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Tarzan führt wieder die großen Affen

Achmed Zek hatte mit zweien von seinen Leuten einen weiten Bogen nach Süden geschlagen, um seinem desertierten Leutnant Werper die Flucht dahin abzuschneiden. Andere hatten sich in alle Richtungen der Windrose so zerstreut, daß sie jetzt in einem großen Kreis standen, den sie während der Nacht gebildet hatten, und nun trieben sie nach der Mitte zu.

Achmed und seine zwei Begleiter machten eben vor Mittag zu kurzer Rast halt. Am Südrand einer Lichtung hockten sie sich unter die Bäume. Der Führer der Räuber war recht schlechter Laune. Es war schlimm genug, von einem Ungläubigen überlistet zu sein, aber noch außerdem die Edelsteine verloren zu haben, an die er sein gieriges Herz gehängt hatte, war doch zuviel – Allah mußte wirklich seinem Diener recht böse sein.

Wenigstens blieb ihm noch das Weib. Sie würde ihm im Norden einen guten Preis bringen, und dann hatte er ja noch den unter den Ruinen der englischen Besitzung vergrabenen Goldschatz.

Ein leichtes Geräusch, das von der entgegengesetzten Seite der Lichtung aus der Dschungel herüberklang, ließ Achmed Zek plötzlich gespannt aufhorchen. Er legte die Büchse zum sofortigen Gebrauch zurecht und winkte seinem Begleiter schweigend, in Deckung zu gehen. Hinter Büschen kauernd warteten die drei, die Augen auf die andere Seite der Lichtung geheftet.

Jetzt teilte sich das Laub, das Gesicht eines Weibes erschien und spähte ängstlich nach allen Seiten. Einen Augenblick darauf schien sie wohl überzeugt, daß keine unmittelbare Gefahr vor ihr drohte, sie trat auf die Lichtung und kam voll in Sicht des Arabers.

Achmed ließ sich einen Ausruf des Unglaubens und einen Fluch entfahren, dann hielt er den Atem an. Das Weib war die Gefangene, die er unter sicherer Bewachung in seinem Lager geglaubt hatte!

Offenbar war sie allein, aber Achmed Zek wartete noch ab, um dessen ganz sicher zu sein, ehe er sie ergriff. Langsam begann Jane die Lichtung zu überschreiten. Schon zweimal, seit sie das Räuberdorf verlassen hatte, war sie nur mit knapper Not den Fängen der Raubtiere entgangen, und einmal war sie beinahe einem der Häscher gerade in den Weg gelaufen. Obgleich sie fast daran verzweifelte, sich noch in Sicherheit zu bringen, war sie doch fest entschlossen, durchzuhalten, bis Tod oder Erfolg ihren Anstrengungen ein Ziel setzte.

Während die Araber in ihrem sicheren Versteck warteten, und Achmed Zek mit Vergnügen feststellte, daß ihm das Weib geradewegs in die Hände lief, überschauten ein Paar Augen aus den Zweigen eines Baumes am Rande die ganze Szene.

Ein erstaunter, verwirrter Ausdruck zeigte sich trotz des wilden Leuchtens in den grauen Augen, denn ihr Besitzer fühlte in sich das eigentümliche, unbestimmte Gefühl aufkommen, daß ihm das Gesicht und die Gestalt der Frau da unten bekannt sei.

Ein plötzliches Krachen der Büsche an der Stelle, an der Jane auf die Lichtung herausgetreten war, brachte sie plötzlich zum Halten, während sowohl die Araber wie der Späher auf dem Baume ihre Aufmerksamkeit dahin richteten.

Die Frau wandte sich um, um zu sehen, welche neue Gefahr sie von hinten her bedrohte, und bekam im gleichen Augenblick einen riesigen, auf sie zuwackelnden Menschenaffen zu Gesicht. Ihm folgte ein zweiter und dann mehr. Aber Lady Greystoke wollte nicht warten, um zu zählen, wie viele der häßlichen Geschöpfe ihr auf der Spur waren.

