Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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13

Während der kommenden Tage verhielt Svend sich ruhig.

Er stellte sich wie gewöhnlich im Ministerium ein, sprach aber nur das Notwendigste.

Jersey, der neugebackene Departementschef, nahm ihn sich vor; es glückte ihm aber nicht, ihm etwas über seine Pläne zu entlocken. Er sprach Svend sein Bedauern über den Schritt aus, den er getan hatte. Nachdem die Sache im Staatsrat vor gewesen war, bekam Svend Mitteilung vom Ministerium, daß sein Entlassungsgesuch bewilligt sei.

Am Nachmittag ging er zu v. Falk, der ihm zu seiner Freiheit Glück wünschte. Sie hatten eine lange, vertrauliche Unterredung.

Am nächsten Tage erschien Svend in Gehrock und Zylinder auf dem Schlosse und ließ sich beim Kabinettsekretär melden. Der Diener notierte seinen Namen auf einer Liste und nahm seine Karte. Er mußte eine Viertelstunde warten, bevor er an die Reihe kam.

Der Kabinettsekretär, ein kleiner, sehr zierlicher Herr, empfing ihn stehend, die eine Hand hinterm Rockaufschlag, die andere auf eine grüne Tischdecke gestützt.

»Sie wünschen?« fragte er, während seine kleinen, lebhaften Augen ihn neugierig musterten.

»Ich wünsche eine Audienz bei Seiner Majestät.«

Svend stand hochaufgerichtet und verschlossen da. Er hatte mit sich selbst abgerechnet und war vollkommen Herr seiner Bewegung.

Der Kabinettsekretär gab es auf, ihm imponieren zu wollen. Er deutete mit einer nachlässigen Handbewegung auf einen roten Sessel am Fenster und nahm selbst ihm gegenüber in der Sofaecke Platz, indem er das eine Bein über das andere schlug.

»Wenn ich nicht irre,« sagte er, und betrachtete Svends Karte, die er zwischen zwei Fingern wippte, »so sind Sie es, Herr Byge, der seinen Abschied vom Ministerium verlangt hat.«

.Ja!«

»Wünschen Sie in dieser Angelegenheit eine Audienz?«

»Ja – ich möchte gern Gelegenheit haben, Seiner Majestät persönlich vorzustellen, wie man mich trotz eines gegebenen Versprechens bei einer Amtsernennung übergangen hat.«

»Sie wollen sich über Ihren Minister beschweren!« fiel der Kabinettsekretär ihm scharf ins Wort.

»Ja, so kann man es auch auffassen!«

»Und was wollen Sie dadurch gewinnen?« Der Kabinettsekretär lächelte überlegen.

»Das wird sich zeigen!« sagte Svend kurz und biß die Zähne fest aufeinander.

Der Kabinettsekretär sah ihn fragend an, unsicher, wie er diese kurze, etwas abweisende Antwort auffassen solle.

»Hat der Minister Ihnen sein Wort gebrochen?«

»Ja!«

»Aber haben Sie bedacht, Herr Byge, daß der Minister überhaupt kein bindendes Versprechen geben kann, da es der König ist, der Ernennungen und Beförderungen bestimmt?«

Svend lächelte und antwortete nur:

»Der Minister ist die verantwortliche Autorität, an die man sich zu halten hat.«

Der Kabinettsekretär richtete sich auf und rieb sich die weißen Hände. Er hatte es hier scheinbar mit einem bärbeißigen Herrn zu tun. Er konnte nur zu gut verstehen, daß der gutmütige Tithoff keine Verwendung für so einen in seinem Ministerium hatte.

Er erhob sich, steckte die Fingerspitzen mit den rosenroten, blanken Nägeln in die Westentaschen und sagte zu Svend, der sich ebenfalls erhoben hatte:

»Ja, Herr Byge, es steht einem jeden frei, Audienz beim König zu suchen. Montags um zehn Uhr ist öffentliche Audienz im Schlosse. Wenn Sie sich zu dieser Zeit einfinden, werden Sie vorgelassen werden, wenn die Reihe an Sie kommt. Es geht nach der Rangordnung –« der Kabinettsekretär sah ihn nachsichtig an – »für Sie wird es also so etwas wie eine Geduldsprobe werden. Es ist sogar möglich, daß Sie nicht einmal beim ersten Mal hereinkommen. – Guten Morgen.«

Er reichte Svend die Spitzen seiner soignierten Finger und begleitete ihn halbwegs zur Tür.

Der Kabinettsekretär wußte offenbar nicht, daß ich Departementschef Kruses Schwiegersohn war, dachte Svend spöttisch, als er die Treppe hinabstieg – oder war er vielleicht schon unterrichtet?

Am folgenden Montag kam Svend beim Schlosse vorgefahren.

Eine lange Reihe Wagen hielt davor, teils Privat-, teils Mietsfuhrwerke.

