Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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18

Je mehr Svend über die Sache mit der Erbschaft nachdachte, desto mehr leuchtete ihm ein, daß den Gerüchten, die ihm von ganz verschiedenen Seiten zugetragen worden waren, etwas Positives zugrunde liegen müsse.

Der Gedanke, daß einst, vielleicht bald, der Tag kommen würde, wo sein Streben im Dienst eines idealen Zieles nicht mehr von dem Kampf ums tägliche Brot geknebelt sein würde, wirkte wie ein Rausch auf ihn und ließ ihn nicht wieder los.

Wenn er auch nicht bewußt mit der Erbschaft rechnete, so übte das magische Wort dennoch seine Wirkung unter der Schwelle seines Bewußtseins aus und stärkte ihn in seinem Vorsatz, nicht nachzugeben. Er sah sein Verhältnis zur Konferenzrätin jetzt in einem neuen Licht, das vieles erklärte und einiges entschuldigte. Und die Gerüchte hatten jedenfalls das eine Ergebnis, daß er seinen Stolz nicht länger bekämpfte und beschloß, sie um ihre Unterstützung zu bitten. Er fand, es sei der natürliche Weg, um etwas Genaues über die Gerüchte zu erfahren, jetzt, wo es so außerordentlich viel für seine Zukunft zu bedeuten hatte.

Er überlegte hin und her und beschloß schließlich, die alte Dame persönlich aufzusuchen.

Als er zu ihrer Villa kam, erfuhr er, daß sie verreist sei und daß er sich an ihren Rechtsanwalt wenden möge, dessen Adresse er bekam.

Doktor Fratz war ein kleiner, untersetzter Herr mit einem kurzgeschnittenen Vollbart, einer blanken Glatze und runden, feuchten Augen.

Nachdem Svend sich vorgestellt hatte, bot Doktor Fratz ihm mit großer Zuvorkommenheit einen Stuhl und setzte sich selbst behaglich zurecht, indem er seine Hände auf die massiven, kugelrunden Kniescheiben stemmte und die Augen fragend auf Svend heftete.

Je mehr Svend erzählte, wobei er eifrig wurde, und seine eigene Angelegenheit fast wegen der »Affäre« vergaß, desto erstaunter wurde Doktor Fratz. Er war augenscheinlich ganz verblüfft, wie ein junger Mann in einer niedrigen Beamtenstellung so gegen seine Vorgesetzten vorgehen konnte.

»Darf ich fragen,« begann er vorsichtig, »womit ich Ihnen nach der interessanten Darstellung Ihrer Lage dienen kann?«

Svend nannte kurz und bündig sein Anliegen: Eine Unterstützung von Konferenzrätin Byge.

Doktor Fratz' Augen veränderten sofort ihren Ausdruck. Er erhob sich und wandte sich zur Seite, während er zu überlegen schien. Die bereitwillige Liebenswürdigkeit seines Gesichtes war einer kalten Geschäftsmiene gewichen.

Schließlich drehte er sich zu Svend um und sagte streng:

»Darf ich fragen, Herr Byge, was berechtigt Sie zu solchen Forderungen der Konferenzrätin gegenüber?«

»Ich trage ihren Namen, und meine Ausbildung ist, wie Sie vielleicht wissen, von meinem verstorbenen Onkel, ihrem Mann, bestritten worden.«

Doktor Fratz überlegte wieder, ohne daß sein forschender Blick Svend verließ.

»Ich wüßte nicht,« sagte er schließlich, »daß die Konferenzrätin ein besonderes Interesse für Sie nährt, Herr Byge –«

Jetzt war es an Svend zu fixieren, und er tat es so scharf, daß die Pupillen in Doktor Fratz' feuchten Augen sich unwillkürlich zusammenzogen.