Mit einem halberstickten Schrei lief sie nach der Dschungel gegenüber, und, als sie die Büsche dort erreichte, sprangen Achmed Zek und seine zwei Begleiter auf und packten sie. Im gleichen Augenblick ließ sich rechts davon ein nackter, brauner Riese aus den Zweigen eines Baumes herab auf die Lichtung fallen.

Er wandte sich den erstaunten Affen zu, ließ eine kurze Folge leiser Kehltöne hören und warf sich, ohne erst die Wirkung seiner Worte auf sie abzuwarten, herum, um die Araber anzugreifen.

Achmed Zek schleppte Jane eben nach seinem angepflockten Pferde. Seine zwei Leute machten hastig die Fesseln der drei Reittiere los. Das Weib suchte sich von dem Araber loszureißen, drehte sich dabei und sah den Affenmenschen herbeirennen. Ein Hoffnungsstrahl erhellte ihre Züge.

John! schrie sie. Gott sei Dank! Du kommst zur rechten Zeit.

Hinter Tarzan folgten, verwundert zwar, aber seinem Befehle gehorchend, die großen Affen. Die Araber merkten, daß ihnen keine Zeit zum Aufsitzen und Entkommen blieb, ehe die Tiere und der wilde Mann über sie kamen. Achmed Zek erkannte in diesem sofort den gefürchteten Feind und sah auch gleichzeitig eine Gelegenheit, sich für immer von der drohenden Gegenwart des Affenmenschen zu befreien.

Er rief seinen Leuten zu, sie sollten seinem Beispiel folgen, hob sein Gewehr und zielte auf den anstürmenden Riesen. Seine Begleiter, nicht weniger behend als er, feuerten mit ihm fast gleichzeitig, und als ihre Flinten krachten, stürzten Affentarzan und zwei seiner behaarten Mannen kopfüber in das Dschungelgras.

Der Krach der Flintenschüsse ließ die übrigen Affen erstaunt haltmachen. Achmed Zek und seine Begleiter nützten die kurze Verwirrung aus, warfen sich auf ihre Pferde und galoppierten mit der nun völlig hoffnungslosen, grambeladenen Frau von dannen.

Einzeln und zu zweien trafen die Häscher, die mit Achmed Zek hinter dem Belgier hergeritten waren, mit leeren Händen wieder ein. Mit jedem neuen Bericht ihres Mißerfolges stieg die Wut und der Grimm des Räubers, bis er in einer solch rasenden Stimmung war, daß sich ihm keiner mehr zu nahen wagte. Drohend und fluchend schritt Achmed Zek in seinem Seidenzelt auf und ab, aber sein Toben nützte ihm nichts – Werper war verschwunden, und das in den glitzernden Steinen steckende Vermögen, das die Gier seines Herrn erregt und das Todesurteil auf das Haupt des Leutnants herabbeschworen hatte, war mit diesem dahin. Sobald sich die Araber davonmachten, richteten die Riesenaffen ihre Aufmerksamkeit auf ihre gefallenen Kameraden. Einer war tot, aber der andere und der große, weiße Affe lebten noch. Die haarigen Ungetüme umstanden die beiden und murmelten, wie es bei ihrer Gattung üblich war.

Tarzan kam zuerst wieder zur Besinnung. Er richtete sich in sitzende Stellung auf und blickte um sich. Aus einer Wunde in seiner Schulter floß Blut. Der Schlag des Geschosses hatte ihn niedergeworfen und betäubt, aber von einer tödlichen Verletzung war keine Rede, Er erhob sich langsam auf seine Füße und ließ seine Blicke über den Platz wandern, auf dem er zuletzt die Frau gesehen hatte, die so unerklärliche Regungen in seinem grimmigen Busen geweckt hatte.

Wo ist sie? fragte er.

Die Tarmangani haben sie fortgeschleppt, erwiderte einer der Affen. Wer bist du, daß du die Sprache der Mangani sprechen kannst?

Ich bin Tarzan, antwortete der Affenmensch, der mächtige Jäger, der mächtigste aller Kämpfer. Vor meinem Brüllen schweigt die Dschungel und zittert vor Entsetzen. Ich bin Affentarzan. Ich war in der Ferne, aber nun bin ich zu meinem Volke zurückgekehrt.

