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Die Flucht in die Dschungel

Albert Werper wälzte sich auf seinen Decken herum, ohne Schlaf finden zu können. Er hatte Mohammed Bejds plötzliches Interesse an der jungen Frau wohl bemerkt und, von sich auf den anderen schließend, erriet er ohne weiteres den Grund für die plötzliche Änderung im Benehmen des Arabers der Gefangenen gegenüber.

Während er seine Einbildungskraft in dieser Richtung spielen ließ, erwachte in ihm eine rasende Eifersucht gegen Mohammed, verbunden mit der Hauptfurcht, der andere könne seinen niedrigen Absichten auf die schutzlose junge Frau freien Lauf lassen. Infolge einer eigenartigen Kette von Begründungen kam sich Werper, dessen eigene Absichten doch mit denen des Arabers auf gleicher Tiefe standen, als Beschützer der Engländerin vor.

Ihr Gatte war tot, und Werper bildete sich ein, daß er imstande sei, im Herz der jungen Frau den Platz zu erobern, der durch das Eingreifen des grausamen Schnitters Tod frei geworden war. Er würde sich erbieten, Jane zu heiraten – eine Sache, an die Mohammed Bejd auf keinen Fall dachte.

Es dauerte gar nicht lange, bis sich Werper erfolgreich einredete, daß die Gefangene nicht nur allen Grund habe, für ihn Regungen der Liebe zu empfinden, er war sogar schon davon überzeugt, daß sie ihre neuerdings für ihn entstandene Neigung gezeigt habe.

Dann ergriff plötzlich ein kurzer Entschluß Besitz von ihm. Er warf die Decken von sich und erhob sich. Dann zog er seine Stiefel an und schnallte sich Patronengürtel und Revolver um die Hüften, schlich sich an die Tür seines Zeltes und spähte hinaus. Vor dem Eingang zum Zelte der Gefangenen stand kein Wachtposten mehr! Was hatte das zu bedeuten? Das Glück schien ihm in der Tat in die Hände zu arbeiten.

Er trat heraus und ging auf die Rückseite des Zeltes. Auch da befand sich kein Posten. Jetzt ging er kühn zum Eingang und trat hinein.

Der Mondschein erleuchtete schwach das Innere. Auf der anderen Seite des Zeltes beugte sich eine Gestalt über die das Bett bildenden Decken. Man hörte ein Flüstern, und die andere Gestalt erhob sich aus den Decken in sitzende Stellung. Langsam wurden Werpers Augen an das Halbdunkel im Zelte gewöhnt. Er sah, daß es eine Männergestalt war, die sich über das Lager lehnte und erriet alsbald, wer der nächtliche Besucher war.

Eine finstere, eifersüchtige Wut packte ihn. Er trat einen Schritt auf die beiden zu, als er einen Schreckensruf über die Lippen der jungen Frau kommen hörte, die nun die Gesichtszüge des über ihr stehenden Mannes erkannte, und dann sah er, wie Mohammed Bejd sie packte und auf die Decken zurückwarf.

Dem Belgier trat ein roter Schleier vor die Augen. Nein! Niemals sollte dieser Mann sie besitzen! Ihm gehörte sie, ihm ganz allein. Er ließ sich nicht so einfach seines Rechtes berauben.

Er sprang flink durch das Zelt und warf sich auf Mohammed Bejds Rücken. Dieser war zwar durch den plötzlichen und unerwarteten Angriff überrascht, dachte aber gar nicht daran, seine Sache aufzugeben. Die Finger des Belgiers suchten nach seiner Kehle, aber der Araber riß sie los, erhob sich und trat dem Angreifer entgegen. Als sie Gesicht gegen Gesicht standen, gab Werper dem Araber einen Faustschlag ins Antlitz, daß dieser zurücktaumelte. Wenn er seinen Vorteil jetzt ausgenützt hätte, wäre ihm Mohammed Bejd alsbald auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert gewesen. Statt dessen suchte er aber seinen Revolver aus der Tasche zu ziehen, und das Geschick wollte, daß die Waffe gerade in diesem Augenblick in ihrer Lederhülse festgeklemmt saß.

