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Tarzan findet sein Gedächtnis wieder

Während sich Tarzan die Kiesel aus seiner wiedergefundenen Tasche über die Finger rollen ließ, kehrten seine Gedanken zu dem Stapel gelber Barren zurück, um deren Besitz die Araber und Abessinier einen so erbarmungslosen Kampf gewagt hatten.

Was für ein gemeinsamer Zusammenhang bestand zwischen jenem Stapel schmutzigen Metalls und den schönen, funkelnden Kieseln, die sich zuvor in seiner Tasche befunden hatten? Was war das Metall? Wo stammte es her? Was für eine quälende halbe Überzeugung schien von seinem Gedächtnis die Erinnerung zu verlangen, daß der gelbe Stapel, um dessen Besitz jene Leute gefochten hatten und gefallen waren, eng mit seiner Vergangenheit verknüpft gewesen war – daß er sein Eigentum gewesen war?

Was war seine Vergangenheit gewesen? Er schüttelte den Kopf. Unklar und langsam passierte die Erinnerung seiner Kindheit unter den Affen Revue – dann kam eine merkwürdig verworrene Masse von Gesichtern, Gestalten und Ereignissen, die zu Affentarzan in gar keiner Beziehung zu stehen schienen und die ihm trotzdem, selbst an ihrer bruchstückweisen Form vertraut waren.

Langsam und peinvoll suchte sein Erinnerungsvermögen wieder Fuß zu fassen; das verletzte Gehirn war auf dem Wege der Besserung.

Die Leute, welche nun zum ersten Male seit Wochen vor seinem geistigen Auge vorbeizogen, trugen vertraute Gesichter. Aber er konnte sie weder an die Stellen bringen, die sie einst in seinem vergangenen Leben innegehabt hatten, noch konnte er ihre Namen nennen. Eine schöne Frau war darunter, deren Gesicht am häufigsten durch die verwirrten Erinnerungen seines genesenden Gehirns glitt. Wer war sie? Was war sie dem Affentarzan gewesen? Er glaubte sie auf der gleichen Stelle zu sehen, auf der der Stapel Gold von den Abessiniern ausgegraben worden war, aber die Umgebung war von dem Anblick, den die Stelle jetzt bot, weitaus verschieden.

Da war ein Gebäude – da waren viele Gebäude – dann waren da Hecken, Zäune und Blumen. Tarzan zog in verwirrtem Brüten über diesem wunderbaren Rätsel die Brauen zusammen. Einen Augenblick lang glaubte er die richtige Erklärung mit einem Male völlig zu fassen und dann, gerade als er den Erfolg fast in Fingern hielt, schwand das Bild und wurde zu einer Dschungelszene, auf der ein nackter weißer Jüngling in Gesellschaft einer Horde behaarter urweltlicher Affenwesen herumtanzte.

Tarzan schüttelte seinen Kopf und seufzte. Wie kam es nur, daß er sich nicht erinnern konnte? Dessen war er wenigstens sicher, daß in irgendeiner Weise der Haufen Gold, der Ort, wo es lag, der zarte Duft der Frau, der er gefolgt war, dann die ihm erinnerliche Gestalt jenes weißen Weibes und zuletzt er selbst unentwirrbar durch die Bande einer vergessenen Vergangenheit miteinander verknüpft waren.

Wenn dieses Weib an jenen Ort gehörte, war dort dann nicht der beste Platz, um ihn aufzusuchen und sie an eben dem Fleck zu erwarten, den ihr seine stückweise Erinnerung zuzuweisen schien? Es war eines Versuches wert. Tarzan warf sich den Riemen seiner leeren Tasche über die Schulter und machte sich durch die Bäume in der Richtung nach der Ebene auf den Weg. Draußen am Waldesrande traf er die auf der Suche nach Achmed Zek zurückkehrenden Araber. Er verbarg sich, ließ sie vorbei und nahm wieder seinen Weg nach den verkohlten Ruinen seiner Behausung auf, deren Erinnerung er um ein weniges seinem Gedächtnis wieder abgerungen hätte.

