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Elfte Betrachtung. Ueber die Feinschmeckerei.

55. Ich habe in den Wörterbüchern den Artikel Feinschmeckerei nachgeschlagen, bin aber mit dem, was ich gefunden habe, wenig zufrieden. Es herrscht da eine stete Verwechslung der Feinschmeckerei im eigentlichen Sinne mit der Schwelgerei und der Gefräßigkeit, woraus ich den Schluß ziehe, daß die Lexicographen, wenn auch sonst höchst achtbare Leute, doch nicht zu jenen Gelehrten gehören, welche die auserlesenen Theile eines Rebhuhnflügels mit Anmuth in den Mund zu führen verstehen, um sie mit ausgespreiztem kleinen Finger, mit einem Glas Château Lafitte oder Clos Vougeot hinabzuspülen.

Sie haben völlig die gesellschaftliche Feinschmeckerei übersehen, welche die Eleganz der Athener mit der Ueppigkeit der Römer und dem feinen Geschmack der Franzosen vereint, die mit Einsicht ihre Anstalten trifft, mit Kunst und Geschick ihre Anordnungen ausführen läßt, mit Nachdruck genießt und mit Tiefblick ihr Urtheil fällt: eine kostbare Eigenthümlichkeit, die wohl für eine Tugend gelten könnte, auf jeden Fall aber die Quelle unserer reinsten Genüsse ist.

Definitionen.

Definiren wir daher und verständigen wir uns.

Die Feinschmeckerei ist eine leidenschaftliche, theoretisch begründete und zur Gewohnheit gewordene Vorliebe für die Dinge, welche den Geschmack erfreuen.

Die Feinschmeckerei ist allen Ausschreitungen feind: wer sich den Magen überlädt oder sich betrinkt, setzt sich der Gefahr aus, von der Liste gestrichen zu werden.

Die Feinschmeckerei umfaßt auch die Leckerhaftigkeit, die nichts anderes ist als eben jene Vorliebe in ihrer Anwendung auf leichte, leckere, wenig massige Speisen, auf Confitüren, Backwerk u. s. w. Die Leckerhaftigkeit ist nur eine Modification der Feinschmeckerei zu Gunsten der Frauen und der Männer, die den Frauen ähneln.

Von welchem Gesichtspunkte aus man auch die Feinschmeckerei betrachten mag, immer verdient sie Lob und Aufmunterung.

In physischer Hinsicht betrachtet, ist sie das Resultat und der Beweis des gesunden und völlig entwickelten Zustands der zur Ernährung bestimmten Organe.

In moralischer Hinsicht betrachtet, ist sie der stillschweigende Gehorsam gegen die Befehle des Schöpfers, der, da er uns befahl, zu essen um zu leben, uns durch den Appetit dazu einlädt, durch die Schmackhaftigkeit der Speisen dabei unterstützt und durch das Vergnügen dafür belohnt.

Nutzen der Feinschmeckerei.

In staatswirthschaftlicher Hinsicht betrachtet, ist die Feinschmeckerei das Band, das die Völker durch den gegenseitigen Austausch der Gegenstände für den täglichen Bedarf mit einander verbindet.

Sie bewirkt, daß die Weine, die Liqueursorten, die Zuckerpräparate, die Gewürze, die marinirten und eingesalzenen Speisen, kurzum, die verschiedensten Nahrungsmittel, sogar Eier und Melonen, von einem Pole zum andern wandern.

Sie bestimmt für die mittelmäßigen, guten oder vorzüglichen Dinge einen verhältnismäßigen Preis, mögen sie jene Eigenschaften erst auf künstlichem Wege oder schon von der Natur erhalten haben.

Sie belebt die Hoffnung und den Wetteifer jener Unmenge von Fischern, Jägern, Gärtnern u. s. w., die täglich die anspruchvollsten Küchen mit den Ergebnissen ihrer Arbeit und ihrer Entdeckungen füllen.

Sie ernährt endlich die geschäftige Menge der Köche, Kuchenbäcker, Conditor und anderer Speisekünstler verschiedenen Namens, die wieder ihrerseits eine beträchtliche Anzahl anderer Arbeiter beschäftigen, und verursacht auf diese Weise zu jeder Zeit und jeder Stunde einen Geldumsatz, dessen Bewegung und Umfang auch der geübteste Rechenkünstler nicht bestimmen kann.

Und dabei beachte man wohl, daß die Industrie, welche die Feinschmeckerei zum Gegenstande hat, um so vortheilhafter gestellt ist, da sie sich einerseits aus die Schätze der Reichen und andererseits auf täglich neu erstehende Bedürfnisse stützt.

