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Dreißigste Betrachtung. Zu guter Letze.

Gastronomische Mythologie.

148. Gasterea ist die zehnte Muse: sie führt die Aufsicht über die Genüsse des Geschmacksinns.

Sie könnte die Herrschaft über das Weltall beanspruchen, denn das Universum ist nichts ohne das Leben, und alles, was lebt, ißt.

Sie liebt besonders die Abhänge, wo der Weinstock blüht, die Hügel, wo die Orange duftet, die Gebüsche, wo die Trüffel wächst, die Ebenen, wo Wild und Obst gedeiht.

Wenn sie sich zu zeigen geruht, erscheint sie in der Gestalt einer schönen Jungfrau. Ihr Gürtel ist feuerfarben, ihr Haar schwarz, ihr Auge blau und alle ihre Formen von reizender Fülle. Schön wie Venus, ist sie vor allem im höchsten Grade liebenswürdig.

Sie erscheint den Sterblichen nur selten, aber ihr Standbild tröstet diese über ihre Unsichtbarkeit. Einem einzigen Bildhauer ist es vergönnt worden, ihre Reize zu betrachten, und diesem Liebling der Götter ist sein Werk so wohl gelungen, daß jeder, der die Statue betrachtet, daran die Züge der Frau zu erkennen glaubt, die er am meisten geliebt hat.

Von all den Orten, wo Gasterea Altäre hat, giebt sie jener Stadt den Vorzug, der Königin der Welt, welche die Gewässer der Seine zwischen die Marmorquadern ihrer Paläste einschließt.

Ihr Tempel ist auf jenem berühmten Berge errichtet, dem Mars den Namen gegeben hat Der Montmartre.. Er ruht auf einem ungeheuren Sockel aus weißem Marmor, an dem man von allen Seiten auf hundert Stufen emporsteigt.

In diesen ehrwürdigen Block sind jene geheimnisvollen Räume eingesprengt, in denen die Kunst die Natur ergründet und sie ihren Regeln unterthan macht.

Dort schaffen Wasser, Feuer, Luft und Eisen, von geschickten Händen in Thätigkeit gesetzt, theilen, verbinden, zerstampfen, verschmelzen und erzeugen Wirkungen, deren Ursache dem großen Haufen unbekannt ist.

Von dort endlich gehen zu bestimmten Zeiten wunderbare Recepte aus, deren Erfinder unbekannt zu bleiben vorziehen, weil ihr Glück und ihr Lohn in dem Bewußtsein besteht, das Gebiet der Wissenschaft erweitert und der Menschheit neue Genüsse erschlossen zu haben.

Der Tempel, ein unerreichtes Denkmal einfacher und majestätischer Architektur, wird von hundert Säulen getragen und durch eine Kuppel erhellt, die eine Nachbildung des Himmelsgewölbes ist.

Wir wollen nicht auf die einzelnen Wunder eingehen, die dies Gebäude in sich schließt. Es genüge die Bemerkung, daß die Sculpturen der Giebel und die Basreliefs der Friese dem Andenken der Männer geweiht sind, die sich durch nützliche Erfindungen, wie z. B. die Verwendung des Feuers für die Bedürfnisse des Lebens, die Erfindung des Pfluges u. dgl., um ihre Mitmenschen verdient gemacht haben.

In weiter Entfernung von der Kuppel erblickt man im Allerheiligsten das Standbild der Göttin: sie stützt sich mit der Linken auf einen Ofen und hält in der Rechten das ihren Verehrern theuerste Erzeugnis der Kunst.

Der krystallne Baldachin, der die Statue überdacht, wird von acht Krystallsäulen getragen, und diese Säulen, in denen sich beständig das Licht elektrischer Flammen bricht, verbreiten in dem Heiligthume eine Helle und Klarheit, die etwas Göttliches hat.

Der Dienst der Göttin ist sehr einfach. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang nehmen die Priester den Blumenkranz herab, der die Statue schmückt, ersetzen ihn durch einen frischen und singen im Chorus eine von jenen zahllosen Hymnen, in denen die Poesie die Güter feiert, mit denen die Göttin die Menschheit überschüttet.

Die Zahl dieser Priester beläuft sich auf zwölf; der älteste führt den Vorsitz. Sie werden unter den gelehrtesten Verehrern der Göttin ausgewählt, und die schönsten erhalten, bei sonst gleichem Verdienst, den Vorzug. Sie treten ihr Amt im Alter der Reife an und können in demselben alt werden, niemals aber hinfällig: davor bewahrt sie die Luft, die sie im Tempel athmen.

Die Zahl der Feste der Göttin stimmt mit der Zahl der Tage im Jahre überein, denn niemals hört sie auf, ihren Segen auszugießen. Ein Tag aber ist ihr vor allen andern heilig: das ist der 21. September, auch das große gastronomische Hallali genannt.

