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Vierzehnte Betrachtung. Ueber das Tafelvergnügen.

71. Unter den empfindenden Wesen, die den Erdball bevölkern, ist der Mensch unstreitig dasjenige, welches die meisten Leiden erduldet.

Die Natur hat ihn von Anfang an durch die Nacktheit seiner Haut, die Gestalt seiner Füße und den Hang zu Kampf und Zerstörung, der ihn überall hin begleitet, zum Schmerze verdammt.

Die Thiere sind nicht mit diesem Fluche beladen worden, und ohne jene Kämpfe, welche durch den Fortpflanzungstrieb veranlaßt werden, würde den meisten Arten im Naturzustande der Schmerz unbekannt sein, während der Mensch, der die Lust nur flüchtig und vermittelst weniger Organe zu erfassen vermag, immer und an allen Theilen seines Körpers entsetzlichen Schmerzen unterworfen sein kann.

Dieser schwere Schicksalsschluß wird bei seiner Erfüllung noch durch ein zahlloses Heer von Krankheiten verschärft, die den gesellschaftlichen Gewohnheiten entspringen, so daß also das lebhafteste und denkbar bestbeschaffene Vergnügen weder in Bezug auf Intensität noch in Bezug auf Dauer als Ausgleich für die grimmigen Schmerzen dienen kann, die bei gewissen Krankheiten wie Gicht, Zahnschmerz, Gliederreißen, Harnzwang u. s. w. auftreten, oder durch die grausamen Strafen verursacht werden, die bei manchen Völkern üblich sind.

Diese auf der Erfahrung beruhende Scheu vor dem Schmerze nun bewirkt, daß der Mensch sich fast unbewußt, aber mit Ungestüm dem Gegentheil zuwendet und sich mit Hingebung an die kleine Anzahl von Genüssen anklammert, welche die Natur ihm beschieden hat.

Aus eben diesem Grunde vermehrt, verlängert, verändert er diese Genüsse und betet sie schließlich sogar an, denn unter der Herrschaft des Heidenthums waren alle Vergnügungen lange Jahrhunderte hindurch Gottheiten zweiten Ranges, über welche höhere Gottheiten die Aufsicht führten.

Die Sittenstrenge der neuen Religionen hat alle diese Personificationen zu nichte gemacht: Bacchus, Amor, Venus, Comus und Diana sind nur noch poetische Bilder. Die Sache selbst aber besteht unverändert fort, und selbst unter der Herrschaft der strengsten aller Religionen thut man sich gelegentlich der Hochzeiten, der Taufen und sogar der Begräbnisse gütlich.

Ursprung des Tafelvergnügens.

72. Die Mahlzeiten in dem Sinne, den wir mit diesem Worte verbinden, begannen erst mit der zweiten Epoche im Leben der Menschheit, d. h. in dem Augenblicke, wo sie aufhörte, sich ausschließlich von Früchten zu nähren. Die Zubereitung und Vertheilung des Fleisches machte die Vereinigung der Familie nothwendig, deren Häupter den Ertrag der Jagd unter die Kinder vertheilten, wie später die erwachsenen Kinder ihren altersschwachen Eltern denselben Dienst erwiesen.

Anfangs auf die nächsten Angehörigen beschränkt, dehnten sich diese Vereinigungen allmählich auf die Nachbarn und Freunde aus.

Später, als das Menschengeschlecht sich über weite Länderstrecken ausgebreitet hatte, ließ sich der ermüdete Wanderer zu diesen primitiven Mahlen nieder und erzählte dabei, was sich in fernen Gegenden zugetragen hatte. Auf diese Weise entstand die Gastfreundschaft mit ihren bei allen Nationen geheiligten Rechten, denn selbst die wildesten Völkerstämme halten es für Pflicht, das Leben dessen zu achten, mit dem sie Brot und Salz getheilt haben.

