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Der Paß.

Es ist schon lange Nacht und ich wandere noch immer über die Berge zu dem Paß, ich wandere unter Wind und kaltem Nebel und hoffnungslos, doch voll Gehorsam folgt mir am Zügel das nasse, müde Pferd, mit den leeren Steigbügeln klirrend. Als ich in der Dämmerung am Fuße der Kiefernwälder ausruhte, hinter denen der baumlose und öde Steig beginnt, sah ich noch heiter hinab in die unermeßliche Tiefe unter mir, mit jenem eigenen Gefühl des Stolzes und der Kraft, mit dem man aus einer großen Höhe hinunterschaut. Dort weit unten im dunkelnden Tale konnte man noch Lichter sehen, am Strande des Meerbusens, der sich gen Osten weiter und weiter dehnte und sich gleich einer Wand von nebelhaftem Blau erhob, die den Himmel umarmte. Auf die Berge aber sank schon die Nacht herab. Es wurde schnell dunkel und je näher ich den Wäldern kam, um so düsterer und majestätischer wuchsen die Berge empor und in die Tiefen zwischen ihren Gipfeln stürzte in langen, wallenden Streifen der dichte, graue Nebel, vom Sturme gepeitscht. Er ward hinuntergerissen von der Höhe des Plateaus, das er gleichsam mit einem losen, gigantischen Zaune umgab und durch dessen Pfähle er die düsteren Tiefen der Schluchten zwischen den Bergen scharf hervortreten ließ. Der Wald begann schon zu rauchen, indem er vor mir emporwuchs unter tiefem, dumpfem, weltfremdem Rauschen der Kiefern. Es ward winterkühl, Wind und Schnee setzten ein … Die Nacht sank ganz herab und ich ging lange unter dem dunklen und nebligen Gewölbe des raunenden Bergwaldes und suchte mich wenigstens etwas vor dem Winde zu schützen. »Bald ist der Paß erreicht,« sagte ich mir, »die Gegend ist gefahrlos und bekannt, und in zwei bis drei Stunden werde ich in der Stille hinter den Bergen sein in einem lichten, bewohnten Haus. Jetzt wird's doch schon früh dunkel.« Aber es vergeht eine halbe Stunde, eine ganze Stunde … Jeden Augenblick scheint es mir, daß der Paß nur noch zwei Schritte von mir ist, der kahle, steinige Steig aber nimmt kein Ende. Drunten liegen schon lange die Kiefernwälder hinter mir, schon lange war das niedrige, vom Sturm gebeugte Buschwerk vorüber und ich beginne müde zu werden und zu frieren in dem kalten Nebel und Winde. Wir kommt der Friedhof derer, die auf dieser Höhe umgekommen, in Erinnerung – etliche Gräber inmitten eines Kiefernstandes, nicht weit vom Passe, in denen tatarische Holzhauer, die unter dem Wintersturm von der Jajla abgestürzt sind, begraben liegen … Diese Gräber sind nicht mehr fern – und ich fühle, auf welch weltfremder, wilder Höhe ich bin, und bei dem Bewußtsein, daß rings um mich jetzt nur Nebel und Abgründe sind, krampft sich mir das Herz zusammen. Wie werde ich an den einsamen Stein-Denkmälern vorübergehen, wenn sie im Nebeldunkel menschliche Gestalt annehmen? Werde ich denn erst in tiefer Mitternacht den Paß erreichen? Und werde ich genug Kraft besitzen, von den Bergen hinunterzusteigen, wenn ich schon jetzt die Vorstellung von Zeit und Raum verliere? Aber zum Nachdenken ist keine Zeit, – ich muß vorwärts …

Weit in der Ferne vor mir hebt sich dunkel etwas aus dem dahinziehenden Nebel … Da liegen finstere Hügel, schlafenden Bären gleich. Ich steige hinüber, von Stein zu Stein, und mir folgt das Pferd, wobei es immer wieder sich losreißt und klirrend mit den Hufen auf die nassen Kieselsteine tritt. Da merke ich plötzlich, daß von neuem der Weg langsam ansteigt! Ich bleibe stehen – und Verzweiflung faßt mich an. Ich zittere am ganzen Körper vor Anstrengung und Müdigkeit, meine Kleidung ist ganz vom Schnee durchnäßt und der Wind durchdringt sie durch und durch. Soll ich nicht um Hilfe schreien? Aber jetzt haben sich sogar die Hirten in ihre homerischen Hütten mit den Ziegen und Schafen verborgen – kein Mensch wird mich hören. Und mich umschauend denke ich fast mit Entsetzen:

