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Über den Umgang mit Menschen

Vieles kann der Mensch entbehren, nur den Menschen nicht. Ihm ist die Welt gegeben; was er nicht hat, ist er. Nichts ist herrenlos auf dieser Erde, nicht einmal der Herr; nichts ist frei, nicht einmal die Luft, man kann sie dir nehmen. Gelüstet dir nach einer Blume, nach einer Frucht: der Garten, in dem sie wachsen, ist einem Menschen eigen. Suchst du Weisheit: der Mensch lehrt sie dich, oder das Buch, das ihm gehört. Willst du in den Himmel: Petrus hat den Schlüssel. Bist du arm, brauchst du Menschen, die dir geben; bist du reich, brauchst du Menschen, welchen du gibst. Denn ob du einsam auf einer wüsten Insel darbst, ob du einsam im wüsten Herzen genießest, du bist nicht glücklich, wenn du einsam bist. Dein Glück auch in der Einsamkeit zu finden, mußt du heilig sein, und das bist du nicht, wenn du willst; wenige sind auserkoren. Was dir Menschen geben, mußt du bezahlen mit dem, was du hast, oder teurer, mit dem, was du bist. Auch Freundschaft wird dir nicht unentgeltlich. Jeder hat in seinem Leben einen schönen Kindertag, wo er, wie die ersten Menschen im Paradiese die Früchte des Feldes, so auch Liebe ohne Sorgen und Mühe findet. Ist dieser Tag aber vorüber, erwirbst du, wie dein Brot, so auch Liebe nur im Schweiße deines Angesichts. Ihr müßt Herzen säen, wollt ihr Herzen ernten. Kann man den Menschen nicht gewinnen, wie verdient man ihn? Kann man ihn gewinnen, welchen Einsatz fordert das Glück für die Hoffnung des Gewissens?

Vieles lernen wir auf niedern und hohen Schulen: wie die Sterne am Himmel gehen, welche Tiere in fremden Weltteilen leben, wie die Städte beschaffen, die wir niemals sehen. Aber wie die Menschen beschaffen, die uns umgeben, und welche Wege sie wandeln, das lehrt man uns nicht. Wir lernen unter Früchten die guten wählen, die giftigen meiden; wir lernen Haustiere benutzen und wilde Tiere zähmen; wir lernen dem übermütigen Pferde schmeicheln und das träge anspornen; schwimmen, und Brücken über reißende Ströme bauen. Aber wie wir gute Menschen gebrauchen und böse beschwichtigen; wie wir dem Stolzen schmeicheln und den Stillen antreiben; wie wir Brücken über Tyrannen bauen und durch ihre Leidenschaften schwimmen – das lernen wir nicht. Ihr sagt: das lehrt die Erfahrung dem Mann! Aber die Schule der Erfahrung wird auf dem Kirchhof gehalten, und der Tod fragt uns nicht, was wir im Leben gelernt; er hat andere Künste und andere Fragen. Doch soll man um den Menschen dienen? Darf man ihn behandeln? Soll man ihn gebrauchen? Darf man ihn täuschen? Soll man ihm schmeicheln? Du kannst noch viele solche Dinge fragen, und findest keine Antwort darauf. Und wärest du der klarste Geist und das tugendhafteste Gemüt, du wüßtest nicht, was recht ist. Glücklich auch hier, daß du nicht frei bist; daß dir die Natur, gütig oder hart, Kräfte, Neigungen, Leidenschaften gegeben oder versagt, die dich auf diesen oder jenen Weg führen und dir die Mühe der Wahl ersparen. Bist du aber der Glücklichern einer, Herr deines Willens, und Meister, zu tun, was du willst: so wähle. Es gibt zwei Wege, die zu den Menschen führen: du mußt sie lieben oder hassen, hochschätzen oder verachten, sie als göttliche Wesen oder als Sachen ansehen. Es gibt noch einen dritten breiten Weg, auf den die verworrene Menge sich drängt und Staub macht; den meide.