Ja, sagte ein alter Affe, es ist Tarzan. Ich kenne ihn. Es ist gut, daß er zurückgekommen ist. Jetzt werden wir wieder ergiebige Jagden haben.

Die anderen Affen kamen näher und berochen den Affenmenschen. Tarzan stand ganz still, hielt die Reißzähne halb entblößt und die Muskeln straff gespannt für ein sofortiges Zugreifen. Aber es fand sich keiner unter den Affen, der ihm das Recht, mit ihnen zu leben, streitig gemacht hätte, und alsbald nach befriedigend abgeschlossener Bekanntschaft wandten die Affen ihre Aufmerksamkeit wieder dem anderen Überlebenden zu.

Auch er war nur leicht verwundet, eine Kugel hatte ihn am Kopf gestreift und ihn betäubt. Als er wieder zu sich kam, war er anscheinend so munter wie je.

Die Affen erzählten Tarzan, sie seien auf einer Wanderung nach Osten begriffen gewesen, als sie die Witterung eines Weibchen erreichten, das sie darauf beschlichen hätten. Nunmehr wollten sie ihren unterbrochenen Weg wieder fortsetzen, aber Tarzan wollte lieber den Arabern folgen und ihnen das Weib abnehmen. Nach beträchtlichem Hin- und Herreden wurde beschlossen, erst ein paar Tage ostwärts zu jagen und dann zur Aufspürung der Araber zurückzukehren. Da der Zeitbegriff für das Affenvolk wenig Bedeutung besitzt, gab Tarzan ihrem Verlangen nach, denn er selbst war wieder in eine Geistesverfassung zurückgefallen, die sich nicht weit über die ihrige erhob.

Ein anderer Umstand, der ihn bestimmte, die Verfolgung der Araber zu verschieben, war die Schmerzhaftigkeit seiner Wunde. Es mußte doch besser sein, zu warten, bis sie geheilt war, ehe er sich wieder den Gewehren der Tarmangani aussetzte.

So kam es, daß Jane, diesmal sicher und fest an Händen und Füßen gebunden, wieder als Gefangene in die Hütte geschleift wurde, während ihr natürlicher Beschützer in Gesellschaft von einem Dutzend behaarter Ungetüme in östlicher Richtung herumstreifte und ebenso vertraut seine Schulter an ihnen rieb, wie er noch wenige Monate vorher sich unter seinen höchst angesehenen und ehrenwerten Klubbrüdern eines der gewähltesten und exklusivsten Londoner Klubs bewegt hatte.

Aber die ganze Zeit über lauerte im Kleinhirn seines verletzten Kopfes eine beunruhigende Überzeugung, daß er da, wo er war, nichts zu suchen hatte – daß er aus einem nicht herausfindbaren Grunde ganz woanders und unter einer ganz anderen Art von Geschöpfen hätte sein sollen. Dann empfand er auch den dringenden Zwang, die Spur der Araber zu verfolgen und die Befreiung jenes Weibes zu unternehmen, dessen Witterung so stark zu seinen wilden Gefühlen gesprochen hatte, obgleich wahrscheinlich in seinem gegenwärtigen Gemütszustande die von ihm für dies abenteuerliche Unternehmen angewendete Bezeichnung eher »Raub« als »Befreiung« lautete.

Für ihn stand sie gegenwärtig mit den übrigen Weibchen in der Dschungel auf einer Stufe, und er hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie zum Weibe zu nehmen. Als er ihr in dem Augenblick, da die Araber sie auf der Lichtung packten, einen Augenblick näher gekommen war, hatte ihn wieder der gleiche hauchartige, zarte Duft getroffen, den seine Nasenflügel in jener Hütte, in der sie gefangen gewesen war, eingesogen hatten. Daran hatte er festgestellt, daß er das Geschöpf gefunden hatte, für das er eine plötzliche und unerklärliche Leidenschaft empfand.

