Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Welga.

Eine nordische Legende.

Hörst du, wie die Möwe über dem wogenden und aufgeregten Meere klagt?

In nebliger Ferne, gen Westen verlieren sich die dunklen Wasser; in nebliger Ferne gen Norden entschwindet der felsige Strand. Es ist kalt und windig. Der dumpfe Lärm der Meereswogen, bald schwächer bald stärker – wie das Raunen des Kiefernwaldes, wenn anschwellend über seine Wipfel der Sturm geht – tönt tief und gewaltig aufseufzend unter dem Schrei der Möwen … Siehst du wie einsam und obdachlos sie kreist und weiß schimmert im trüben Herbstnebel und sich wiegt im Winde auf ihren elastischen Schwingen?

Das prophezeit Unwetter. Nachts zieht das Gewitter herauf. Der Tag wird düsterer und düsterer schon seit dem frühen Morgen. Hier auf diesem ungastlichen nordischen Meere, auf seinen öden Inseln und Ufern herrscht das ganze Jahr Ungewitter. Jetzt aber ist es Herbst und im Herbst ist der Norden noch trauriger. Das Meer bäumt sich düster auf und nimmt eine dunkle Eisenfarbe an. Von der Ferne erscheint sein Spiegel höher als der Strand und entschwindet tosend in die unermeßliche, neblige Weite gen Westen, während der Wind immer toller von Sonnenuntergang her die Wogen heranpeitscht und weit hinaus der Möwen Schrei trägt.

Kri–e! tönt es klagend und schrill durch den Wind.

Am Morgen flog sie in unruhigem Bogen über die Brandung. Das Meer umtoste den ganzen Strand unter wallenden Wirbeln, hier wühlte es, in vollem Laufe den Strand stürmend, unter ganzen Wasserstürzen wirbelnden Schaumes mit donnerndem Getöse den Kies auf, dort zersprühte es wie kochender Schnee zischend auf den Steinen und leckte mit breiten Zungen den Strand, glitt aber sofort zurück wie Glas. Die neue wirbelnde Woge unterstützend, zerstob es in der Ferne an den Steinen und sprang empor in die Luft – und weit hinaus erdröhnte der ganze Strand von dem Wellenansturm …

Die Möwe warf sich kreischend in die Wogen, strich geschmeidig hin durch ihre Täler, wurde durch eine neue Welle bis auf den Kamm gehoben und ganz übersprüht von Schaum schwang sie sich hinauf. Der freie Wind trug sie tief hin über das Meer.

Dann war es als würde sie müde. Ein Ungewitterabend sinkt herab und die Möwe wiegt sich schon machtlos im Winde und entschwindet immer weiter, weiß im Nebel schimmernd, vom Strande hinaus ins Meer …

Hörst du, wie klagend ihr Freudeschrei klingt?

Kaum, kaum noch ist sie in der Dämmerung zu sehn.

Hastig sinkt die düstere, sturmschwere Nacht herab; häufiger und häufiger, bald hier, bald dort, schimmern im Meere die grauen Wogenkämme.

Das Tosen der Brandung wächst. Der eiskalte Wind türmt die Wellen und reißt sie herab und trägt die Gischt und den scharfen Duft des Meeres in die Luft.

Kri–e, tönt es irgendwoher aus der tiefen Ferne.

Das ist die vereinsamte Möwe, die sich hin und her wirft …

Höre mir zu, ich will dir unter dem Getöse des wütenden, nordischen Meeres eine alte nordische Legende erzählen.

 

I.

Lange ist es her, vor undenklichen Zeiten.

Am kalten, nordischen Meere lebte die junge und starke Welga. Gen Sonnenuntergang waren Wasser, gen Osten nur ein sandiger Strand, der nahe hinter dem Dorfe eins wurde mit dem Himmel. Was dort gen Osten war, wußte nicht und wollte Welga nicht wissen. Sie wanderte nie gen Osten. Auch ihr Vater nicht und nicht die Mutter, nicht die ältere Schwester Sneggar. Nur das Meer kannten sie.

