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Vorwort.

Um dem Publikum das Werk zu bieten, das ich hier seiner Nachsicht unterbreite, hat es meinerseits keiner schweren Arbeit bedurft: ich habe nur Materialien geordnet, die seit langer Zeit gesammelt waren, und das war eine angenehme Beschäftigung, die ich mir auf meine alten Tage verspart hatte.

Indem ich das Tafelvergnügen in allen seinen Beziehungen betrachtete, wurde mir schon frühzeitig klar, daß es darüber etwas Besseres zu schreiben gäbe als Kochbücher, und daß sich vieles sagen ließe über so wesentliche und stete Verrichtungen, die von so unmittelbarem Einfluß auf die Gesundheit, das Glück und sogar die Geschäfte sind.

Nachdem ich diese Grundidee einmal erfaßt hatte, fand sich alles Uebrige von selbst: ich schaute um mich, ich machte mir Anmerkungen, und oft entschädigte mich bei den prunkendsten Galamählern das Vergnügen der Beobachtung für die Langeweile der Tafelgenossenschaft.

Nicht etwa, daß ich, um die Aufgabe zu erfüllen, die ich mir gestellt hatte, nicht Physiker, Chemiker, Physiologe und sogar ein wenig Philologe hätte zu sein brauchen – aber ich hatte alle diese Studien bereits gemacht, ehe ich noch im Geringsten daran dachte, Schriftsteller zu werden: eine löbliche Wißbegierde, die Furcht, hinter meinem Jahrhundert zurück zu bleiben, und das Verlangen, mich ohne Ungemach mit den Gelehrten, deren Gesellschaft ich stets geliebt habe »Speisen Sie nächsten Donnerstag bei mir,« sagte mir eines Tages Herr Greffuhle. »Sie können Gelehrte oder Literaten zur Gesellschaft haben: wählen Sie.« – »Meine Wahl ist getroffen,« gab ich zur Antwort, »wir werden zweimal zusammen speisen.« Das geschah denn auch wirklich, und das Mahl für die Literaten war bei weitem gewählter und besser. (Vgl. die zwölfte Betrachtung)., unterhalten zu können, hatten mich dazu getrieben.

Ich bin vor allem der Arzneiwissenschaft zugethan: das ist beinahe eine Manie bei mir, und zu den schönsten Tagen meines Lebens zähle ich den, wo ich, bei der Promotion des Dr. Cloquet mit den Professoren zusammen durch die Professorenthür in den Saal tretend, das Vergnügen hatte, ein Gemurmel der Neugier im Amphitheater zu vernehmen, indem jeder Student seinen Nachbar fragte, wer denn der unbekannte mächtige Protektor sein möge, der die Versammlung mit seiner Gegenwart beehrte.

Doch giebt es noch einen andern Tag, dessen Andenken mir, wie ich glaube, ebenso theuer ist, und das ist der Tag, an welchem ich dem Verwaltungsrathe des Vereins zur Aufmunterung der nationalen Industrie meinen Irrorator vorlegte, ein Instrument von meiner eigenen Erfindung, das nichts anderes ist als ein zur Parfümirung größerer Räume eingerichteter Heronsball.

Ich hatte meine Maschine sorgfältig geladen in der Tasche mitgebracht, ich drehte den Hahn und pfeifend entströmte demselben ein wohlriechender Dampf, der bis zur Decke emporstieg und dann in seinen Sprühtröpfchen auf die Personen und die Papiere herabfiel.

Da sah ich nun mit unaussprechlichem Vergnügen die gelehrtesten Häupter der Hauptstadt sich unter meiner Irroration beugen und bemerkte mit unendlichem Behagen, daß gerade die am meisten Durchnäßten die Glücklichsten waren.

Bisweilen, wenn ich an die ernsthaften Ausgeburten meines Hirnes dachte, zu denen der umfangreiche Stoff mich verführte, fürchtete ich in allem Ernst, ich möchte langweilig geworden sein, denn auch ich habe hin und wieder bei den Werken anderer gegähnt.

Um einem solchen Vorwurfe zu entgehen, habe ich alles gethan, was in meinen Kräften stand! ich habe alle Gegenstände, die langweilig werden konnten, nur flüchtig berührt, ich habe mein Werk mit Anekdoten gespickt, die ich zum Theil selbst erlebte, ich habe eine nicht geringe Anzahl außerordentlicher und seltsamer Fälle, die eine gesunde Kritik verwerfen muß, bei Seite gelassen, ich habe endlich die Aufmerksamkeit geweckt, indem ich gewisse Kenntnisse, welche die Gelehrten sich allein vorbehalten zu haben schienen, klar und populär zu machen suchte. Habe ich nun trotz all dieser Anstrengungen meinen Lesern keine leicht verdauliche Wissenschaft geboten, so werde ich dennoch ruhig schlafen in der festen Ueberzeugung, daß die Majorität mir in Anerkennung des guten Willens Ablaß ertheilen wird.