Außerdem beschäftigte seine Gedanken noch die ihm gestohlene Tasche mit den Edelsteinen, so daß er doppelten Anlaß hatte, seine Rückkehr zum Lager der Räuber zu beeilen. Er wollte sich beides wiederholen: seine hübschen Kiesel und das Weib. Dann wollte er mit seiner neuen Gattin und seinem Spielzeug zu den Riesenaffen zurückkehren, seine behaarten Genossen weit hinein in eine den Menschen gänzlich unbekannte Wildnis führen, und dort sein Leben in Jagd und Kampf, nach der einzigen Lebensform, an die er sich jetzt noch erinnerte, unter den niederen Tiergattungen verbringen.

Er sprach mit seinen äffischen Genossen über diese Sache, und versuchte, sie zur Teilnahme und zum Mitgehen zu überreden, aber außer Taglat und Chulk weigerten sich alle. Der letztere war jung und kraftstrotzend, besaß eine höhere Intelligenz als seine Gefährten und daher auch ein besser entwickeltes Vorstellungsvermögen. Für ihn roch das Unternehmen nach Abenteuer und zog ihn somit stark an. Für Taglat dagegen bestand ein anderer Reiz – ein Reiz, der Tarzan, wenn er ihn gekannt hätte, jenem hätte in eifersüchtiger Wut an die Kehle fahren lassen.

Taglat war längst kein Jüngling mehr. Aber außerordentlich muskulös, grausam und infolge seiner längeren Erfahrung schlau und heimtückisch, stellte er immer noch eine höchst gefährliche Bestie vor. Dazu war er von riesigem Wuchs, das bloße Gewicht seines ungeheuren Rumpfes hatte ihm schon mehr als einmal gegenüber der größeren Gewandtheit eines jüngeren Gegners zum Siege verholfen.

Er besaß eine so mürrische und finstere Veranlagung, daß er selbst bei seinen sauertöpfischen Genossen, bei denen solche Eigenschaften eher die Regel als die Ausnahme bilden, dadurch auffiel. Er haßte außerdem Tarzan, was dieser natürlich nicht ahnen konnte, mit einer Wildheit, die er nur darum verbergen konnte, weil ihn der überlegene Verstand des höheren Geschöpfes, das Tarzan war, mit einer Art von Scheu erfüllte und die auf ihn darum besonders mächtig einwirkte, weil sie ihm unerklärlich blieb.

Diese beiden sollten also Tarzan auf seinem Zug nach dem Dorfe Achmed Zeks begleiten. Als sie abrückten, würdigte sie der übrige Stamm nur eines flüchtigen Blickes und nahm sogleich wieder eifrig das ernste Geschäft der Futtersuche auf.

Tarzan fand es recht schwierig, die Gedanken seiner Gefährten bei der Sache, beim Zweck ihres Unternehmens, zu halten, denn dem Verstande eines Affen fehlt die Fähigkeit, lange bei ein und demselben Gegenstand zu verharren. Mit einem bestimmten Ziel vor Augen auf eine weite Reise zu gehen, ist eine Sache für sich, aber sich stets dieses Zieles zu erinnern und es stets als Leitgedanken im Sinn zu behalten, das ist etwas ganz anderes. Es gibt ja so viele Dinge, die unterwegs die Aufmerksamkeit ablenken können.

Chulk war im Anfang derjenige, welchem es nicht schnell genug vorwärtsging, als ob das Räuberdorf nur eine Stunde weit ab statt in der Entfernung mehrerer Tagesmärsche gelegen hätte. Aber schon nach wenigen Minuten zog ein gestürzter Baum seine Aufmerksamkeit auf sich, weil er ihn reichliche und schmackhafte Leckerbissen darunter vermuten ließ. Als Tarzan ihn vermißte und umkehrte, um ihn zu suchen, fand er daher Chulk neben dem modernden Baumstamm hocken, wie er eifrig damit beschäftigt war, Puppen und Käfer herauszugraben, die einen beträchtlichen Teil der Affennahrung bilden. Da Tarzan deswegen nicht mit ihm einen Kampf anfangen konnte, blieb ihm weiter nichts übrig, als zu warten, bis der Vorrat erschöpft war. Das tat er denn auch, nur um dann feststellen zu müssen, daß Taglat fehlte. Nach beträchtlich zeitraubendem Suchen fand er diesen Wackeren in Betrachtung der Leiden eines von ihm verletzten Kriechtieres vertieft. In anscheinender Gleichgültigkeit hockte er da und starrte nach einer ganz anderen Richtung, während das verstümmelte Geschöpf sich langsam krümmend unter Qualen von ihm fortzuschleichen suchte. Jedesmal, wenn das arme Opfer sicher war, zu entkommen, streckte Taglat seine riesige Pfote aus und schlug damit auf den Flüchtling ein. Wieder und wieder trieb er dieses Spiel, bis er schließlich, der Unterhaltung müde geworden, die Leiden seines Spielzeugs dadurch beendete, daß er es verspeiste.