An diesem feierlichen Tage ist die Königin der Städte schon am frühen Morgen in eine Weihrauchwolke gehüllt. Das Volk wandelt, mit Kränzen geschmückt, durch die Straßen und singt Loblieder auf die Göttin, die Bürger reden sich mit den süßesten Verwandtschaftstiteln an, aller Herzen sind der zärtlichsten Gefühle voll, die Atmosphäre wird mit Sympathie geschwängert und verbreitet überall die Gefühle der Liebe und Freundschaft.

Ein Theil des Tages geht mit diesen Herzensergüssen hin, zu der durch die Sitte bestimmten Stunde aber begiebt sich die Menge nach dem Tempel, wo das heilige Mahl gefeiert werden soll.

Im Allerheiligsten, zu den Füßen der Statue, erhebt sich eine Tafel für das Priester-Collegium. Eine zweite Tafel zu zwölfhundert Gedecken ist unter der Kuppel aufgestellt und für die Gäste beiderlei Geschlechts bestimmt. Alle Künste haben zur Ausschmückung dieser Tafeln beigetragen, und selbst in den Palästen der Könige ward so viel Eleganz und Reichthum nie gefunden.

Die Priester treten langsamen Schritts und mit gesammelter Miene in den Tempel ein. Sie tragen ein Gewand aus weißer Cashmir-Wolle, dessen Rand mit rother Stickerei verziert ist, und das um die Hüften durch einen Gürtel von derselben Farbe zusammengehalten wird. Ihre Gesichter strotzen von Gesundheit und Gutmüthigkeit. Nachdem sie einander gegrüßt haben, nehmen sie an der Tafel Platz.

Inzwischen haben in weißes Linnen gekleidete Diener bereits die Schüsseln aufgetragen. Das sind keine gewöhnlichen Gerichte zur Stillung gewöhnlicher Bedürfnisse: auf dieser erhabenen Tafel erscheint nichts, was ihrer nicht für würdig erachtet worden ist und sowohl durch die Wahl des Stoffs als die Art der Zubereitung der transcendentalen Sphäre angehört.

Die ehrwürdigen Consumenten stehen völlig auf der Höhe ihrer Obliegenheit. Ihre friedliche und gediegene Unterhaltung dreht sich um die Wunder der Schöpfung und die Macht der Kunst. Sie essen langsam und schmecken gründlich, die Bewegung ihrer Kinnbacken hat etwas Weiches, Liebliches, man möchte sagen, jeder Biß mit den Zähnen habe einen besondern Ausdruck, und wenn es geschieht, daß sie die Zunge über die glänzenden Lippen gleiten lassen, gewinnt der Urheber der eben verzehrten Speise dadurch einen unsterblichen Ruhm.

Auch die Getränke, die von Zeit zu Zeit gereicht werden, sind dieser Tafel würdig. Sie werden von zwölf jungen Mädchen eingeschenkt, die von einem Comité von Malern und Bildhauern eigens für diesen feierlichen Tag ausgewählt sind. Alle tragen das athenische Costüm, das die Schönheit erkennen läßt, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen.

Die Priester der Göttin stellen sich nicht, als ob sie heuchlerisch den Blick abwendeten, wenn reizende Händchen für sie die Zaubertränke beider Welten in den Becher rinnen lassen. Aber während sie das schönste Werk des Schöpfers bewundern, hört darum die Zurückhaltung der Weisheit nicht auf, auf ihrer Stirn zu thronen: die Art, wie sie danken und trinken, giebt diesem doppelten Gefühle Ausdruck.

Um diese geheimnisvolle Tafel sieht man Könige, Fürsten und berühmte Fremde sich bewegen, die eigens dieses Festes wegen aus allen Theilen der Welt herbeigeströmt sind. Sie gehen schweigend einher und merken mit größter Achtsamkeit auf: sie sind gekommen, um sich über die große Kunst, wohl zu essen, zu unterrichten, jene im höchsten Grade schwierige Kunst, die zur Zeit noch ganzen Völkerschaften unbekannt ist.

Während diese Dinge im Allerheiligsten vorgehen, herrscht an der großen Tafel unter der Kuppel allgemeine Heiterkeit.

Diese Heiterkeit rührt vornehmlich daher, daß keiner von den Gästen neben der Frau sitzt, der er schon alles gesagt hat, was er zu sagen weiß. Also hat es die Göttin bestimmt.

Zu dieser Tafel sind durch Wahl die Gelehrten beiderlei Geschlechts berufen worden, welche die Wissenschaft durch ihre Entdeckungen bereichert haben, ferner die Hausherrn, die mit Eifer und Anmuth die Pflichten der französischen Gastfreundschaft erfüllen, die gelehrten Kosmopoliten, denen die Gesellschaft die Einführung nützlicher oder angenehmer Dinge verdankt, und endlich jene Barmherzigen, welche mit den reichen Brosamen von ihrer Tafel die Armen sättigen.

Den Mittelpunkt der ungeheuren Tafel bildet ein großer, unbesetzter Raum, in welchem sich eine Menge Vorschneider und Aufwärter bewegen, welche von den entferntesten Theilen der Tafel alles herbeibringen und anbieten, was der Gast nur wünschen mag.

