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Der Janus-Tempel

»Frühe Weisheit, späte Liebe!« ... Sooft mein fünfunddreißigjähriger Freund – nicht unsere Freundschaft, er ist so alt – diesen selbst gezogenen Spruch hersagt, macht er ein gar närrisches Gesicht dazu, und schüttelt sich, wie ein Pudel, wenn er aus dem Wasser kommt.

Neulich besuchte ich ihn. Ich fand ihn, den Kopf auf die linke Hand gestützt; in der rechten hielt er eine Feder, und schien in das vor ihm liegende Papierheft geschrieben zu haben.

– Wie geht dir's, Fritz? Du siehst ja aus wie der Gott des Novembers!

»Frühe Weisheit, späte Liebe!« erwiderte er und begleitete seine Worte mit einem langgehaltenen Vierviertel-Seufzer.

– Wo ist deine liebe Frau?

»Liebe Frau!« Er sprang vom Stuhle auf. »Ja, lieb sind sie alle, bis man sie liebt.«

Ich ließ ein helles Gelächter erschallen . . . Eheliche Leiden! Das ist prächtig! Warte, Fritz, dazu muß ich mir's bequem machen . . . Ich setzte mich in den weichsten Sessel, schlug die Beine übereinander, und strich mir behaglich den Magen . . . Jetzt erzähle, Freundchen, das wird mich erquicken. Süß ist's, vom sichern Hafen aus Schiffbrüchige zu sehen!

»In meiner sechswöchentlichen glücklichen Ehe habe ich mich schon achtmal mit meiner guten Sophie gezankt und habe schon acht trübe Tage gehabt. Nach Süßmilch's göttlicher Ordnung im Leben und Sterben lebe ich noch neunundzwanzig Jahre. In sechs Wochen acht Tage, kommen auf das Jahr zwei Monate, vier Tage, einundzwanzig Stunden und zwanzig Minuten; welches in neunundzwanzig Jahren fünf Jahre, einen Monat, siebenundzwanzig Tage, elf Stunden, zwei Minuten und dreißig Sekunden astronomische Trauerzeit beträgt.«

– Sehr wahr! Die Ehe ist ein mathematisches Unglück.«

»Und wenn du, Karl, früher stirbst, als es der gute Süßmilch ausgerechnet, und ich erbe einen Teil deiner Jahre als Legat, dann lebe ich noch länger, und die Summe meines Jammers wird noch größer.«

– Darüber sei unbesorgt, Fritz, ich werde dir diesen Verdruß nicht antun. Aber, das werden auch wichtige Dinge sein, über die ihr euch entzweit! Das sind die Frühlings-Aequinoktial-Stürme der Ehe; sie gehen vorüber.

»Ja, sieh nur selbst, wie sie vorübergehen!« Mein Freund zeigte mit den Fingern nach dem Ofen. Der Ofen war von weißem Porzellan, mit messingnen Bändern umgeben; die zwei Stufen, auf welchen er stand, und die Marmorplatte, die ihn bedeckte, gaben ihm das zierliche Ansehen eines Altars, über der Platte erhob sich eine messingne Säule, die in einer Kugel endigte. »Siehst du das offene Türchen?«

– Du wirst doch nicht einheizen wollen? Es steht ein Gewitter am Himmel.

»Was kümmert dich das Gewitter; es steht an meinem Himmel. Schon zwei Tage steht das Ofentürchen geöffnet!«

– Fritz, seit deiner Heirat bist du ganz parabolisch geworden; du mußt dich deutlicher erklären.

»Ich unterrichte meine Frau in der Mythologie.«

– Nicht wahr, und für deine papiernen Fabeln gibt sie dir großmütig bare Geschichten?