Die Entdeckung einer kleinen Antilopenherde in einer Senke, wo sich Deckung und Windrichtung vereinigten, um das Beschleichen leicht zu machen, unterbrach seinen Weg über die Ebene. Ein feistes einjähriges Tier belohnte ihn für die Mühe eines halbstündigen verstohlenen Ankriechens und den plötzlichen wilden Ansprung. Spät am Nachmittag hockte sich der Affenmensch neben seiner Beute auf die Schenkel, um den Gewinn seiner Geschicklichkeit, Klugheit und Tüchtigkeit zu genießen.

Nach Befriedigung des Hungers verlangte der Durst zunächst sein Recht. Der Fluß mit seinem erfrischenden Wasser zog ihn auf dem kürzesten Wege an. Als er getrunken hatte, war die Nacht ziemlich hereingebrochen und er befand sich noch etwa eine halbe Meile stromabwärts der Stelle, an der er den Haufen Goldbarren gesehen hatte und an der er das Weib seiner Erinnerung oder irgendeinen Anhaltspunkt über ihren Aufenthalt oder ihre Persönlichkeit zu finden hoffte.

Für die in der Dschungel aufgewachsenen Geschöpfe hat der Zeitbegriff im allgemeinen wenig Bedeutung; und gar Hast, ausgenommen, wenn sie durch Schrecken, Grimm oder Hunger verursacht ist, gilt als geschmacklos. Der Tag war herum. Deshalb würde der nächste Tag, dessen es eine unendliche Reihenfolge gab, Tarzans weiterer Forschung vorzüglich passen. Außerdem war der Affenmensch auch müde und wollte schlafen. Ein Baum bot ihm die Sicherheit, Abgeschiedenheit und Behaglichkeit eines wohleingerichteten Schlafzimmers, und beim Chore der jagenden Raubtiere und des Wildes am grimmen Flußufer fiel er bald in tiefen Schlummer.

Am Morgen fand er sich wieder hungrig und durstig, sprang von seinem Baume herab und nahm seinen Weg zur Wasserstelle am Flußufer. Dort fand er Numa, den Löwen, gerade vor sich. Der gewaltige Geselle leckte gierig das Wasser, aber als er Tarzan in seinem Rücken auf der Wildspur näherkommen hörte, hob er den Kopf, wandte seine Blicke über die Schultermähne nach rückwärts und starrte auf den Störenfried. Ein leises Warnungsknurren rollte aus seiner Kehle. Tarzan erriet, daß das Raubtier eben von seiner Beute kam und ordentlich sattgefressen war, deshalb machte er nur einen kleinen Bogen und setzte seinen Weg zum Flusse fort; dann hielt er ein paar Schritte oberhalb der lohfarbenen Katze an, ließ sich auf Hände und Knie nieder und näherte seine Lippen dem kühlen Wasser. Der Löwe musterte den Menschen noch eine Weile, dann machte er sich wieder ans Saufen, Mensch und Tier löschten Seite an Seite ihren Durst und schienen beide die Anwesenheit ihres Nachbarn völlig vergessen zu haben.

Numa war zuerst fertig. Er hob den Kopf und starrte einige Minuten lang mit der steingewordenen Aufmerksamkeit, die eine Eigentümlichkeit seiner Gattung ist, über den Fluß hinüber. Hätte der Hauch der wehenden Dschungelbrise nicht seine schwarze Mähne gezaust, man hätte glauben können, er sei aus goldener Bronze gegossen, so regungslos gleich einer Bildsäule stand er da.