Bevor er ihn herausbekommen konnte, hatte Mohammed Bejd seine Fassung wiedergewonnen und stürzte sich auf ihn. Abermals schlug Werper dem anderen ins Gesicht, und der Araber gab den Hieb zurück. Aufeinander schlagend und unaufhörlich versuchend, einen Griff zu finden, kämpften die beiden im kleinen Raume des Zeltes, während die junge Frau mit vor Angst und Schrecken weit geöffneten Augen dem Zweikampf schweigend zusehen mußte.

Immer wieder suchte Werper seine Waffe zu ziehen. Mohammed Bejd, der nicht geglaubt hatte, solchen Widerstand im Frauenzelt zu finden, war bis auf ein langes Messer, das er nun zog, unbewaffnet gekommen und stand nun während der ersten kurzen Kampfpause keuchend beiseite.

Hund von einem Christen, flüsterte er, siehst du das Messer in Mohammed Bejds Hand? Sieh es dir genau an, Ungläubiger, denn es ist das letzte Ding, das du in deinem Leben sehen oder fühlen sollst. Mohammed Bejd wird dir damit dein falsches Herz herausschneiden. Wenn du einen Gott hast, dann bete jetzt zu ihm – in einer Minute wirst du tot sein. Mit diesen Worten warf er sich tückisch mit hoch über dem Kopf geschwungenem Messer auf den Belgier.

Werper riß immer noch nutzlos an seiner Waffe. Schon war der Araber fast auf ihm. In seiner Verzweiflung wartete der Europäer, bis Mohammed Bejd gerade vor ihm war, dann warf er sich seitwärts zu Boden und stellte dem Araber dabei ein Bein.

Der Streich glückte. Mohammed Bejd stolperte, von der Wucht seines Ansprunges fortgerissen über das vorgehaltene Hindernis und stürzte mit einem Krach zu Boden. Im Nu war er wieder auf und warf sich herum, um den Kampf zu erneuern. Aber Werper war vor ihm auf den Beinen, und nun blinkte der endlich aus der Tasche freigemachte Revolver in seiner Hand. Mit gesenktem Kopfe stürmte der Araber auf ihn, um mit ihm zu ringen, ein scharfer Knall, ein leuchtender Feuerstrahl in der Dunkelheit – Mohammed Bejd rollte über und über und blieb endlich still liegen.

Fast unmittelbar nach dem Schuß hörte man aus dem Lager das Gewirr erregter Stimmen. Von da und dort riefen sich die Leute an und fragten, was der Schuß bedeuten solle. Werper konnte hören, wie sie herumrannten und nach dem Grunde forschten.

Jane hatte sich erhoben, als der Araber zu ihren Füßen verschied und kam mit ausgestreckten Armen auf Werper zu.

Wie soll ich Ihnen je danken, mein Freund? rief sie. Wenn ich daran denke, daß ich heute beinahe an die schändliche Geschichte geglaubt habe, die mir dieses Tier über Ihre angebliche Treulosigkeit und Vergangenheit vorlog! Verzeihen Sie mir, Monsieur Frecoult. Ich hätte wissen müssen, daß ein Weißer und Ehrenmann in den Gefahren dieses wilden Landes nichts anderes als der Beschützer für eine Frau seiner eigenen Rasse sein kann.

Werpers Hände fielen kraftlos herunter. Er stand und sah die junge Frau an, aber er fand keine Worte zu einer Erwiderung. Auf die ahnungslos ausgesprochene Verdammung seiner wahren Absichten fehlte ihm die Antwort.

Draußen suchten die Araber immer noch nach dem Urheber des Schusses. Die zwei von Mohammed Bejd abgelösten und zur Ruhe geschickten Posten waren die ersten, welche vorschlugen, das Zelt der Gefangenen zu untersuchen. Es kam ihnen in den Sinn, daß sich möglicherweise das Weib erfolgreich gegen ihren Führer gewehrt haben könnte.

Werper hörte die Leute herankommen. Beim Totschlag Mohammed Bejds betroffen zu werden, war mit unmittelbar vollstrecktem Todesurteil gleichbedeutend. Die wilden, rohen Räuber würden einen Christen, der wagte, das Blut ihres Führers zu vergießen, in Stücke reißen. Er mußte eine Ausrede suchen, um die Auffindung von Mohammed Bejds Leiche hinauszuschieben. Er steckte den Revolver wieder in sein Futteral und trat rasch zum Eingang des Zeltes. Die Lappen auseinanderschlagend, stellte er sich davor und trat den rasch sich nähernden Leuten entgegen. Irgendwie brachte er die nötige Frechheit auf, ein Lächeln auf seine Lippen zu zwingen, als er mit erhobener Hand von weiterem Vordringen abhielt.