Am Meere verlebte Welga ihre Kindheit. Schnell war sie vergangen voll heiterer Lust! Im Winter, wenn das Meer bis zum Himmelsrande selbst seine schwarzen Wogen türmte und der Strand mit weißem Schnee sich deckte, schlief Welga in weichen Eiderdaunen und beim Erwachen sah sie das lustige Herdfeuer in der dunklen, niedrigen Hütte vor sich. Im Sommer, wenn die Sonne scheint, ein warmer Wind weht und leise die Wellen des Meeres plätschern, suchte Welga im Sande nach Eiern des Regenpfeifers und Sturmseglers oder sie lief zur Brandung, legte sich nieder am Strande das Haupt zum Meere gewandt, während die Wellen von oben sie tosend umsprühten … So vertrieb sie sich die Zeit im Sommer, und immer waren mit ihr Irwald und Sneggar. Die dicke Sneggar lachte und sang oft, aber sie konnte nicht so jauchzend schrein und so kühn ins wogende Meer sich werfen wie Welga. Irwald jedoch konnte es, er war gewandt und stets voll jugendlicher Lust.

»Irwald! warum bist du nicht mein Bruder?« sagte Welga zu ihm. »Warum hab ich keinen Bruder, den ich so liebe wie dich, Irwald? Ich hätte nicht nach dir mich den ganzen Winter zu sehnen brauchen.«

Er schaute sie an, lächelte und stürzte plötzlich zum Meere. »Schau, schau, ein Taucher!« schrie er ihr zu. »Wollen wir ihn fangen?«

Und wie der Wind jagten sie einander nach, verschwanden dort, wo in den Höhlen am Strande laut die Stimme wiederhallt, wo die hohen Felsen sich türmen und das schwere Wasser tosend sich bäumt und zwischen ihnen durchgleitet, zischt und brandet, und zurücksinkend in Strahlen von den flachen Steinen herunterrieselt. Dort reizten sie die Wogen, indem sie nahe heranliefen und dann schliefen sie, waren sie müde geworden, einen tiefen, glücklichen Schlaf …

Warum verrauschte so schnell die Kindheit Welgas? … Doch blieb Welga auch später noch lange Zeit voll heiterer Fröhlichkeit. Immer ungeduldiger verbrachte sie die langen Winter in der unter Schnee begrabenen Hütte. Sie wurde vierzehn Jahre alt und Irwald sechzehn und oft fuhr er aufs Meer zum Fischen hinaus. Wie freute sich aber Welga, kehrte er zurück!

»Mein lieber Irwald,« sagte sie zu ihm, »ich möchte weinen, weil du so lange fort warst und möchte lachen, weil ich dich jetzt wiederseh'!«

Aber auch Sneggar wuchs heran und Irwald begann Welga zu vergessen. Er saß oft neben Sneggar und schaute in ihr lustiges Gesicht. Welga folgte ihnen in der Ferne. Sie wollte nicht in Gegenwart der Schwester mit Irwald sprechen, wenn er aber den Strand entlang nach Hause ging, holte Welga ihn ein und begleitete ihn bis zur Schwelle.

»Lieber Irwald,« sagte sie zu ihm, »warum saßt du so lange neben Sneggar? Warum stört der Kummer meine Freude?«

Und Welga begann allein am Strande des Meeres laute, lustige Lieder unter Tränen zu singen. Und wenn Gespielinnen ihr begegneten, verstummte sie und ihr Gesicht ward düster und stolz.

 

II.

Welgas väterliche Hütte stand einsam, fern vom Fischerdorfe, am steinigen Strande, der von hartem Sand bedeckt war. Zur Flutzeit stieg das Meer bis zur Schwelle des Hauses und die Sturmflut schlug sogar bis an das mit den Häuten des Tauchers umwickelte Fenster. Dann brach Sneggar das lustige Lied ab, legte voll Schrecken die Arbeit nieder und ging vom Fenster fort. Die alte Mutter Welgas flüsterte Beschwörungssprüche und horchte voll Angst auf das Heulen des Windes. Aber Welga fürchtete den Sturm nicht. Mit dem Vater zusammen trat sie auf die nasse Schwelle der Hütte, wickelte die Netze im Winde zusammen, lief ins Wasser hinein und das kalte Wasser umspülte steigend und sinkend ihre nackten Füße, umsprühte sie mit zischender, grauer Gischt und umflocht sie mit blaßgrünem Meergras. Sie zerriß es mit den Füßen und atmete in starken, vollen Zügen den frischen, feuchten Wind, hob ihm den Kopf entgegen, und der Sturm wühlte in ihrem dunkelblonden Haar. So stand sie jung und schlank und ihr Gesicht war kühn und hell, während ihre azurblauen Augen, den Sturm durchbohrend, in die Ferne schauten. Aber nur die Vögel des heiligen Petrus schwebten dort über den kreischenden Schwärmen und liefen mit gebreiteten Fittichen über das Wasser auf den höchsten Kämmen der sich türmenden und zerrinnenden Wasserberge …