Ein tiefer Seufzer aus den geräumigen Lungen zerstörte die Illusion. Der mächtige Kopf drehte sich langsam um, bis die gelben Augen auf dem Affenmenschen ruhten. Die borstigen Lippen zogen sich hoch und entblößten die gelben Reißzähne. Ein neues warnendes Knurren ließ die schweren Lefzen erzittern, dann wandte sich der König der Tiere majestätisch um und schritt langsam den Wildpfad entlang in das dichte Riedgras.

Affentarzan trank ruhig weiter, aber aus den Ecken seiner grauen Augen bewachte er jede Bewegung des riesigen Tieres, bis es aus seinem Gesichtskreis verschwunden war und dann achteten immer noch seine scharfen Ohren auf die Tritte des Raubtieres.

Einem Bade im Flusse folgte ein etwas klägliches Frühstück aus Eiern, die ihn der Zufall finden ließ, dann machte er sich flußaufwärts nach den Ruinen des Bungalows auf den Weg, dahin, wo die goldenen Barren gestern den Mittelpunkt des Kampfes bedeutet hatten.

Aber wie groß war seine Überraschung und Bestürzung, als er bei seiner Ankunft auf jenem Fleck entdecken mußte, daß das gelbe Metall verschwunden war. Die durch Tritte von Pferden und Menschen zertrampelte Erde ließ keine Spur erkennen. Es war gerade, als wenn sich die Barren in dünne Luft verwandelt hätten.

Der Affenmensch wußte nicht mehr, wohin er sich wenden und was er zunächst beginnen sollte. Nicht die geringste Andeutung einer Spur gab an, daß das Weib da gewesen war. Das Metall war fort, und wenn ein Zusammenhang zwischen dem Weibe und dem Metall bestand, schien es zwecklos, hier auf sie zu warten, nun, da das letztere nach einer anderen Stelle gebracht worden war.

Alles schien ihm zu fliehen – die hübschen Kiesel, das gelbe Metall, das Weib, sein Gedächtnis. Tarzan war völlig verärgert. Er wollte wieder in die Dschungel zurückkehren und sich nach Chulk umsehen, darum lenkte er seine Schritte abermals nach dem Walde. Er drang rasch vorwärts, bewegte sich im langen, leichten Trabe über die Ebene und schwang sich dann vom Waldrande an so gewandt und flink wie ein kleiner Affe auf den Bäumen fort.

Er wanderte ohne bestimmtes Ziel – die Freude über sein ungebundenes Dasein ließ ihn als Hauptgrund weiter und weiter durch die Dschungel streifen. Die Hoffnung, auf irgendeine Spur von Chulk oder des Weibes zu stoßen, kam erst in zweiter Linie.

Zwei Tage trieb er sich so herum, jagte, aß, stillte seinen Durst oder schlief, wie es ihm Neigung oder eine sich bietende Gelegenheit gerade einfallen ließ. Am Morgen des dritten Tages gelangte schwach die Witterung eines Pferdes und eines Mannes zu seinen Nasenlöchern. Alsbald änderte er seine Richtung und huschte lautlos in der Richtung, aus der die Witterung kam, durch die Zweige.

Nach gar nicht langer Zeit erreichte er einen einsam nach Osten reitenden Reiter. Ohne Verzug bestätigten ihm seine Augen, was ihn seine Nase bereits hatte vermuten lassen – der Reiter war jener Bursche, der ihm seine hübschen Kiesel gestohlen hatte. Ein zorniges Licht leuchtete plötzlich in den grauen Augen, als sich der Affenmensch auf die unteren Zweige herabließ, bis er sich fast unmittelbar über dem ahnungslosen Werper dahinbewegte.

Ein rascher Sprung – und der Belgier fühlte, wie ein schwerer Körper auf den Rücken seines zu Tode erschrockenen Pferdes schlug. Das Roß schnaubte und machte einen Satz nach vorwärts. Riesige Arme schlangen sich um den Reiter. In einem Augenblick war er aus dem Sattel gezogen und fand sich auf dem schmalen Wildpfad liegen, während ein nackter, weißer Riese auf seiner Brust kniete.