Beim Mahle entstanden auch oder vervollkommten sich die Sprachen, theils weil die Mahlzeiten eine beständig wiederkehrende Gelegenheit zu friedlicher Vereinigung waren, theils weil die Muße bei und nach dem Mahle ganz von selbst zu vertraulichen Plaudereien und zur Gesprächigkeit geneigt macht.

Unterschied zwischen dem Eßvergnügen und dem Tafelvergnügen.

73. Das waren und mußten der Natur der Dinge gemäß die Grundbestandtheile des Tafelvergnügens sein, das vom Eßvergnügen, seinem unerläßlichen Vorläufer, sehr wohl unterschieden werden muß.

Das Eßvergnügen ist die tatsächliche und unmittelbare Empfindung der Befriedigung eines Bedürfnisses.

Das Tafelvergnügen ist die reflectirte Empfindung, die aus mannigfachen zufälligen, örtlichen, sachlichen und persönlichen Umständen hervorgeht, welche während des Mahls zur Geltung kommen.

Das Eßvergnügen ist uns mit den Thieren gemein. Es setzt nur den Hunger und den Besitz des zu seiner Stillung Erforderlichen voraus.

Das Tafelvergnügen ist dem Menschen eigenthümlich. Es setzt eine vorgängige Sorge für die Bereitung des Mahls, den Ort des Festes und die Versammlung der Theilnehmer voraus.

Das Eßvergnügen erfordert, wenn nicht Hunger, so doch wenigstens Appetit. Das Tafelvergnügen ist meistens von beiden unabhängig.

Beide Zustände lassen sich bei allen unsern Festmahlen beobachten.

Beim ersten Gange und zu Anfang der Sitzung ißt jeder voller Gier, ohne zu sprechen und ohne auf das zu hören, was gesprochen wird: welchen Rang man auch in der Gesellschaft einnehmen mag, man vergißt alles, um nur noch Arbeiter in der großen Fabrik zu sein. Sobald aber das Bedürfnis einigermaßen gestillt ist, stellt sich die Reflexion ein, die Unterhaltung spinnt sich an, eine andere Ordnung der Dinge beginnt, und der, der bis dahin nur Esser war, wird nun ein mehr oder minder liebenswürdiger Tafelgenosse, je nachdem der Schöpfer aller Dinge ihn mit den dazu erforderlichen Eigenschaften ausgestattet hat.

Wirkungen.

74. Das Tafelvergnügen verträgt sich weder mit Ausbrüchen überschwenglicher Freude, noch mit extatischen Zuständen, noch mit leidenschaftlichen Gefühlswallungen, aber es gewinnt an Dauer, was es an Intensität verliert, und zeichnet sich insbesondere durch das ihm eigene Privilegium aus, daß es uns zu allen andern Genüssen befähigt, oder uns wenigstens über den Verlust derselben tröstet.

In der That erfreuen sich Geist und Körper nach einem guten Mahle eines ganz besondern Wohlbehagens.

Was den Körper anlangt, so nimmt das Gesicht, während das Gehirn frische Kräfte sammelt, einen heitern Ausdruck an, das Colorit wird lebhafter, die Augen strahlen, und eine sanfte Wärme durchströmt alle Glieder.

Was die Seele anlangt, so nimmt der Geist eine eigene Schärfe an, die Phantasie erhitzt sich, Bonmots blitzen auf und machen die Runde, und wenn La Fare und Saint-Aulaire mit dem Rufe als witzige Schriftsteller auf die Nachwelt kommen, so verdanken sie das namentlich dem Umstande, daß sie liebenswürdige Tischgenossen waren.

Ueberdies findet man häufig um ein und denselben Tisch alle die Modificationen versammelt, welche der außerordentliche Hang zur Geselligkeit in das Leben eingeführt hat: Liebe, Freundschaft, Geschäft, Speculation, Macht, Bittstellerei, Protectorschaft, Ehrgeiz, Intrigue – und eben das ist der Grund, weshalb die Gasterei mit allem zusammenhängt und weshalb sie Früchte jeder Art erzeugt.

