Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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12

Einige Tage nach dem endgültigen Bruch mit Ellen machte Svend zeitig Schluß in seinem Kontor im Ministerium, wo er jetzt allein saß. Juhl war in Galtens Kontor eingezogen.

Er ging in die Portierloge des Ministeriums. Dort saßen einige Boten und ordneten die Post.

Der eine, der ihn kannte, erhob sich und kam ihm entgegen. Svend konnte ihm ansehen, daß er wußte, weshalb er kam. Daß Svend Galtens Posten nicht bekommen hatte, war offenbar auch hier verhandelt worden.

»Glauben Sie, daß ich sofort Audienz bekommen kann?« fragte er.

»Ich weiß nicht recht!« meinte der Bote gedehnt.

»Melden Sie mich!« sagte Svend kurz und gab ihm seine Karte.

Der Bote wog sie einen Augenblick in der Hand. Dann verbeugte er sich und sagte:

»Der Direktor der Staatsschulden ist drinnen. Wenn er fertig ist, werde ich Ihre Karte hineinbringen, Herr Assessor.«

Bald darauf kam ein kleiner, dickleibiger Herr mit gutmütigen, schläfrigen Augen aus dem Ministerzimmer. Er hatte noch das höfliche Beamtenlächeln auf den Lippen und nickte im Vorbeigehen auch Svend zu, obgleich er ihn gar nicht kannte.

Der Bote ging mit der Karte hinein und kam einen Augenblick später zurück.

»Bitte!« sagte er und hielt die Tür offen. Svends Herz schlug laut, als er durch die doppelte Flügeltür in den hohen geräumigen Saal eintrat, wo Kammerherr Tithoff ihm mit ausgestreckter Hand vom Fenster entgegenkam.

Sie hatten sich seit Tithoffs Besuch in Kruses Hause nicht gesehen.

»Guten Tag, guten Tag!« sagte Tithoff und drückte ihm leicht die Hand. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

Tithoffs runde Augen hatten Svend nur flüchtig gestreift. Aber der zurückhaltende Ausdruck darin zeigte Svend, daß er erwartet und die Antwort bereit sei.

Svend ging ohne Umschweife auf die Sache los.

»Gestatten Exzellenz mir die Frage, ob Sie sich erinnern, mir bei einem Besuch in meines Schwiegervaters Hause, unmittelbar nach der Beerdigung, die vertrauliche Mitteilung gemacht zu haben, daß Sie mich zu Expeditionssekretär Galtens Nachfolger ausersehen hätten?«

Kammerherr Tithoff hatte mit geduldig geneigtem Kopf, halbgeschlossenen Augen und aufmerksam lauschend dagesessen. Jetzt legte er sich in den Stuhl zurück und blickte suchend zur Decke.

»Ja, wo Sie es sagen – ich machte Ihnen gewiß eine vertrauliche Mitteilung über die Veränderungen, die nach Galtens Abgang vorgenommen werden sollten.«

Tithoff kniff die Augen pfiffig zusammen, sah von der Seite auf ihn herab und dämpfte seine Stimme:

»Das war nicht ganz korrekt von mir, wie Sie wohl wissen, und darum ist es eigentlich nicht hübsch von Ihnen, mich daran zu erinnern.«

Als Svend, statt das Lächeln zu erwidern, die Lippen fest aufeinander preßte, erlosch auch das Lächeln des Kammerherrn. Er strich sich über die Stirn und fügte hinzu:

»Ich erinnere mich nicht genau, wie es zuging. Wahrscheinlich war es unter dem Druck der Gemütsstimmung, in die der schmerzliche Verlust meines alten Freundes, Ihres unersetzlichen Schwiegervaters, mich versetzt hatte.«

Der Blick des Kammerherrn fiel zum erstenmal voll auf Svend, während er die Worte »Freund« und »unersetzlich« betonte. Svend irrte sich nicht, es stand ein deutliches »Ich weiß Bescheid und werde es Ihnen gedenken« in den runden, sonst so gutmütigen Augen zu lesen. »Ich bin eine leichtbewegte Natur,« fuhr Tithoff fort, »und habe sicher das Bedürfnis empfunden, Kruses Andenken zu ehren, um Ihnen, der Sie Kruse noch soviel näher gestanden und seinen Verlust sicher noch schmerzlicher empfunden haben, eine Freude zu machen.«

Wieder trafen die Augen des Kammerherrn Svends Blick.

Er wollte antworten, Tithoff aber kam ihm zuvor:

»Apropos, Herr Byge, was macht Ihre Frau, meine kleine Freundin?«

Svend fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Die Worte enthielten in ihrer Harmlosigkeit einen direkten Angriff, eine Kritik seines Privatlebens, die er sich nicht gefallen lassen wollte.

Er richtete sich auf und antwortete, indem er seine Hände zusammenpreßte:

»Meine Frau und ich liegen in Scheidung.«

Tithoff hob die Augenbrauen und zog sich etwas in den Stuhl zurück.

»Ach so!« sagte er; Svend aber war keinen Augenblick im Zweifel, daß seine Überraschung nur Komödie sei.

Es sollte dem Minister nicht glücken, sich einer Rechtfertigung zu entziehen, indem er ihn nach seinen Privatverhältnissen ausforschte.

