Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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15

Drei Jahre waren vergangen. Svend war im Denken und Aussehen ein Engländer geworden. Das Akademische war ganz von ihm abgeglitten. Niemand hätte diesen, eleganten Weltmann mit dem sicheren Auftreten ansehen können, daß er über Büchern geträumt und seine besten Jugendjahre in einem Kontor gesessen hatte.

Er selbst aber hat nichts vergessen. Wohl mag er nachsichtig über dieses und jenes lächeln, was ihm einst groß und unumgänglich notwendig erschien. Aber er hat nicht vergessen, was er sich selbst und seinen schweren Lehrjahren schuldet. Das Leben ist ihm zugänglicher geworden, und er weiß, wo er es angreifen soll. Es ist etwas ganz anderes, was er jetzt will und was er für notwendig und nützlich ansieht – und dennoch im Grunde ganz dasselbe. Nur sein Gesichtspunkt hat sich geändert – jetzt, wo er mit beiden Füßen fest auf der Erde steht.

 

Es war an einem Abend in der Säson, ungefähr Mitte Juni. Die Uhr war nach zwölf. Die Luft war so warm, daß Svend die Tür zu seinem Privatkontor, einem kleinen Zimmer hinter der Halle, das für ihn eingerichtet worden war, nachdem man ihm auch die Buchführung des Restaurants übertragen, geöffnet hatte.

Eine Gesellschaft kam in die Garderobe, wo der gepuderte Diener ihnen beim Ablegen der Mäntel behilflich war.

Da traf eine bekannte Stimme Svends Ohr. Er blickte von seinem Hauptbuch auf und lauschte. War das nicht Dänisch?

Dann ertönte noch eine Stimme, hoch und klar, gleichsam lachend in ihrer schönen Klangfülle.

Er hatte sich nicht geirrt. Es war Dänisch, und es war die Stimme eines Sängers. Darauf verstand er sich; die Herren vom Covent Garden kamen hier häufig nach der Theaterzeit.

Er stellte sich in die Tür und lauschte, die Garderobehaken verdeckten die Aussicht.

Da erklang eine hohe, zwitschernde Damenstimme, die sein Herz zum Schlagen brachte.

»Durchlaucht scheinen hier wie zu Hause zu sein!« sagte sie neckend.

Es war Ellens Stimme. Er hätte sie unter Tausenden erkannt.

Und jetzt hörte er auch die Stimme des Prinzen, aber er konnte nicht verstehen, was er sagte, weil er den Rücken zukehrte.

»Bitte, laß das Rauchen, Gunnar!« das war wieder Ellen, »bedenke, daß du morgen abend wieder singen sollst.«

Gunnar – ?

Richtig. Das war ja der Vorname des Kammersängers, für den sie so geschwärmt hatte, der ihr Gast gewesen war und den Falk so bewunderte.

»Gunnar« und »du«!

Svend wartete, bis er die Glastür zum Saal zuschlagen hörte. Dann kam er aus seinem Zimmer und blickte in das Restaurant. Ellen sah sich im selben Augenblick um, als ob jemand sie gerufen habe. Es glückte ihm nur mit Mühe und Not, ihren Blicken zu entgehen.

Sie war in Gesellschaftstoilette, die Herren im Smoking. Sie hatte ihren Arm unter den des Kammersängers geschoben und stützte sich auf ihn, während der Prinz voranging, von dem alten Oberkellner geführt.

Sie setzten sich so, daß Ellens Gesicht gerade auf die Tür gerichtet war, wo Svend stand. Er zog sich eiligst zurück, nahm eine Zeitung und suchte in den Theateranzeigen.

Ganz recht. Der Kammersänger aus dem königlichen Theater in Kopenhagen hatte heute abend gesungen.

»Gunnar« und »du«!

Sie waren also verheiratet oder verlobt.

Ja, warum auch nicht? Er hatte einen glänzenden Stellvertreter bekommen. Der Kammersänger brachte seine Stimme und seine Berühmtheit mit – und sie ihres Vaters Geld. Das eine war des andern wert.