Nicht wenn du liebenswürdig bist, wirst du geliebt; wenn man dich liebt, wirst du liebenswürdig gefunden. Andern gefallen, ist leicht, schwer ist nur, daß uns andere gefallen. Hier ist die Kunst, mit Menschen umzugehen!

Du sagst: »Ich verabscheue jenen Menschen, er ist schlecht.«

Nein, er ist krank. Gewährst du nicht dem Kranken deine größte Sorgfalt, und sind nicht die Krankheiten des Herzens die gefährlichsten?

»Aber er ist frei, er kann sich bessern.«

Glaube an deine eigene Freiheit, wenn du den Mut hast, dein Tun zu verantworten; bürde aber keinem Schwachen diese Last auf.

»Er ist ein Wüterich, ein Attila.«

Er ist ein Blitz. Bewunderst du nicht die Güte Gottes noch in der Sündflut und die Weisheit der Natur im niedrigsten Gewürm?

»Er ist dumm.«

Er ist nur ein dummer Mensch, aber das klügste Schaf. Muß er Wolle tragen?

»Er ist ungesellig.«

Gebrauche ihn zu etwas anderm. Der Weinstock gibt dir seine Früchte, die Eiche ihren Schatten; hast du je Früchte von der Eiche, und Schatten vom Weinstock begehrt?

»Er hat weder Geist, noch Herz, noch Tugend, noch irgendeine Gabe, er ist ein Pferd.«

So reite ihn; doch du irrst. Ein Riese ist nur zweimal so groß wie ein Zwerg, und jeder Zwerg ist ein halber Riese. Ein gleiches Maß von Kraft hat die Natur den meisten Menschen gegeben. Hier bildet sie sich zum Geiste, dort zur Tugend, bei einem zur Schönheit, beim andern zur Gesundheit, beim dritten zu dem Sinne aus, der das tief vergrabene Glück wittert. Ohne alle Gabe ist selten einer.

»Aber er ist einer dieser Seltenen; er hat weder Geist, noch Herz, noch Schönheit, noch Reichtum.«

So wird er wenigstens einen guten Magen haben, und es gibt Leute, die es gern hören, wenn man ihre Verdauung lobt. – »Selbst diese ist schlecht.«

Dann wird er wenig essen und trinken; lobe seine Mäßigkeit, mache aus seiner Not eine Tugend.

»Aber ich will, ich darf ihm nicht schmeicheln; schmeicheln ist sündlich.«

So liebe ihn. Liebe ist eine Schmeichelei, die allen gefällt, Hohen wie Niedern, Kindern wie Erwachsenen, Guten wie Bösen – und sie ist auch Gott gefällig.

Du hassest Könige, wenn sie rasen – rasest du nicht auch, wenn du getrunken?

»Aber sie sollen nicht trinken, sie sollen Schmeichlern ihr Ohr nicht geben!«

Aber sie sind im Keller geboren, Wein war ihre Ammenmilch, und man ist nur Herr, sich den ersten Becher zu versagen, nicht den zweiten. Du Liberaler hassest den Ultra – was hat er dir getan?

»Er unterdrückt die Freiheit des Volks, er will alles für sich allein, er will Vorrechte haben.«

Er liegt in den Banden der Gewohnheit, und wenn sein Recht auch nur ein Geschwür wäre, er stürbe daran, wenn man es öffnete. Doch sein Besitz ist edler, tausendjährig, und seine Vorfahren haben sich ihn durch ihre Tugenden erworben.

»Doch er selbst hat kein Verdienst!«

Bist du besser? Verschwelgst du nicht im Müßiggange den ererbten Reichtum, den dein Vater mit saurer Mühe erworben? Bist du geneigt, mit den Bedürftigen deine Schätze zu teilen? Macht ist wie Reichtum . . . Du Ultra verfolgst den Liberalen – warum verfolgst du ihn?

»Er will mir meine Rechte rauben!«

Er will sie nur mit dir teilen, er ist ein Mensch, wie du.

»Aber ich war Jahrhunderte im alleinigen Besitz.«

Desto schlimmer für dich, du bist ihm auch die Zinsen schuldig.