»An dem Tage, da wir uns zum ersten Male gezankt, hielten wir gerade am Gotte Janus und am Janus-Tempel, den die Römer im Kriege öffneten und im Frieden schlossen. Ich nahm mir vor, einen Scherz nützlich zu verwenden. Sophie, sagte ich, hier der Ofen sei unser Janus-Tempel. Sooft wir in Streit kommen, werde ich das Türchen öffnen. Willst du Frieden, kannst du es ungefragt zumachen; du weißt, liebe Sophie, ich bin in jedem Augenblick zu versöhnen.«

– Das hast du gut gemacht, Fritz, man sollte eigentlich Janus den Gott der Ehe nennen. Er hat zwei Gesichter; er öffnet und schließt die Pforten des Himmels; er trägt in der rechten Hand das Zepter: das ist der Mann, und in der linken einen Schlüssel: das ist die Frau. Hast du das deinem Weibchen auch erzählt?

»Ja, aber sie wußte es schon. Der Himmel weiß, woher sie das erfahren hat, denn sie war übrigens in der Mythologie wenig bewandert.«

– Und das wundert dich, Fritz? In der Erkenntnis ihrer eigenen Rechte nehmen es die Weiber mit den besten Juristen auf.

»Der Scherz half; meine gute Sophie kann das Ofentürchen nicht offen sehen. Wenn sie einige Stunden geschmollt hat, schließt sie den Janustempel, bald lachend, bald mit tränenden Augen, fällt mir um den Hals, und wir sind ausgesöhnt.«

– Und was ist es, worüber sie jetzt so hartnäckig zürnt?

»Du sollst es erfahren, Karl, ich will dir es vorlesen.«

– Wie, du führst ein Hauptbuch über deine Leiden?

»Wir nennen es poetisch unsere Fasti. Ich habe mir vorgenommen, wenn dieses Papierheft voll ist, es drucken zu lassen; aber ich fürchte, ich halte es nicht aus, und meine Erben werden das Honorar einziehen.«

– Sei klug, Fritz, laß' dir das Honorar vorausbezahlen; das tun jetzt alle beliebten Schriftsteller. Fange nur zu lesen an, aber von vorne; ich bin begierig zu hören, worüber ihr zum ersten Male auseinandergekommen.

» Mittwoch, den 25. Juni . . .«

War nicht an diesem Tage deine Hochzeit?

»Nein, die war den Tag vorher . . . O ihr Götter, wie glücklich habt ihr mich gemacht! Welch eine Gabe verdanke ich eurer Gunst! Welch ein Geist! Welch ein Herz! Seit ich Sophie kenne, bin ich mir erst selbst klar geworden; sie hat meine schlummernde Seele mit Saitenspiel aufgeweckt. Wie zart faßt sie alles! Sie gibt mir Besseres, als den schönsten Rat: sie widerratet mir, was ich zu viel, zu rauh, was ich Unschickliches gesagt! Welch ein Witz des Herzens! Sie befriedigt nicht bloß alle meine Wünsche, sie weiß neue in mir zu erregen, um sie zu befriedigen. Sie wacht vor jedem Eingange meiner Ruhe, über jeden Augenblick meiner Zufriedenheit. Sie weiß es immer eine halbe Stunde vorher, wenn ich meine Kopfschmerzen bekomme.«

– Fritz, das ist gerade keine große Zauberei. Solche Prophezeiungen mißlingen keiner Frau, welcher an ihrer Propheten-Ehre nur im mindesten gelegen ist.

»Du gute Sophie, wie belohne ich dir deine Liebe? Es ist ja deine einzige Freude, mich glücklich zu sehen, und diese Freude schaffst du dir selbst!«

– Willst du mich zum besten haben, Fritz? Ich mag nichts hören von deiner Seligkeit; Jammer, Jammer will ich haben.

»Gedulde dich nur, der wird nicht ausbleiben.«

» Abends zehn Uhr.«

– Des nämlichen Tages?

»Ach ja, es war der nämliche Tag. . . . O Gott, wie betrübt bin ich!«

– Schäm' dich, Fritz! Als du morgens glücklich warst, riefst du die Götter an, und erst als du abends in Unglück kamst, wurdest du ein guter Christ, und wendetest dich zu Gott. Du bist ein arges Weltkind!