Bei dem gesellschaftlichen Zustande, zu welchem wir gegenwärtig gelangt sind, kann man sich nur schwer ein Volk vorstellen, das einzig von Brot und Gemüsen lebte. Gäbe es eine solche Nation, so würde sie unfehlbar von den fleischessenden Heeren unterjocht werden, wie die Hindus, die nach einander allen zur Beute fielen, denen es einfiel, sie anzugreifen, oder sie würde durch die Küche ihrer Nachbarn bekehrt werden, wie ihrer Zeit die Böotier, die nach der Schlacht bei Leuctra Feinschmecker wurden.

Fortsetzung.

56. Für das Fiscalwesen bietet die Feinschmeckerei nicht geringe Hilfsquellen: sie giebt den Gegenstand für die Eingangszölle, die Stadtmauth und die indirecten Steuern her. Alles, was wir verzehren, zahlt Zoll, und es giebt keinen Staatsschatz in der Welt, für den nicht die Feinschmecker die beste Stütze wären.

Sollen wir noch von jenem Schwarm von Kochkünstlern reden, die schon seit mehreren Jahrhunderten alljährlich aus Frankreich in die Fremde ziehen, um die Feinschmeckerei des Auslands auszubeuten? Die Mehrzahl derselben macht draußen ihr Glück und kehrt dann, von jenem Instinkt getrieben, der nie im Herzen des Franzosen erstirbt, mit dem Ertrage ihrer Sparsamkeit in das Vaterland zurück. Die auf diese Weise in das Land eingeführten Summen sind beträchtlicher, als man meint, und wie über die andern wird auch über sie eines Tages eine Tabelle aufgestellt werden.

Wenn also die Völker die Tugend der Dankbarkeit besäßen, wem anders hätten da die Franzosen Tempel und Altäre zu errichten, wenn nicht der Feinschmeckerei?

Macht der Feinschmeckerei.

57. Der Vertrag vom 20. November 1815 legte Frankreich die Pflicht auf, den Alliirten binnen drei Jahren 750 Millionen Kriegskosten zu zahlen.

Dazu kam noch die Verpflichtung, den Sonderansprüchen der Bewohner der verschiedenen Länder gerecht zu werden, deren Interessen von den verbündeten Fürsten vertreten wurden; diese Summe belief sich auf über 300 Millionen.

Endlich müssen hierzu auch noch die mannigfachen Lieferungen an Naturalien gerechnet werden, die von den feindlichen Generälen ausgeschrieben und auf Bagage-Wagen nach den Grenzen geschafft wurden. Auch diese mußten später aus dem Staatsschatze bezahlt werden, so daß die Gesammtausgabe sich schließlich auf mehr als 1500 Millionen belief.

Man konnte und mußte sogar befürchten, daß so bedeutende Zahlungen, die täglich und überdies in klingender Münze geleistet werden mußten, den Staatsschatz erschöpfen, die fictiven Werthe herabdrücken und dadurch all das Unheil heraufbeschwören würden, das einem Lande ohne baares Geld und ohne Mittel zur Beschaffung desselben droht.

»Ach Gott!« jammerten die Vermögenden, wenn sie den fatalen Karren vorüberrollen sahen, der in der Rue Vivienne gefüllt werden sollte, »ach Gott! da wandert unser Gold ins Ausland! Im nächsten Jahre wird man vor einem Thalerstück niederknieen. Wir werden in die bejammernswerte Lage eines Menschen gerathen, der Bankerott gemacht hat, kein Unternehmen wird Erfolg haben, nirgends wird man Geld geliehen erhalten, und finanzielle Schwindsucht, Auszehrung, bürgerlicher Tod wird die Folge sein.«

Der Ausgang wiederlegte diese Schreckgebilde der Phantasie. Zum großen Erstaunen aller, die mit Geld zu thun hatten, wurden die Zahlungen mit Leichtigkeit abgetragen, der Credit wuchs, man drängte sich zur Zeichnung der Anleihen, und während der ganzen Zeit dieser finanziellen Superpurgation stand der Wechselcurs, dieser untrügliche Barometer für die Geldcirculation, zu unsern Gunsten, d. h., man hatte den arithmetischen Beweis, daß mehr Geld nach Frankreich hinein als aus Frankreich hinaus floß.

Welche Macht kam uns nun damals zu Hilfe? Welche Gottheit bewirkte dieses Wunder? Die Feinschmeckerei!

Als damals die Briten, die Germanen, die Teutonen, die Cimbern und Scythen in Frankreich einbrachen, brachten sie eine seltene Eßlust und Mägen von ungewöhnlichem Kaliber mit.

