Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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3

Ellen erholte sich überraschend schnell. Bereits im November konnte man sie wieder beim Konditor und in Gesellschaften treffen.

Der Junge gedieh gut und war des Nachts verhältnismäßig ruhig.

In der ersten Zeit aber störte er Svend nicht wenig bei der Arbeit. Mit seinen allerliebsten, täppischen Bewegungen raubte er eine Stunde nach der anderen.

Ellen war entzückt über ihre lebendige Puppe. Es gab kein Raffinement in Bezug auf Kinderaussteuer, das der Knabe nicht hatte, wenn er in seinem eleganten Kinderwagen ausgefahren wurde, einem Geschenk des neugebackenen Großpapas, der zu Anfang jeden Tag kam, um dieses neue Pfand für die Unsterblichkeit des Geschlechts persönlich in Augenschein zu nehmen.

Eine geputzte Amme führte das Wunderkind im Sonnenschein spazieren, während Ellen nebenherging und die Wirkung genoß.

Die Freundinnen kamen am Vormittag und durften heben und tragen und bewundern.

Es war unglaublich, was die neue Herrlichkeit kostete.

Svend betrachtete den stetig wachsenden Haufen Rechnungen auf seinem Schreibtisch mit Entsetzen. Es dauerte nicht lange, da mußte er bei Didrichsen um Vorschuß bitten; und obgleich er sich bestimmt vorgenommen hatte, das Ministerium zu schonen, so kam doch der Tag, an dem er sich an Jersey wenden mußte, mit der Bitte um Gehaltsvorschuß von dem Konto des Departements für außergewöhnliche Ausgaben.

Aber es wurde noch schlimmer. Denn jetzt kam die Taufe und Ellen bestand darauf, daß sie mit einer größeren Mittagsgesellschaft gefeiert werden müsse.

Svend machte Einwendungen. Ellen aber, die noch den Märtyrergeschmack von den Geburtswehen im Munde hatte, fing an zu weinen. Und da gab er nach.

Am nächsten Tag machte sie ihm den Vorschlag, daß ihr Papa die Gesellschaft bezahlen solle. Aber davon wollte er nichts hören. Er setzte seinen Stolz darein, niemanden um etwas zu bitten. Die Konferenzrätin hatte ihn gründlich von Familienunterstützungen kuriert.

Das Taufdiner umfaßte so viele, wie überhaupt an dem großen, ausgezogenen Eßtisch sitzen konnten. Da waren die Freundinnen, sowohl die echten wie die sogenannten, einige ältere Herrschaften aus Papas Verkehr, die der Gesellschaft Glanz verleihen sollten, und dann natürlich Svends Mutter und Schwester.

Dann war da außerdem ein neuer Gast, der, frisch vom Ausland zurückgekehrt, Besuch gemacht und den Ellen sich in der Wiedersehensfreude stehenden Fußes gesichert hatte. Ein Gast, der die Gesellschaft zieren würde: der Kammersänger.

Als Svend und Ellen eines Sonntagvormittags zusammen die Einladungen schrieben, sah Svend plötzlich auf und sagte:

»Ja, aber der Prinz!«

»Nein,« – Ellen beugte sich eifrig schreibend über die Kuverte – »ihn wollen wir nicht einladen. Das sieht so prätentiös aus und wird nur mißverstanden werden, wenn nicht von ihm, dann von anderen.«

Svend fand sich wieder zu seiner Arbeit zurück und warf sich ins Zeug, um das Versäumte nachzuholen.

Das war nicht leicht, da schon jeder Tag im voraus vollauf besetzt gewesen war. Schwerer aber noch war die Begleichung der Rechnungen.

Wie er auch selbst sparte und hin und her rechnete, es half nichts. Der Haufe unbezahlter Rechnungen wuchs und wuchs.

Als der Mietstermin kam, hatte er mit knapper Not den Betrag zusammengebracht. Da kam Ellen ihm mit einem erschreckten Ausdruck in ihren sanften Augen entgegen und gestand ihm, daß sie sich wieder guter Hoffnung fühle.

Als Svend, statt sie zu trösten und freudig überrascht zu sein, ein langes Gesicht machte, fing sie an zu weinen und fühlte sich sehr unglücklich und gekränkt.

Er versuchte es wieder gut zu machen, aber sie wollte nichts hören.

Auf dem Wege zum Kontor durchdachte er die Lage noch einmal. Nachdem er sein letztes Geld für die Miete abgeliefert hatte, war er sich klar darüber, daß eine Veränderung gemacht werden mußte und sollte. Ihr Budget mußte herabgesetzt werden.

Nach dem Mittagessen, beim Kaffee, erklärte er ihr mit ruhigen Worten, daß sie einem der Mädchen kündigen oder eine billigere Wohnung suchen müßten.

Ellen nahm es wie eine persönliche Beleidigung auf.

Jetzt, wo sie wieder ein Kind erwartete, sollte sie sich mit einem Mädchen begnügen – sie, die ihr ganzes Leben lang –? Davon konnte keine Rede sein. Das sei wohl auch nicht sein Ernst. So herzlos könne er nicht sein. Und wenn er es wäre – nun, so hätte sie wohl auch ein Wörtchen mitzureden. Niemals im Leben ginge sie darauf ein.

Und eine kleinere Wohnung nehmen! Jetzt, wo die Familie sich um ein kleines Wesen, das doch wahrhaftig nichts dafür konnte, vergrößerte, jetzt sollten sie sich einschränken? – Davon konnte ebensowenig die Rede sein! Sie hätte sogar schon daran gedacht, daß sie gewiß eine größere Wohnung nehmen müßten, da sie nicht wüßte, wie sie alle in dieser Platz finden sollten.