»Wir saßen in der Laube und lasen Romeo und Julia. Wie viel werter ist mir Sophie geworden, seit ich weiß, daß ihr Shakespeare wert ist. Sie rief mit bewegter Stimme aus: Welch eine Liebe! Wie Dülons Flöte! Es wollte mich etwas Eifersucht anwandeln, denn ich argwöhnte, sie habe mein Fagott im Sinne. Aber nein, die gute Seele dachte gewiß an nichts; sie hatte ja Tränen in den Augen . . . Da wurden meine Kleider-Koffer in den Hof gefahren, die ich aus meiner Junggesellenherberge hatte herholen lassen. Sophie ging mit nassen Augen hinaus, sie in Empfang zu nehmen. Ich las unterdessen weiter. Eine ganze Stunde wartete ich, und Sophie kam nicht zurück. Ich schickte nach ihr; das Mädchen sagte, Madame wäre beschäftigt und könne jetzt nicht kommen. Ich wartete noch eine andere Stunde. Endlich ging ich hinauf und fand meine gute Sophie, ganz erhitzt vor Anstrengung, vor einem großen Schranke stehen. Sie hatte meine Wäsche und meine Kleidungsstücke, nach Schnitt und Farbe, systematisch geordnet, das Beschädigte in großen Globen zusammengebunden, aus allem ein tabellarisches Verzeichnis verfertigt und den Zettel an die innere Seite der Schranktüre genagelt. Fritz, sagte sie mir schwer atmend, dort hinten die feinen Halstücher habe ich zurückgelegt; vorn die ordinären sind zu deinem täglichen Gebrauche. Ich fragte sie freundlich: Aber, Sophie, wie konntest du um einer solchen Bettelei willen mich und Shakespeare auf länger als zwei Stunden verlassen? Das verdroß sie, sie machte ein trübes Gesicht und sagte, sie hätte Kopfschmerzen.«

– Und das war den Tag nach deiner Hochzeit?

»Ja, sie schmollte, und legte sich um neun Uhr zu Bette.«

– Du mußt auch nicht alles gleich so übel deuten, Fritz.

» Samstag, den 28. Juni. Ich machte mit Sophie einen Ehrenbesuch bei einer ihrer Freundinnen. Die Zeit ward mir dort schrecklich lange. Ich gab meiner Frau hundert Zeichen und Winke zum Fortgehen; aber sie wollte nicht darauf merken. Endlich, nach drei peinlichen Stunden, stand sie auf. Mir ward ganz leicht zumute, und zeigte mich noch in den letzten Minuten als angenehmer Gesellschafter. Sophie öffnete die Türe, ihre Freundin hielt das Licht in der Hand. O Karl, da fingen meine Leiden erst recht an! Eine Viertelstunde sprachen sie innerhalb der Türe, eine Viertelstunde vor der Türe draußen und eine Viertelstunde auf der Treppe.«

– So machen es alle Weiber, Fritz. Keine Frau kann einen Brief ohne Postdictum entlassen. Sind die sich Besuchenden wahre Freundinnen, dann ist die Sache noch erträglich; die Nachreden dauern nur ein halbes Stündchen, und die Türe wird zugemacht, ehe das Zimmer ganz kalt geworden ist. Sind sie sich aber spinnefeind, ist es nicht zum Aushalten. Dann wird die Freundlichkeit verdoppelt; dann will die Fortgehende zeigen, daß sie ungern fortgeht, und die Entlassende, daß sie ungern entläßt, und dann werden, wie die kaiserlichen Postulate von den böhmischen Ständen, die wichtigsten Dinge bei offnen Türen verhandelt. –

»Beim Abendessen bat ich Sophie, sie möchte doch künftig nicht so lange auf der Treppe sprechen, sie könne sich darüber erkälten. Sie bemerkte mir, es sei ihr Grundsatz, sich in alle Leute zu schicken. Denk' nur, Karl, Grundsätze hat sie auch! Sie fing zu schmollen an, und sprach kein Wort weiter. Aber den anderen Morgen, schon ganz frühe, schloß sie den Janus-Tempel; sie war auf den Abend zu einem Balle eingeladen.«