Beim ersten Blick auf das Antlitz seines Bezwingers erkannte ihn Werper, und bleiche Angst überzog sein Gesicht. Starke Finger, Finger aus Stahl, packten seine Kehle. Er wollte schreien, um sein Leben bitten, aber die grausamen Finger hinderten ihn so sicher am Sprechen wie sie ihm fühlbar machten, daß sein Leben verwirkt sei.

Die hübschen Kiesel? rief der Mann, der ihm auf der Brust kniete. Was hast du mit den hübschen Kieseln – mit Tarzans hübschen Kieseln gemacht?

Die Finger ließen nach, um ihm eine Antwort zu ermöglichen. Einige Zeit lang konnte Werper vorerst nur würgen und husten – endlich fand er die Sprache wieder.

Achmed Zek, der Araber, stahl sie mir, kreischte er, er zwang mich, ihm die Tasche und die Steine zu geben. Das sah ich alles, erwiderte Tarzan, aber die Kiesel in der Tasche waren nicht Tarzans Kiesel – es waren nur solche Kiesel, wie sie den Boden des Flusses und die Sandbänke an seinen Ufern bedecken. Selbst der Araber wollte sie nicht haben, denn als er sie angesehen hatte, warf er sie voll Ärger weg. Ich will meine hübschen Kiesel wiederhaben – wo sind sie?

Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, schrie Werper. Ich mußte sie Achmed Zek geben, sonst hätte er mich getötet. Ein paar Minuten später folgte er mir auf der Wildspur nach, um mich umzubringen, obgleich er mir versprochen hatte, mich nicht weiter zu belästigen. Da schoß ich auf ihn und tötete ihn; aber er hatte die Tasche nicht bei sich und obgleich ich einige Zeit lang die Dschungel absuchte, konnte ich sie nicht mehr finden.

Ich sage dir, ich fand sie, knurrte Tarzan, und ich fand auch die Kiesel, die Achmed Zek voll Verachtung weggeworfen hatte. Es waren nicht Tarzans Kiesel. Du hast sie versteckt! Sage mir, wo sie sind, oder ich töte dich. Damit schlossen sich die braunen Finger des Affenmenschen wieder enger um den Hals seines Opfers.

Werper rang, um sich freizumachen. Mein Gott, Lord Greystoke, gelang es ihm schließlich zu schreien, wollen Sie wegen einer Handvoll Steine einen Mord begehen?

Die Finger an seinem Halse ließen nach, ein verwirrter, träumerisch ferner Ausdruck ließ die grauen Augen sanfter blicken.

Lord Greystoke! wiederholte der Affenmensch. Lord Greystoke! Wer ist Lord Greystoke? Wo habe ich diesen Namen schon gehört?

Aber Mann, Sie sind doch Lord Greystoke! rief der Belgier. Als das Erdbeben den Stollen zu der unterirdischen Kammer zertrümmerte, zu der Sie mit Ihren schwarzen Waziri gekommen waren, um Goldbarren nach Ihrem Bungalow zu bringen, wurden Sie durch ein herunterfallendes Felsstück verletzt. Der Schlag störte Ihr Gedächtnis. Sie sind John Clayton, Lord Greystoke – können Sie sich nicht daran erinnern?

John Clayton, Lord Greystoke! wiederholte Tarzan. Dann schwieg er einen Augenblick. Er hob die Hand zitternd zur Stirne, ein Ausdruck von Verwunderung erfüllte seine Augen – von Verwunderung und plötzlichem Verständnis. Der vergessene Name hatte plötzlich das zurückkehrende Gedächtnis wiedererweckt, das schon seit einiger Zeit um Wiedergewinnung seiner Tätigkeit kämpfte. Der Affenmensch ließ den Griff um des anderen Hals fahren und sprang auf seine Füße.