Wonach schaute denn Welga aus? Die Mädchen hießen sie die Traurige und die Böse, weil sie nie grundlos lachte und nie mit der Schwester bei der Arbeit sang. Aber nie bis zum fünfzehnten Lebensjahr war Welga traurig und böse. Ihr Herz war voll Lust und Kühnheit wie ein junger Vogel und Welga freute sich des Meeres und des Sturmes, der Sonne und der Erde, ihrer Mädchenfreiheit. Nur war sie ohne Irwald sehr traurig, da sie so gern ihm sagen wollte, wie schön es ist auf der Welt zu leben … Und Irwald war schon lange auf dem Meere. Welga wurde es müde, an den Strand zu gehen und nach den Wellen zu schauen; sie möchte über das Meer hinausschreien, daß sie es müde ist, Irwald zu erwarten, daß er Sneggar nicht lieben darf, wenn Welga ohne ihn nicht leben kann …

Und da der warme Wind von Sonnenuntergang her wehte und die Sonne ins Meer tauchte, kam Welga zur Schwester und sagte ihr: »Liebe Sneggar, willst du, so erzähle ich dir, wie lind der Sommerwind ist, wie leise das Meer atmet und wie weh es mir ohne Irwald ist?«

»Ich will nicht,« antwortete Sneggar, müßig und ruhig auf der Schwelle sitzend.

Welga wandte sich ab und ging von ihr fort. Sie setzte sich am Strande nieder, gesenkten Hauptes, und lauschte lange wie das linde Wasser in der Dämmerung rauschte. Tränen fielen in warmen Tropfen auf ihre Hände.

Plötzlich nahte Irwald im Boot. Sie schrie auf, während er auflachte und ihr befahl, die Fische und Netze ans Land zu bringen. Gehorsam und lange arbeitete sie mit ihm, wobei sie verlegen ihn ausfragte, wohin er gefahren. Als aber der große, blasse Mond über dem Meere aufstieg, ließ sie sich müde im leeren Boote nieder und seufzte unter dem nächtlichen Winde.

»Irwald,« sagte sie, »weißt du, ich habe so lange geweint ohne dich. Ich ging über den Strand und mein Herz klopfte in unruhiger Sehnsucht. Als du aber kamst, ward mir so leicht und wohl und heiter.«

Irwald aber saß schweigend am Steuer und schaute in den Mond. Welga wurde es peinlich, daß er nicht antwortete und, die Augen zu Boden gesenkt, fragte sie leise: »Hast du meine Worte gehört, Irwald?«

»Ja,« sagte Irwald.

Da senkte Welga tief ihren Kopf und sagte: »Nimm mich zu dir ins Haus, Irwald! Ich will mit dir hinausfahren aufs Meer, will für dich immer lustig sein, dir Lieder singen und mit dir arbeiten. Es ist so schön mit dir auf der Welt zu leben!«

»Wir werden nie zusammen leben,« – antwortete ihr Irwald fest. »Morgen fahre ich wieder aus mit dem Boot und wenn ich zurückkehre, nehme ich Sneggar bei der Hand und führe sie heim. Dort werden wir den Winter verbringen und im Sommer werden wir wie zwei Taucher hinaus fahren aufs Meer.«

»Und ich?« sagte Welga langsam und fühlte, wie schwer ihr Herz klopfte. – »Werde ich allein bleiben?« fuhr sie mit lauter Stimme fort und stand auf im Boot.

»Ja,« antwortete Irwald.

Da sprang Welga hastig auf das Ufer und ging über den Strand gen Süden. Und als sie weit fort war, lief sie nach einem grauen Fels und schrie dem Monde zu, daß es ihr weh im Herzen ist, brach in Schluchzen aus und fiel auf dem Felsen nieder.

