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Brief an Johann Friedrich von Cotta

(1821)

An Johann Friedrich v. Cotta

Frankfurt, den 10. März 1821

Ew. Hochwohlgeboren

muß ich um Entschuldigung bitten, daß ich für den verflossenen Monat keinen Bericht in das Morgenbl. überschicke. Es hat sich hier so wenig ereignet, daß ich keine 10 Zeilen damit anfüllen könnte, und es ist besser, daß ich dieses wenige auf den nächsten Monat erspare.

Ich will Ihnen Ihrem Wunsche gemäß meine Ideen über ein zu unternehmendes literarisches Tagblatt kurz vorlegen. Da es hierbei aber, wie überall, nicht bloß auf die Entwürfe, sondern auf die Ausführung dieser Entwürfe ankömmt, diese Ausführung aber von Persönlichkeiten abhängt, so bin ich genötigt, von mir zu sprechen, zu sagen, wie ich es machen würde und anzunehmen, daß Sie bei einem solchen liter. Blatte an mich als Redakteur gedacht haben. Meine Absicht wäre eigentlich nicht, die erscheinenden Schriften ihrem Werte oder Unwerte nach zu beurteilen und daraus das Belehrende oder Unterhaltende mitzuteilen; dieses würde zwar geschehen, aber nur zufällig und der Form wegen, es wäre aber nicht der Zweck. Der Zweck des Blattes müßte sein, die Literatur mit dem Leben, d. h. die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden. Diese Verbindung geschieht auf zweierlei Art, indem man entweder vom Buche zum Leben herab- oder vom Leben zum Buche hinaufsteigt. Erscheint ein Werk, es sei nun gut oder schlecht, so würde es der Form nach rezensiert werden, dem Wesen nach würde gezeigt werden, wie die darin ausgesprochenen Ideen mit der wirklichen Welt in Verbindung stehen oder in Verbindung gesetzt werden können, oder wie die Ausführung solcher Ideen schädlich wäre. Jede Wissenschaft wie jede Kunst hat eine Seite, wo sie alle Menschen anspricht, und diese müßte berührt werden. Das hieße nicht oberflächlich und im Konversationstone davon sprechen, wie es Kotzebue getan, sondern den Punkt der Wissenschaft oder der Kunst berühren, wo sie an das Leben sich knüpft. Geschieht aber etwas, das allgemeine Teilnahme erregt, so würde man von dem Ereignisse zu ihrer Idee hinaufsteigen. Erschiene z. B. eine neue Übersetzung des Calderon, so würde man auf die politischen Verhältnisse Spaniens auf dem Wege übergehen, indem man bespräche, wie die romantische Poesie mit absoluter Monarchie in Verbindung steht und wie heutzutage kein Calderon in Spanien entstehen könnte. Ereignet sich eine Revolution in Neapel, so würde man von aller eifernden Parteilichkeit, von den wechselnden Tagsbegebenheiten, von Wünschen oder Verwünschungen abstehen und von der Sache sprechen, als wäre sie ein Buch. Auf diese Weise die Literatur und die Tagsgeschichte zu behandeln, heißt: zugleich einer Schwäche und einer Tugend des deutschen Volkes schmeicheln. Unsere Schwäche ist Pedanterie, und daß wir über die Grundsätze die lebendigen Folgen vergessen. Unsere Tugend ist, daß wir

nicht, gleich den Franzosen, uns von Leidenschaften verblenden lassen und im wärmsten Kampfe an Recht und Wahrheit denken. Also meine Absicht würde sein, der Metaphysik, die in allen deutschen Büchern sich findet, selbst wenn sie nur von Kartoffelbau handeln, einen lebendigen Körper zu geben, die lebende Geschichte der Zeit aber metaphysisch zu besprechen.

Was die Literatur im eigentlichen Sinne betrifft, so würde ich noch etwas in das Blatt hineinziehen, was Kotzebue u. Brockhaus vernachlässigt haben, nämlich die ältere und die ganz alte Literatur. Man hat in Deutschland zwar eine gewisse Ansicht von Rousseau, Voltaire, Lessing, Goethe, Jean Paul u. anderen, aber von jedem ihrer einzelnen Werke herrscht kein allgemein geltendes Urteil. Ich glaube, es müßte sehr interessant sein, den Maßstab der neuern Zelt an die Werke der ältern zu legen. Wie wäre jetzt Wilhelm Meister, Titan, La Pucelle, die Eloïse, Lessings Dramaturgie zu beurteilen? Man müßte diese Werke besprechen, als wären sie erst erschienen, sich um die geschlossene Meinung über jene klassischen Schriftsteller gar nicht bekümmern und erst dann, wenn die Meisterwerke eines Schriftstellers nach und nach behandelt worden, ein allgemeines Urteil über ihren Wert fällen und es darauf ankommen lassen, ob dieses Urteil einer neuen Instanz mit dem frühern übereinstimme oder davon abweiche. Die Literatur der Griechen und Römer ist in Deutschland bloß Zunftsache. Die Menge kennt sie nicht. Warum sollte man die Gelegenheit neuer Übersetzungen nicht benutzen, um diese Literatur in unser Leben einzuführen? Es erscheint jetzt eine Übersetzung des Aristophanes von Voß. Wenn eine solche besprochen und angepriesen würde, nicht bloß wegen ihres philologischen Wertes, sondern wegen ihrer unterhaltenden Art, so kann man sicher die Leute dahin bringen, daß sie in Lesebibliotheken so eifrig nach diesen Lustspielen als nach Kotzebue fragen. So auch mit Virgil, Terenz, Sophokles, Horaz. Das wäre ohngefähr meine Ansicht vom Liter. Blatte.

Hochachtungsvoll

Dr. Börne


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