Mein Gott! schrie er dann: Jane! Plötzlich wandte er sich zu Werper. Wo ist meine Frau? fragte er. Was ist aus ihr geworden? Die Farm liegt in Ruinen. Das wissen Sie. Sie hatten unbedingt etwas mit alledem zu tun. Sie folgten mir nach Opar und stahlen mir die Juwelen, die ich nur für hübsche Kiesel hielt. Sie sind ein Dieb. Suchen Sie nicht, es mir gegenüber abzuleugnen.

Er ist Schlimmeres als nur ein Dieb, sagte eine ruhige Stimme nahe hinter ihnen.

Überrascht drehte sich Tarzan um und sah einen hochgewachsenen Mann in Uniform einige Schritte hinter sich auf der Fährte stehen. Hinter dem Manne befand sich eine Anzahl schwarzer Soldaten in der Uniform des Kongo-Freistaates.

Er ist ein Mörder, Monsieur, fuhr der Offizier fort. Ich habe ihn lange Zeit verfolgt, um ihn zurückzuholen, damit er für die Ermordung seines vorgesetzten Offiziers zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Werper hatte sich mittlerweile erhoben und starrte bleich und zitternd dem Geschick ins Antlitz, das ihn selbst hier im Labyrinth der Dschungel noch ereilt hatte. Instinktiv wollte er sich zur Flucht wenden. Aber Affentarzan streckte seine mächtige Hand aus und packte ihn bei der Schulter.

Warten Sie! sagte der Affenmensch zu seinem Gefangenen. Dieser Herr hier hat mit Ihnen noch zu tun, ebenso habe ich noch mit Ihnen zu sprechen. Wenn ich mit Ihnen zu Ende bin, mag er sich mit Ihnen befassen. Sagen Sie mir, was aus meiner Frau geworden ist. Der belgische Offizier betrachtete neugierig den fast nackten, weißen Riesen. Er stellte den merkwürdigen Gegensatz fest, den die primitiven Waffen und die Bekleidung zu dem eleganten, geläufigen Französisch bildeten, welches der Mann sprach. Die erstere bekundete die niedrigste, das letztere die höchste Stufe der Kultur. Er konnte die gesellschaftliche Stellung dieses merkwürdigen Geschöpfes nicht recht feststellen, aber darüber war er sich klar, daß ihm die leichte, selbstverständliche Sicherheit mißfiel, mit welcher dieser Bursche es sich herausnahm, ihm zu diktieren, wenn er sich seinen Gefangenen nehmen könne.

Entschuldigen Sie, sagte er, trat vor und legte gleichfalls eine Hand auf Werpers andere Schulter, aber dieser Mensch hier ist mein Gefangener. Er muß mir folgen.

Erst wenn ich mit ihm fertig bin, sagte Tarzan ruhig. Der Offizier drehte sich herum und winkte den hinter ihm stehenden Soldaten. Eine Kompanie schwarzer Soldaten rückte rasch über die drei hinaus vor und umringte den Affenmenschen und den Gefangenen.

Das Gesetz sowohl wie die Macht, es zu schützen, sind auf meiner Seite, erklärte der Offizier. Machen Sie mir keine Schwierigkeiten. Wenn Sie eine Klage gegen diesen Menschen haben, können Sie mich ja auf meinem Rückwege begleiten und Ihre Klage auf dem vorgeschriebenen Wege vor einem eingesetzten Gerichtshof betreiben.

Ihre gesetzlichen Rechte sind nicht über jeden Zweifel erhaben, mein Freund, erwiderte Tarzan, und was Ihre Macht zu deren Durchführung anbetrifft, so ist sie nur scheinbar – nicht wirklich. Sie haben sich herausgenommen, mit einer bewaffneten Macht britisches Gebiet zu betreten. Wo ist Ihre Berechtigung für diesen Einfall? Wo haben Sie die Auslieferungsdokumente, welche zur Verhaftung dieses Mannes berechtigen? Und welche Sicherheit haben Sie dafür, daß ich nicht in der Lage bin, eine bewaffnete Macht hier zusammenzuholen, die Ihnen die Rückkehr nach dem Kongo-Freistaat unmöglich macht?

