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Das Holzfeuer.

Am Kreuzpunkt einer großen Landstraße, an einem hohen Pfahl, der den Weg durchs Feld weist, brannte im Dunkeln ein Holzfeuer. Ich fuhr in einer dreispännigen Kutsche, hörte das Läuten der an dem Kummet hängenden Schellen und atmete die Frische der Steppennacht. Das Holzfeuer flammte immer heller auf und je näher ich kam, um so schärfer zeichnete sich die Flamme in der umgebenden Finsternis ab. Bald konnte man den Pfahl selbst erkennen, der von unten erhellt ward und die schwarzen Gestalten der Menschen, die auf der Erde saßen. Es schien, daß sie gleichsam wie Verschwörer die Nacht in einer unterirdischen Höhle zubringen, und daß die dunklen Gewölbe dieser unterirdischen Höhle leise unter den sich verschlingenden Feuerzungen erzittern.

Als ihr Wiederschein die Köpfe unseres Dreigespanns traf, wandten sich die Menschen, die um das Holzfeuer saßen, nach uns um und lauschten. Sie waren voll gespannter Aufmerksamkeit, die Gesichter von Rot übergossen. Der Hund, der bis dahin unbemerkt im Dunkel gelegen, trat plötzlich aus dem feurigen Grunde hervor und begann sitzend zu bellen. Unruhig erhob sich, ohne den Blick von uns zu wenden, jetzt auch einer der Sitzenden. In dem begrenzten Raume, der vom Holzfeuer erhellt war, erschien seine Figur ungeheuer.

»Girla!« rief er mit hohlem Kehllaut dem Hunde zu.

Warum zog es mich zu diesem Holzfeuer? Es lag etwas Eigenartiges, Schönes in der Flamme inmitten dieser Finsternis und etwas Verwandtes fühlte ich bei dem Aufenthalt dieser Menschen in der Steppe, die an der Landstraße nächtigten. Wenn du lange über den Feldweg fährst und nur den Sternhimmel und die Dämmerung über den ineinander verschwimmenden Ebenen siehst, wird der Schmerz der Einsamkeit hoffnungslos wie die Steppennacht, und dann lockt dich jedes Feuerchen in der Ferne um so stärker. Ich wußte aber nicht, was ich mit den Menschen reden sollte und so hielt ich nur die Pferde an, verbeugte mich und bat um Zündhölzer.

»Guten Abend, dürfte ich meine Zigarette bei Ihnen anzünden?«

Infolge des Hundegebells konnte der Mann, der in erwartungsvoller Haltung sich vor mir erhob, ein starker, alter Mann mit hochgewölbter Brust, in einer Schafsmütze und einem über die Schultern hängenden Pelze, mich nicht verstehen und stampfte wütend mit dem Fuße.

»Ach, du verdammtes Biest!« schrie er den Schäferhund an und ohne den argwöhnischen Blick von mir zu wenden, fügte er in seiner gutturalen Zigeunermundart hinzu: »Guten Abend, junger Herr, was belieben Euer Gnaden?«

Seine Nasenflügel waren scharf und charakteristisch geschnitten, der Bart ging bis zu den Augen und in diesen schwarzen, weit aufgerissenen Augen, in dem schwarzen, harten Haare, das in Locken unter der Mütze hervortrat und in dem harten, welligen Barte – in allem fühlte ich die Wildheit und Gespanntheit eines Steppenmenschen, dessen Gewissen an diesem Abend nicht ruhig ist.

»Ich habe nichts, um die Zigarette anzuzünden, geben Sie mir, bitte, ein paar Zündhölzer,« sagte ich mit geheuchelter Einfachheit.

»Haben denn Zigeuner Zündhölzer?« entgegnete der Alte lächelnd und wandte sich für einen Augenblick zu den zwei andern, die am Feuer saßen und gleichfalls Pferde und Karren betrachteten. – »Vielleicht kann der Herr am Holzfeuer die Zigarette anzünden.«

»Schön!« sagte ich und zog eine Zigarette aus der Tasche.