Industrielles Zubehör.

75. Diese vorhergehenden Umstände haben unmittelbar dazu geführt, daß der gesammte menschliche Kunstfleiß alle Kräfte aufbot, um die Dauer und die Intensität des Tafelvergnügens zu vergrößern.

Dichter beklagten sich, daß der Hals durch seine Kürze dem Vergnügen des Schmeckens Abbruch thue, andere bedauerten die geringe Fassungskraft des Magens, und so kam man dahin, daß man dies Eingeweide der Mühe überhob, eine erste Mahlzeit zu verdauen, um sich das Vergnügen des Genusses einer zweiten zu verschaffen.

Das war die äußerste Anstrengung, zu der man sich hinreißen lassen konnte, um das Gebiet der Geschmacksgenüsse zu erweitern. Aber wenn man auch nach dieser Seite hin die von der Natur gesteckten Grenzen nicht zu verrücken vermochte, so boten doch wenigstens die Nebendinge in dieser Hinsicht einen weitern Spielraum. Man warf sich also auf diese.

Man schmückte die Vasen und Becher mit Blumen, man bekränzte die Gäste damit, man speiste unter freiem Himmel, in den Gärten und Hainen, angesichts aller Wunder der Natur.

Man fügte zum Tafelvergnügen den Zauber des Gesangs und den Klang der Instrumente. So feierte der Sänger Phemius die Thaten und Helden der Vorzeit, während der Hof des Königs der Phäaken speiste.

Oft beschäftigten auch Tänzer, Gaukler und Mimen beiderlei Geschlechts und in allen möglichen Costümen die Augen der Tafelnden, ohne den Genüssen des Geschmacks zu schaden, die herrlichsten Wohlgerüche erfüllten die Luft, und man ging so weit, daß man sich durch unverschleierte Schönheiten bedienen ließ, so daß also alle Sinne sich eines umfassenden Genusses erfreuten.

Ich könnte hier mehrere Seiten mit den Beweisen für das Gesagte füllen. Die griechischen und römischen Autoren, sowie unsere alten Chronisten, liegen zum Abschreiben bereit. Aber alle diese Untersuchungen sind schon vor mir angestellt worden, und meine leicht erworbene Gelehrsamkeit hätte wenig Verdienstliches. Ich gebe daher als feststehende Thatsache, was andere vor mir bewiesen haben: das ist ein Recht, von dem ich öfter Gebrauch mache, und wofür der Leser mir Dank wissen muß.

Achtzehntes und neunzehntes Jahrhundert.

76. Wir Neuern haben uns je nach den Umständen jene Mittel zur Beseligung mehr oder weniger angeeignet und noch weitere hinzugefügt, welche die neuen Entdeckungen uns zur Verfügung stellten.

Bei der Verfeinerung unserer Sitten konnte die Brechmittel-Methode der Römer unmöglich bei uns fortbestehen, aber wir haben die Alten zu übertreffen und das nämliche Ziel auf einem Wege zu erreichen gewußt, der mit dem guten Geschmack in Einklang steht.

Man hat Gerichte erfunden, die so anziehend sind, daß sie den Appetit stets von neuem rege machen. Gleichzeitig sind sie aber auch so leicht, daß sie den Gaumen kitzeln, ohne den Magen zu belasten. Nubes esculentas, eßbare Wolken, würde der brave Seneca sie genannt haben.

Wir haben also in der Kunst der Ernährung solche Fortschritte gemacht, daß, wenn nicht die Geschäfte uns zwängen, die Tafel zu verlassen, oder das Bedürfnis des Schlafes sich nicht ins Mittel legte, die Mahlzeiten beinahe ins Endlose fortdauern würden, und man gar keinen Anhaltepunkt mehr hätte, um die Zeit zu bestimmen, die zwischen dem ersten Schluck Madeira und dem letzten Glase Punsch verfließen könnte.

