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Dreiundzwanzigste Betrachtung. Ueber die Magerkeit.

Definition.

112. Magerkeit nennt man den Körperzustand eines Individuums, dessen Muskelfleisch in Folge des Mangels an Fett die Formen und Ecken des Körpergerüsts erkennen läßt.

Arten.

Es giebt zwei Arten von Magerkeit. Die erste ist das Ergebnis der ursprünglichen Körperanlage und beeinträchtigt weder die Gesundheit noch die Ausübung der organischen Functionen; die zweite dagegen ist eine Folge der Schwäche gewisser Organe oder der mangelhaften Thätigkeit anderer und verleiht dem davon Befallenen ein elendes und kränkliches Aussehen. Ich habe eine junge Frau mittlerer Größe gekannt, die nur fünfundsechzig Pfund wog.

Wirkungen der Magerkeit.

113. Für die Männer ist die Magerkeit kein großer Nachtheil: sie sind deshalb nicht weniger kräftig und nur um so gesünder und schaffenslustiger. Der Vater der eben erwähnten jungen Dame war zwar ebenso mager wie sie, aber doch so kräftig, daß er einen schweren Stuhl mit den Zähnen aufheben und über den Kopf weg hintenüber werfen konnte.

Für die Frauen aber ist die Magerkeit ein entsetzliches Unglück, denn ihnen gilt die Schönheit mehr als das Leben, und die Schönheit besteht ja eben in der Rundung der Formen und der graciösen Krümmung der Linien. Die gewählteste Toilette, die genialste Schneiderin ist nicht im Stande, gewisse Mängel zu maskiren, gewisse Ecken zu verstecken, und man pflegt ziemlich allgemein zu sagen, daß eine magere Frau, so schön sie auch scheinen mag, mit jeder Stecknadel, die sie ablegt, etwas von ihren Reizen verliert.

Für die Kränklichen giebt es kein Heilmittel, oder vielmehr die Aerzte müssen sich ins Mittel legen, und dann kann die Behandlung so lange dauern, daß die Heilung viel zu spät kommt.

Was aber die Frauen anlangt, die mager geboren sind und einen guten Magen haben, so sehe ich durchaus nicht ein, weshalb sie schwerer zu mästen sein sollten als die Hühner. Allerdings muß ein wenig mehr Zeit darauf verwendet werden, aber das kommt nur daher, weil die Frauen einen verhältnismäßig weit kleinern Magen haben, und weil man sie keiner so strengen und pünktlich durchgeführten Behandlung unterwerfen kann wie jene geduldigen Thiere.

Dieser Vergleich ist der schonendste, den ich habe ausfindig machen können. Ich bedurfte eines solchen um jeden Preis, und in Anbetracht des löblichen Zwecks, zu welchem dies Kapitel geschrieben wurde, werden die Damen ihn mir gewiß verzeihen.

Natürliche Prädestination.

114. Unendlich mannigfaltig in ihren Schöpfungen, hat die Natur Modelle für die Magerkeit wie für die Fettleibigkeit.

Die zur Magerkeit bestimmten Individuen sind nach einem länglichen Systeme construirt. Sie haben schmale Hände und Füße, schwache Beine, einen nur kärglich ausgestatteten Steiß, durchscheinende Rippen, Adlernase, mandelförmige Augen, großen Mund, spitzes Kinn und braunes Haar.

Das ist der allgemeine Typus. Allerdings können einige Körpertheile abweichend gebildet sein, aber das kommt selten vor.

Bisweilen trifft man magere Menschen, die nichtsdestoweniger sehr viel essen. Alle diese gestanden, so weit ich sie eben befragen konnte, daß sie schlecht verdauten, und viel ... Das ist der Grund, weshalb sie immer in demselben Zustande bleiben.

Unter den Kränklichen finden sich alle Formen und alle Farben vertreten. Man erkennt sie daran, daß sich weder in ihren Zügen noch sonst in ihrem Wesen etwas Bemerkenswerthes offenbart, daß sie erloschene Augen und bleiche Lippen haben, und daß die Gesammtheit ihrer Züge Unentschiedenheit und Schwäche andeutet und gewissermaßen ein inneres Leiden verräth. Man möchte fast von ihnen sagen, sie seien noch nicht ganz fertig und die Fackel des Lebens bei ihnen noch nicht zum völligen Aufflammen gekommen.

Fettmachende Diät.

115. Jede magere Frau möchte fett werden: das ist ein Wunsch, der uns tausendmal zu Ohren gekommen ist. Um daher diesem allmächtigen Geschlechte eine letzte Huldigung darzubringen, wollen wir versuchen, durch wirkliche Formen jene seidenen oder baumwollenen Reize zu ersetzen, die man so reichlich in den Schaufenstern der Modewaaren-Magazine ausgestellt sieht, zum nicht geringen Aergernis der Frommen, die ganz entsetzt vorübergehen und sich von diesen Chimären mit ebenso viel oder gar noch größerer Sorgfalt abwenden, als wenn die Wirklichkeit sich ihren Blicken darböte.

Das ganze Geheimnis, durch welches man zu körperlicher Fülle gelangt, besteht in einer angemessenen Diät: man braucht nur zu essen und seine Speisen zweckentsprechend auszuwählen.