Das Weib leistete Widerstand, und Mohammed Bejd mußte auf sie schießen, sagte er. Sie ist nicht tot – nur leicht verwundet. Ihr könnt ruhig wieder zu euren Decken gehen. Mohammed Bejd und ich werden nach der Gefangenen sehen. Er drehte sich um und betrat wieder das Zelt, während die durch seine Erklärung völlig beruhigten Räuber wieder zufrieden zu ihrem unterbrochenen Schlafe zurückkehrten.

Als Werper Jane wieder gegenübertrat, fand er sich von ganz anderen Gefühlen beseelt, als die waren, die er noch vor wenigen Minuten gehegt hatte, als er sich zwischen seinen Decken herumwarf. Es war ganz natürlich, daß die Aufregung des Kampfes mit Mohammed Bejd so gut wie die Gefahren, die ihm nun von Händen der Räuber drohten, wenn am Morgen die Wahrheit über die nächtlichen Vorgänge im Zelt der Gefangenen ans Licht kam, die heiße Leidenschaft abkühlten, die ihn beherrscht hatte, als er das Zelt betrat. Aber noch ein anderer und stärkerer Einfluß machte sich zugunsten der jungen Frau geltend. So tief ein Mann auch sinken mag, Ehre und Ritterlichkeit, wenn er sie überhaupt je besessen hat, lassen sich nie völlig aus seinem Charakter beseitigen. Wenn auch Albert Werper schon längst nicht mehr Anspruch auf den Besitz der einen oder anderen erhob, so hatte doch die rückhaltlose Anerkennung durch die Worte der jungen Frau beide in seinem Herzen wieder erweckt.

Zum ersten Male ward er darüber klar, in welch hoffnungsloser und furchtbarer Lage sich die schöne Gefangene befand und in welchen Abgrund von Schande er selbst gesunken sein mußte, daß es für ihn, für einen wohlerzogenen Europäer, einen Mann von Ehre, auch nur einen Augenblick möglich gewesen war, zu einer Unternehmung die Hand zu bieten, die ihr die Heimat, ihr Glück und ihre Existenz zerstörte.

Er hatte schon zuviel Schlechtigkeiten auf dem Gewissen, als daß er hätte hoffen können, sich je wieder reinwaschen zu können. Aber im ersten plötzlichen Anfall von Reue faßte der Mann den ehrenhaften Entschluß, das Elend, welches seine verbrecherische Habsucht über diese liebliche und arglose Frau gebracht hatte, soweit es in seiner Macht lag, zu lindern.

Während er so anscheinend auf die Schritte der sich entfernenden Araber lauschte, in Wirklichkeit aber tief in Gedanken versunken war, trat Jane zu ihm.

Was sollen wir nun tun? fragte sie. Wenn der Morgen kommt, bringt er diese Sache ans Licht, damit deutete sie auf Mohammed Bejd. Wenn sie ihn finden werden, werden Sie sicher getötet.

Werper antwortete längere Zeit nicht, dann drehte er sich plötzlich nach der Frau um.

Ich habe einen Plan, rief er. Er verlangt von Ihnen viel Nerven und Mut, aber Sie haben schon bewiesen, daß Sie beides besitzen. Können Sie noch einmal bis morgen durchhalten?

Ich kann alles erdulden, erwiderte sie mit einem tapferen Lächeln, was uns nur die geringste Aussicht auf Entkommen bietet.

Sie müssen sich, während ich Sie durch das Lager trage, tot stellen, erklärte er. Den Wachtposten werde ich sagen, Mohammed Bejd habe mir befohlen, Ihre Leiche in die Dschungel zu bringen. Diese anscheinend unnötige Handlung werde ich damit begründen, daß Mohammed Bejd für Sie eine unwiderstehliche Leidenschaft gefaßt hatte, und daß ihm nun sein Vorgehen, das ihn zum Mörder an Ihnen werden ließ, solche Reue verursacht, daß er den schweigenden Vorwurf, der aus Ihrem leblosen Körper spricht, nicht ertragen kann.

Mit einem Lächeln auf den Lippen erhob die junge Frau die Hand und ließ ihn einhalten.