Man könnte mir noch vorwerfen, daß ich meiner Feder bisweilen allzu freien Lauf lasse und beim Erzählen ein wenig ins Geschwätzige verfalle. Aber ist es meine Schuld, wenn ich alt bin? Ist es meine Schuld, wenn ich dem Odysseus gleiche, der »mancher Völker Städte gesehen und Sitten gekannt hat?« Bin ich also zu tadeln, wenn ich ein wenig meine Biographie schreibe? Ueberdies muß der Leser mir zu Gute halten, daß ich ihn mit meinen Politischen Denkwürdigkeiten verschone, die er wie so viele andere wohl oder übel würde lesen müssen, da ich seit sechsunddreißig Jahren in einer der vordersten Logen sitze und die Menschen und die Ereignisse vorüberziehen sehe.

Besonders aber hüte man sich, mich den Compilatoren beizuzählen: hätte ich mich auf das Zusammenlesen beschränken müssen, so würde meine Feder unberührt geblieben sein und ich wäre darum nicht minder glücklich gewesen.

Wie Juvenal habe ich mir gesagt:

Semper ego auditor tantum? nunquamne reponam? Soll immer nur Hörer ich sein und nimmer erwidern?

und meine Bekannten werden leicht einsehen, daß ich, der ich ebenso an das Geräusch der Gesellschaft wie an die Stille des Studirzimmers gewöhnt bin, wohl gethan habe, aus diesen beiden Umständen Vortheil zu ziehen.

Endlich habe ich auch viel zu meinem persönlichen Vergnügen gethan. Ich habe verschiedene Freunde namhaft gemacht, die das schwerlich erwarteten, ich habe einige liebenswürdige Erinnerungen aufgefrischt, ich habe andere, die mir zu entfallen drohten, für immer dauernd gemacht und, wie man im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt, mein Plauderstündchen gehalten.

Vielleicht ruft ein einzelner Leser aus der Kategorie der Langen: »Was brauchte ich zu wissen, ob« u. s. w. oder »Was fällt ihm ein, daß er erzählt« u. s. w. Aber ich bin überzeugt, die übrigen werden ihm Schweigen gebieten, und eine achtunggebietende Majorität wird diese Ergüsse eines löblichen Gefühls mit Wohlwollen aufnehmen.

Schließlich muß ich noch einiges über meinen Stil bemerken, denn der Stil ist der Mann, wie Buffon sagt.

Aber man glaube nicht, daß ich um Nachsicht bitten will, die denen, welche sie nöthig haben, doch nie gewährt wird: es handelt sich hier nur um eine Auseinandersetzung.

Ich müßte eigentlich wunderherrlich schreiben, denn Voltaire, Rousseau, Fénelon, Buffon und später Cochin und d'Aguesseau waren meine Lieblings-Autoren, und ich kenne sie auswendig.

Vielleicht aber haben die Götter es anders bestimmt, und in diesem Falle ist die Ursache ihres Rathschlusses folgende:

Ich kenne fünf lebende Sprachen mehr oder weniger gut und besitze also ein unermeßliches Repertorium von Wörtern aller Farben.

Wenn ich nun einen Ausdruck brauche und ihn nicht in der französischen Abtheilung vorfinde, so greife ich einfach in das nächste Fach, und daraus entspringt dann für den Leser die Nothwendigkeit, mich zu errathen oder zu übersetzen: das steht nicht zu ändern.

Allerdings könnte ich es auch anders machen, ein gewisser Systemgeist aber, der für mich unüberwindlich ist, hält mich davon ab.

Ich bin nämlich der festen Ueberzeugung, daß die französische Sprache, deren ich mich bediene, verhältnismäßig arm ist. Was ist nun unter diesen Umständen zu thun? Man muß borgen oder stehlen.

Ich für mein Theil thue beides, weil dergleichen Anleihen nicht zurückerstattet zu werden brauchen, und weil der Wortdiebstahl nicht vom Gesetz bestraft wird.