» Donnerstag, den 3. Juli. Als ich nach Hause kam, brachte mir Sophie einen Kuß entgegen. Sie führte mich in mein Studierzimmer und sagte: Sieh nur, Fritz, wie hübsch ich dir deine Bibliothek in Ordnung gebracht! Ich erschrak auf's heftigste; sie hatte meine Bücher so in Ordnung gestellt, daß ich kein einziges Buch mehr finden konnte. Hartlebens Übersetzung des französischen peinlichen Gesetzbuches stand neben Winkelmann, weil beide in Quart waren; und meine Tabaksdose, die sie für ein Buch angesehen, hatte sie neben Rousseau's Heloise gestellt, weil beide in grünen Saffian gebunden waren. Ich dankte ihr für ihren guten Willen, bat sie aber, künftig keine Hand an meine Bücher zu legen. Das beleidigte sie, und um einer solchen Kleinigkeit willen mußte ich den Janus-Tempel öffnen!«

– Fritz, mein Professor der Mathematik pflegte zu sagen: Die Ehe ist die Lehre des Unendlich-Kleinen. Vierzig Jahre lang hatte er die Quadratur seiner häuslichen Zufriedenheit vergebens gesucht. Seine Frau rollte von Laune zu Laune, bis sie in das Grab fiel.

»Und da ward der gute Professor wohl recht froh?«

– Ach nein; er weinte und starb.

» Montag, den 7. Juli. Sophie kam auf mein Zimmer und fand mich im Rauchen. Sie öffnete alle Fenster und sagte mit gedämpftem Ernste: Fritz, das Rauchen werde ich dir abgewöhnen! . . . Karl, teurer Freund, hast du das gehört? So ein Püppchen von achtzehn Jahren will mir etwas abgewöhnen, einem Manne von gesetztem Charakter!«

– Alter, willst du sagen.

»Nun meinetwegen, wenn du willst, Alter. Frühe Weisheit, späte Liebe!«

» Montag, den 14. Juli . . .«

– Deine Montage sind nicht blau, wie es scheint.

»Meine Sophie ist aber auch gar zu furchtsam! Einige Ängstlichkeit steht dem Weibe gut; ein mutiges Weib ist so häßlich als ein furchtsamer Mann. Doch zu groß darf ihre Furchtsamkeit nicht sein. Wir gingen den herrlichen Fußpfad, der längs des Waldes zum Brünnchen führt. Eine Lämmerherde graste auf dem Wege. Sophie wollte nicht vorbei, wegen des Schäferhundes. Sie bemerkte, der Hund strecke die Zunge heraus, und das bedeute nichts Gutes. Ich zog sie mit einiger Gewalt in die Herde hinein. Ach! Unter den Lämmern ward sie . . .«

– Tue dir keine Gewalt an, Fritz; ich will es für dich sagen. Sie ward unter den Lämmern eine Wölfin.

»Jetzt kommen zwei Vorfälle, die ich dir verschweigen muß, Karl.«

– Behalte sie für dich, wenn du Verschwiegenheit geschworen. Freimaurer-Geheimnisse, die jeder erwachsene Mensch weiß! Ich möchte nur noch hören, was euern jetzigen, nun schon dreißigstündigen Krieg veranlaßt.

