Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3

Als Svend auf die Straße kam, ging er gesenkten Kopfes und wankenden Schrittes geradeaus, ohne auf den Weg zu achten. Er stieß mit Leuten zusammen, sagte mechanisch »Pardon« und lüftete den Hut.

Er kam erst zur Besinnung, als er die kahlen Bäume des Stadtwalls über das alte Torgebäude emporragen und die Brücke, die nach Amager hinüberführte, vor sich liegen sah.

Er zitterte vor Kälte und schlug mechanisch seinen Rockkragen hoch. Dann blickte er die dunkle, schmutzige Straße hinab, durch die er gekommen war. Dort lag die Stadt, in die er zurückkehren mußte.

Er erinnerte sich des Triumphgefühles, das ihn vor einer Stunde durchstrahlt, des Prinzen, des sieghaften Lächelns, das er zum Ministerium hinaufgesandt hatte.

Eine ohnmächtige Wut gegen die Tote benahm ihn, fast den Atem; aber es war nur ein Augenblick; dann griff die Scham mit fester Hand in seine frische Wunde.

Unmöglich, in die Stadt zurückzukehren, die seinen Jubel gesehen hatte, unmöglich, die belebten Straßen zu betreten, wo er Flindt und Juhl und all den anderen begegnen konnte. Unmöglich, der Welt nach diesem in die Augen zu sehen. Er, der triumphiert, Schulden gemacht und auf etwas Wechsel gezogen hatte, das ein Nichts gewesen war, der schwache Schimmer eines Lichtes, das von dem, der es selbst entzündet, ausgeblasen worden war.

Es handelte sich ja nicht nur darum, daß er seine Sache verloren, daß alles Große und Starke, was er ausrichten wollte und nur mit Hilfe des Geldes erreichen konnte, im Keim erstickt worden war, sondern er stand der bitteren Not gegenüber, dem Kampf ums Brot.

Er paßte nicht mehr in diese Stadt, zwischen diese Menschen. Er mußte fort, konnte nicht mehr dorthin zurückkehren.

Er eilte über die Brücke, durch die lange Amagerstraße, an den kahlen, grauen Bäumen und den alten Häusern vorbei.

Er ging wie im Traum. Bald zählte er seine Schritte, bald fühlte er, daß er hungrig sei. Dann wieder fror ihn, und er schüttelte sich vor Kälte. Er blieb stehen, sah in ein Ladenfenster und ahnte nicht, was er gesehen hatte. Je weiter er ins Freie kam, desto frischer wurde die Luft. Es tat ihm wohl, daß der Wind ihm entgegenstrich. Er atmete stärker, die Füße gehorchten ihm williger, bis er, plötzlich ganz wach, stehen blieb, über das flache Land blickte und sich fragte, warum er hier eigentlich ginge, er mußte ja doch einmal nach Hause zurückkehren.

Ein Stich jagte durch sein wundes Herz, als er an seine Zimmer – und an Frau Henrichsen dachte.

Nein, er konnte nicht zurückkehren.

Er mußte ausziehen – gleich – heute noch – sich ein kleines, elendes Dachstübchen mieten.

Links führte ein Seitenweg zum Strand hinab.

Ja, dort wollte er hin – auf einem Stein am Strand sitzen und über das Meer starren.

In Frieden. In kaltem, totem Frieden.

Am Ende des Weges lag ein kleines Haus. Es lag dort so einsam und verlassen. »Strandhaus« stand mit ungeschickten Buchstaben auf den Giebel gemalt.

Was war das –?

Ach ja, es erinnerte ihn an das »Möwenhaus«, wo er einst als Genesender gelebt hatte.

Ein alter Mann stand in dem kleinen kahlen Garten und sägte Brennholz.

Als Svend ganz bis zum Gartenzaun gekommen war, sah er, daß ein Zettel an die eine Fensterscheibe geklebt war.

»Möbliertes Zimmer zu vermieten« stand dort mit ungeübter Schrift.

Ohne sich einen Augenblick zu bedenken ging er auf den Mann zu und fragte ihn, was das Zimmer kosten solle.

Der Alte richtete sich auf und kratzte sich den Kopf. Dann bekam Svend eine längere Erklärung.

Das Haus sei unbewohnt; aber im Sommer vermieteten sie es. Er selbst und Mutter wohnten dort drüben in dem Haus. Letzten Sommer aber hätten sie nur das eine Zimmer vermietet gehabt. Ein Student hätte dort gewohnt, der sein eigenes Mobiliar gehabt hatte. Er konnte die Miete nicht bezahlen und hätte ihnen seine Möbel dafür dagelassen.

Svend besah das Zimmer. Es war klein und niedrig, aber es hatte eine Doppeltür zum Garten und einen Ofen auf hohen Füßen.

»Sie wollen wohl Ruhe zum Studieren haben?« fragte der Alte und betrachtete Svends blasses Gesicht.

»Ja!« sagte Svend, und bei sich dachte er: Das ist's. Ruhe will ich haben, Ruhe, um mich zu besinnen, nachdem alle meine Hoffnungen zerschmettert worden sind.

Svend mietete das Zimmer für zehn Kronen, die er gleich bezahlte.

Es tat wohl, sich geborgen zu wissen. Einen ganzen Monat konnte er sich verborgen halten, konnte Ruhe haben vor den Menschen und den Forderungen, die an den Svend Byge gestellt wurden, der soviel versprochen und nichts gehalten hatte.

Jetzt meldete sich der Hunger so heftig bei ihm, daß er kurz adieu sagte und davoneilte. Er merkte sich den Seitenweg, um das Haus zu finden, wenn er zurückkäme.

Der Hunger trieb ihn vorwärts. Er half ihm, indem er alle anderen Gedanken verjagte.

Endlich kam er an ein kleines Café. Er verschlang einige Butterbrote und stürzte ein Glas Bier hinunter.

Dann eilte er weiter. Es galt, nach Hause zu kommen, bevor Frau Henrichsen von ihrem Nachmittagsspaziergang zurück war. Er drückte sich an den Häuserreihen entlang, den Kragen hochgeschlagen, den Blick geradeaus gerichtet, voller Angst, Bekannten zu begegnen.

 

Als Svend seinen neuen Frack aus dem Schrank nahm, um ihn einzupacken, lächelte er bitter. Für den würde er wohl lange keinen Gebrauch haben.

Da kam ihm der Gedanke, daß er ihn versetzen könne. Er hatte einmal seine Ubr versetzen müssen. Da hatte er gesehen, wie ein armer Student mit der dicken Frau um den Preis für seinen Frack feilschte. Er legte ihn für sich in die Handtasche. Und als alles gepackt war, schrieb er einige Worte für Frau Henrichsen auf.

»Komme vorläufig nicht nach Hause. Bin von einem Freunde eingeladen, Neujahr mit ihm zu feiern. Meine Adresse ist: Strandhaus bei Kastrup, Amager. Glückliches Neujahr!

Ihr Svend Byge.«

Er mußte den schweren Koffer selbst ein Stück schleppen, bevor er einen Dienstmann traf. Dann schlich er sich zu dem Pfandverleiher, wo er den armen Studenten mit seinem Gesellschaftsanzug gesehen hatte.

Die Frau bot ihm zwanzig Kronen. Aber er feilschte, wie er es von dem Studenten gelernt hatte. Da der Frack neu und elegant war, bekam er fünfundzwanzig.

Mit den dreizehn Kronen, die er noch in der Tasche hatte, bedeutete das Friede für viele sparsame Tage.


 << zurück weiter >>