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Achtzehnte Betrachtung. Ueber den Schlaf.

85. Es giebt allerdings Menschen, die so organisirt sind, daß man beinahe sagen möchte, sie schlafen gar nicht, im allgemeinen aber ist das Bedürfnis des Schlafs ebenso gebieterisch wie der Hunger und der Durst. Die Vorposten eines Heeres schlafen nicht selten ein, obschon sie sich Taback in die Augen werfen, und Pichegru, von Bonapartes Polizei verfolgt, zahlte dreißigtausend Franken für eine einzige Nacht, in der er sich dem Schlafe hingeben wollte, aber verkauft und ausgeliefert wurde Die schlafvertreibende Wirkung des Schnupftabacks beruht in diesem Falle darauf, daß dies Reizmittel die Thränenabsonderung wiederherstellt, die beim Schläfrigwerden ausbleibt und durch dies Ausbleiben das Bedürfnis des Augenschließens erzeugt.
Pichegru wurde, von einem gewissen Leblanc verrathen, in der Nacht vom 27. auf den 28 Februar 1804 in einem Hause der Rue Chabanais verhaftet. D. Uebers.
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Definition.

86. Der Schlaf ist jener Zustand von Betäubung, während dessen der Mensch, durch die erzwungene Unthätigkeit seiner Sinne von der Außenwelt abgeschlossen, nur noch ein rein mechanisches Dasein lebt.

Wie die Nacht wird der Schlaf eingeleitet und abgeschlossen durch zwei Dämmerzustände, von denen der erste zur völligen Unthätigkeit führt, der zweite dagegen in das thätige Leben zurückleitet.

Untersuchen wir nun diese verschiedenen Erscheinungen näher.

In dem Augenblicke, wo der Schlaf beginnt, verfallen die Sinnesorgane nach und nach in Unthätigkeit: zuerst der Geschmack, dann das Gesicht und der Geruch. Das Gehör bleibt noch eine Zeit lang wach, und das Gefühl sogar immer, denn es hat die Aufgabe, uns durch den Schmerz von den Gefahren zu benachrichtigen, die den Körper bedrohen können.

Stets geht dem Schlafe eine mehr oder weniger wollüstige Empfindung voraus: der Körper überläßt sich derselben in der Zuversicht auf eine schnelle Wiederherstellung seiner Kräfte mit Behagen, und die Seele giebt sich ihr vertrauensvoll hin in der Hoffnung, daß sie dadurch mit den Mitteln zu neuer Thätigkeit versorgt werden wird.

Nur in Folge unzureichender Würdigung dieser doch durchaus positiven Empfindung haben selbst Gelehrte ersten Ranges den Schlaf mit dem Tode verglichen, dem doch alle lebenden Wesen mit allen Kräften widerstreben, und der durch so eigenthümliche Symptome gekennzeichnet wird, die selbst den Thieren Schrecken einflößen.

Wie alle Genüsse, kann auch der Schlaf zur Leidenschaft werden: es hat Leute gegeben, die drei Viertheile ihres Lebens verschliefen; und alsdann bringt er, wie alle Leidenschaften, nur verderbliche Wirkungen hervor: Trägheit, Gleichgiltigkeit, Entkräftung, Stumpfsinn und Tod.

Die Schule von Salerno bewilligte nur sieben Stunden Schlaf, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts. Dieser Lehrsatz ist allzu streng: man muß den Kindern aus Bedürfnis und den Frauen aus Nachsicht etwas zu gute halten. Auf jeden Fall aber muß ein mehr als zehnstündiger Aufenthalt im Bett für eine Ausschweifung gelten Brillat-Savarin hat die Lehre der Schule von Salern über die Ruhe nicht ausführlich genug wiedergegeben. Allerdings lehrt Johann von Mailand, der Verfasser der unter dem Namen der Aphorismen der Schule von Salern bekannten Gesundheitsregeln, im 86. Lehrspruch:
Sex horis domire sat est juvenique senique,
Sepiem vix pigro, nulli concedimus octo.

(Sechs Stunden Schlafs sind genug für den Greis wie den Jüngling,
Dem Faulen sei'n sieben gewährt, doch niemand gewähren wir acht).
An anderer Stelle jedoch gebietet er:
Surge quinta, prande nona,
Goena quinta, dormi nona,
Nec est morti vita prona.

(Um fünf vom Bett, zum Imbiß um neun,
Zum Mahl um fünf, zu Bett um neun.
Das hält vom Leibe dir Freund Hain).
Nun liegen aber bekanntlich zwischen neun Uhr abends und fünf Uhr morgens nicht sechs, sondern acht Stunden, die im Bett zuzubringen sind. Dieser Ueberschuß von zwei Stunden soll dem weisen Gesetzgeber zufolge dem sechsten Sinne zu Gute kommen – wer aber dieser Vorschrift nicht nachkommen will oder kann, der wird keine große Sünde begehen, wenn er die zwei Stunden noch dem Schlafe widmet. D. Uebers.
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In den ersten Augenblicken des Dämmerschlafs dauert der Wille noch fort: man kann sich noch willkürlich in den Zustand des Wachens zurückversetzen, das Auge hat noch nicht völlig sein Vermögen verloren. » Non omnibus dormio Ich schlafe nicht für alle!«, rief Mäcenas dem Sclaven zu, und während dieses Zustandes ist mehr als ein Ehemann zu recht unangenehmen Gewißheiten gelangt. Es tauchen noch einige Vorstellungen auf, aber sie haben keinen Zusammenhang mehr, man hat nur noch zweifelhafte Empfindungen vom Lichte, man glaubt schwankend begrenzte Gegenstände vor den Augen tanzen zu sehen. Dieser Zustand dauert nur kurze Zeit: bald verschwindet alles, jede Erschütterung der Nerven hört auf, und man verfällt in völligen Schlaf.

Was treibt nun während dieser Zeit die Seele? Sie lebt in sich selbst: wie der Pilot während der Windstille, wie ein Spiegel während der Nacht, wie eine unberührte Laute harrt sie neuer Anregungen.

Einige Psychologen, und darunter der Herr Graf von Redern, behaupten indessen, daß die Seele niemals ihre Thätigkeit einstelle, und der genannte führt als Beweis dafür an, daß jeder Mensch, den man gewaltsam aus dem ersten Schlafe weckt, eine Empfindung hat wie jemand, den man in einer mit allem Ernst und Eifer betriebenen Beschäftigung stört.

Diese Bemerkung ist nicht ganz unbegründet und verdient eine aufmerksame Prüfung.

Im übrigen ist jener Zustand absoluter Zernichtung der Nervenfunctionen nur von kurzer Dauer: er hält beinahe nie länger als fünf bis sechs Stunden an. Die Verluste werden nach und nach ersetzt, es beginnt sich ein dunkles Gefühl des Daseins zu regen, und der Schläfer betritt das Reich der Träume.


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