Svend gab es auf, ihr zu widersprechen; aber er ergab sich nicht; und sie begriff, daß sie nicht gesiegt hatte. Darum klagte sie über Kopfschmerzen und ging zu Bett, wahrend Svend sich schuldbewußt an die Arbeit setzte.

Einige Tage darauf kam Kruse von selbst zum Mittagessen. Svend war sehr erstaunt, denn sein Schwiegervater pflegte nie unangemeldet zu kommen.

Beim Kaffee glitt Ellen still aus dem Zimmer, um sich nach Henning umzusehen.

Da verstand Svend die Absicht; aber jetzt war es zu spät; Kruse hatte bereits begonnen. Ohne Ellens Erwähnung zu tun sagte er:

»Ich habe mir überlegt, mein lieber Svend, daß dein Budget diesen Winter bedeutend überbürdet worden ist. Nichts ist darum natürlicher, als daß ich in meiner neuen Würde als Großvater helfend beitrete. Ich werde mir das Vergnügen machen, in Zukunft eure Miete zu bezahlen.«

Es war in jenem Ton gesagt, den Kruse anschlug, wenn er keinen Widerspruch duldete. Um anzudeuten, daß die Sache hiermit erledigt sei, fügte er hinzu, bevor Svend noch Zeit gefunden hatte, sich zu einem ehrerbietigen und dankbaren Protest zu sammeln:

»Wie geht es denn dem kleinen Mann? Wir werden wohl bald den ersten Zahn begrüßen können.«

Svend blieb nichts anderes übrig, als zu danken und die Demütigung hinunterzuschlucken, daß er das Angebot in Wirklichkeit als eine große Erleichterung empfand.

Im Laufe des Abends sagte Kruse, als die Rede auf Svends politische Vorbereitungen kam.

»Apropos, ich glaube, du solltest Kammerherrn Tithoff einen Besuch machen.«

»Tithoff?« fragte Svend erstaunt.

»Er ist ein Mann mit wachsendem Einfluß.«

»Auch auf die Politik?«

»Das kann man nie wissen,« sagte der Departsmentschef ausweichend. »Auf alle Fälle kann es ja nie schaden, Tithoff ist immer sehr liebenswürdig und – eh – gefällig – kurz gesagt, ich meine wirklich, daß du Tithoff einen Besuch machen solltest. Wie war es doch noch – hat er dem kleinen Mann nicht ein Taufgeschenk gemacht?«

»Ja – einen reizenden Silberbecher, für den Ellen gedankt hat, soviel ich weiß.«

»Siehst du, dann schuldest du ihm ja geradezu einen Besuch.«

Svend konnte nicht begreifen, welche Bedeutung Tithoff für seine Zukunft haben konnte. Dennoch machte er den Besuch und wurde aufs liebenswürdigste empfangen.

Es schien wirklich, als habe der Kammerherr seine Aufwartung für das Taufgeschenk erwartet. Er erkundigte sich freundlich nach Svends Arbeit im Ministerium; und als Svend sein politisches Interesse durchblicken ließ, klopfte Tithoff ihm auf die Schulter und sagte zuvorkommend:

»Recht so, wir haben junge, frische Kräfte nötig in der Partei.«

Da Svend nun einmal hatte durchblicken lassen, womit er sich beschäftigte, so fand er auch keinen Grund, es vor v. Falk zu verbergen, um so mehr als das menschliche Urteil desselben ihm über das all der anderen ging.

Er holte v. Falk um vier Uhr zu einem ihrer alten Spaziergänge ab, die aus Mangel, an Zeit unterblieben waren.

Falk merkte gleich, daß Svend etwas auf dem Herzen hatte.

»Heraus mit der Sprache!« sagte er lächelnd und versuchte in seinem Gesicht zu lesen.

Svend faßte Mut.

»Ich will mich bei den nächsten Reichstagswahlen als Kandidat aufstellen lassen!«

»Pfui Teufel, wollen Sie Abgeordneter werden?«

Svend wurde rot und schwieg gekränkt.

»Ist es der Versorgung wegen?« fragte v. Falk und richtete seinen großen, schweren Blick prüfend auf Svends helle Augen.

»Es ist, um etwas auszurichten!« sagte Svend und warf den Kopf in den Nacken.

Falk schwieg eine Weile. Dann sagte er:

»Ich glaube, weiß Gott, Sie sind ehrlich!«

»Was soll das heißen?«

»Seien Sie nicht böse. Ich meine natürlich ehrlich gegen sich selbst.«

»Und weshalb nicht?«

»Gott, lieber Freund, blicken Sie sich doch um. Wie viele von der Bande sind ehrlich – ehrlich nur gegen andere. Aber ich fange wahrhaftig an, an Sie zu glauben, wenn es nicht nur die reine Jugendlichkeit bei Ihnen ist.«

Damit war der Friede wiederhergestellt.

Svend erzählte von seinem Besuch bei Tithoff.

»Tithoff?« Falk lachte munter. »Können Sie sich den alten Tithoff als ›die neue Zeit‹ vorstellen?«

Im selben Augenblick ging ihm ein Licht auf.

»Ach so!« sagte er ernst. »Ja, das stimmt.«

»Was?«

»Das mit seinem ›wachsenden Einfluß‹. Er steht Welten nahe, wenn ich mich so ausdrücken darf.«

»Was meinen Sie damit?«

»Gott,« v. Fall begann auszuweichen, »er hat Geschäfte mit ihm, er ist gewiß bei mehreren seiner Unternehmungen beteiligt, ebenso wie Ihr Schwiegervater und so viele andere.«


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