 

III.

Hörst du, wie wild der Wind in der Finsternis heult? Ungastlich ist das nordische Meer!

Drei Tage und drei Nächte lag Welga, vom Kummer entkräftet, am Strande und am vierten Morgen ward es Herbst und im düsteren Nebel rauschten schon die schweren Wogen. Und als Welga der kalte Wind umbrauste, sprang sie auf und stürzte sich ins Meer. Aber die Welle hob sie auf und warf sie weit, weit auf den Strand zurück.

»Das Meer will nicht, daß ich sterbe,« sagte sich Welga. »Erst muß ich Irwald töten.«

Und schweigend kehrte sie nach Haus zurück. Die Tränen auf den Wangen trockneten. Ruhig und streng war ihr Antlitz, aber dunkel war es in ihrem Herzen.

»Sneggar,« sagte sie zur Schwester, »ist Irwald fortgefahren?«

»Ja,« antwortete Sneggar gleichgültig.

»Wann kehrt er zurück?« fragte Welga.

»Wenn der nasse Schnee fällt und das Meer dunkel wird,« entgegnete Sneggar.

Dann aß Welga Fisch und trat vor die Schwelle der Hütte. Dort setzte sie sich im Winde nieder, saß den ganzen Tag, mit düster zusammengezogenen Brauen. Als es Nacht wurde, ging sie hinein und am Morgen trat sie wieder hinaus, Irwald zu erwarten. So verbrachte sie die Tage und Nächte, bis der erste nasse Schnee fiel.

»Bald kehrt Irwald zurück,« dachte Welga, und die süße Bitterkeit der Kränkung und Wut erfüllte ihr sehnsuchtsvolles Herz. »Ich werde ihn töten und dann selbst im Grabe Ruhe finden.«

Aber Irwald kehrte nicht zurück. Schon sank die Dämmerung hernieder und immer öfter stand Welga von der Schwelle auf und schaute gespannten Blickes ins Meer. Und auf dem Meer wütete ein Sturm wie nie zuvor! Und im Dunkel trat der alte Vater Welgas aus der Hütte. Er war mächtig wie ein alter Fels inmitten des Meeres, aber sein Antlitz war traurig an diesem Abend und der Wind zauste seine grauen Haare.

»Welga, mein Kind,« sagte er freundlich, »warum hast du die väterliche Hütte verlassen? Schau, eine unheilvolle Nacht zieht stürmisch herauf und untröstlich grämt sich das Menschenherz bei ihrem Anblick. Hilf mir, die Wände mit Stützen zu sichern, auf das walfischfellene Dach Steine zu legen und wir wollen uns bergen unter dem Dach vor Ungewitter und Nacht.«

Unter den milden Worten erzitterte Welgas Herz von Mitleid zu sich selbst, zum Vater und zu Irwald. Hastig begann sie mitzuhelfen bei der Arbeit. Der Wind riß sie hin und her und verdüsterte die Lust mit Sprühregen, als wütete der Sturm auf dem Meere. In die Fenster der Hütte selbst schlugen schäumend die Wogen, und erschrocken eilte Welga hinter dem Vater ins Haus.

Doch im Dunkel der Nacht erinnerte sie sich plötzlich, wie vor vielen Jahren, als Irwald noch ein Kind war, er in der Hütte übernachtete, vom Sturm überrascht. Er war diese Nacht ihr Gast und sie selbst machte ihm das Lager und küßte ihn, nach der Sitte der Gastfreundschaft, vor dem Schlafengehen. Sie erinnerte sich, seines heiteren, ihr so lieben Antlitzes – und noch mehr wuchsen in ihrem Herzen Liebe und Mitleid. Dann vergaß sie, daß sie ihn töten wollte, erhob sich schnell vom Lager und begann unruhvoll zu lauschen. Ihr war als höre sie im Tosen des Windes seinen Schrei und die ganze Nacht bebte sie voller Angst und ganz entkräftet verfiel sie am Morgen erst in Schlummer. Das Meer wurde stiller; in der Luft wehte der frostige Hauch des Winters. Und als Welga erwacht war und die Türe des Hauses öffnete, um den Tag einzulassen, trat Sneggar auf der Schwelle ihr entgegen.

