawane, welche die Ebene überschritt, die zwischen seinem Bungalow, seiner Dschungelbehausung, und dem Walde im Norden und Westen lag.

Er zügelte sein Pferd und bewachte die kleine Truppe bei ihrem Auftauchen aus einem sie verbergenden Stück Tiefland. Als seine scharfen Augen die Sonne auf dem weißen Helm eines Reiters leuchten sahen, war er überzeugt, daß ein wandernder europäischer Jäger seine Gastfreundschaft suche, und lenkte langsam sein Reittier dorthin, um den Ankömmling zu begrüßen.

Eine halbe Stunde darauf stieg er die Stufen zur Veranda seines Bungalows hinan und stellte der Lady Greystoke einen Monsieur Jules Frecoult vor.

Ich habe mich vollständig verirrt, erzählte M. Frecoult. Der Häuptling meiner Träger war noch nie in diesem Landstrich und die Führer, welche mich vom letzten Dorfe her begleiten sollten, wußten noch weniger von der Gegend als wir selbst. Vor zwei Tagen sind sie mir schließlich weggelaufen und ich bin froh, daß die Vorsehung Sie zu meiner Hilfe hingeführt hat. Ich weiß wirklich nicht, was ich hätte anfangen sollen, wenn ich Sie nicht gefunden hätte.

Es wurde nun ausgemacht, daß Frecoult und seine Leute einige Tage bleiben sollten, bis sie sich völlig ausgeruht hätten, dann wollte Lord Greystoke ihnen Führer besorgen und sie sicher bis in eine Gegend bringen lassen, in der sich Frecoults Häuptling wieder auskannte.

In seiner Verkleidung als Franzose aus guten Kreisen, der seinem Vergnügen lebte, fand es Werper leicht, seinen Wirt zu täuschen und sich bei Tarzan und seiner Frau beliebt zu machen. Aber je länger er blieb, desto weniger Hoffnung machte er sich auf eine leichte Durchführung seines Planes.

Allein ritt Lady Greystoke niemals weit vom Bungalow fort und die wilde Ergebenheit der trotzigen Wazirikrieger, welche einen großen Teil von Tarzans Gefolge bildeten, machte schon den Versuch einer gewaltsamen Entführung unmöglich. An etwaige Bestechung der Waziri war gar nicht zu denken.

Eine Woche verging, und Werper sah sich nach eigenem Eingeständnis seinem Ziele nicht näher als bei der Ankunft. Aber zu diesem Zeitpunkte gab ihm ein Vorfall erneute Hoffnung und ließ ihn sogar an noch größeren Gewinn als nur an das Lösegeld für die Frau denken.

Ein Bote mit der wöchentlich ankommenden Post traf im Bungalow ein, und Lord Greystoke verbrachte den Nachmittag in seinem Arbeitszimmer mit Lesen und Briefschreiben. Beim Abendessen schien er zerstreut und zog sich frühzeitig mit einer Entschuldigung zurück. Lady Greystoke folgte ihm bald nach.

Werper saß auf der Veranda allein und konnte an ihren Stimmen hören, daß sie in erregter Diskussion waren. Er dachte sich, daß etwas Außergewöhnliches los sei, deshalb erhob er sich und schlich im Schatten der üppig das Bungalow umwuchernden Sträucher unter das Schlafzimmerfenster seiner Gastgeber.

Er lauschte nicht ohne Erfolg, denn schon die ersten erhaschten Worte füllten ihn mit Erregung. Als Werper in Hörweite kam, war gerade Lady Greystoke am Sprechen:

Ich hatte immer meine Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit jener Aktiengesellschaft, hörte er sie sagen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mit einer solch enormen Schuld in Konkurs geraten sein soll! – es müßte denn gerade sein, daß unsaubere Machenschaften vorliegen.

Das vermute ich auch, erwiderte Tarzan, aber wie die Sache auch sein mag, Tatsache ist, daß ich all mein Geld verloren habe, und es bleibt mir nichts weiter übrig, als nach Opar zu gehen und neues zu holen.

Oh, John! rief Lady Greystoke, und Werper merkte an ihrer Stimme, wie sie schauderte, gibt es keinen anderen Weg? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß du noch einmal nach jener schrecklichen Stadt willst. Lieber möchte ich in Armut weiterleben, als daß du dich in die grauenvollen Gefahren von Opar wagst.

Du brauchst keine Angst zu haben, erwiderte Tarzan lachend. Ich kann ganz gut auf mich aufpassen, und selbst wenn ich es nicht könnte, habe ich immer noch die Begleitung meiner Waziri, die mich schon vor Unfällen schützen würden.

Sie liefen aber schon einmal in Opar weg und überließen dich deinem Schicksal, erinnerte sie ihn.

Das werden sie nicht wieder tun, entgegnete er. Sie schämten sich sehr vor sich selbst und waren schon wieder auf dem Rückweg zu mir, als ich sie traf.

Aber es muß doch auch einen anderen Weg geben, beharrte die Frau in ihr.

Kein anderer Weg ist auch nur halb so leicht, ein neues Vermögen zu erlangen, als der zu den Schatzkammern von Opar, antwortete er. Ich werde sehr vorsichtig sein, Jane, und wahrscheinlich werden die Bewohner von Opar es nie gewahr werden, daß ich wieder dort war, um ihnen noch einen Teil ihrer Schätze zu entführen, von deren Vorhandensein wie von deren Wert sie gleich wenig ahnen.

Das Endgültige in seinem Tone schien Lady Greystoke zu überzeugen, daß weitere Erörterungen nutzlos seien, denn sie verließen diesen Gesprächsgegenstand.