»Aber er ist ein Schwärmer, den man schrecken muß. Ich habe die Macht in der Hand, ich kann ihn vernichten.«

Und wenn du den Körper zerstörst, was gewinnst du? Der Geist bleibt, der Geist hat keinen Hals; er fürchtet dich nicht, er spottet deiner. Wenn du zehn, wenn du hundert, wenn du tausend fanatische Menschen hinrichten lassest, hast du darum den Fanatismus zerstört? Glaubst du das, dann bist du ein Tor, ein Kind. Schwärmerei ist wie eine Tontine, der Anteil der Verstorbenen fällt den Überlebenden zu, und wenn du die Zahl der Toten vermehrst, hast du nichts getan, als den Reichtum des Glaubens aus vieler in weniger Herzen gebracht, daß er mächtiger wirke.

»Also« – sprecht ihr und ihr – »sollen wir die Hände in den Schoß legen und gelassen mitansehen, wie uns unsere Feinde bedrohen, uns berauben, in unser Gebiet fallen?«

Nein, das sollt ihr nicht. Verteidige du und du, was du als Recht erkannt – nicht dein Recht, das deiner Brüder; aber nur auf dem Schlachtfelde dürft ihr euch verwunden. Bist du ein Krieger, fechte; bist du ein Redner, rede gegen deine Feinde. Doch außer der Schlacht, außer dem Buche schone deinen Feind. Entweihe nicht den heiligen Altar der Menschenliebe, der auch den Mörder schützt, und breche nicht die Tage des Gottesfriedens.

»Wohl! Ich will alle Menschen lieben, ich will jedem zu gefallen suchen, dem Klugen wie dem Einfältigen, dem Hohen wie dem Niedern, dem Guten wie dem Bösen. Doch wie gefällt man der Gemeinheit?«

Das mußt du einen andern fragen. Hast du einen hohen Geist, bückst du dich vergebens; so dumm ist die Dummheit nie, daß sie nicht die krumme Linie zur geraden umzumessen wüßte. Du mußt klein sein, willst du kleinen Menschen gefallen.

»Doch ich lebe unter Philistern, ich muß unter ihnen leben.«

Das mußt du nicht; erhänge dich! Doch ist dir dein Leben gar zu lieb, vertrage dich mit ihnen. Willst du wissen, wie unglücklich man ist, wenn man mit den Menschen zerfallen, denke an Rousseau. Sein Staub ist nicht mehr, du kennst sein Leben und seine Werke und weißt, daß er edlen Herzens und hohen Geistes gewesen. Du weißt aber auch, hättest du zu seiner Zeit gelebt, du würdest ihn, wie es alle getan, für einen Bösewicht und für einen Narren gehalten haben, Rousseau war ein Sklave seiner Freiheitsliebe, und wer die Liebe zur Freiheit bis zum Wahnsinn steigert, daß er, um aller geselligen Bande los zu sein, wie ein Vogel in der Luft zu fliegen wagt, den trifft des Ikarus Geschick. Darum suche die Menschen zu erwerben; aber noch einmal, du mußt wählen. Du gewinnst den Menschen nicht, wenn du ihn hochschätzest oder verachtest; und gibt es eine Kunst, in der zu stümpern lächerlich oder verdammlich ist, so ist es die, mit Menschen umzugehen. Laß dich von meinem eigenen Beispiele warnen. Nur einmal in meinem Leben – doch es war für einen Freund – suchte ich von einem Großen etwas zu erschmeicheln. Es ist schon lange her, und es geschah noch in jenen guten Tagen, von welchen der Minister auf dem Blocksberge in Goethe's Faust gesungen:

Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Dann freilich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.

Ich ging zur Audienz. Aus dem, was mich Knigge und Chesterfield gelehrt, wählte ich das Schönste und Beste, band es zierlich zusammen und überreichte den Blumenstrauß. Aber ich war falsch; mein Rücken war krumm, meine Seele war gerad; ich hatte Zucker auf den Lippen und Salz im Herzen, und der Minister – warf mich zur Türe hinaus.


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