»Ich gestatte mir die Frage,« sagte er schnell und schärfer, als er eigentlich beabsichtigt hatte, »aus welchem Grunde Exzellenz das mir gegebene Versprechen nicht gehalten haben. Wenn ich mir in der dazwischen liegenden Zeit etwas habe zuschulden kommen lassen, was meine Befähigung für das Amt verringert hat, so würde ich Eurer Exzellenz für eine offene Mitteilung darüber dankbar sein.«

In dem Blick des Kammerherrn ging eine plötzliche Veränderung vor, so daß Svend verstand, daß die Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten; Tithoffs Gesicht aber war vollkommen ruhig, als er antwortete:

»Ich wüßte nicht, daß Sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen – was Ihr Amt betrifft. Im übrigen –« der Kammerherr lächelte nachsichtig, »wissen Sie ja, Herr Assessor, daß das Ministerium seine Ernennungen oder Nichternennungen nicht zu motivieren pflegt. Dies wäre ja allein aus dem Grunde unschicklich, weil ja nicht wir, sondern Seine Majestät der König ernennt. Dennoch, da Sie mich fragen, will ich Ihnen meine private Meinung nicht vorenthalten. Und die besteht darin, daß das Ministerium, als die endgültige Entscheidung getroffen werden sollte, Herrn Juhls Anciennität nicht umgehen zu können meinte.«

Tithoff erhob sich und wandte den Kopf zu Svend um, als Zeichen, daß die Audienz beendigt sei.

Svend stand auf und sah dem Kammerherrn fest ins Auge.

»Exzellenz äußerten seinerzeit, daß man mir nicht mehr gäbe, als ich durch meine Leistungen verdient hätte; da Juhl nur seine Anciennität als Referendar, nicht als Assessor vor mir voraus hat – wir wurden am selben Tage befördert –, so muß ich mir also etwas zuschulden haben kommen lassen, was Eure Exzellenz zu der Ansicht bekehrt hat, daß ich – wenn ich mich so ausdrücken darf – nicht in das augenblicklich herrschende System hineinpasse.«

Er hatte sich in Zorn geredet. Seine Stimme zitterte, und sein Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln, als er das Wort: »System« gebrauchte. Im Innern sagte er nicht »System«, sondern »Welten«, und er sah zu seiner großen Genugtuung, daß es auf dem Wege der Suggestion sofort das Bewußtsein des Ministers erreichte, dessen Züge stramm wurden, während die Lider hastig über die runden Augen glitten.

Er fuhr fort, bevor Tithoff ihm Einhalt tun konnte:

»Exzellenz hätten mir das Versprechen ja nicht zu geben brauchen, das, nach Ihrer eigenen Ansicht, nicht ganz korrekt war. Da es jedoch gegeben und später aus unbekannten Gründen zurückgenommen wurde, so werden Exzellenz begreifen, daß ich mich ernstlich vor den Kopf gestoßen fühle. Ich habe deshalb die Ehre, Exzellenz hiermit um meine Entlassung zu bitten.«

Als Svend am Morgen von Hause fortgegangen war, hatte er diesen Entschluß noch nicht gefaßt. Er hatte den Minister zur Rechenschaft ziehen wollen und hatte gehofft, daß er sein Bedauern ausdrücken, einen plausiblen Grund angeben und ihm Ersatz anbieten würde. Aber es war anders gekommen. Tithoff hatte weder eine Entschuldigung gesucht, noch eine Erklärung gegeben und ihn nur in der Vermutung bestärkt, die Falk ausgesprochen hatte: daß das Versprechen eine Gegenleistung seinerseits zur Bedingung gehabt habe, die ausgeblieben war.

In dem Augenblick, als er das Wort »Entlassung« ausgesprochen und die Wirkung, die es auf Tithoff machte, gesehen hatte, der unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen war und ihn von der Seite anblickte, wußte er, welchen Weg er jetzt verfolgen wollte.

Unter dem Vorwand, eine Erklärung für das nicht eingelöste Versprechen zu suchen, wollte er die Sache bis vor den König bringen, der ja den Abschied bewilligen mußte.

Der Minister überlegte einen Augenblick, während er bis zu dem großen Fenster und wieder zurück ging.

Dann fragte er in einem väterlichen Ton:

»Ist dieser Schritt auch wohlüberlegt, Herr Byge?«

Svend schwieg.

»Ist es, weil Sie Galtens Stelle nicht bekommen haben?« fragte er in einem leiseren Ton, der zu Aufrichtigkeit aufforderte, während er Svend forschend anblickte.

»Es ist, um frei zu stehen, Exzellenz!« lautete die Antwort fest und selbstbewußt.

Tithoff faßte sich schnell.

»Haben Sie Ihr Entlassungsgesuch bei sich?« fragte er und streckte die Hand danach aus.

»Nein, Exzellenz, aber ich werde es noch heute einreichen.«

Der Minister sah aus, als ob er noch etwas sagen wollte. Als Svends Gesicht aber kalt und unzugänglich blieb, nickte er kurz zum Abschied, blickte zur Tür und griff nach einigen Papieren auf dem großen Arbeitstisch.

Svend zog sich mit einer Verbeugung zurück.

Als er die Kanzleitreppe hinunterstieg, fühlte er sich froh und erleichtert. Er sah der Zukunft ohne Besorgnis entgegen. Jetzt, wo er nur für sich selbst zu sorgen hatte – Ellen wollte ja für sich und die Kinder nichts annehmen –, würde er schon mit dem, was er bei Didrichsen verdiente, auskommen.

Ihm wurde wehmütig zumute bei dem Gedanken, daß er diese Treppen bald zum letztenmal herabsteigen würde und daß er das Leben, das sich hinter diesen Mauern rührte, mit feindlichen Blicken betrachten sollte. Aber der Fehler lag ja nicht an ihm. Er hatte den Geist und das System, die hier herrschten, nicht gekannt. Er hatte wie gewöhnlich eine zu gute Meinung vom Leben und von den Menschen gehabt.

Er war zum Kampf gezwungen worden. Gut, da gekämpft werden sollte, wollte er es auch ganz tun.


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