»Vorgestern brachten wir den Tag auf unserm Landhause zu. Vor dem Essen gingen wir spazieren. Da sah ich in der Ferne Frau Marthe kommen. Karl, du warst dabei, wie ich mich als Fuchs mit dem wilden Senior der Westphalen geschlagen; aber wenn ich Frau Marthe sehe, werde ich blaß. Wehe dem Unglücklichen, der ihr in den Weg kommt! Sie führt rhetorisch in das Haus jeder Familie, in jedes Zimmer des Hauses, in jedes Mausloch des Zimmers, und erzählt, was seit zwanzig Jahren darin vorgegangen. Und wenn sie fertig ist, verdreht sie die Augen und sagt, das Beste, nämlich das Schlimmste, verschweige sie aus Menschenliebe. Ich begreife gar nicht, wie meine Sophie, bei so viel Geist und Herz, an einer solchen Lästerzunge Wohlgefallen finden kann!«

– Und das begreifst du nicht, Fritz? So erfahre denn von mir, daß in jeder Frau, in der geistreichsten wie in der dümmsten, ein Gänschen steckt und daß, wenn die Stunde des Schnatterns kommt, auch Frau von Staël mit ihrem Kammermädchen sympathisiert.

»Noch trennte uns ein Hügel, um den sich mehrere Wege bogen. Ich schlug den Weg ein, auf dem ich sie zu vermeiden hoffte. Aber, entweder ich kannte die Topographie der Gegend nicht genau, oder ich bin ein schlechter Taktiker, denn als wir aus dem Hohlwege kamen, stießen wir gerade mit den Köpfen aneinander. Erst wurden weibliche Küsse gewechselt, diese geheimen Ordenskennzeichen der Schwesternschaft; dann brach es los. Ich habe einmal als Student in einer Mühle geschlafen; aber wenigstens fand ich den anderen Morgen die Müllerstochter schön. Doch Frau Marthe ist häßlich wie die Nacht.«

– O wehe, du armer Fritz! Wenn Frau Marthe häßlich ist, ist das Freundschaftsbündnis gar nicht aufzulösen.

»Und das Schleichen, Karl! Du kennst diese Qual nicht. Die Weiber gehen, als wären ihre Füße von Porzellan. Wie ein Minutenzeiger um den Stundenzeiger, mache ich sechzig Schritte um meine Sophie, während sie einen Schritt macht, und ich erreiche doch nicht eher das Ziel. Wenn ich an die Seligkeit denke, die mir zuteil geworden, mit meiner Sophie durch das Leben zu wandern, kann ich die nicht fassen, die ich erst empfände, wenn ich starken Schrittes mit ihr den Weg gehen dürfte! . . . Frau Marthe ging mit uns zurück, und endlich kamen wir an unsern Garten. Ich war glücklich. Sophie bat sie, mit einzutreten; ich zitterte. Aber Frau Marthe schlug es aus. Was tut meine gute Sophie? Sie spricht mit ihrer Flötenstimme: Beste, Sie haben uns nach Hause begleitet, jetzt wollen wir Sie nach Hause begleiten. Wir hat sie gesagt, als wär' ich der Kometenschweif ihrer Laune! Ich folgte halb bewußtlos, als würde ich zum Richtplatz geführt. Auf dem Wege fühlte ich mich einer Ohnmacht nahe, und ich stieß meine Frau leise an. Da trennten sie sich. Ich schöpfte freie Luft; auch hatte ich sie bald nötig. Der Zorn meiner guten Sophie lagerte sich wie ein Alp auf meine Brust und erdrückte sie fast. Sie sagte, gegen Frau Marthe wäre ich grob gewesen, und sie selbst hätte ich gestoßen. Ich schwöre es dir, Karl, Aurora mit ihren Rosenfingern hätte sie nicht zarter berühren können. Aber sie blieb dabei, ich hätte ihr einen Puff gegeben, und sie sagte, ich wäre ein Bär.«

– Ein Bär!