»Das wüßte ich auch nicht,« antwortete er, »aber mein Onkel war mir sehr wohlgesinnt, wie ich wohl behaupten kann. Und ich habe Grund anzunehmen, daß er diesem Interesse in seinem Testament einen praktischen Ausdruck gegeben hat.«

Bei dem Wort »Testament« horchte Doktor Fratz auf. Er erhob sich wieder vom Stuhl und sagte in einem brüsken, fast verweisenden Ton:

»Niemand kennt den Inhalt von Konferenzrat Byges Testament. Und ich habe nie gehört, daß Sie eine Sonderstellung unter den Erben einnehmen. Worauf stützen Sie Ihre Annahme, wenn ich fragen darf?«

Svend wußte nicht recht, ob der andere wirklich unwissend war und ihn ausforschen oder ob er nur die Tiefe seines Wissens ermessen wollte.

»Das kann ich Ihnen nicht näher mitteilen,« sagte er und warf den Kopf in den Nacken.

Doktor Fratz schien etwas vor den Kopf gestoßen. Dann lenkte er ein und wurde wieder liebenswürdig.

»Nun, es handelt sich hier ja nicht um das Testament des Konferenzrates, sondern um das Interesse der Frau Konferenzrätin für Sie. Und da muß ich Ihnen leider sagen, daß Ihre Tante so leidend ist, daß ich nicht weiß, ob ich sie mit Ihrem Anliegen behelligen darf.«

»Ich würde Ihnen dennoch sehr dankbar dafür sein!« sagte Svend und sah Doktor Fratz eindringlich an, indem er ihm durch den Blick zu verstehen gab, daß, wenn er sein Erbe bekäme, er ihm seinerseits dienen würde.

Doktor Fratz verstand ihn sofort. Er nickte resolut. Im Augenblick war seine Dankbarkeit wohl nicht viel wert, aber man mußte damit rechnen, was sie eventuell einst wert werden konnte.

»Ich werde für Sie tun, was ich kann!« sagte er großmütig. Damit begleitete er ihn zur Tür und drückte ihm die Hand.

Es vergingen vierzehn Tage, bis eines Abends, als Svend von Falk kam, ein Brief mit Doktor Fratz' Firma für ihn dalag. Er teilte ihm mit, daß die Konferenzrätin im höchsten Grade erstaunt über sein Ansinnen sei. Sie schriebe, daß sie nicht imstande sei, seine Lage zu beurteilen, daß sie aber, soweit sie seinen Charakter kenne, geneigt sei, anzunehmen, daß er sich die unglückliche Situation, in der er sich befinde, selbst zuzuschreiben habe. Dennoch habe sie beschlossen, ihm so weit entgegenzukommen, daß sie ihm dreitausend Kronen auszahlen lassen wolle. Sie lasse ihm aber ausdrücklich sagen, daß dies das letztemal sei. Sie fordere ihn auf, mit dem Gelde Haus zu halten, und spreche die Hoffnung aus, daß er so vernünftig sein werde, seinen starren Sinn zu beugen und durch eine Abbitte wieder ins Ministerium zurückzukehren.

Die Summe könne er jederzeit in seinem Büro erheben, fügte Doktor Fratz hinzu.

Svend biß die Lippen aufeinander und lachte höhnisch über den Rat der Konferenzrätin betreffs der Abbitte. Dann überlegte er, worauf er aus ihrer Entscheidung schließen konnte.

Er kam zu dem Resultat, daß, wenn sie aus einer so ungünstigen Motivierung heraus zu einem verhältnismäßig so günstigen Schluß gekommen sei, so müsse noch ein ungenanntes, aber zwingendes Motiv vorhanden sein, nämlich daß sie denjenigen, der ihr Vermögen erben sollte, nicht der Not preisgeben konnte.

Am nächsten Tage fand Svend sich in Doktor Fratz' Kontor ein und bekam gegen eine umständliche Quittung ein Sparkassenbuch mit der genannten Summe ausgeliefert.

Er dankte Herrn Fratz, der heute ganz väterlicher Freund war, aufs beste, und sprach die Hoffnung aus, daß er bald Gelegenheit fände, ihm einen Gegendienst zu leisten.


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