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Bemerkungen über Sprache und Stil

1826

Im Jahre 1814 glorreichen Andenkens war ich als Herausgeber eines politischen Blattes so glücklich, unter der pädagogischen Leitung eines großmächtigen Polizeidirektors und Zensors zu stehen. Ich war damals, was sich von selbst versteht, jünger als jetzt, stand in den Flegeljahren der Schriftstellerei, war ohne Scheu, freimütig, ein kleiner Hutten. In dieser glücklichen Gemütsstimmung ließ ich drucken: »Die Engländer sind Spitzbuben.« Der Herr Polizeidirektor strich ganz gelassen diesen Satz aus der Weltgeschichte und bemerkte mir freundschaftlich: ich wäre ein junger Mann, gar nicht ohne Talent, und es wäre recht schade, daß ich meinen Geist nicht auf etwas Solides legte. Sehr beschäftigt, wie er war, wartete er nicht erst meine Erkundigung ab, was er unter Solides verstehe, sondern fügte von selbst hinzu: in der deutschen Sprache wäre noch viel zu tun und das eigentlich mein Feld, auf dem ich Ruhm und Lohn einernten könnte. Ich erwiderte hierauf: dieses Feld wäre allerdings so angenehm als fruchtbar; aber meiner Meinung nach wäre jetzt gar nicht die Zeit, wo ein braver Mann an seine Spaziergänge oder sonstige Vergnügungen denken dürfe. Wenn wir uns mit Untersuchungen über die deutsche Sprache beschäftigten, wer denn Europa in Ordnung bringen sollte? – fragte ich ihn. Ohne von dem Zensurblatte aufzublicken und mit dem Streichen einzuhalten, antwortete mir der Polizeidirektor: das ist unsere Sorge; Sie aber sollten Ihre glückliche Freiheit – Freiheit? Nein, das Wort gebrauchte er nicht. Er sagte: Sie aber sollten Ihre glückliche Sorgenlosigkeit gehörig benutzen, über unsere Muttersprache Forschungen anzustellen. Beatus ille, qui procul negotiis – setzte er mit klassischer Bildung hinzu. Atque emolumentis? frug ich satirisch. Aber er hörte diese Frage nicht oder wollte sie nicht hören, und es blieb zweifelhaft, ob das Imp., das er im nämlichen Augenblicke niederschrieb, die Abbreviatur von Impertinent oder von Imprimatur war. Indessen versprach ich, den guten Rat zu befolgen, nahm mein radiertes Blatt und empfahl mich.

Seit jener Zeit habe ich oft und ernstlich über Sprache und Stil nachgedacht, aber was ich suchte, habe ich bis jetzt nicht entdeckt. Was heißt Stil, Buffon sagte: Le style c'est l' homme. Buffon hatte einen schönen und glänzenden Stil, und es war also sein Vorteil, diesen Satz geltend zu machen. Ist aber der Satz richtig? Kann man sagen- wie der Stil, so der Mensch? Nur allein zu behaupten: wie der Stil, so das Buch – wäre falsch; denn es gibt vortreffliche Werke, welche in einem schlechten Stile geschrieben sind. Doch die Behauptung: der Mensch ist wie sein Buch – ist noch falscher, und die Erfahrung spricht täglich dagegen. Der eine dichtet die zartesten Lieder und ist der erste Grobian von Deutschland; der andere macht Lustspiele und ist ein trübsinniger Mensch; der dritte ist ein fröhlicher Knabe und schreibt Nachtgedanken. Machiavelli, der die Freiheit liebte, schrieb seinen Prinzen, so daß er alle rechtschaffene Psychologen in Verlegenheit und in solche Verwirrung gebracht, daß sie gar nicht mehr wußten, was sie sprachen, und sie behaupteten, Machiavelli habe eine politische Satire geschrieben. Was heißt also Stil? Wie gesagt, ich weiß es nicht, und ich wünsche sehr, darüber belehrt zu werden.