Der Belgier verlor die Geduld. Ich habe keinen Anlaß, mich mit einem nackten Wilden herumzustreiten, rief er. Wenn Sie nicht verletzt werden wollen, rate ich Ihnen, mir nicht hinderlich zu sein. Sergeant, nehmen Sie den Gefangenen fest!

Werper hielt seine Lippen dicht an Tarzans Ohr. Retten Sie mich vor ihnen und ich kann Ihnen genau die Stelle zeigen, an der ich Ihre Frau gestern nacht sah, flüsterte er. Jetzt, in diesem Augenblick, kann sie noch nicht weit von hier sein.

Die Soldaten kamen auf das Zeichen ihres Sergeanten näher heran, um Werper zu packen. Tarzan faßte den Belgier um den Gürtel, nahm ihn unter den Arm, wie er einen Sack Mehl getragen hätte, und sprang vorwärts, um zu versuchen, den ihn einschließenden Ring zu durchbrechen. Seine rechte Hand fuhr dem nächsten Soldaten unter das Kinn und schleuderte ihn krachend auf seine Kameraden dahinter. Gewehre mit erhobenen Kolben wurden denen aus den Händen gerissen, die ihm den Weg versperrten und rechts und links taumelten die schwarzen Soldaten angesichts des wilden Durchbruchsversuches, den der Affenmensch im Interesse der Befreiung unternahm, zur Seite.

Die Schwarzen hatten die beiden so eng umzingelt, daß sie nicht schießen konnten, ohne dabei einen der ihren mitzutreffen, und Tarzan war bereits durch sie hindurchgebrochen und war drauf und dran, im bergenden Dickicht der Dschungel zu verschwinden, als einer von hinten an ihn heranschlich und ihm mit dem Gewehr von hinten einen heftigen Schlag auf den Kopf gab.

Der Affenmensch fiel im Augenblick nieder, während sich ein Dutzend schwarzer Soldaten auf seinen Rücken warf. Als er wieder zur Besinnung kam, fand er sich ebenso fest und sicher gebunden wie Werper. Der belgische Offizier, dessen Anstrengungen von Erfolg gekrönt worden waren, war guter Laune und fühlte sich geneigt, seine Gefangenen wegen der Leichtigkeit zu necken, mit der sie gefangengenommen worden waren. Aber aus Affentarzan konnte er kein Wort herausholen. Werper indessen war überschwenglich in seinem Protest. Er erklärte, Tarzan sei ein englischer Lord, aber der Offizier lachte nur bei dieser Versicherung und empfahl ihm, seine Lunge für die Verteidigung vor Gericht zu schonen.

Sobald Tarzan das Bewußtsein wiedererlangt hatte und sich herausstellte, daß er nicht ernstlich verletzt war, wurden die Gefangenen rasch mitten in die Abteilung genommen und der Rückmarsch nach der Grenze des Kongo-Freistaates begann.

Gegen Abend hielt die Marschkolonne an einem Flusse, schlug das Lager auf und bereitete die Abendmahlzeit. Aus dem dichten Laub der nahen Dschungel spähten ein paar wilde Augen herüber und beobachteten mit stiller Aufmerksamkeit und Neugierde die Bewegungen der uniformierten Schwarzen. Unter den dicken Augenwülsten heraus sah das Geschöpf zu, wie die Boma errichtet wurde, wie die Feuer entfacht wurden und wie die Bereitung der Abendmahlzeit begann.

Seit dem Augenblick, in dem die Kompanie haltgemacht hatte, hatten Tarzan und Werper gebunden auf einem kleinen Stapel aus Tornistern gelegen. Aber als die Bereitung des Abendessens beendet war, befahl ihnen ihre Wache, sich zu erheben und an eines der Feuer zu kommen, wo ihnen die Hände losgebunden werden sollten, damit sie essen konnten.