Man darf indessen nicht etwa meinen, daß alle diese Nebendinge zum Tafelvergnügen unbedingt unerläßlich seien. Vielmehr genießt man dies Vergnügen jedes Mal in seinem ganzen Umfange, wenn sich nur die vier folgenden Bedingungen erfüllt finden: Leidliches Essen, guter Wein, liebenswürdige Tischgenossen und hinlängliche Zeit.

Daher habe ich auch oft gewünscht, dem frugalen Mahle beigewohnt zu haben, das Horaz dem zum Essen geladenen Nachbar oder dem Gaste bestimmte, den das Unwetter unter sein Dach führen würde, nämlich ein gutes Huhn, ein Zicklein (gewiß recht fett), und zum Nachtisch Trauben, Feigen und Nüsse. Kam dazu noch ein alter Wein, der unter dem Consulat des Manlius gekeltert ward ( nata, mecum consule Manlio), und die Unterhaltung des lüsternen Poeten, so scheint mir, ich würde bei ihm auf die behaglichste Weise von der Welt soupirt haben.

At mihi cum longum post tempus venerat hospes
Sive operum vacuo, longum conviva, per imbrem
Vicinus, bene erat, non piscibus urbe petitis,
Sed pullo atque haedo, tum Der Nachtisch wird durch das Adverbium tum und die Worte secundas mensas zur Genüge bezeichnet. pensilis uva, secundas
Et nux ornabat mensas, cum duplice ficu
Aber besuchte mich einst ein lang' ungesehener Gastfreund,
Oder im müßigen Regen, zum Tisch willkommen, ein Nachbar,
Dann ging's hoch: nicht Fische, geholt aus der Stadt, nur ein Böcklein
Schmausten wir oder ein Huhn. Dann kam zum prächtigen Nachtisch
Stattlich die hangende Traube, die Nuß und die stattliche Feige. Horaz. Lat. II, 2.

Ebenso mögen noch gestern oder werden morgen ein halbes Dutzend Freunde sich an einer gekochten Hammelkeule und gerösteten Nieren von Pontoise erbaut und sie mit klarem Medoc oder Orléans hinabgespült haben, und während der Abend unter traulichem Geplauder hinfloß, werden sie völlig vergessen haben, daß es feinere Gerichte und bessere Köche giebt.

Da hingegen kann, so gewählt auch die Speisen und so prunkvoll auch das Zubehör sein mag, nie von Tafelvergnügen die Rede sein, wenn der Wein schlecht ist, wenn die Gäste ohne Wahl zusammengewürfelt sind, wenn die Physiognomien einen düstern Ausdruck zeigen, und wenn das Mahl mit Hast und Eile verzehrt wird.

Modell.

Aber, wird vielleicht der ungeduldige Leser fragen, wie muß denn im Jahre der Gnade 1825 ein Mahl beschaffen sein, das alle Bedingungen erfüllt, die den höchsten Grad des Tafelvergnügens gewähren?

Ich will diese Frage beantworten. Sammle dich, Leser, und leihe mir Gehör: Gasterea, die lieblichste der Musen, begeistert mich, ich werde weniger dunkel sein als ein Orakel, und meine Gebote werden Jahrhunderte überdauern!

»Die Zahl der Gäste darf zwölf nicht überschreiten, damit die Unterhaltung stets eine allgemeine sein kann.«

»Die Gäste müssen derart gewählt sein, daß zwar ihr Beruf verschieden, ihr Geschmack aber ähnlich ist, und daß Berührungspunkte genug zwischen ihnen vorhanden sind, um die häßliche Förmlichkeit des Vorstellens überflüssig zu machen.«

»Das Speisezimmer muß glänzend erleuchtet, das Tischzeug von bemerkenswerther Sauberkeit und die Zimmerluft auf 13 bis 16° R. erwärmt sein.«

»Die Männer müssen geistreich, doch nicht anspruchsvoll, die Frauen liebenswürdig, doch nicht allzu kokett sein.« Ich schreibe das in Paris, zwischen dem Palais Royal und der Chausée d'Antin.