Derartige Aufenthaltsgründe hätten Tarzan in Harnisch bringen sollen, weil sie seinen Weg nach Achmed Zeks Dorf verzögerten, aber der Affenmensch hatte eine Engelsgeduld. Der in seinem Kopfe ausgearbeitete Plan erforderte bei der Ankunft am Bestimmungsort die Mitwirkung von Chulk und Taglat.

Es war nicht gerade eine einfache Aufgabe, im herumschweifenden Geiste der Menschenaffen das Interesse an ihrem Vorhaben wach zu erhalten. Chulk wurde des langwierigen Wanderns müde und beschwerte sich über das seltene und kurze Ausruhen. Er hätte bereitwillig diese Suche nach Abenteuern aufgegeben, wenn nicht Tarzan seinen Gedanken dauernd Bilder der großen Eßvorräte, die sich im Dorfe der Tarmangani finden würden, vorgemalt hätte.

Taglat dagegen hegte seine geheimen Absichten besser, als man von einem Affen hätte erwarten können, obgleich auch er zeitweise das Unternehmen hätte sein lassen, wenn ihn nicht Tarzan durch Schmeicheleien zum Ausharren bewogen hätte.

Um die heißeste Nachmittagszeit eines schwülen Tropentages benachrichtigten ihre scharfen Sinne sie von der nächsten Nähe des Araberlagers. Sie schlichen sich verstohlen heran, wobei sie sich im dichten Pflanzenwuchs hielten, der es ihren unheimlichen Dschungelerfahrungen leicht machte, im Verborgenen zu bleiben. An der Spitze kam der riesige Affenmensch, dessen glatte, braune Haut infolge der Bewegung im schwülen heißen Bereich der Dschungel vor Schweiß glänzte. Hinter ihm krochen als groteske, zottige Zerrbilder ihres göttergleichen Anführers Chulk und Taglat.

Lautlos bahnten sie sich ihren Weg bis zum Rande der die Palisade umgebenden Lichtung. Dort kletterten sie auf die unteren Zweige eines großen Baumes, der das vom Feinde besetzte Dorf beherrschte, um die Vorgänge darin besser beobachten zu können.

Ein mit einem weißen Burnus bekleideter Reiter ritt jetzt aus dem Tore des Dorfes. Tarzan befahl Chulk und Taglat, an ihrem Platze zu bleiben, und schwang sich, gewandt wie die Affen, auf den Bäumen in der Richtung der Fährte davon, die der Araber entlangritt. Mit der Schnelligkeit eines Eichhörnchens und so lautlos wie ein Gespenst schnellte er von einem Baume zum anderen.

Der Araber ritt langsam seines Weges, ohne ein Ahnung davon zu haben, daß eine Gefahr in den Bäumen über ihm lauere. Der Affenmensch machte einen kleinen Umweg und vermehrte seine Schnelligkeit, bis er die Fährte an einer schon etwas vor dem Reiter befindlichen Stelle wieder erreichte.

Auf einem dichtbelaubten Aste, der über der schmalen Dschungelfährte hing, hielt er an. Das Opfer kam heran und summte sich ein aus dem großen Wüstengebiet im Norden stammendes Liedchen. Über ihm schwebte das wilde Geschöpf, dessen Ziel heute die Vernichtung eines Menschenlebens war.