Als sich der riesige Affenmensch erhob, trat ein erregter Ausdruck des Wiedererkennens in die Augen des im Dschungel hockenden Spähers und ein leiser Kehllaut drang über die wilden Lippen. Im Nu war Tarzan gespannt, aber das Antwortknurren erstarb auf seinen Lippen, weil er fürchtete, dadurch womöglich den Argwohn der Soldaten zu erregen.

Plötzlich kam ihm so etwas wie eine Eingebung. Er wandte sich zu Werper.

Ich werde jetzt mit lauter Stimme in einer Sprache, die Sie nicht verstehen, zu Ihnen sprechen. Tun Sie, als ob Sie aufmerksam auf das, was ich sage, lauschten und murmeln Sie gelegentlich etwas, als ob Sie mir in der gleichen Sprache antworteten – unser Entkommen kann vom Erfolg meines Versuches abhängen.

Werper nickte verständnisinnig und alsbald kam über die Lippen seines Gefährten eine merkwürdige Sprache, die sich ebensogut mit dem Knurren und Bellen eines Hundes wie mit dem Schnattern der kleinen Affen vergleichen ließ.

Die Soldaten in nächster Nähe sahen voll Überraschung nach dem Affenmenschen. Einige von ihnen lachten, während sich andere mit allen Anzeichen abergläubischer Furcht zurückzogen. Der Offizier näherte sich den Gefangenen, indes Tarzan immer noch schnatterte. Er blieb hinter ihm stehen, in grenzenlosem Erstaunen lauschend. Als nun gar Werper irgendein lächerliches Gewelsch zur Antwort murmelte, überstieg seine Neugierde alle Grenzen, er trat vor und verlangte zu wissen, welche Sprache sie da sprächen.

Tarzan hatte des Mannes Bildung nach der Art und dem Werte der Unterhaltung eingeschätzt, die dieser während des Marsches geführt hatte. Nun richtete er seine Antwort nach dieser Schätzung ein.

Es war Griechisch, erklärte er.

Oh! Ich dachte es mir, daß es Griechisch war, erwiderte der Offizier, aber es ist so viele Jahre her, seit ich es studierte, daß ich meiner Sache nicht ganz sicher war. Indessen möchte ich Sie doch ersuchen, in Zukunft eine Sprache zu sprechen, die mir geläufiger ist.

Werper drehte sich weg, um das Lachen zu verbeißen und flüsterte Tarzan zu: Für ihn war es eben wirklich »Griechisch« – und für mich ebenso.

Aber einer der schwarzen Soldaten raunte mit leiser Stimme einem Kameraden zu: Ich habe diese Laute schon früher gehört – ich hatte mich einmal nachts in der Dschungel verirrt, da hörte ich die behaarten Baummenschen miteinander reden, und ihr Geschnatter klang genau wie die Worte dieses weißen Mannes. Ich wünschte, wir hätten ihn nicht gefunden. Er ist überhaupt gar kein Mensch, er ist ein böser Geist, und wenn wir ihn nicht gehen lassen, steht uns Unglück bevor. Damit ließ der Bursche seine rollenden Augen ängstlich nach der Dschungel schweifen.

Sein Kamerad lachte nervös und schritt davon, um diese Unterhaltung mit Ausschmückungen und Übertreibungen den übrigen der schwarzen Soldateska zu erzählen. So dauerte es dann gar nicht lange, bis eine schauerliche Geschichte von Schwarzkunst und plötzlichem Tode den riesigen Gefangenen umwob und im Lager die Runde machte.

Derweil schwang sich in der düsteren Dschungel eine menschenähnliche Gestalt unter den dunkelnden Schatten der herniedersinkenden Nacht in südlicher Richtung dahin, um rasch einen besonderen, geheimnisvollen Auftrag auszuführen.


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