»Die Speisen müssen auserlesen, aber nicht allzu zahlreich, die Weine vorzüglich sein, jeder in seiner Art.«

»Die Stufenfolge der Speisen muß von den kräftigern zu den leichtern, die Stufenfolge der Weine von den leichtern zu den schwerern laufen.«

»Das Tempo der Consumption muß ein gemäßigtes sein, da das Diner das letzte Geschäft des Tages ist, und die Tischgenossen müssen sich verhalten wie Wanderer, die gleichzeitig an demselben Ziele eintreffen sollen.«

»Der Kaffee muß glühend heiß und die Liqueure insbesondere vorzüglich gewählt sein.«

»Das Zimmer, welches die Gäste aufnehmen soll, muß geräumig genug sein, um das Arrangement einer Spielpartie für diejenigen zu gestatten, die sich dessen nicht entschlagen können, ohne darum den Raum für die Nachtisch-Gespräche zu beengen.«

»Die Gäste müssen durch die Annehmlichkeiten der Gesellschaft und durch die Hoffnung festgehalten werden, daß der Abend nicht so ganz ohne weitern Genuß vorübergehen werde.«

»Der Thee darf nicht zu stark, die Brötchen müssen kunstgerecht bestrichen und der Punsch mit aller Sorgfalt bereitet sein.«

»Der Aufbruch der Gäste darf nicht vor elf Uhr beginnen, um Mitternacht aber muß jeder in den Federn sein.«

Hat jemand einem Mahle beigewohnt, das alle diese Bedingungen erfüllte, so darf er sich rühmen, seiner eigenen Apotheose beigewohnt zu haben, und stets wird man um so weniger Vergnügen genießen, je mehr von diesen Bestimmungen aus Vergeßlichkeit oder Unwissenheit außer Acht gelassen werden.

Ich habe die Behauptung ausgesprochen, das Tafelvergnügen, so wie ich es charakterisirt habe, sei einer ziemlich langen Dauer fähig: ich will diese Behauptung beweisen, indem ich hier einen wahrheitsgetreuen und umständlichen Bericht über das längste Mahl einschiebe, das ich in meinem Leben gehalten habe. Es ist das ein Zuckerplätzchen, das ich dem Leser in den Mund stecke, um ihn dafür zu belohnen, daß er mich mit solchem Vergnügen liest. Man höre also.

Ich hatte hinten in der Rue de Bac eine verwandte Familie, die folgendermaßen zusammengesetzt war: der Doctor, 78 Jahre alt, der Hauptmann 76 Jahre alt, beider Schwester Jeannette, 74 Jahre alt. Ich besuchte sie bisweilen, und sie empfingen mich stets mit vieler Liebenswürdigkeit.

»Beim Styx!« sagte eines Tages der Doctor Dubois, indem er sich auf die Zehen stellte, um mir auf die Schulter zu klopfen, »du prahlst schon zu lange mit deinen Fondues« (Eier in zerlassenem Käse), »und hörst nicht auf, uns damit den Mund wässerig zu machen – das muß ein Ende haben. Wir werden nächster Tage bei dir zum Frühstück kommen, der Hauptmann und ich, und werden sehen, was eigentlich an der Sache ist.« (Es mag im Jahre 1801 gewesen sein, als er mich auf diese Weise neckte.) »Vortrefflich!« gab ich zur Antwort, »Sie werden die Fondue in all ihrer Pracht zu essen bekommen, denn ich werde sie eigenhändig bereiten. Ihr Vorschlag macht mich glücklich. Also morgen um zehn Uhr – militärisch!« Sobald ein Rendezvous auf diese Weise bestimmt worden ist, muß mit dem Stundenschlage aufgetragen werden: die Unpünktlichen werden für Deserteure angesehen.