Er wollte und mußte Bescheid wissen – denn wenn es wirklich so war –

Hineingehen und den vornehmen Herrschaften seine Aufwartung machen, wie es eigentlich seine Pflicht war, ihnen Gelegenheit geben, ihn wiederzuerkennen?

Um keinen Preis!

Es war nicht der Prinz, nicht der Kammersänger, sondern es waren Ellens Augen, denen er nicht begegnen und von denen er sich nicht demütigen lassen wollte!

Aber er wollte und mußte Bescheid wissen.

Er wartete ungeduldig, daß sie gehen würden. Aber sie hatten das große Souper bestellt.

Sie kamen vom Theater, wo der Kammersänger aufgetreten war. Er hatte seine junge Braut oder Frau bei sich. Und der Prinz war zufällig Zuschauer gewesen, hatte ihnen seine Karte geschickt und sie zum Souper eingeladen.

Eine merkwürdige Wahl, dieses Restaurant, dachte Svend bei sich, wenn man eine wirkliche Dame bei sich hat. Oder – ja, natürlich, das sah ihr ganz ähnlich. Und Svend erinnerte sich des Abends im Quartier latin – es war wahrscheinlich auf Ellens Wunsch, daß man ein richtiges erstklassiges Nachtrestaurant besuchte.

Und die Knaben – wo hatte sie sie untergebracht, während sie mit ihrem Kammersänger umherreiste?

Er wollte und mußte es erfahren. Denn wenn er wußte –

Dann sollte sie die Knaben herausgeben, koste es was es wolle. Das war sein gutes Recht.

Svend dachte an sein Bankbuch. Es fehlten ihm nur noch einige hundert Pfund, dann hatte er die Zweitausend beisammen, die er sich als Ziel gesetzt hatte, bevor er heimkehren wollte.

Zum erstenmal seit langen, langen Zeiten wurden ihm die Augen feucht. Er dachte sonst nur selten an seine Knaben, aber jetzt, wo er ihre Mutter wiedersah, rückten sie ihm ganz nah. Er sah sie vor sich, wie er sie zuletzt an jenem Neujahrsmorgen im Park gesehen hatte.

Wie lange, lange war das her!

Als der Prinz und seine Gesellschaft schließlich aufbrachen, war es zwei Uhr geworden.

Svend klingelte dem Groom unten von der Eingangstür.

»Hält ein Wagen unten und wartet?«

»Nein, Sir!«

»Gut, hör zu, was ich dir sage. Es geht jetzt eine Gesellschaft fort, zwei Herren und eine Dame. Wenn du nach einem Wagen für sie flöten sollst, dann flötest du auch nach einem für mich. Verstanden?«

»Ja, Sir. Und wenn nicht –?«

»Dann nichts.«

Svend zog sich an und wartete.

Er hörte Ellens muntere Stimme in der Garderobe. Er konnte den Champagner heraushören. Es erinnerte ihn an einen Abend in dem zweiten Jahre ihrer Ehe, als sie zwitschernd nach Hause gekommen war und erzählt hatte, daß sie bei Emmy Danielsen gewesen sei und Champagner bekommen habe. Damals war sie natürlich mit dem Prinzen zusammen gewesen. Er lächelte über seine jugendliche Treuherzigkeit von damals, jetzt tat es nicht mehr weh.

Er folgte ihnen langsam, als sie die Treppe hinunterstiegen.

Er sah, wie der Groom die Tür aufriß und wie der Prinz ihm wegen eines Wagens Bescheid gab. Der Kleine flötete; noch einmal. Kurz darauf kamen zwei Cabs in schneller Fahrt.

Unter Lachen und Scherzen nahmen sie alle drei in dem einen Platz. Kaum waren sie fort, als Svend durch das Vestibül eilte und in das andere sprang.

»Folgen Sie dem Cab dort aus der Ferne!« sagte er.

Als er sie vor dem Carlton-Hotel im Haymarket halten sah, stoppte er seinen Kutscher und stieg etwas vom Hotel entfernt aus.

Nachdem er eine Weile gezögert hatte, ging er in die Portierloge und erkundigte sich.

Ja, es stimmte. Der Kammersänger und seine Frau wohnten im Hotel. Sie pflegten bis nach dem Lunch, den sie im Hotel einnahmen, zu Hause zu sein.


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