»Welga,« sagte sie und brach in bittre Tränen aus, »der Sturm hat Irwald auf die öden Inseln des Eismeeres getrieben und sein Boot zerschellt. Er ist jetzt allein auf dem Meere und erwartet den Tod von der Kälte, dem Hunger und den gefräßigen Seevögeln.«

»Wer hat dir's gesagt,« schrie Welga.

»Ich war bei der weisen Tscharna und sie hat es mir aus den Häuten des Tauchers gedeutet,« antwortete Sneggar und das Antlitz mit den Händen bedeckend, warf sie sich schluchzend aufs Lager.

»Sneggar!« wollte Welga zärtlich sagen. Aber ihre Brauen verfinsterten sich und sie riß mit kräftiger Hand die Türe auf.

»Schweig',« sagte sie hart. – »Ich liebe und hasse dich!«

 

IV.

Sie ging hastig über den Strand gen Norden. Am kalten und dunklen Abend trat sie in die Hütte der Tscharna ein, die warm von dem flammend auflodernden Herdfeuer war.

»Lehre mich, du Wissende!« rief sie vor Tscharna, »zeige mir den Weg zu Irwald!«

»Eile!« sagte Tscharna. »Zwei Tage und zwei Nächte mußt du fahren. Kommst du am dritten Morgen nicht zu ihm, so ist er verloren. Aber sag' mir, Welga, hast du schon gehört von den Einöden des Eismeeres, wo es so wild und leer ist wie an den ersten Tagen der Welt? Kannst du für immer dein Vaterhaus verlassen?«

Wie ein gefangener Fisch zuckte das Herz Welgas, aber mit loderndem Antlitz antwortete sie Tscharna: »Habe Mitleid mit mir, Tscharna! Ich bin jung und möchte nicht vom Leben scheiden. Wenn es aber so sein muß, sage mir nur, was wird mit mir sein?«

»Zwei Tage und zwei Nächte wirst du voll Gram und Angst auf dem Meere sein,« sagte Tscharna. »Und wenn du die Insel betrittst, wo Irwald schmachtet, wirst du dich in eine Möve verwandeln und er wird nicht erfahren, für wen du dich geopfert. So will es das Schicksal.«

Wie der erste Schnee erbleichte da Welga. Aber ihre Augen leuchteten auf in Freude und sie antwortete Tscharna: »Ich gehe, Tscharna.«

»Eile,« sagte Tscharna, »schon verglimmt der Dämmerung roter Strahl hinter dem Meere unter den schwarzen Wolken.«

Dem Winde entgegen über dem nassen Land des Strandes lief Welga zum brandenden, finsteren Meere. Sie wollte dem Vater, der Mutter und Schwester »Lebe wohl« zurufen, aber unruhig wogte das Boot hin und her in den Wellen am Strande und Welga sprang schnell hinein. Gen Sonnenuntergang, wo matt der rote Strahl der Dämmerung leuchtete, steuerte sie das Boot und stand auf den Wellen sich wiegend und Tränen brannten ihr in den Augen, während der Wind im Dunkel ihr weißes Kleid peitschte und ihr vom Eismeere her ins Antlitz schlug.

 

V.

Sie flog wie eine Möve dahin. Ihr Herz krampfte sich zusammen vor Schmerz, in Todeserwartung, aber sie wollte es nicht glauben, daß Irwald nie erfahren sollte, für wen sie sich geopfert. Und ein Schauer erfaßte Welga, als sie beim Tagesanbruch sich vom bleichen eisigen Meere auf sandiger, öder Insel umgeben sah. Niemand war auf der Insel. Nur die Wellen liefen den Ufersand hinauf und schimmerten in weißem Schaume. Kleine »Wasserhirten« auf hohen, zierlichen Beinen liefen in der Brandung umher und suchten Nahrung in den Muscheln. Aber auch der »Wasserhirten« gab es wenig. Fast alle flogen sie den Winter über an die Gestade, wo warme Winde wehen. Und noch tiefer grämte sich das Herz Welgas.