Der Araber ritt unter dem überhängenden Zweige durch, die Zweige oben raschelten ein wenig, das Roß schnaubte und machte einen Satz vorwärts, als ihm ein braunhäutiger Riese auf den Rücken fiel. Ein Paar mächtige Arme umklammerten den Araber und rissen ihn vom Sattel auf den Boden. Zehn Minuten später traf der Affenmensch mit einem Bündel arabischer Kleider unter dem Arme wieder bei seinen Gefährten ein. Er zeigte ihnen seine Trophäen und erklärte ihnen in leisen Kehltönen, was er damit anfangen wolle und wie er seine Untersuchung durchzuführen gedenke. Chulk und Taglat befühlten die Stücke, berochen sie und untersuchten schließlich, ihre Ohren daran haltend, ob sie etwas hören könnten. Nun führte sie Tarzan durch die Dschungel nach der Fährte zurück, wo sie sich alle drei verbargen und warteten. Sie waren noch nicht lange auf der Lauer, als auch schon zwei von Achmed Zeks Negern in ähnlicher Bekleidung wie ihre Herren auf dem Rückwege nach dem Lager zu Fuß die Fährte entlang kamen. Eben lachten und schwätzten sie noch miteinander – einen Augenblick später lagen sie nebeneinander hingestreckt auf der Fährte und drei mächtige Zerstörungsmaschinen beugten sich über sie. Tarzan zog ihnen wie seinem ersten Opfer die Oberkleider aus und begab sich mit Taglat und Chulk wieder zu der größeren Abgeschiedenheit des Baumes, den sie sich zuerst als Beobachtungsposten ausgewählt hatten. Hier regelte der Affenmensch zunächst seine eigene Bekleidung und die seiner zottigen Genossen in einer Weise, daß es aus einiger Entfernung aussah, als ob drei weißgekleidete, Araber schweigend auf den Zweigen des Waldes hockten.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit blieben sie, wo sie waren, denn Tarzan konnte von seinem günstig gelegenen Sitze aus die ganze Einfriedigung innerhalb der Palisade übersehen. Er fand die Stelle der Hütte heraus, in der er zuerst die Witterung des gesuchten Weibes entdeckt hatte. Er sah dazu zwei Wachtposten an der Türe stehen und schließlich merkte er sich noch die Behausung Achmed Zeks, denn irgend etwas sagte ihm, er werde höchstwahrscheinlich dort seine verlorene Tasche mit den Kieseln finden.

Chulk und Taglat waren zunächst für ihre wundervolle Bekleidung Feuer und Flamme. Sie befühlten das Machwerk, berochen es, und besahen einander aufmerksam mit allen möglichen Anzeichen von Genugtuung und Stolz. Chulk, der in seiner Art ein Witzbold war, streckte seinen langen, dichtbehaarten Arm aus, packte die Kapuze von Taglats Burnus und zog sie diesem tief über die Augen, so daß er aussah wie eine mit dem Stülptrichter ausgelöschte Kerze.

Der von Natur mürrisch veranlagte Taglat hatte für so etwas wie Humor kein Verständnis. Geschöpfe legten nach seiner Ansicht nur aus zwei Gründen die Pfoten aneinander: zum Flöhefangen oder zum Angriff. Unmöglich konnte das erstere damit beginnen, daß ihm der andere das nach Tarmangani riechende Ding über Kopf und Augen stülpte, also blieb nur noch das letztere. Er war angegriffen worden! Chulk hatte einen Angriff unternommen.

Ohne sich nur Zeit zu nehmen, den seine Augen blendenden Wollschleier zu lüften, fuhr er dem anderen mit einem Schnarren an die Kehle. Tarzan warf sich zwischen die beiden, und nun balgten sich die drei riesigen Geschöpfe, nach einander schnappend, schwankend und wippend auf ihrem gefährlichen Sitz, bis es dem Affenmenschen endlich gelang, die zwei rasenden Menschenaffen auseinanderzubringen.