Bei dieser Diät werden die positiven Bestimmungen bezüglich der Ruhe und des Schlafes beinahe gleichgiltig: man gelangt nichtsdestoweniger zum Ziele. Denn wenn man sich keine Bewegung macht, so wird man dadurch zum Fettwerden disponirt, macht man sich aber Bewegung, so wird man ebenfalls fett, denn man ißt mehr, und wenn der Appetit nach den Regeln der Wissenschaft befriedigt wird, so ersetzt man nicht blos den Verlust, sondern gewinnt auch noch einen Ueberschuß, falls das Bedürfnis dazu vorhanden ist.

Schläft man viel, so wird man durch das Schlafen fett; schläft man wenig, so verdaut man schneller und ißt mehr.

Es handelt sich also nur um die Feststellung der Art und Weise, auf welche diejenigen, welche ihren Formen Rundung und Fülle zu geben wünschen, sich hinsichtlich der Speisen zu verhalten haben, und diese Aufgabe kann nach den bereits aufgestellten Principien keine Schwierigkeit bereiten.

Um das vorgesteckte Ziel zu erreichen, muß man dem Magen Speisen anbieten, die ihn beschäftigen, ohne ihn anzustrengen, und den assimilirenden Kräften Stoffe liefern, die sich in Fett verwandeln lassen.

Versuchen wir nun, einen Entwurf zu dem Eß-Tagewerk eines Sylphen oder einer Sylphide zu geben, die sich zu verkörpern gewillt ist.

Allgemeine Regel. Man esse viel frisches, erst am selben Tage gebackenes Brot und hüte sich sorglich, die Krume liegen zu lassen.

Vor acht Uhr morgens und, wenn nöthig, im Bette nehme man eine gute Brot- oder Mehlsuppe zu sich, die indessen nicht zu dick sein darf, damit sie leicht durch den Magen geht, oder auch, wenn man will, eine Tasse Chocolade.

Um elf Uhr nehme man ein Frühstück von Rühr- oder Spiegeleiern nebst kleinen Pasteten, Cotelettes und worauf man sonst Appetit hat; die Hauptsache ist, daß die Eier nicht wegfallen. Eine Tasse Kaffee kann nicht schaden.

Die Stunde des Mittagessens muß so gewählt werden, daß das Frühstück verdaut ist, bevor man sich zu Tisch setzt, denn wenn die Aufnahme eines neuen Mahles die Verdauung des vorhergehenden beeinträchtigt, so findet, wie ich mich auszudrücken Pflege, eine Unterschlagung statt.

Nach dem Frühstück mache man sich ein wenig Bewegung, die Männer, so weit es ihr Beruf erlaubt, denn die Pflicht geht allem vor, die Frauen, indem sie ins Boulogner Wäldchen, nach den Tuilerien, zu ihrer Schneiderin, ihrer Putzmacherin, in die Modemagazine oder zu ihren Freundinnen gehen, um mit ihnen über das Gesehene zu plaudern. Wir halten es nämlich für ausgemacht, daß eine derartige Plauderei wegen der großen Befriedigung, die sie mit sich bringt, im höchsten Grade heilsam ist.

Zum Mittagessen wähle man Suppe, Fleisch und Fisch nach Belieben, nehme aber Reisgerichte, Macaroni, süßes Backwerk, süße Cremespeisen, Apfelbreitorten u. s. w. hinzu.

Beim Dessert bevorzuge man die Savoyer Biscuite, die Rosinenkuchen und anderes Backwerk aus Mehl, Zucker und Eiern.

Obgleich dem Anschein nach eng umgrenzt, gestattet diese Diät dennoch eine große Mannigfaltigkeit. Sie schließt das ganze Thierreich ein, und überdies wird man für eine gehörige Abwechslung in der Art, der Zubereitung und der Würze der verschiedenen Mehlspeisen sorgen, die man genießt, und deren Geschmack man durch alle zu Gebote stehenden Mittel heben muß, um der Uebersättigung und dem Widerwillen vorzubeugen, der für jede weitere Verbesserung ein unüberwindliches Hindernis bilden würde.

Zum Getränk nehme man vorzugsweise Bier oder auch Bordeaux- und andere südfranzösische Weine.

Die Säuren meide man, mit Ausnahme des Salats, der heiter und aufgeräumt macht. Man zuckere die Früchte, die eine solche Behandlung gestatten, nehme keine zu kalten Bäder, suche von Zeit zu Zeit reine Landluft zu athmen, esse im Herbste recht viel Trauben und entkräfte sich nicht durch zu vieles Tanzen.

Man gehe in der Regel um elf Uhr zu Bett und auch bei außergewöhnlichen Gelegenheiten nie später als um ein Uhr morgens.

Wenn man diese Vorschrift genau und unentwegt befolgt, so wird man bald den Mängeln der Natur abgeholfen haben, die Gesundheit wird dabei ebenso sehr gewinnen wie die Schönheit, die Wollust wird von beiden Vortheil ziehen, und Worte des Dankes werden angenehm an das Ohr des Professors schlagen.

Man mästet Schafe, Kälber, Ochsen, Hühner, Karpfen, Krebse und Austern – daraus ziehe ich den allgemeinen Schluß: Alles, was ißt, läßt sich mästen, vorausgesetzt daß man die Nahrungsmittel gut und zweckentsprechend wählt.


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