Die Schreibart eines Schriftstellers gehörig zu beurteilen, muß man die Darstellung von dem Dargestellten, den Ausdruck von dem Gedanken sondern. Aber dieses wird zu oft miteinander verwechselt. Noch ein anderes wird nicht immer gehörig unterschieden, nämlich: die Schönheit und das Charakteristische des Stils. Man kann sehr schön schreiben, ohne einen Stil zu haben, und einen Stil haben, ohne schön zu schreiben. Ja, eine Schreibart von eigentümlichem Gepräge schließt die vollkommene Schönheit aus, wie ein Gesicht mit ausgesprochenen Zügen selten ein schönes und ein Mann von Charakter selten ein liebenswürdiger ist. Nicht im Kolorit, in der größern oder kleinern Lebhaftigkeit der Farben, sondern in der Zeichnung, Stellung und Gruppierung der Gedanken liegt das Eigentümliche einer Schreibart. Vielleicht hängt der Stil eines Schriftstellers mehr vom Charakter als vom Geiste, mehr von seiner sittlichen als von seiner philosophischen oder Kunstanschauung des Lebens ab. Cicero schreibt vortrefflich, aber er hat keinen Stil, er war ein Mann ohne Charakter. Tacitus hat einen, und Cäsar. Die Franzosen können keinen Stil haben, weil ihre Sprache einen hat. Wer in Frankreich schreibt, schreibt wie die guten französischen Schriftsteller, oder schreibt schlecht. Vergleicht man Rousseau mit Voltaire, so findet man zwar beide Stile sehr voneinander verschieden, doch sind sie es nur so lange, als sich beider Ansichten voneinander unterscheiden. Wo Rousseau denkt wie Voltaire, schreibt er auch wie er. Die deutsche Sprache hat – der Himmel sei dafür gepriesen – keinen Stil, sondern alle mögliche Freiheit, und dennoch gibt es so wenige deutsche Schriftsteller, die das schöne Recht, jede eigentümliche Denkart auch auf eigentümlicher Weise darzustellen, zu ihrem Vorteile benutzten! Die wenigen unter ihnen, die einen Stil haben, kann man an den Fingern abzählen, und es bleiben noch Finger übrig. Vielleicht ist Lessing der einzige, von dem man bestimmt behaupten kann: er hat einen Stil.

Eine andere Frage: Woher kommt es, daß so viele deutsche Schriftsteller so sehr schlecht schreiben? Vielleicht kommt es daher, weil sie sich keine Mühe geben, und sie geben sich keine Mühe, weil sie, als Deutsche treu und ehrlich sich mehr an die Sache und die Wahrheit haltend, es für eine Art Koketterie ansehen, den Ausdruck schöner zu machen, als der Gedanke ist. Entspringt die Vernachlässigung des Stils aus dieser Quelle, so ist zwar die gute Gesinnung zu loben; doch ist die Sittlichkeit, von der man sich dabei leiten läßt, eine falsche. Wie man sagt: der Gedanke schafft den Ausdruck, kann man auch sagen: der Ausdruck schafft den Gedanken. Worte sind nichtswerte Muscheln, in welchen sich zuweilen Ideen als edle Perlen finden, und man soll darum die Muscheln nicht verschmähen. Zu neuen Gedanken gelangt man selten. Der geistreiche Schriftsteller unterscheidet sich von dem geistarmen nur darin, daß er, mit größerer Empfänglichkeit begabt, schon vorhandene Ideen, deren Dasein jener gar nicht merkt, aufzufassen und sich anzueignen vermag; aber neue schafft er nicht. Der menschliche Geist müßte eine ungeheure Umwälzung, eine solche erfahren, von der wir gar keine Ahnung haben, wenn der Kreis seiner Wirksamkeit sich bedeutend erweitern sollte. Die größte bekannte Revolution, welche die Menschheit erlitten, war das Christentum, und doch kann man sagen, daß wir viele neue Ideen gewonnen, welche den Alten fremd gewesen. Freilich erklärt sich dieses dadurch, daß auch schon vor Christus christliche Weltanschauung, wenn auch nicht in solcher Ausbreitung als jetzt, geherrscht hat. Kann aber der Schriftsteller keine neuen Ideen schaffen, so vermag er doch die alten in neue Formen zu bringen, und wie die Lebenskraft in der ganzen Natur die nämliche und es nur die Gestalt ist, welche in der Wesenskette ein Geschöpf über das andere stellt, so wird auch der ewige, ungeborne Gedanke durch einen edlern oder gemeinern Ausdruck edler oder gemeiner dargestellt – und der Pflegevater ist auch ein Vater.