»Mein Gott! Habe ich mich verirrt? Ist es vielleicht meine letzte Nacht? Und wenn nicht, wo und wie werde ich sie zubringen?«

Es ist spät, – der Kiefernwald rauscht dumpf und schlaftrunken in der Ferne … Die Nacht wird immer unheimlicher und unheimlicher, und ich fühle es, ob ich auch nichts mehr von Zeit und Raum weiß. Jetzt erlosch das letzte Licht drunten im tiefen Tale und allgewaltig deckt alles der graue Nebel, wissend, daß die Stunde seiner Macht gekommen, – die unendliche, unheimliche Stunde, wo alles auf der Erde vergeht und kein Morgen mehr tagt und nur die Nebel steigen und die Berge verschlingen, die majestätisch auf einsamer Mitternachtswache stehen, – und das Rauschen der Wälder wird über die Berge gehen, und dichter und dichter werden die Schneeflocken sinken auf den verödeten Paß. Indem ich mich gegen den Wind schütze, wende ich mich zu meinem Pferd. Das einzige lebendige Wesen, das um mich geblieben ist! Aber das Pferd schaut mich nicht an. Naß, erfroren, gebeugt unter dem Sattel, der traurig auf seinem Rücken hängt, steht es, demütig den Kopf zu Boden, mit gesenkten Ohren. Und ich reiße es erbittert am Zügel und setze von neuem mein Gesicht dem nassen Wind und Schnee aus und gehe ihnen von neuem entgegen, versuche ich mit meinem Blick meine Umgebung zu durchdringen, sehe ich nur die grau dahinwallende Finsternis, die einen mit ihrem Schnee blendet … und ich fühle unter den Füßen den schlüpfrigen, steinigen Boden. Horche ich, so vernehme ich nur das Sausen des Windes in meinen Ohren und das monotone Klirren hinter meinem Rücken … die Steigbügel schlagen aneinander.

Aber merkwürdig, – meine Verzweiflung macht mich stark! Ich schreite kühner aus und der erbitterte Vorwurf gegen einen, der dies alles verschuldet hat, freut mich. Ja, er geht schon über in jenen düsteren und hartnäckigen Gleichmut gegen alles, was kommen mag. Ein Gleichmut, der die steigende Sorge und Hoffnungslosigkeit süß empfinden läßt …

Da endlich ist der Paß! Jetzt ist es klar, daß ich die Höhe des Steiges erreicht habe, aber mir ist es gleich. Ich gehe über die glatte Fläche, der Wind jagt den Nebel in langen Fetzen und wirft mich hin und her, aber ich beachte ihn nicht. Schon aus dem Sausen des Windes und dem Nebel allein, fühlt man, wie tief die Nacht sich der Berge bemächtigt, – schon längst, längst schlafen in dem Tale in ihren kleinen Hütten die kleinen Menschen, aber ich eile nicht, ich gehe mit zusammengebissenen Zähnen und murmele, mich zum Pferde wendend: »Macht nichts, macht nichts, vorwärts! Wir gehen, bis wir hinunterstürzen … Wieviel solcher schwerer und einsamer Pässe gab es schon in meinem Leben! Von früher Jugend an geriet ich von Zeit zu Zeit in ihren Bannkreis. Wie die Nacht schlichen an mich heran Kummer und Sorge, Krankheit und Elend, an mich und meine Nächsten; Treubruch und Verrat, von denen, die ich liebte, der Freundschaft bittres Leid und die Stunden des Abschieds von allem, was mir lieb und teuer geworden. Aber unentwegten Herzens nahm ich den Wanderstab und ging … und die Pfade zu neuem Glück waren steil und beschwerlich. Nacht, Nebel und Wind überfielen mich auf der Höhe und die unheimliche Einsamkeit packte mich auf den Pässen … Macht nichts, vorwärts!«

Jeder muß über seinen Paß.

Stolpernd wandle ich wie im Schlafe. Bis zum Tagesanbruch ist es noch weit. Die ganze Nacht werde ich hinuntersteigen müssen durch die Täler und erst am frühen Morgen vielleicht werde ich schlafen können, einen Totenschlaf, – zusammengekauert nur eins zu fühlen, – die Wonne der Wärme nach der eisigen Kälte – und die süße Ruhe nach dem qualvollen Wege.

Der Tag wird mich wieder mit Menschen und Sonne erfreuen und wieder mich auf lange Zeit betrügen und mich zwingen, der Pässe zu vergessen. Aber sie werden von neuem kommen und der schwierigste, und einsamste wird der letzte sein … Wo werde ich hinunterstürzen und für immer in der Nacht und in dem Sturm auf den nackten, urewig öden Felsen bleiben?


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