Nicht lange begnügten sie sich daher mit der Hausmannskost, wie die nothgedrungene Gastfreundschaft sie ihnen auftischte. Sie lechzten nach höhern Genüssen, und bald war die Königin der Städte nur noch ein ungeheurer Speisesaal. Sie aßen, diese Eindringlinge, bei den Gastwirthen, bei den Garköchen, in den Schenken, in den Kneipen, in den Winkelwirthschaften und sogar auf den Gassen.

Sie verschlangen Fleisch, Fische, Wildpret, Trüffeln, Backwerk, besonders aber unser herrliches Obst.

Dazu tranken sie mit einem Ungestüm, das ihrem Appetite gleichkam, und forderten immer die theuersten Weine, in der Hoffnung, unerhörte Genüsse zu kosten, die sie dann zu ihrem Erstaunen nicht fanden.

Die oberflächlichen Beobachter wußten nicht, was sie von dieser Esserei ohne Hunger und ohne Ende denken sollten, die ächten Franzosen aber rieben sich lachend die Hände und sagten: »Sie stehen unter dem Zauber und werden uns heute Abend mehr Thaler zurückgezahlt haben, als sie heut Morgen aus dem Staatsschatz empfingen.«

Jene Epoche war eine Zeit des Gedeihens für alle, welche für die Genüsse des Geschmackssinns Sorge trugen. Véry brachte damals sein Vermögen zum Abschluß, Achard legte den Grund zu seinem spätern Reichthum, Beauvilliers wurde zum dritten Male reich, und Madame Sullot, deren Laden im Palais-Royal keine zwei Quadratklafter groß war, verkaufte täglich bis zu zwölftausend Pastetchen Als das Invasions-Heer durch die Champagne kam, trank es in den wegen ihrer Schönheit berühmten Kellern des Herrn Moet zu Epernay 600,000 Flaschen Champagner aus.
Herr Moet tröstete sich aber über diesen ungeheuren Verlust, als er sah, daß der Wein den Plünderern geschmeckt hatte, und daß die Bestellungen aus dem Norden sich von jener Zeit ab mehr als verdoppelten.
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Jene Wirkung dauert noch heute fort: aus allen Theilen Europas strömen die Fremden herbei, um während des Friedens die süßen Gewohnheiten aufzufrischen, die sie während des Krieges angenommen haben. Sie müssen nach Paris, und wenn sie hier sind, müssen sie sich um jeden Preis gütlich thun. Wenn also unsere Staatspapiere auf der Börse gesucht sind, so verdanken wir das weniger den hohen Zinsen, die sie abwerfen, als dem instinctiven Vertrauen, das man zu einem Volke hat, bei welchem die Feinschmecker glücklich sind Die Berechnungen, welche dem obigen Abschnitt zu Grunde liegen, sind mir von Herrn M. B***, Candidaten der Gastronomie, geliefert worden, dem es nicht an guten Empfehlungen mangelt, denn er ist gleichzeitig Banquier und Musiker..

Porträt einer hübschen Feinschmeckerin.

58. Die Feinschmeckerei kleidet die Frauen gar nicht übel: sie harmonirt mit der Feinheit ihrer Organe und bietet ihnen eine Entschädigung für manche Vergnügungen, die sie entbehren müssen, und für einige Leiden, zu denen die Natur sie verdammt zu haben scheint.

Kein schönerer Anblick, als eine hübsche Feinschmeckerin unter den Waffen! Ihre Serviette ist zierlich umgethan, eins ihrer Händchen ruht auf dem Tische, mit dem andern führt sie sauber geschnittene kleine Bissen oder einen Rebhuhnflügel zum Munde, ihre Augen strahlen, ihre Lippen glänzen gleich Korallen, ihre Rede ist fließend, ihre Bewegungen von bezaubernder Anmuth, und allem jenes Körnchen Koketterie beigemischt, das die Frauen überall anzubringen wissen. Mit so vielen Reizen ist sie völlig unwiderstehlich, und selbst Cato der Censor würde sich erweichen lassen.

Anekdote.

Hieran knüpft sich indessen für mich eine bittere Erinnerung. Ich saß eines Tages bei Tisch recht behaglich neben der hübschen Frau M...d und freute mich innerlich über das glückliche Loos, das mir zu Theil geworden, als sie sich plötzlich zu mir wandte mit den Worten: »Auf Ihre Gesundheit!« Ich stimmte auf der Stelle ein Te-Deum des Dankes an, vollendete aber meine Rede nicht, denn noch im selben Augenblick wandte sich die Kokette an ihren Nachbar zur Linken mit der Aufforderung: »Stoßen wir an!« ... Sie stießen an, dieser plötzliche Uebergang aber erschien mir als eine so ungeheuerliche Treulosigkeit, daß ich eine tiefe Wunde im Herzen davontrug, die eine lange Reihe von Jahren noch nicht vernarbt hat.