Obgleich er die Sache wieder und wieder durchdacht hatte – er hatte den größten Teil der Nacht wachgelegen – war er jetzt, wo die Schlacht geschlagen werden sollte, dennoch nervös. Ein alter, weißhaariger Lakai war ihm beim Ablegen behilflich. Die beiden langen Garderobenständer hingen schon voller Mäntel, darunter viele Offizierskragen.

Svend warf einen Blick in den Spiegel, zupfte an seiner weißen Krawatte, richtete sich auf, zog die Frackweste herunter und ging an der Schildwache vorbei durch die weiße Flügeltür, die ein anderer alter Lakai öffnete.

Das große, breite Vorgemach war wie ein alter, herrschaftlicher Salon möbliert; mitten im Zimmer zwei runde Tische, von dem der eine von dem jourhabenden Adjutanten mit Beschlag belegt wurde, der den Hof- und Staatskalender aufgeschlagen vor sich liegen hatte. An der Längswand, den Fenstern gegenüber, war eine Vertiefung, wie ein kleiner, blinder Korridor, der zu einer Flügeltür führte. Da die Höchsten im Rang – zwei galastrahlende Generale mit Federbüschen unterm Arm, die Brust voller Orden – sich in der Nähe dieser Tür hielten, wurde es Svend gleich klar, daß hier der Eingang zum Audienzsaal sei.

Während er mit einem aus Neugierde und Ehrfurcht gemischten Gefühl diese Flügeltür betrachtete, öffnete sich eine Tapetentür in der einen Seitenwand des halbdunklen, blinden Korridors, und ein dickleibiger Lakai mit Seidenstrümpfen und Frackschößen kam zum Vorschein und nahm einen kleinen Überblick über den Saal, mit jenem Ausdruck von erhabenem und wehmütigem Selbstbewußtsein, das vertrauten Kammerbedienten eigen zu sein pflegt.

Dann ging er quer über den Korridor und verschwand durch eine Tapetentür in der gegenüberliegenden Seitenwand.

Es waren also blinde Korridore zwischen den Sälen im Schloß. Das interessierte Svend sehr. So war es wohl in allen alten Königsschlössern. Wie konnte von diesen Laufgängen aus gelauscht und spioniert werden!

Svend sah sich im Saal um. Es strahlte von allen möglichen Uniformen.

»Darf ich um Ihren Namen und Ihre Stellung bitten?« ertönte eine angenehme, klangvolle Stimme, während er sich umblickte.

Svend drehte sich um.

Es war der jourhabende Offizier, der ihn mit vorsichtigen Augen in einem ovalen, blassen Gesicht betrachtete.

Svend stellte sich vor.

Der Adjutant sah mit einem plötzlichen Schimmer von Interesse und einem Anstrich von einem Lächeln um den glattrasierten Mund zu ihm auf.

Dann sagte er mit einer Bewegung auf den Saal zu:

»Ich fürchte, Sie werden lange warten müssen, denn es sind heute ja viele von Rang da.«

Es dauerte eine Stunde, bevor ein Sitzplatz frei wurde. Das verringerte seine Nervosität nicht. Jetzt begann er noch dazu hungrig zu werden. Er hatte noch nichts weiter als ein Ei und eine Tasse Tee zu sich genommen.

Nach und nach wurde es aber leerer im Saal und schließlich kam der Adjutant auf ihn zu und sagte: Der nächste sind Sie, Herr Byge.«

Mit einer Handbewegung forderte er ihn auf, sich der Tür zu nähern, um sich bereit zu halten.

Svend bekam Herzklopfen, kämpfte aber mit Kraftanstrengung seine Aufregung nieder, und es gelang ihm, äußerlich einen vollkommen ruhigen Eindruck zu machen.

Die Tür wurde geöffnet, und sein Vorgänger kam heraus. Svend wartete noch eine Sekunde, dann forderte der Adjutant ihn mit einer Verbeugung auf, näherzutreten.

Der alte König kam ihm in aufrechter Haltung entgegen.

Svend näherte sich, indem er sich mehrmals verbeugte. Das Licht aus den hohen Fenstern fiel ihm in die Augen, so daß er die Züge des Königs erst deutlich zu erkennen vermochte, als er dicht vor ihm stand.

Zwei graue Augen in einem offenen, etwas wettergebräunten Gesicht betrachteten ihn mit forschendem Wohlwollen.

»Sie haben Ihren Abschied genommen?« Die Stimme war leicht verschleiert, der Ton erstaunt, mit einem Anstrich von Unwillen, der angenommen war, wie Svend empfand.

Die zurückgedrängte Aufregung in Verbindung mit dem Gefühl der Bedeutung des Augenblickes hatten seine Sinne geschärft.

Er begriff, daß Seine Majestät darauf präpariert war, daß der Schwiegersohn des verdienstvollen Departementschefs Kruse, ein junger Brausekopf, seinen Abschied genommen hatte, da er sich wegen einer vermeintlichen Übergehung beleidigt fühlte, indem er sich an einige unüberlegte, liebenswürdige Worte klammerte, die seinem Minister in einem Privatgespräch entschlüpft waren. Man hatte ihn seinen Willen bekommen lassen, um ihn durch Erfahrung zu belehren; im übrigen müsse man auf der Hut sein mit dem, was man zu ihm sagte, denn er litt an dem Fehler, alles buchstäblich zu nehmen.