Das Eismeer nahm seinen Anfang. Den ganzen Tag fuhr Welga und kam in jene unendlichen Wasser, die am Rande der Welt sich verlieren und eins werden mit dem Himmel. Zimmer schwerer schlugen die Wellen an den Boden des Schiffes, da schon kein Meeresgrund mehr unter ihnen war. Wilde nordische Vögel leben in jenen Meeren, fern von den Menschen auf felsigen Inseln. Sie sind stark und mit dichtem Gefieder bekleidet, sie können den ganzen Winter über unter dem Eise schwimmen und tief in das eisige Wasser tauchen. Tausende von ihnen nisteten sich ein auf den Inseln, und jede Insel schimmerte weiß von Vögeln. Dort waren Nester auf einsamen Felsen und in Höhlen unter dem Gestein … Und in der Dämmerung fuhr Welga an der größten Insel selbst vorbei.

Von oben bis unten ward sie ganz bedeckt wie mit grauer Rinde, von dem Mist der Vögel, ihren Federn und Flaum. In langen Reihen saßen die Vögel auf allen Felsspitzen. Unten nisteten die kleineren, oben hockten schlummernd die größten und gefräßigsten mit weißen Bäuchen und schwarzen Rücken, mit dicken Hälsen und kleinen Köpfen, mit glänzenden Augen in Ringen von weißem Flaum und ungeheuren, häßlichen Schnäbeln und starken, roten Beinen und kurzen, krallenlosen Füßen. Die Vögel schwatzten laut und wütend, und da die Abenddämmerung einbrach und Welga, erschöpft vom Kampfe mit dem eisigen Winde am Ufer landete, um auszuruhen, erhoben sich Tausende von ihnen über ihr und die größten lachten und kreischten. Freudig und wild suchten sie einander zu überschreien … Und wie Schnee erblich Welga, nahm ihre letzte Kraft zusammen und sprang wieder ins Boot. Wieder flog sie wie eine Möwe dahin … Der eisige Nebel umhüllte sie mit Finsternis. Er kam daher, wo das Meer mit dem Himmel eins wird. Welga aber weinte und grämte sich nicht mehr, – sie bebte im Schmerz vor ihrem eigenen Tode und in Freude für Irwald.

Und gegen Abend des letzten Tages erschien im grauen und trüben Nebel ein hoher und öder Fels am Rande der Welt, – der Fels, den nur die mächtigen Wikinger erreicht haben und in den sie eiserne Ringe bohrten, um die Boote anbinden zu können. Das wütende Tosen und Donnern der Sturmwinde verschmolz dort mit dem tausendstimmigen Schrei der Raubvögel, die im Nebel kreischten. Und Irwald lag an der Brandung, entkräftet von Kälte und Hunger, im Schlafe vor dem Tode. Er war bleich wie der Schaum des Meeres und in seinen Locken war nasser Sand.

»Irwald!« rief Welga leidenschaftlich und laut.

Von dem Laut ihrer Stimme erwachte Irwald und Welga wollte ihm zurufen, daß sie ihn liebt wie in der Kindheit, aber ihre Füße berührten nicht den Boden als sie vom Schiffe auf das Gestade sprang: Sie blieb in der Luft hängen wie eine weiße Möwe auf ihren Fittichen und ihr Schrei war der klagend freudige Schrei einer Möwe über Irwald. Er erwachte sofort von dem Schrei, – die Stimme des Freundes berührte sein Herz – aber hinaufschauend sah er nur eine weiße Möwe, die kreischend sich über dem Boote emporschwang.

*

So kam Welga um und zum Leben kehrte der zurück, den sie liebte.

Er fuhr gen Osten. Lange kreiste sie über dem Wasser, Irwald begleitend. Und als er in die Weite entschwand, wiegte sie sich wie eine heimatlose Möwe im Winde. So grämt sie sich auch bis auf den heutigen Tag und schreit vor einem Unwetter, sich der Nebelfelsen erinnernd, wo einst Irwald schmachtete …

Aber aus ihren Klagen klingt die Freude heraus.

Auf dem Meere wüten Stürme, Gram verdüstert das Leben und wie im Meere kommen die Menschen in Leiden um. Ungastlich ist das drohende Meer, voller Leiden ist das Leben, aber eine große Freude ist – das Leiden für den Nächsten!


 << zurück weiter >>