Feinschmeckerei der Frauen.

Der Hang des schönen Geschlechts zur Feinschmeckerei ist eine Art Instinkt, denn die Feinschmeckerei ist der Schönheit zuträglich.

Eine Reihe genauer und unwiderleglicher Beobachtungen hat den Beweis geliefert, daß eine kräftige, auserlesene und sorgfältig zubereitete Nahrung die äußern Zeichen des Alters sehr lange hinausschiebt und fernhält.

Sie verleiht den Augen mehr Glanz, der Haut mehr Frische und den Muskeln größere Spannkraft, und da es nach den Lehren der Physiologie feststeht, daß nur die Erschlaffung der Muskeln die Runzeln, diese furchtbaren Feinde der Schönheit, erzeugt, so darf man kühn behaupten, daß unter sonst gleichen Umständen diejenigen, welche zu speisen verstehen, immer zehn Jahre jünger erscheinen als die, denen diese Wissenschaft fremd ist.

Die Maler und Bildhauer haben diese Wahrheit sehr richtig erfaßt, denn nie stellen sie Personen, die freiwillig oder aus Pflichtgefühl die Tugend der Enthaltsamkeit üben, wie z. B. Geizhälse und Anachoreten dar, ohne ihnen die Blässe der Krankheit, die Kraftlosigkeit des Elends und die Runzeln der Altersschwäche ins Gesicht zu prägen.

Einfluß der Feinschmeckerei auf die Geselligkeit.

59. Die Feinschmeckerei ist eins der bedeutendsten Bindemittel der Gesellschaft. Sie breitet allmählich jenen Sinn für Geselligkeit aus, der täglich die verschiedenen Stände vereint, sie zu einem Ganzen verschmilzt, die Unterhaltung belebt und die Ecken und Kanten der conventionellen Ungleichheit abschleift.

Sie bildet den Grund der Anstrengungen, die jeder Gastgeber machen muß, wenn er seine Gäste gut bewirthen will, und ebenso den Grund für die Dankbarkeit der Gäste, wenn sie sehen, daß man nach den Regeln der Kunst für sie gesorgt hat. Und hier ist gewiß der rechte Ort, um jenen stupiden Essern ein Pereat zu bringen, die die auserlesensten Bissen mit hängenswerther Gleichgiltigkeit hinabschlingen oder einen klaren, duftenden Nectar mit frevelhafter Zerstreutheit hinunterstürzen.

Gemeingiltige Regel. Jedes Werk höherer Einsicht heischt ein ausdrückliches Lob, und ein zartsinniges Lob ist stets da unerläßlich, wo sich das Bestreben zu gefallen bemerkbar macht.

Einfluß der Feinschmeckerei auf das häusliche Glück.

60. Endlich ist die Feinschmeckerei, im Fall sie beiden Gatten gemeinsam ist, von sehr entschiedenem Einfluß auf das Glück im Ehestande.

Zwei Gatten, die der Feinschmeckerei ergeben sind, haben wenigstens einmal im Laufe jedes Tages eine angenehme Veranlassung, sich zusammen zu finden, denn selbst diejenigen, die gesondert schlafen – und deren giebt es eine große Anzahl – essen wenigstens an demselben Tische. In diesem Falle nun haben sie einen unerschöpflichen Stoff für die Unterhaltung: sie sprechen nicht bloß von dem, was sie gerade essen, sondern auch von dem, was sie gegessen haben, von dem, was sie essen werden, von dem, was sie bei andern beobachtet haben, von den Mode-Gerichten, von den neuen Erfindungen etc. etc., und man weiß, welchen eigentümlichen Reiz dergleichen vertrauliche Gespräche (Schnickschnack) haben.

Auch die Musik hat ohne Zweifel einen gewaltigen Reiz für diejenigen, welche sie lieben: aber man muß dabei thätig sein, sie ist eine Arbeit.

Zudem hat man bisweilen den Schnupfen, die Noten sind nicht in Ordnung, die Instrumente verstimmt, man hat Kopfweh und muß feiern.

Dagegen ruft ein und dasselbe Bedürfnis die Gatten zu Tisch und hält ein und dieselbe Neigung sie dort fest. Sie erweisen einander jene kleinen Aufmerksamkeiten, welche das Verlangen bezeugen, einander gefällig zu sein, und die Art und Weise, in der die Mahlzeiten vorübergehen, ist unstreitig für das Lebensglück von großem Belang.