Zur bestimmten Stunde waren meine beiden Gäste, zwei kleine, aber immer noch frische und muntere Greise, frisch rasirt, gut frisirt und wohlgepudert auf dem Platze.

Sie lächelten vor Vergnügen, als sie die Tafel sauber gedeckt, drei Bestecke aufgelegt und auf jedem Platze zwei Dutzend Austern nebst einer goldglänzenden Citrone aufgethürmt sahen.

An den beiden Enden der Tafel prang je eine Flasche Sauterne, sorgfältig abgestäubt bis auf den Phropfen, der unzweifelhaftes Zeugnis dafür ablegte, daß der Wein schon vor langer Zeit abgezogen war.

Ach! ich habe sie müssen verschwinden sehen, jene häufigen und heitern Auster-Frühstücke, bei denen man die braven Thiere zu Tausenden verschluckte! Sie sind verschwunden mit den Abbés, die nie unter zwölf Dutzend verzehrten, und mit den Chevaliers, die dabei überhaupt nicht fertig wurden. Ich bedaure ihren Untergang, aber als Philosoph: wenn die Zeit die Regierungsformen ändert, welches Recht hat sie da nicht einfachen Gebräuchen gegenüber!

Nach den Austern, die man sehr frisch fand, kamen am Spieße gebratene Nieren, eine Gänseleberpastete mit Trüffeln und endlich die Fondue.

Die Bestandtheile der letztern lagen in einem Castrol, das mit einem Spiritus-Brenner auf den Tisch gestellt ward. Ich arbeitete auf dem Schlachtfelde, und alle meine Bewegungen wurden von den Vettern aufmerksam überwacht.

Die beiden staunten über die Reize dieser Zubereitung und baten mich um das Recept, das ich ihnen auch versprach, indem ich ihnen zugleich zwei bezügliche Anekdoten erzählte, die der Leser vielleicht an anderer Stelle finden wird.

Nach der Fondue kamen die Früchte, wie sie die Jahreszeit bot, die Confitüren, eine Tasse ächten Mokkas à la Dubelloy, dessen Methode sich damals zu verbreiten begann, und endlich zwei Sorten Liqueur, ein scharfer zum Magenputzen und ein milder zum Schmeidigen.

Nach beendetem Frühstück schlug ich meinen Gästen vor, sich ein wenig Bewegung zu machen und zu diesem Zwecke eine Besichtigungsreise durch meine Wohnung vorzunehmen, die zwar nicht elegant, aber geräumig und bequem ist, und in der die beiden Greise sich um so behaglicher fühlten, da die Decken und Vergoldungen noch aus den ersten Jahren der Regierung Ludwigs XV. stammen.

Ich zeigte ihnen das Thonmodell der Büste meiner schönen Cousine, der Madame Récamier, von Chinard und ihr Miniaturporträt von Augustin. Sie waren so entzückt davon, daß der Doctor mit seinen dicken Lippen einen Kuß auf das Porträt drückte und der Hauptmann sich bei der Büste eine Freiheit erlaubte, für die ich ihn auf den Mund klopfte, denn wenn alle Bewunderer des Originals an meiner Büste dasselbe thäten, so würde dieser wollüstig gerundete Busen sich bald in demselben Zustande befinden wie die Zehe St. Peters in Rom, die von den Pilgern reinweg abgeküßt worden ist.

Alsdann zeigte ich ihnen einige Gipsabgüsse der schönsten Antiken, einige nicht ganz werthlose Gemälde, meine Flinten, meine Musikinstrumente und einige Prachtausgaben französischer und ausländischer Werke.

Auch die Küche wurde bei dieser polymathischen Reise nicht vergessen. Ich zeigte meinen Spar-Kochtopf, meine Bratmuschel, meinen Bratenwender mit Schwunggewicht und meinen Verdampfer. Die beiden Alten untersuchten alles mit größter Neugier und geriethen um so mehr in Verwunderung, da in ihrer Küche noch alles im Style der Regentschaft eingerichtet war.