Sind Sie denn ganz von Sinnen? fragte sie. Bilden Sie sich etwa ein, daß Ihnen die Posten eine solch lächerliche Geschichte glauben werden?

Sie kennen diese Leute nicht, erwiderte er. Trotz ihrer abgebrühten und verbrecherischen Naturen verbirgt sich unter ihrem rauhen Äußeren ein überaus stark ausgeprägter Hang zum Romantischen – das werden Sie überall in der Welt unter ihresgleichen finden. Der Hang zur Romantik ist es, der die Menschen dazu bringt, das wilde Leben der Gesetzlosigkeit und des Verbrechens zu führen. Diese List wird Erfolg haben – seien Sie unbesorgt.

Tarzans Frau zuckte die Achseln. Wir können nicht mehr tun, als die Sache versuchen – und was dann?

Ich werde Sie in dem Dschungel verbergen, fuhr der Belgier fort, und morgen früh werde ich allein mit zwei Pferden zu Ihnen kommen.

Aber wie wollen Sie Mohammed Bejds Tod erklären, fragte sie. Ehe Sie morgen früh aus dem Lager entkommen können, wird er entdeckt sein.

Ich werde ihn gar nicht erklären, erwiderte Werper. Mohammed Bejd muß ihn selbst erklären – wir wollen das ihm überlassen. Sind Sie jetzt bereit, das Abenteuer zu wagen? Ja.

Dann gut, aber warten Sie, ich muß Ihnen erst noch eine Waffe und Munition verschaffen. Damit ging Werper aus dem Zelte.

Gleich darauf kam er mit einem zweiten Revolver und einem weiteren Patronengürtel um die Hüften zurück. Sind Sie nun bereit? fragte er.

Vollkommen bereit, antwortete die junge Frau.

Dann kommen Sie und legen Sie sich ganz schlaff über meine linke Schulter. Damit kniete Werper nieder, um sie aufzunehmen.

So, sagte er, als er sich erhob. Nun lassen Sie Arme und Füße und Ihren Kopf ganz schlaff hängen. Vergessen Sie nicht, daß Sie tot sind.

Einen Augenblick später schritt der Mann mit dem Körper der Frau auf der Schulter durch das Lager.

Um die kühneren unter den hungrigen Raubtieren abzuhalten, war rund um das Lager ein Boma aus Dorngestrüpp aufgebaut worden. Ein paar Wachtposten schritten im Scheine eines hellodernd gehaltenen Feuers auf und ab. Der nächste von ihnen schaute überrascht auf, als er Werper näherkommen sah.

Wer da? rief er. Was hast du da?

Werper lüftete die Kapuze seines Burnusses, damit der Bursche sein Gesicht sehen konnte.

Das ist der Leichnam des Weibes, erklärte er. Mohammed Bejd hat mich gebeten, ihn in die Dschungel zu schaffen, denn er kann es nicht mehr ertragen, das Antlitz der Frau zu sehen, die er liebte und die zu töten ihn die Notwendigkeit zwang. Er leidet furchtbar – er ist ganz untröstlich. Ich habe ihn nur mit Mühe davon abhalten können, sich selbst das Leben zu nehmen.

Steif über des Sprechers Schulter hängend, wartete die junge Frau voller Angst, welche Antwort der Araber geben würde. Er würde über diese alberne Geschichte einfach lachen, dessen war sie ganz sicher. Im nächsten Augenblick würde er die Täuschung aufdecken, die Monsieur Frecoult ihm aufhängen wollte, und sie würden beide verloren sein. Sie sann schon über die Art und Weise nach, in der sie dem Manne, der sie retten wollte, in dem Kampfe, der sich in ein oder zwei Augenblicken entspinnen mußte, am besten beistehen konnte.

Da hörte sie die Stimme des Arabers Monsieur Frecoult zur Antwort geben:

Willst du allein gehen, oder soll ich jemand wecken, der dich begleitet? In seinem Tone verriet sich nicht die geringste Überraschung, daß Mohammed Bejd plötzlich eine so bemerkenswert gefühlvolle Charakterveranlagung entwickelte.

Ich muß allein gehen, erwiderte Werper und schritt durch die schmale Öffnung der Boma, neben der der Wachtposten stand, hinaus ins Freie.