»Ja, Majestät!« sagte Svend, der jetzt, wo es galt, im vollen Besitz seiner Geistesfähigkeiten war, »man hat mir unaufgefordert das Versprechen gegeben, mir ein Amt zu verleihen und hat, ohne eine Veranlassung von meiner Seite, dieses Versprechen nicht gehalten.«

Dieses, ein Versprechen zu geben und nicht zu halten, war etwas, was scharf gegen die militärische Lebensauffassung des Königs verstieß. Die Sache schien dennoch einen tieferen Zusammenhang zu haben, als man ihm vorgestellt hatte.

»Wer hat Ihnen dieses Versprechen gegeben?«

»Euer Majestät Minister, Kammerherr Tithoff.«

Der König sah zum Fenster und dachte einen Augenblick nach. Dann entsann er sich, was ihm vom Kabinettsekretär vorgetragen worden war.

»War es auch wirklich ein Versprechen?« fragte er und sah Svend mit einem neckenden Augenblinzeln von der Seite an.

»Jawohl, Majestät! – ein ausdrückliches Versprechen, das mir vom Kammerherrn Tithoff während eines Besuches in meinem eigenen Hause gegeben wurde. Es war vertraulich, und ich habe es auch niemandem gegenüber erwähnt, bevor ich wußte, daß der Minister es nicht gehalten hatte.«

»Hat der Minister Ihnen denn die Erlaubnis gegeben, es jetzt zu verraten?« fragte der König und sah ihn mit seinem offenen, ehrlichen Blick fest an.

Svend sah sofort ein, daß hier ein schwacher Punkt sei, den er nicht genug erwogen hatte.

»Nicht direkt, Majestät. Aber ich habe dem Minister gegenüber mein Entlassungsgesuch mit dem nicht eingelösten Versprechen motiviert und ihm erklärt, daß ich meinen Abschied nähme, um frei zu stehen.«

Der König schien wieder zu überlegen. Svends Beobachtung entging es nicht, daß dem König seine freie, kühne Antwort gefiel.

»Ist es denn Ihre Absicht, überhaupt aus dem Staatsdienst auszutreten – oder – haben Sie an eine andere Stellung gedacht?«

Diese Worte kamen zögernd, ein wenig tastend heraus. Svend hatte die bestimmte Empfindung, daß diese Frage in letzter Instanz von Tithoff stamme.

Er nahm allen Mut zusammen. Das Vorhergegangene waren ja nur Umschweife und Nebensächlichkeiten gewesen. Jetzt sollte das entscheidende Wort fallen, das er sagen wollte, wie er sich selbst gelobt hatte.

»Majestät, es ist seit meiner frühesten Jugend mein Ziel gewesen, eine hervorragende, öffentliche Stellung einzunehmen, in der ich etwas Nützliches ausrichten kann. Wie die Verhältnisse aber augenblicklich liegen – unter dem jetzigen System – ist es mir unmöglich.«

Er machte eine Pause und hielt den Blick des Königs fest, der fragend und verständnislos auf ihn gerichtet war.

»Ich betrachte es als meine Pflicht, Eure Majestät davon in Kenntnis zu setzen, daß unter Leuten, die Einblick in die Verhältnisse haben, die allgemeine Anschauung vertreten ist, daß das jetzige Ministerium nicht frei disponiert, sondern sich gezwungen fühlt, im Sinne und zur Förderung der Geschäftsinteressen eines Privatmannes, Geheimrat Weltens, zu handeln. Ich habe durch einen schicksalschwangeren Zufall persönlich Beweise in die Hand bekommen, daß es sich hier um mehr als um ein Gerücht handelt und daß die Abhängigkeit von Welten eine Demoralisation unter hochgestellten Beamten zur Folge gehabt hat, deren landesschädliche Konsequenz nicht schwer zu überblicken ist.«

Jetzt war es gesagt.

Die Augen des Königs wurden rund vor Erstaunen, während er Svend mit offenem Mund anstarrte. Als Svend Weltens Namen nannte, stieg ihm ein bläuliches Rot in die mageren, gefurchten Wangen. Dann wandte er seinen Blick von Svend ab und starrte mit gerunzelter Stirn zum Fenster. Darauf sah er wieder zu Svend hin, zog sich einen Schritt von ihm zurück und fragte in einem Ton, der müde klang:

»Haben Sie Ihren Abschied genommen, um mir dies zu sagen?«

»Ja, Majestät!«

»Gut!« sagte der König fest, mit einem entschlossenen Kopfnicken. »Wer von den Ministern war es?«

»Mein Amt ressortierte unter dem Verkehrs- und Finanzminister Kammerherrn Tithoff.«

»Ich werde mit Tithoff sprechen.«

Der König reichte ihm gnädig die Hand.

Svend beeilte sich sie zu ergreifen, worauf er sich mit tiefen Verbeugungen zurückzog.


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