In dem Augenblicke, wo wir wieder in den Salon traten, schlug es zwei Uhr. »Beim Styx!« rief der Doctor, »es ist Zeit zum Mittagessen, und Schwester Jeannette erwartet uns! Wir müssen aufbrechen. Zwar verspüre ich keinen großen Appetit, aber ich muß meine Suppe haben. Das ist eine alte Gewohnheit, und wenn ich sie einmal entbehren muß, sage ich wie Titus: Diem perdidi

»Bester Doctor,« fiel ich ihm ins Wort, »weshalb wollen Sie so weit danach laufen, da Sie auch bei mir Ihre Suppe haben können? Ich schicke jemand zur Cousine und lasse ihr sagen, daß Sie bei mir bleiben, und Sie machen mir das Vergnügen und nehmen das Diner bei mir ein, gegen das Sie freilich ein wenig nachsichtig sein müssen, da es nicht das Verdienst eines mit aller Muße vorbereiteten Impromptü haben wird.«

Die beiden Brüder hielten mit den Augen Zwiesprach, und dann erfolgte die förmliche Annahme meines Antrags. Ich schickte einen volante nach dem Faubourg Saint-Germain, setzte meinen Koch in Kenntnis, und nach verhältnismäßig kurzer Zeit saßen wir vor einem kleinen, aber wohlgeordneten und appetitlichen Diner, das er theils aus seinen eigenen, theils mit Hilfe der Vorräthe der benachbarten Restaurateure hergestellt hatte.

Die Kaltblütigkeit und Zuversicht, mit der meine beiden Freunde sich setzten, dem Tische näher rückten, ihre Servietten entfalteten und sich zum Angriff anschickten, gewährten mir eine große Genugthuung.

Ueberdies wurden ihnen zwei Ueberraschungen zu Theil, an die ich selbst nicht gedacht hatte. Ich ließ ihnen nämlich zur Suppe geriebenen Parmesankäse geben und bot ihnen dann ein Glas trocknen Madeira an. Diese beiden Neuerungen waren damals gerade erst vom Fürsten Talleyrand eingeführt worden, dem ersten unter allen unsern Diplomaten, dem wir so viele feine, geistreiche und gehaltvolle Aussprüche verdanken, und dem die öffentliche Aufmerksamkeit zu allen Zeiten, sowohl während seiner Amtsthätigkeit, als während seiner Ruhetage, mit besonderm Interesse zugewandt ist.

Das Diner ging sowohl in seinem Haupttheile wie in den unerläßlichen Nebendingen ganz vortrefflich von statten, und meine beiden Freunde entwickelten dabei ebenso viel gesellige Zuvorkommenheit wie Heiterkeit.

Nach dem Essen brachte ich eine Partie Piquet in Vorschlag, die indessen abgelehnt wurde. Sie zögen das dolce far niente der Italiener vor, bemerkte der Hauptmann, und demgemäß setzten wir uns im Kreise um den Kamin.

Trotz der Reize des far niente bin ich immer der Ansicht gewesen, daß nichts die Unterhaltung besser im Fluß erhält als irgend eine kleine Beschäftigung, die die Aufmerksamkeit nicht in Anspruch nimmt. Ich schlug daher Thee vor.

Der Thee war für Franzosen der guten alten Zeit eine Seltsamkeit – dessenungeachtet aber ward er angenommen. Ich bereitete ihn vor ihren Augen, und sie tranken mehrere Tassen mit um so größerm Vergnügen, da sie ihn immer nur für ein Arzneimittel angesehen hatten Der erste Thee war allerdings schon 1636 nach Paris gekommen, noch 1677 aber schrieb der Minister Louvois an Saint-Mars, den Hüter Fouquets in Pignerol: »Da ich aus dem Briefe des Herrn Fouquet ersah, daß er Thee zu erhalten wünschte, so beauftragte ich den Sieur Vezou mit dessen Beschaffung. Dieser hat mir nun heute Morgen den im beifolgenden Paquete enthaltenen zugestellt, den er im Hause hatte, und der sehr gut ist; er macht ihn Herrn Fouquet zum Geschenk. Es ist sonst keiner in Paris vorhanden, aber er wird ihn von auswärts kommen lassen, und da das Beifolgende eine beträchtliche Zeit ausreichen wird, so hat er Muße, den besten zu beschaffen, der sich auftreiben läßt.« Der Thee wurde zu jener Zeit und noch im achtzehnten Jahrhundert für eine Arznei oder doch als ein Präservativ gegen mancherlei Krankheiten angesehen, wie u. a. aus der Dissertation upon Thea hervorgeht, die Thomas Short 1730 in London herausgab. D. Uebers..