Die schlechte Schreibart, die man bei vielen deutschen Schriftstellern findet, ist etwas sehr Verderbliches. In Büchern ist der Schaden, den ein vernachlässigter Stil verursacht, geringer und verzeihlicher; denn Werke größeren Umfangs werden mehr von solchen gelesen, die eine um- schlossene oder gesicherte Bildung haben, und der sittliche und wissenschaftliche Wert dieser Werke kann ihren Kunstmangel vergüten. Zeitschriften aber, aus welchen allein ein großer Teil des Volks seine Bildung, wenigstens seine Fortbildung schöpft, schaden ungemein, wenn sie in einem schlechten Stile geschrieben sind. Die wenigsten deutschen Zeitschriften verdienen in Beziehung auf die Sprache gelobt zu werden. Es ist aber leicht an ihnen zu gewahren, daß die Fehlerhaftigkeit des Stils von solcher Art ist, daß sie hätte vermieden werden können, wenn deren Herausgeber und Mitarbeiter mit derjenigen Achtsamkeit geschrieben hätten, die zu befolgen Pflicht ist, sobald man vor dreißig Millionen Menschen spricht. Man glaubt gewöhnlich, jedes Kunsttalent müsse angeboren sein. Dieses ist aber nur in einem beschränkten Sinne wahr, und gibt es ein Talent, das durch Fleiß ausgebildet werden kann, so ist es das des Stils. Man nehme sich nur vor, nicht alles gleich niederzuschreiben, wie es einem in den Kopf gekommen, und nicht alles gleich drucken zu lassen, wie man es niedergeschrieben. Eine gute Stilübung für Männer (denn Knaben auf Schulen im Stile zu üben, finde ich sehr lächerlich) ist das Übersetzen, besonders aus alten Sprachen. Ich meinerseits pflege mich am Horaz zu üben, und – es kommt hier nicht darauf an, ob mir die Übersetzungen mehr oder minder gelingen, aber das habe ich dabei gelernt: daß die Reichtümer der deutschen Sprache, wie wohl jeder, nicht oben liegen, sondern daß man darnach graben muß. Denn oft war ich tagelang in Verzweiflung, wie ich einen lateinischen Ausdruck durch einen gleich kräftigen deutschen wiedergeben könne, ich ließ mich aber nicht abschrecken und fand ihn endlich doch. So erinnere ich mich, acht Tage vergebens darüber nachgedacht zu haben, wie sub dio moreris zu übersetzen sei, und erst am neunten kritischen Tage fand ich das richtige Wort. Mehrere deutsche Journalisten werden es einst bereuen, daß sie die gegenwärtige vorteilhafte Zeit nicht zur Verbesserung ihres Stils benutzt haben. Die goldene Zeit der römischen Literatur begann, als die der Freiheit aufhörte. Natürlich. Wenn man nicht frei heraussprechen darf, ist man genötigt, für alte Gedanken neue Ausdrücke zu finden. Die schönsten Stellen des Tacitus sind, wo er von der alten Freiheit spricht, weil er dieses verdeckt tun mußte, da er, zwar unter einem guten Kaiser, aber doch unter einem Alleinherrscher lebte. Unsere Zeit auch verstattet nicht, alles frei herauszusagen, und durch diesen Zwang befördert sie sehr den guten Stil. Man möchte von Konstitution, von Spanien, von Italien sprechen, aber es ist verboten. Was tut ein erfinderischer Kopf? Statt Konstitution sagt er »Leibesbeschaffenheit«, statt Spanien »lberien«, statt Italien »das Land, wo im dunklen Hain die Goldorangen glühen«, und gebraucht für diesen und jenen Gedanken diesen und jenen dichterischen Ausdruck, den der gemeine Mann nicht versteht. Denn darauf kommt jetzt alles an, daß der gemeine Mann nicht errate, was wir wollen, sondern fühle, was wir gewollt. Die deutschen Journalisten müssen sich aber eilen. Sie sollen nicht vergessen, daß am 20. September 1824, abends mit dem Glockenschlage zwölf, die Zensur in Deutschland aufhört. Wenn sie also bis dahin ihren Stil nicht verbessert, werden sie mit ihrem schlechten Stile in die Ewigkeit wandern.