Der Alte trat an das Feuer, beugte sich darüber und nahm ruhig einige glühende Holzstücke in seine Linke. Ich beeilte mich, die Zigarette daran zu bringen und warf zwei, drei flüchtige Blicke auf das kleine Zigeunernachtlager. Einer von den Sitzenden war ein rothaariger, in Lumpen gehüllter Muschik, scheinbar ein landstreichender, heruntergekommener Arbeiter, der andere, ein junger Zigeuner, wie man sie oft auf den Jahrmärkten im Süden trifft. Er saß, stolz den Kopf zurückgeworfen und während er mit den Händen die emporgezogenen Knies seiner mageren Beine umfaßt hielt, schielte er seitwärts nach mir hin. Sein bläulich gebräuntes Gesicht war fein wie bei einem orientalischen Prinzen, seine Gestalt hoch und graziös wie bei einem Beduinen. Das Weiße seiner Augen trat sonderbar in diesem Gesicht hervor, so daß es ihm einen erstaunten Ausdruck verlieh.

Seine Kleidung war geputzt: feine Stiefel, eine neue Mütze, ein Stadtrock, ein seidenes blaues Hemd und eine lange silberne Kette um den Hals.

»Vielleicht hat sich der Herr verirrt?« fragte der Alte, indem er das Holzfeuer schürte.

»Nein,« murmelte ich mechanisch und schaute noch einmal über das Feuer hinweg, das mich mit seinem hellen Schein blendete. Und da traten die grauen Falten eines großen Lagerzeltes hervor, ein hingeworfenes Kummet und die Deichsel eines Wagens, und daneben ein Samowar, Töpfe, eine große Pferdedecke, worauf eine dicke Zigeunerin in Lumpen gehüllt lag, mit einem halbnackten Säugling an ihrer Brust. Über all dem stand ein Mädchen von fünfzehn Jahren und starrte mich an mit melancholisch sehnsüchtigen Augen von ungewöhnlicher Schönheit. Sie trat ganz plötzlich aus dem Dunkel hervor, aber ein Augenblick genügte: Ich sah im Nu die groben, pechschwarzen Haare, die leidenschaftliche Weichheit der Augen, der Lippen und des ganzen, altägyptischen Gesichtsovales. Mit einem Blick umfaßte ich die Formen des graziösen Mädchenleibes im blauen, feinen Kleide, das sie längst schon ausgewachsen …

Etwas erzitterte in meinem Herzen, aber in allen Gesichtern lag so viel fragende Erwartung, in den Augen und den Lumpen des Landstreichers so viel Frechheit, daß ich verlegen wurde und den Kutscher am Arm rührte.

»Braucht vielleicht der Herr Begleitung?« wiederholte der Alte lebhaft.

»Nein, ich danke,« antwortete ich hastig und sah noch einmal gierig nach dem Holzfeuer und warf mich in den Sitz zurück.

»Vorwärts!« rief ich mit fester Stimme.

Die Pferde zogen an, die Hufen klopften im Takt und die Schelle erging sich in klagenden Tönen, das Bellen des Hundes unterbrechend, der uns nachstürzte. Ich habe kaum dem Lager zugenickt …

Es roch und duftete nicht mehr nach dem brennenden Steppengrase des Holzfeuers. Ins Gesicht wehte die Frische der Nacht und in dunkler Dämmerung liefen mir wieder die Felder entgegen. Das schwarze Kummet zeichnete sich hoch am Himmel ab und berührte schwankend die Sterne. Doch verwob sich schon alles zu der schönen Mädchengestalt, die plötzlich vor mir auftauchte. Noch deutlicher, als am Holzfeuer, sah ich jetzt die schwarzen Haare, die weichen, leidenschaftlichen Augen und das alte, silberne Halsband … Und im Dufte des tauigen Grases und in dem verlorenen Schellengeläute, in den Sternen und in dem Himmel war schon ein neues Gefühl, – ein sehnsüchtiges, unfaßbares und darum um so süßeres. Und es schien, daß ich unverbesserlich gehandelt habe, gedankenlos, da ich etwas Nahes, eben für mich Geschaffenes verließ, das nur durch irgend einen Zufall des Geschicks mir mehr und mehr entflieht …


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