Ich wußte aus langjähriger Erfahrung, daß eine Willfährigkeit immer eine zweite zur Folge hat, und daß man, wenn man einmal auf diesen Abhang gerathen ist, alle Widerstandskraft verliert. Daher sprach ich in beinahe befehlendem Tone von einer Bowle Punsch, mit der der Abend beschlossen werden müsse.

»Du wirst uns umbringen!« rief der Doctor. »Du wirst uns betrunken machen,« sagte der Hauptmann. Ich antwortete nur damit, daß ich laut nach Zucker, Rum und Citronen rief.

Ich machte also Punsch, und währenddessen wurden dünne Brotschnitten ( toasts) geröstet, sorgfältig mit Butter bestrichen und kunstgerecht mit Salz bestreut.

Diesmal wurde Widerspruch erhoben. Die Vettern versicherten, daß sie genug gegessen hätten, und daß sie nichts mehr anrühren würden. Da ich aber den Reiz dieses einfachen Gerichts kannte, so erwiderte ich, ich wünschte nur, daß genug vorhanden sein möge. Und in der That nahm der Hauptmann schon nach kurzer Frist die letzte Schnitte, und ich ertappte ihn, wie er umherschielte, ob nicht noch einige vorhanden seien oder neue gefertigt würden, was dann auf meinen Befehl augenblicklich geschah.

Inzwischen war die Zeit verstrichen, und meine Standuhr hatte bereits die achte Stunde angezeigt. »Nun aber nach Hause,« sagten meine Gäste. »Wir müssen doch noch ein Blatt Salat mit der armen Jeannette essen, die uns den ganzen Tag über nicht gesehen hat.«

Dagegen hatte ich nichts mehr einzuwenden, und den Pflichten der Gastfreundschaft getreu, begleitete ich die beiden liebenswürdigen Greise bis zu ihrem Wagen und sah sie abfahren.

Man fragt nun vielleicht, ob sich bei einer so langen Sitzung nicht doch vielleicht auf einige Minuten Langeweile einschlich.

Ich muß das verneinen. Die Aufmerksamkeit meiner Gäste wurde durch die Bereitung der Fondue, durch die Reise um die Wohnung, durch einige Neuigkeiten beim Diner, durch den Thee und besonders durch den Punsch, den sie noch nie in ihrem Leben gekostet hatten, beständig rege erhalten und in Anspruch genommen.

Ueberdies kannte der Doctor ganz Paris den Genealogien und Anekdoten nach, der Hauptmann hatte theils im Dienst, theils als Gesandter am Hofe von Parma einen Theil seines Lebens in Italien zugebracht, ich selbst bin weit in der Welt herumgekommen: wir plauderten daher völlig anspruchslos und hörten einander willfährig zu. Es braucht nicht einmal so viel, um die Zeit schnell und angenehm hinstreichen zu lassen.

Am andern Morgen empfing ich einen Brief des Doctors. Er war so aufmerksam, mir mitzutheilen, daß ihnen die kleine Ausschweifung vom vergangenen Tage nicht geschadet habe, sondern daß sie vielmehr nach einem vortrefflichen Schlafe frisch und munter aufgestanden und sehr aufgelegt wären, von Frischem anzufangen.


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