Man wird sich eine Vorstellung von meiner Verwegenheit machen, wenn man hört, daß ich jeden, den ich zur Besorgung eines Auftrags wegschicke, nach dem Spanischen einen volante nenne, und daß ich fest entschlossen war, das englische Verbum to sip , das in kleinen Zügen trinken bedeutet, zu französiren, wenn ich nicht noch glücklicherweise das französische Wort siroter (schlürfen) wieder aufgefunden hätte, dem man ungefähr die nämliche Bedeutung beilegte.

Ich bin darauf gefaßt, die Gestrengen der Kritik Bossuet, Fénelon, Racine, Pascal und andere Heilige aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. anrufen zu hören; mir ist, als hörte ich bereits ihr entsetzliches Toben.

Darauf gebe ich nun ganz bedachtsam zur Antwort, daß es mir durchaus fern liegt, das Verdienst jener Autoren, der genannten wie der ungenannten, in Abrede zu stellen – aber was folgt daraus? Nichts, wenn nicht, daß sie, die schon mit einem undankbaren Instrumente so Tüchtiges leisteten, mit einem bessern noch unvergleichlich mehr geleistet haben würden. In ganz ähnlicher Weise darf man annehmen, daß Tartini noch weit besser gegeigt haben würde, wenn er einen so langen Violinbogen gebraucht hätte wie Baillot.

Ich gehöre also zur Partei der Neologen und sogar der Romantiker. Diese letztern decken die verborgenen Schätze auf, die erstern aber gleichen den Seefahrern, die die Vorräthe, deren man bedarf, aus der Ferne herbeiholen.

Die nordischen Völker und namentlich die Engländer haben in dieser Beziehung einen ungeheuren Vortheil vor uns voraus: das Genie wird bei ihnen nie durch den Ausdruck behindert, es schafft oder entlehnt. Daher geben auch unsere Uebersetzer bei solchen Stoffen, die Tiefe und Kraft erfordern, immer nur matte und farblose Nachbildungen.

Ich hörte einst in der Akademie eine recht artige Abhandlung über die Gefährlichkeit sprachlicher Neuerungen und über die Nothwendigkeit des Festhaltens an unserer Sprache, sowie sie durch die Autoren des großen Jahrhunderts geformt worden sei.

Als Chemiker that ich das Werkchen in den Destillir-Kolben, und als Quintessenz des Ganzen ergab sich: Wir haben alles so trefflich gemacht, daß man es unmöglich besser oder anders machen kann.

Nun habe ich aber Erfahrung genug, um zu wissen, daß dies von jeder Generation behauptet wird, und daß die folgende nie verfehlt, sich darüber lustig zu machen.

Wie sollten übrigens die Worte dieselben bleiben, wenn die Sitten und die Ideen unausgesetzt Veränderungen erleiden? Wenn wir auch dasselbe thun wie die Alten, so thun wir es doch nicht auf dieselbe Weise, und es finden sich in einigen französischen Büchern ganze Seiten, die man weder ins Lateinische noch ins Griechische übersetzen könnte.

Alle Sprachen haben ihre Bildungsepoche, ihre Blütezeit und ihr Greisenalter gehabt, und von allen denen, die von Sesostris bis zu Philipp August neben und nach einander geglänzt haben, lebt jede einzelne nur noch in ihren Denkmälern fort. Die französische Sprache wird dasselbe Schicksal haben, und im Jahre 2825 wird man mich mit Hilfe eines Wörterbuchs lesen, wenn man mich dann überhaupt noch liest ...

Ich hatte einst anläßlich dieses Gegenstandes eine Discussion mit dem liebenswürdigen Herrn Andrieux von der Akademie, wobei auf beiden Seiten das schwerste Geschütz aufgefahren wurde.

Ich rückte in guter Ordnung vor, griff kräftig an und hätte den Gegner sicherlich gefangen genommen, wenn er nicht eilig den Rückzug angetreten hätte, dem ich mich nicht allzu hitzig widersetzte, da mir zum Glück für ihn einfiel, daß er mit der Bearbeitung eines Buchstabens in dem neuen Wörterbuch der Akademie beauftragt war.

Zum Schluß noch eine höchst wichtige Bemerkung, die ich eben deshalb bis zuletzt aufgespart habe.

Wenn ich im Singular von mir spreche und schreibe, so setzt das eine gemüthliche Unterhaltung mit dem Leser voraus, und in diesem Falle darf er prüfen, streiten, zweifeln und sogar lachen. Bewaffne ich mich aber mit dem fürchterlichen Wir, so docire ich, und dann hat er sich zu unterwerfen.

I am Sir Oracle,
And when I open my lips, let no dog bark
Ich bin Herr Orakel,
Und thu' den Mund ich auf, darf sich kein Hund mehr regen.


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