Hier findet sich in vortheilhafter Gruppirung alles, was die Natur in ihrer verschwenderischen Güte zur Ernährung des Menschen geschaffen hat. Und diese Schätze sind nicht nur durch ihre Verbindung mit einander, sondern auch durch die Verwandlungen, welche die Kunst mit ihnen vorgenommen hat, verhundertfacht. Die Kunst, diese Zauberin, hat beide Welten vereint, die Reiche der Natur mit einander verschmolzen und die Entfernungen vernichtet. Der Geruch, der von diesen kunstgerecht bereiteten Gerichten aufsteigt, füllt die Luft mit Düften und schwängert sie mit erregenden Gasen.

Schöne, wohlgekleidete Jünglinge durcheilen indessen den äußern Kreis und bieten unablässig Becher mit köstlichem Weine an, der bald den Glanz des Rubins, bald die bescheidenere Farbe des Topases hat.

Von Zeit zu Zeit lassen tüchtige Musiker aus den Seitengalerien der Kuppel die melodischen Accorde einer ebenso einfachen wie kunstgemäßen Harmonie ertönen.

Dann schaut alles auf, die Aufmerksamkeit ist gefesselt, und während dieser kurzen Pausen schweigt jedes Gespräch umher. Bald aber beginnt die Unterhaltung mit neuer Lebendigkeit: es scheint, als ob dies neue Geschenk der Götter der Phantasie eine größere Regsamkeit und den Gemüthern mehr Offenheit mitgetheilt habe.

Sobald die ihm für das Tafelvergnügen vorgeschriebene Zeit verstrichen ist, nähert sich das Priester-Collegium der großen Tafel, um sich an dem Bankett zu betheiligen, sich unter die Gäste zu mischen und in Gemeinschaft mit ihnen den Kaffee einzunehmen, dessen Genuß der Gesetzgeber des Orients seinen Anhängern gestattet. Der balsamische Trank raucht in vergoldeten Gefäßen, und die reizenden Heben des Allerheiligsten eilen geschäftig in der Versammlung umher, um den Zucker zu präsentiren, der die Bitterkeit desselben mildert. Sie sind bezaubernd in ihrer Tracht, aber die Luft, die man in Gastereas Tempel athmet, übt eine solche Wirkung, daß kein weibliches Herz der Eifersucht Raum giebt.

Zum Schluß stimmt der Aelteste der Priester den Lobgesang an, alle Stimmen vereinen sich mit der seinen, die Musik fällt mit ihren Instrumenten ein, und brausend steigt diese von Herzen kommende Huldigung zum Himmel empor. Damit ist der feierliche Dienst zu Ende.

Erst dann beginnt das demokratische Bankett, denn ein Fest, an welchem das Volk nicht Antheil nimmt, ist kein wahres Fest.

In allen Straßen, auf allen Plätzen, vor allen Palästen, so weit der Blick reicht, erheben sich gedeckte Tafeln. Man setzt sich, wo man sich findet, der Zufall würfelt alle Stände, alle Lebensalter, alle Stadttheile zusammen, man reicht sich die Hände zum herzlichen Druck, auf allen Gesichtern ist Freude und Zufriedenheit zu lesen.

Obgleich die Riesenstadt dann nur ein einziger großer Speisesaal ist, sichert die hochherzige Freigebigkeit der Einzelnen doch den Ueberfluß, während eine väterliche Regierung sorglich für die Erhaltung der Ordnung wacht und nicht duldet, daß die letzten Grenzen der Mäßigkeit überschritten werden.

Nun erklingen die Töne einer lebhaften, muntern Musik: sie rufen zum Tanz, dem Lieblingsvergnügen der Jugend.

Ungeheure Säle, elastische Estraden sind errichtet worden, und Erfrischungen aller Art in Ueberfluß vorhanden.

Die Menge strömt nach den Tanzplätzen, die einen, um als Mitwirkende aufzutreten, die andern, um durch Beifallsrufe anzufeuern oder einfach zuzuschauen. Man lacht über einzelne Greise, die, von flüchtiger Begeisterung hingerissen, der Schönheit eine Huldigung darzubringen streben, aber der Dienst der Göttin und die Feierlichkeit des Tages entschuldigen alles.

Der Tanz wird bis tief in die Nacht hinein fortgesetzt, überall herrscht Freude und bewegtes Leben, und nur mit einem Gefühle des Bedauerns hört man die letzte Tagesstunde schlagen, die alles zur Ruhe verweist. Doch widerstrebt niemand dieser Aufforderung. Alles ist mit anständiger Fröhlichkeit genossen, und jeder geht mit seinem Tagewerk zufrieden nach Hause und legt sich zur Ruhe, voll der süßesten Hoffnungen auf die künftigen Ereignisse eines Jahres, das unter so glücklichen Auspicien begonnen hat.


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