Einen Augenblick später befand er sich mit seiner Bürde zwischen den hohen Baumstämmen und ließ, sobald er außer Sicht des Postens war, die junge Frau mit einem leisen »Sst«, damit sie sich ruhig verhielt, auf die Füße gleiten.

Dann geleitete er sie ein wenig weiter in den Wald hinein, machte unter einem dicken Baume mit breitausladenden Ästen halt, gürtete ihr den Patronengurt mit dem Revolver um und half ihr auf die unteren Zweige hinauf.

Morgen, sobald ich die Kerle täuschen kann, flüsterte er, komme ich zu Ihnen zurück. Halten Sie sich brav, Lady Greystoke – wir können schon noch davonkommen.

Ich danke Ihnen, erwiderte sie leise. Sie sind sehr gütig gewesen und sehr tapfer.

Werper gab keine Antwort, und die Dunkelheit der Nacht verbarg die Welle der Schamröte, die ihm das Gesicht übergoß. Er drehte sich rasch um und kehrte nach dem Lager zurück. Die Wache sah von ihrem Posten aus, wie er sein eigenes Zelt betrat; daß er aber unter der Leinwand auf der Rückseite wieder herauskroch, sah sie nicht, ebensowenig, daß er sich vorsichtig zu dem bisher von der Gefangenen bewohnten Zelt schlich, in dem nun Mohammed Bejds Leiche lag.

Das untere Ende der Rückwand lüpfend, kroch Werper hinein und näherte sich dem toten Körper. Ohne einen Augenblick zu zögern, packte er die kalten Handgelenke und schleifte den Körper auf dem Rücken zu der Stelle, durch die er eben hereingekommen war. Auf Händen und Knien, wie er hereingekrochen war, ging er rückwärts wieder hinaus und zog die Leiche hinter sich her. Sobald der Belgier erst draußen war, kroch er an die Seite des Zeltes und spähte über das Lager, so weit es in seinem Gesichtsfelde lag – keiner wachte.

Er zog sich zu dem Körper zurück, hob ihn auf die Schulter und rannte, einen flinken Ausfall wagend, rasch über den schmalen Zwischenraum, der das Zelt der Gefangenen von dem des toten Mannes trennte. Hinter dem Seidenstoff hielt er an und ließ seine Last zu Boden sinken, dann blieb er lauschend einige Minuten lang regungslos stehen.

Als er endlich zu seiner Befriedigung davon überzeugt sein konnte, daß ihn keiner gesehen hatte, bückte er sich und hob den unteren Rand der Zeltbahn, kroch rückwärts hinein und schleppte den Gegenstand, der einst Mohammed Bejd gewesen war, hinter sich her. Er zog den Körper des toten Räubers auf dessen Schlafdecken. Dann tastete er in der Dunkelheit herum, bis er Mohammed Bejds Revolver fand. Mit der Waffe in der Hand kehrte er an die Seite des Toten zurück, kniete neben dem Bettzeug nieder, steckte die Rechte mit der Waffe unter die Decken und häufte eine große Anzahl dick zusammengelegter Lagen des dicht gewebten Stoffes mit der linken Hand über und um die Waffe. Dann berührte er den Abzug und hustete gleichzeitig stark.

Der abgedämpfte Knall konnte selbst von einem gerade vor dem Zelte Stehenden nicht aus dem Klang des Hustens herausgehört worden sein. Werper war befriedigt. Mit grimmigem Lächeln auf den Lippen zog er die Waffe aus den Decken hervor und legte sie dem toten Manne sorgfältig in die rechte Hand, so daß drei Finger um den Kolben lagen, während der Zeigefinger innen am Abzugsbügel lag.

Noch einen Augenblick verweilte er, um die verwühlten Decken wieder zurechtzulegen, dann zog er sich zurück, wie er eingedrungen war, und machte die Stricke an der Hinterwand wieder genau so fest, wie sie gewesen waren, ehe er das Tuch hob.

Darauf begab er sich nach dem Zelte der Gefangenen und beseitigte auch dort jede Spur, daß jemand unter der Hinterwand durchgekommen oder -gegangen war. Dann zog er sich in sein eigenes Zelt zurück, befestigte auch dort die Leinwand neu und kroch zwischen seine Decken.

Am nächsten Morgen weckte ihn die erregte Stimme von Mohammed Bejds schwarzem Sklaven, der ihn vom Zelteingang aus anrief.

