Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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14

Svend wurde nach einem kurzen Verhör über seine Vergangenheit angenommen. Es sei seine absolute Gentleman-Erziehung, mehr als seine Sprachkenntnisse und übrigen Fähigkeiten, die den Ausschlag gäbe. Das sagte ihm der Geschäftsführer ganz offen.

Aus ihrem weiteren Gespräch ging hervor, daß Jane Johnstone eine der besten Kundinnen des Restaurants sei. Offenbar fand sie hier die Kunden, die sie Chanfoes Hause verschaffte, indem sie den Lebensmüden eine neue Zuflucht und den Geübten ein sicheres Asyl für ihre Leidenschaft zeigte.

Endlich hatte Svend eine gute Stellung bekommen.

Allerdings mußte er fast die ganze Nacht auf dem Posten sein, aber dafür begann seine Arbeit nicht vor acht Uhr abends; und er hatte es nach und nach gelernt, den Schlaf, den er nachts nicht bekam, am Tage nachzuholen.

Er hatte die Oberaufsicht über die Kellner, mußte persönlich die vornehmsten Gäste empfangen, auf ihre Wünsche achtgeben und war dafür verantwortlich, daß sie in jeder Weise befriedigt wurden.

Er bekam ein festes Gehalt, von dem er reichlich leben konnte, außerdem Tantieme und Prozente von den Lieferanten. Letzteres war eigentlich ein Mißbrauch; aber Svend begriff, daß es ein durch Verjährung erworbener Mißbrauch war, den er lieber unbeanstandet lassen mußte.

Gleich nachdem er engagiert worden war, schrieb Svend seinen ersten Brief an Lisbeth und schickte ihr das Geld, das sie ihm geliehen hatte; den Rest, der ihm noch fehlte, deckte er durch den Vorschuß, den er bekommen hatte.

Jane Johnstone sah er häufig, und hier in dem starken Licht entdeckte er bald, worin ihre Anziehungskraft bestand.

Eine eigenartige, diskrete und anmutige Trägheit über der schlanken Gestalt und den langen, geschmeidigen Gliedern. Ihre Toilette immer diskret und anmutig wie sie selbst, von persönlicher Eigenart bis in die kleinsten Details geprägt; unter der Oberfläche ihres bleichen, unbeweglichen Gesichts schien ein verborgenes Leben zu spielen. Man ahnte hinter den Linien ihres müden Mundes die rücksichtslose und harte Leidenschaftlichkeit, die ihn schlaff gemacht hatte, und die noch mit einem plötzlichen Funken in den länglichen, samtweichen Augen aufblitzen konnte. Es hatte etwas Gewagtes, sich mit ihr einzulassen. Man wußte nie, wo es endigen würde. Es war, als wandere man längs des Abgrundes eines Kraters, der ausgebrannt schien, aber durch ein plötzliches Beben verraten konnte, daß noch Glut unter der Asche sei.

Wilkins war eine Aktiengesellschaft, der außerdem mehrere Tagrestaurants in London gehörten. Der Geschäftsführer kam deshalb nur selten einmal in der Nacht wie ein gewöhnlicher Gast.

Er behandelte Svend ganz wie einen Gleichgestellten; er hatte sich selbst vom Kellner heraufgearbeitet. Svend war so klug, seine Kleidung zu kopieren, seinen Bart abrasieren zu lassen und dieselbe Frisur mit dem über die Schläfe nach vorn gestrichenen Haar zu tragen.

Svend hatte zwei möblierte Zimmer in einer Seitenstraße in der Nähe des Restaurants gemietet, lebte sehr sparsam und fing an, sich Geld zurückzulegen.

Es dauerte nicht lange, bis er einen Brief von Lisbeth bekam.

Es strahlte von Freude zwischen den Zeilen. Sie schrieb, daß sie keinen Augenblick an ihm gezweifelt habe, daß sie aber dennoch so froh geworden sei, als sie von seinem Erfolg gehört habe. Denn jetzt könne sie ihm ja sagen, wie schwer ihr am nächsten Tage, am ersten in dem neuen Jahrhundert, die Verantwortung aufs Herz gefallen sei, die sie auf sich genommen, indem sie in sein Leben eingriff, als er so zerschmettert war, daß jeder Rat ihm als ein guter erscheinen mußte. Sie hätte ihn ja nicht gekannt, hätte nicht wissen können, ob er stark genug sein würde, das harte Leben auf sich zu nehmen. Und wenn nicht –

Aber jetzt, jetzt wisse sie, daß er etwas tauge. Und jetzt solle er in London bleiben, wenn sie ihm raten dürfe, bis er sich einige Tausende zusammengespart habe.

Svend hatte geschrieben, ob sie ihn nicht besuchen wolle. Darauf antwortete sie mit einem Nein. Wenn er sie Wiedersehen wolle, müsse er zu ihr kommen. Aber noch nicht. Er sei ja noch ganz im Anfang.

Nach diesem Brief kam eine regelmäßige Korrespondenz zwischen ihnen in Gang.

Er erzählte ausführlich, wie es ihm ergangen sei, wie schwer er es gehabt habe und wie es jetzt stehe. Jane Johnstone nannte er nur flüchtig.

Und sie erzählte ihm von ihrem Leben bis zu dem Tage, wo sie sich getroffen hatten, erzählte von dem Maler, der sich bei ihren Pflegeeltern eingemietet hatte, um Skizzen von der dänisch-deutschen Grenze zu machen.

Sie erzählte von ihrem Kind, von dem Kummer, als sie es bekommen sollte, von der Freude, als sie es hatte, und von dem erneuten Kummer, als sie es lassen mußte.

Sie erzählte, wie sie sich nach dem Tode der Alten selbst habe durchs Leben schlagen müssen. Wie sie erst als Mädchen gedient hätte. Aber wie alle selbständigen Naturen habe sie ihre Freiheit nicht entbehren können. Eine Zeitlang habe sie sich selbst aufgegeben und sich ohne einen Gedanken an die Zukunft einem leichtsinnigen Leben hingegeben – oh, es gäbe Dinge aus jener Zeit, die sie bereue – aber dann habe sie sich wieder auf sich selbst besonnen. Und nun – nun sei sie also Büfettmamsell, stehe allein in der Welt, auf eigenen Füßen, ohne daß sie sich etwas vorzuwerfen habe.


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