Werper lauschte noch kurze Zeit weiter. Da er aber sicher war, alles Nötige gehört zu haben und Entdeckung fürchtete, kehrte er zur Veranda zurück, rauchte noch eine große Anzahl Zigaretten hintereinander weg und ging dann zur Ruhe.

Am nächsten Morgen sprach Werper beim Frühstück die Absicht aus, nunmehr bald wieder aufzubrechen und erbat Tarzans Erlaubnis zur Jagd auf Großwild während seines Weges durch das Waziriland, eine Erlaubnis, die Lord Greystoke bereitwillig erteilte.

Der Belgier verbrachte zwei volle Tage mit nötigen Vorbereitungen, aber endlich rückte er mit seiner Safari ab. Ein von Lord Greystoke geliehener Führer begleitete ihn. Die Truppe hatte erst einen einzigen kurzen Tagesmarsch hinter sich, als sich Werper krank stellte und erklärte, er wolle bleiben, wo er sei, bis er sich wieder völlig erholt hätte. Da sie noch nicht weit vom Bungalow der Greystokes entfernt waren, entließ Werper den Waziriführer mit der Erklärung, er werde ihn holen lassen, wenn er wieder imstande sei, weiterzuziehen.

Als der Waziri gegangen war, rief der Belgier einen von Achmed Zeks schwarzen Vertrauten in sein Zelt und entsandte ihn, um aufzupassen, wann Tarzan aufbreche. Dann sollte er Werper davon Nachricht geben und die von dem Engländer eingeschlagene Richtung anzeigen.

Der Belgier brauchte nicht lange zu warten, denn schon am nächsten Tage kam sein Spion mit der Kunde, daß Tarzan mit einem Trupp von fünfzig Wazirikriegern früh am Morgen in südöstlicher Richtung ausgezogen sei. Werper schrieb einen langen Brief an Achmed Zek, rief seinen Safariführer zu sich und gab ihm das Schreiben.

Schicke sofort einen Läufer mit diesem zu Achmed Zek, befahl er dem Manne. Du wartest hier im Lager auf weitere Anweisungen von ihm oder mir. Sollte jemand aus dem Bungalow des Engländers hierherkommen, so sage, ich liege schwerkrank in meinem Zelte und könne niemand vorlassen. Jetzt gib nur noch sechs Träger und sechs Asaker – die kräftigsten und mutigsten der Karawane – denn ich will selbst hinter dem Engländer her und sehen, wo sein Gold verborgen ist.

So kam es, daß Tarzan, nackt bis auf das Lendentuch und in der primitiven Bewaffnung, die ihm am liebsten war, seine ergebenen Waziri nach der toten Stadt Opar führte, während der abtrünnige Werper seiner Spur den ganzen glühendheißen Tag folgte und nachts dicht hinter ihm lagerte.

Und während sie so weiterzogen, ritt Achmed Zek mit seiner ganzen Bande nach Süden auf die Greystoke-Farm zu.

*

Für den Affentarzan war dieses Unternehmen eine Art Sonntagsausflug. Seine Zivilisierung war bestenfalls ein Firnis, den er froh genug war, mitsamt seinen unbequemen europäischen Kleidern abstreifen zu können, sobald sich nur irgendein vernünftiger Vorwand dazu fand. Nur eines Weibes Liebe hielt Tarzan an einen Anschein von Zivilisation gefesselt, weil besseres Vertrautwerden mit der sogenannten Kultur ihn gelehrt hatte, sie zu verachten. Er haßte ihre Lüge und Heuchelei, denn mit der klaren Einsicht eines unbefleckten Geistes hatte er den faulen Kern in deren Herzen erkannt – die feige Sucht nach Frieden, nach Behaglichkeit und nach Sicherstellung des Besitzes. Er leugnete hartnäckig, daß die edlen Seiten des Lebens – Kunst, Musik, Literatur – auf solch entwertetem Gedankenboden entsprossen sein sollten und behauptete lieber, sie hätten sich trotz der Zivilisation erhalten. Zeigt mir doch den fetten, wohlhabenden Feigling, pflegte er zu sagen, welcher je ein hohes Ideal geschaffen hat! Im Klirren der Waffen, im Kampf um das Dasein, unter Hunger, Tod und Gefahr, im Angesicht Gottes, wie es sich in der schreckvollsten Entfesselung der Naturkräfte zeigt, da wird all das geboren, was edel und gut ist im menschlichen Herz und Gemüt.

Darum kam Tarzan immer wieder zur Natur zurück, wie ein treuer Liebhaber sich nach langer Haft hinter Kerkermauern wieder zum lange verzögerten Stelldichein einfindet. Im innersten Mark waren seine Waziri zivilisierter als er. Sie kochten ihr Fleisch, ehe sie es aßen, und sie verabscheuten viele Nahrungsmittel als unrein, die Tarzan sein Leben lang mit Genuß verzehrt hatte, und so wirksam ist das Gift der Heuchelei, daß selbst der trotzige Affenmensch sich scheute, vor ihnen seinen natürlichen Empfindungen nachzugeben. So aß er gebratenes Fleisch, obgleich er es lieber roh und unverdorben genossen hätte und er brachte seine Jagdbeute mit Pfeil und Speer zur Strecke, während er doch viel lieber aus der Lauer darauf gesprungen wäre, um ihr die Zähne in die Halsadern zu schlagen. Aber der Trieb, welchen er als Kind mit der Milch seiner wilden Nährmutter eingesogen hatte, wurde zuletzt doch unüberwindlich – er mußte das warme Blut einer frischen Beute haben und seine Muskeln sehnten sich danach, in jenem Kampf um das Dasein gegen das wilde Dschungelleben eingesetzt zu werden, wie es während der ersten zwanzig Jahre seines Lebens sein einziges Geburtsrecht gewesen war.


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