Schnell! Schnell! schrie der Schwarze in angstvollem Tone. Komme! Mohammed Bejd liegt tot in seinem Zelte – von eigener Hand getötet!

Werper fuhr beim ersten Lärm mit gespanntem Ausdruck auf dem Gesicht in die Höhe, aber bei den letzten Worten des Schwarzen entfuhr seinen Lippen ein Seufzer der Erleichterung, und ein schwaches Lächeln löste die Anspannung seines Gesichtes ab.

Ich komme, rief er dem Sklaven zu, zog sich die Stiefel an, erhob sich und kam aus seinem Zelte.

Erregte Araber und Neger rannten von allen Seiten des Lagers nach Mohammed Bejds Seidenzelt, und als Werper dort eintraf, fand er bereits eine ganze Anzahl der Räuber um die nun starre und erkaltete Leiche gedrängt.

Der Belgier drängte sich mit den Schultern durch ihre Reihen und trat an die Seite des Toten. Schweigend sah er einen Augenblick auf das ruhige Gesicht nieder, dann fuhr er zu den Arabern herum.

Wer hat diese Tat verübt? schrie er. Sein Ton war beides, drohend und anklagend. Wer hat Mohammed Bejd ermordet? Ein plötzlicher Chor von Stimmen erhob sich zu empörtem Protest.

Mohammed Bejd ist nicht ermordet worden, schrien sie. Er starb durch eigene Hand. Dies hier und Allah seien unsere Zeugen. Dabei deuteten sie auf den Revolver in des toten Mannes Hand.

Eine Zeitlang stellte sich Werper, als ob er im Zweifel sei. Aber schließlich ließ er sich doch davon überzeugen, daß Mohammed Bejd wirklich aus Gewissensbissen über den Mord an der weißen Frau, die er ohne Wissen seiner Gefolgsleute so abgöttisch geliebt hatte, Selbstmord begangen hatte.

Werper wickelte selbst den Toten in dessen eigene Decken, wobei er wohl achtgab, die versengten und von der Kugel durchlöcherten Stellen des Stoffes, die den Knall der nachts abgefeuerten Waffe hatten dämpfen müssen, nach innen zu schlagen. Dann trugen sechs dunkelhäutige Neger die Leiche auf die Lichtung hinaus, auf der das Lager geschlagen war, und legten sie in ein flaches Grab. Als die lose Erde auf die stille Gestalt fiel, die in ihre Decken gehüllt war, die so viel hätte erzählen können, entfuhr Albert Werper abermals ein Seufzer der Erleichterung – sein Plan war besser geglückt, als er selbst im Traume gehofft hätte. Nun, nachdem beide, Achmed Zek wie Mohammed Bejd, tot waren, fehlte den Räubern der Führer, und nach kurzer Beratung beschlossen sie, nach Norden zu ziehen, um die verschiedenen Stämme aufzusuchen, denen sie angehörten. Sobald Werper vernommen hatte, welche Richtung sie einschlagen wollten, gab er zu verstehen, daß er sich für seinen Teil nach Osten zur Küste begeben wolle. Da er nach ihrer Kenntnis nichts besaß, wonach einer von ihnen gierig gewesen wäre, gaben sie ihm bereitwilligst ihr Einverständnis, seiner Wege zu gehen.

Bei ihrem Abzug saß er mitten auf der Lichtung auf seinem Pferde, sah sie aufmerksam einen nach dem anderen in der Dschungel verschwinden und dankte seinem Schöpfer, daß er endlich doch ihren Spitzbubenfingern entkommen war.

Als er nicht den geringsten Laut mehr von ihnen hören konnte, wandte er sich zur Rechten, ritt in den Wald nach dem Baume, auf dem er Lady Greystoke verborgen hatte und rief, sein Pferd gerade unter ihm zügelnd, mit hoffnungsvoller Stimme ein fröhliches, freundliches »Guten Morgen!« hinauf.

Er bekam keine Antwort, suchte mit seinen Augen das dichte Blätterwerk oben ab, konnte aber kein Anzeichen von der jungen Frau entdecken. Er stieg vom Pferde und kletterte rasch auf den Baum so weit hinauf, bis er alle seine Zweige übersehen konnte. Aber der Baum war leer – Jane war während der stillen Nachtwache der Dschungel verschwunden.


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