In Frankreich ziemlich neu, war diese Beobachtung doch nicht dem Scharfblick des englischen Moralisten Fielding entgangen, und er hat sie ausführlich entwickelt, indem er in seinem Roman Pamela die grundverschiedene Art schildert, auf welche zwei Ehepaare ihr Tagewerk beschließen.

Der erste Gatte ist ein Lord, der älteste Sohn und somit Besitzer aller Güter der Familie.

Der andere ist des Lords jüngerer Bruder, der Gatte Pamelas. Wegen dieser Heirath enterbt, lebt er von seinem Halbsold in bedrängten Umständen, die fast an Dürftigkeit und Armuth grenzen.

Der Lord und seine Gemahlin kommen von verschiedenen Seiten und grüßen sich kalt, obschon sie sich den ganzen Tag über nicht gesehen haben. Von goldstrotzenden Dienern umgeben, nehmen sie an einer reich besetzten Tafel Platz, bedienen sich schweigend und essen ohne Genuß. Nachdem die Lakaien sich entfernt haben, entspinnt sich indessen eine Art Unterhaltung zwischen ihnen, die jedoch bald eine bittere Wendung nimmt und in Zank ausartet; schließlich erheben sich beide voller Wuth von der Tafel und trennen sich, um, jeder in seinem Gemach, über die Annehmlichkeiten der Wittwerschaft nachzudenken.

Sein Bruder dagegen wird beim Eintritt in seine bescheidene Wohnung mit der zärtlichsten Zuvorkommenheit und den süßesten Liebkosungen empfangen. Er nimmt an einem mäßig bestellten Tische Platz, aber können die Gerichte, die ihm vorgesetzt werden, überhaupt besser sein? Hat doch Pamela selbst sie bereitet! Die Gatten essen mit Lust und plaudern dabei von ihren Angelegenheiten, ihren Entwürfen, ihrer Liebe. Eine halbe Flasche Madeira verlängert das Mahl und die Unterhaltung. Bald nimmt das nämliche Lager die beiden Glücklichen auf, und nach den Ergüssen einer gegenseitigen Zärtlichkeit läßt ein süßer Schlummer sie die Gegenwart vergessen und von einer bessern Zukunft träumen.

Ehre also der Feinschmeckerei, so wie wir sie dem Leser schildern und so lange sie den Menschen nicht von seiner Pflicht und von der Rücksicht auf sein Vermögen abwendig macht! Denn so wenig die Orgien eines Sardanapal einen Abscheu vor den Frauen erweckt haben, so wenig dürfen die Ausschreitungen eines Vitellius uns bewegen, einem kunstgerecht geordnetem Mahle den Rücken zu kehren.

Sobald die Feinschmeckerei zur Eßgier, Gefräßigkeit und Völlerei wird, verliert sie ihren Namen und ihre Vorzüge, entzieht sich unserer Competenz und verfällt der Amtsbefugnis des Moralisten, der ihr mit weisen Lehren, oder des Arztes, der ihr mit Arzneien zu Leibe gehen wird.

Die Feinschmeckerei ( gourmandise) in dem Sinne, wie der Professor sie in diesem Abschnitte charakterisirt hat, hat nur im Französischen einen Namen: sie kann weder durch das lateinische gula , noch durch das englische gluttony , noch durch das deutsche Lüsternheit bezeichnet werden. Wir rathen daher allen denen, welche sich versucht fühlen sollten, unser lehrreiches Werk zu übersetzen, das Substantivum beizubehalten und nur den Artikel zu übertragen: so haben alle Völker es mit der Koketterie und allem gehalten, was darauf Bezug hat Daß dieser Rath zu jener Zeit nicht ganz unberechtigt war, erhellt aus dem Umstande, daß noch von Rumohr in seinem Geist der Kochkunst den Ehrentitel gourmand durch der mit Lüsternheit Gefräßige (!) wiedergiebt. Die später gebildeten Ausdrücke Feinschmecker und Feinschmeckerei decken jedoch den Begriff von gourmand und gourmandise so vollständig, daß wir Deutschen diese Fremdwörter sehr wohl entbehren können. D. Uebers..

Zusatz eines patriotischen Gastronomen.

Ich bemerke mit Stolz, daß die Koketterie und die Feinschmeckerei, diese beiden großen Umformungen, welche der außerordentliche Hang zur Geselligkeit an unsern unabweislichsten Bedürfnissen vorgenommen hat, beide französischen Ursprungs sind.


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