Da Entschuldigung bei diesen wilden Stammesverwandten des Menschen etwas Unbekanntes ist und Erklärungen eine mühselige und doch wahrscheinlich nutzlose Arbeit gewesen wären, überbrückte Tarzan die entstandene gefährliche Kluft, indem er ihre Aufmerksamkeit von dieser Meinungsverschiedenheit auf eine Beratschlagung über ihre Pläne für die allernächste Zukunft lenkte. An häufige Auseinandersetzungen, bei denen mehr Haare als Blut gelassen werden, gewöhnt, vergaßen die Affen rasch ein so gewöhnliches Vorkommnis und Chulk und Taglat hockten alsbald wieder in friedlicher Ruhe eng zusammen und warteten auf den Augenblick, in dem sie der Affenmensch in das Dorf der Tarmangani führen würde.

Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit führte Tarzan seine Begleiter von ihrem Versteckplatze auf dem Baume auf den Boden und um die Palisade herum nach der anderen Seite des Dorfes.

Er raffte die langen Falten seines Burnus unter einem Arm zusammen, um die Beine zum Sprung frei zu haben, nahm einen kurzen Anlauf und schnellte sich bis auf die Höhe der Palisade. Da er fürchtete, die Affen würden beim gleichen Versuch ihre Bekleidungsstücke in Fetzen reißen, hatte er ihnen befohlen, unten auf ihn zu warten. Jetzt hockte er sich rittlings fest auf die Zinne der Palisade, machte seinen Speer los und reichte ein Ende zu Chulk hinab.

Der Affe packte es, und während Tarzan das obere Ende festhielt, kletterte dieser gewandt am Speerschaft hoch, bis er mit einer Pfote auf die Spitze der Palisade faßte. Dann an Tarzans Seite zu klettern, war für ihn das Werk eines Augenblicks. In gleicher Weise wurde Taglat zu ihnen heraufgeholt und einen Augenblick später ließen sich die drei geräuschlos innerhalb der Umfriedigung zum Boden hinab.

Tarzan führte sie erst hinter die Hütte, in der die Frau gefangengehalten wurde. Dort suchte er durch das notdürftig wieder verschlossene Loch in der Wand mit seiner empfindlichen Nase den Beweis zu finden, daß sich das Weibchen, um dessentwillen er gekommen war, noch darin befand.

Chulk und Taglat preßten ihre behaarten Gesichter dicht neben seine patrizischen Gesichtszüge und halfen ihm wittern. Alle drei spürten sie die Witterung einer im Innern befindlichen Frau, aber jeder von ihnen reagierte seiner Veranlagung und seiner Denkgewohnheiten entsprechend anders darauf.

Chulk ließ die Sache kalt. Das Weibchen war für Tarzan – er begehrte nur, seine Schnauze möglichst tief in die Eßvorräte der Tarmangani zu stecken. Er wollte sich einmal ohne jede Anstrengung richtig vollfressen – Tarzan hatte ihm das als Belohnung versprochen und er war damit zufrieden.

Taglats kleine, blutunterlaufene Augen dagegen zogen sich eng zusammen, als er die Verwirklichung eines sorgfältig gehegten Planes so nahe sah. Es ist allerdings wahr, daß Taglat in den verschiedenen Tagen, seit sie auf ihre Unternehmung ausgezogen waren, manchmal nur mit größter Schwierigkeit seine Idee hatte im Kopfe behalten können und bei einigen Gelegenheiten hatte er sie vollkommen vergessen gehabt, bis Tarzan sie ihm durch eine zufällige Bemerkung wieder in Erinnerung brachte. Aber im großen ganzen hatte Taglat für einen Affen seine Sache recht gut gemacht.

Jetzt leckte er sich die Lippen und machte ein widerlich schmatzendes Geräusch, als er die Luft durch seine alten Lippen einsog.

Tarzan stellte mit Genugtuung fest, daß das Weibchen da war, wo er es zu finden gehofft hatte und führte seine Affen nun nach Achmed Zeks Zelt. Ein vorbeikommender Araber und zwei Sklaven sahen sie wohl, aber die Nacht war dunkel und die weißen Burnusse verhüllten die behaarten Glieder der Affen und die riesige Gestalt ihres Führers, so daß man an den dreien, als sie sich wie im Gespräch zusammen niederhockten, achtlos vorbeiging. Dann begaben sie sich hinter das Zelt. Drinnen hielt Achmed mit verschiedenen seiner Leutnants Rücksprache, draußen stand lauschend Tarzan.


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