Weil wir gerade in so freundschaftlichen Unterhaltungen begriffen sind, will ich noch erzählen, wie ich dazu gekommen, den Horaz zu übersetzen. Am 20. März 1815 kehrte Napoleon von der Insel Elba zurück. Wir deutschen Zeitungsschreiber wurden rein toll vor Freude. Nicht etwa aus Liebe für die korsische Geißel – bewahre der Himmel! sondern weil uns nach langer Dürre endlich wieder erfrischende Nachrichten zugekommen. Ich schrieb hurtig einen schönen Artikel in meine Zeitung nicht für, sondern gegen Napoleon; denn, es offenherzig zu gestehen, ich war damals noch eine recht gläubige Seele und sehr dumm, wenn ich mich so ausdrücken darf. Aber der Artikel, der mit vielem Feuer geschrieben, wurde von oben erwähntem Polizeidirektor dennoch gestrichen. Den andern Tag fragte ich dessen Sekretär, warum es geschehen, da wir doch alle mit der Geißel der Menschheit Krieg führten? Dieser antwortete mir:»Wind ist Wind, ob er nach Osten oder Westen bläst gleichviel. Er soll gar nicht blasen, wir wollen Ruhe haben.« Also, wie gesagt, mein Artikel wurde gestrichen. Es war zehn Uhr abends, und es fehlte mir eine halbe Spalte. Was tue ich? Im Polizeizimmer lag unter den Sachen eines Jenaer Studenten, der am nämlichen Tage, weil er seine Wirtshauszeche nicht bezahlen konnte, arretiert worden war, ein kleiner Horaz. Ich setzte mich hin und übersetzte daraus die Ode Nunc est bibendum und bringe das nasse Manuskript zum Zensieren ins Nebenzimmer, wo der Polizeidirektor saß. Dieser las es und sprach: »Charmant! Ich muß Ihnen das Kompliment machen, daß Sie die Ode recht gut übersetzt. Horaz – ja, das war ein Mann! Welche Sprache, welche Delikatesse, welches attische Salz! (Schade, bemerkte ich, daß auch dieses Salz ein Regal ist!) Und welche Philosophie, welche Sittlichkeit, welche Tugend! ja, Horaz, das nenne ich einen wackern Mann!« ... Als ich Horaz wegen seiner Sittlichkeit loben hörte, pochte mir das Herz; ich konnte es nicht länger aushalten und mußte mir Luft machen. Ich ordnete meine Glieder, streckte feierlich wie ein Gespenst meine Rechte aus und sprach wie folgt: »Horaz ein wackerer Mann? der? Nun, dann seid mir willkommen, ihr Memmen und Schelme! Nicht als ich Sylla morden, als ich Cäsar rauben, als ich Oktavius stehlen sah, gab ich die römische Freiheit verloren – erst dann weinte ich um sie, als ich Horaz gelesen. Er, ein Römer, ihr Götter! und seine Kinderaugen haben die Freiheit gesehen – er war der erste, der sich am Feuer des göttlichen Genius seine Suppe kochte. Was lehrt er? Ein Knecht mit Anmut sein. Was singt er? Wein, Mädchen und Geduld. Ihr unsterblichen Götter! ein Römer und Geduld. Er vermochte darüber zu scherzen, daß er in jener Schlacht bei Philippi, wo Brutus und die Freiheit blieb, seinen kleinen Schild »nicht gar löblich« verloren. Klein war der Schild, Herr Polizeidirektor, und doch warf er ihn weg so leicht macht' er sich zur Flucht! Und der ein wackerer Mann?« ... Ich sagte noch mehrere solche teils fürchterliche, teils heidnische Dinge. Der Polizeidirektor entsetzte sich, trat weit, weit von mir zurück und sah mich flehentlich an. Ich ging. Auf der Treppe dachte ich, er ist doch kein ganzer Türke – er fürchtet die Ansteckung!

Aber das Lob, das offizielle Lob, daß ich Nunc est bibendum gut verdeutscht, hatte ich weg. Das munterte mich auf, ich übte mich weiter, und so habe ich nach und nach fast den ganzen Horaz übersetzt. Da liegen sie nun, die armen Oden und Satiren, und ich weiß nicht, was ich damit machen soll. Sollte ein unglückseliger Zeitungsschreiber Gebrauch davon machen wollen, die Zahnlücken der Zeit damit ausfüllen, so stehen sie ihm zu Gebote. Briefe werden postfrei erbeten.


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