»Ja, ein Bär! Und das war das letzte Wort, das ich seit vorgestern von ihr gehört.«

– Nein, Fritz, das hielte ich nicht aus. Da sollte doch lieber . . . Philolog, wie heißt das Donnerwetter auf zart griechisch? Konnte dich deine Frau geduldig an Langeweile leiden sehen, so wäre sie auch fähig, dich zu vergiften. Laß' dich von ihr scheiden, Fritz. Ich habe zum Spaße Karl V. peinliche Halsgerichts-Ordnung gelesen, und die ganze neuere Literatur der Henker- und Kerkerlehre. Himmel! was haben die Väter des Volkes gerädert, gehängt, geköpft, verbrannt, erdrosselt, gevierteilt, ersäuft, gebrandmarkt, gefoltert, eingekerkert, verpönt, anbefohlen und verboten! Jeden Abend, wenn ich schlafen gehe, verwundere ich mich, daß ich noch nicht gehängt bin. Aber von dem größten aller Verbrechen haben sie kein Wort gesagt; von dem Verbrechen, einem menschlichen Wesen, einem Ebenbilde Gottes, Langeweile zu machen. Freilich, die Herren Gesetzgeber waren große und vornehme Herren, die jeden nach Belieben vor sich ließen oder wegschickten, empfingen oder verabschiedeten. Sie kannten die Langeweile nicht und dachten so wenig daran, eine Strafe auf dieses Verbrechen zu setzen, als Solon an den Elternmord gedacht. Ist Langeweile verursachen nicht ein wahrer Elternmord? Ist nicht die Zeit unser aller Mutter? Wer mich verwundet oder umbringt, hat doch nur meinen Körper verletzt oder getötet: wer mir aber Langeweile macht, verletzt oder ermordet meine Seele.

»So denke ich auch, Karl. Ich kann alles ertragen, Hunger und Durst, Frost und Hitze, Rheumatismus und die Quotidienne in Paris, Zahnschmerzen und unverdiente Vorwürfe; aber die Langeweile, die ist stärker als ich. Und nicht damit zufrieden, mir, vielleicht ohne ihre Schuld, Langeweile verursacht zu haben, vermehrt sie noch dieselbe, indem sie schmollt und mich seit zwei Tagen allein gelassen hat.«

– Führe mich zu ihr, Fritz, ich will ihr den Kopf zurechtsetzen.

»Tue das, lieber Karl; aber ich bitte dich, sei nicht grob.«

– Laß' mich nur machen. Ich weiß eine Strafpredigt auswendig, die hat schon in zwanzig Fällen gute Dienste geleistet. In zehn Minuten hast du sie wieder gewonnen, oder du hast nichts an ihr verloren.

Fritz führte mich in das Zimmer seiner Frau. Das liebe Weibchen saß ganz vergnügt an einem Tischchen und aß Erdbeeren mit Zucker. Das vorjährige Taschenbuch für Liebe und Freundschaft lag vor ihr aufgeschlagen. Als wir eintraten, wollte sie fortgehen; ich bat sie aber, zu bleiben, ich hätte ihr nötige Dinge zu sagen. Jetzt fing ich zu reden an; aber nicht mit einem Adagio, sondern gleich ganz erschrecklich, wie die Ouvertüre zur diebischen Elster.

Pfui! Weg die Runzeln und der Stirn Gewölk!
Nicht Hohn geschnellt aus dem entflammten Blick
Auf deinen Herrn, dein Haupt, dein fürstlich Haupt!
Das kränkt die Schönheit, wie der Frost die Flur,
Entstellt den Ruf, wie Sturm den Blütenbaum,
Und ist durchaus nicht hübsch, noch angenehm.
Ein aufgeregtes Weib gleicht einem Sumpf,
Morastig, häßlich, dick – ohn' allen Reiz!
So lang' er das ist, nicht der Durstige
Trinkt einen Tropfen d'raus, noch rührt ihn an.
Dein Eh'mann ist dein Herr, dein Licht, dein Leben,
Dein Fürst, dein Oberhaupt; er sorgt für dich
Und deinen Wohlstand; er gibt preis den Leib
Mühsamer Arbeit, rings zur See, zu Land,
Ausharrt er Nacht' im Sturm und Tag' in Frost,
Weil du daheim liegst warm und wohlgemut;
Und keinen Zins verlangt er sonst von dir,
Als Liebe, heitern Blick und Folgsamkeit:
Zu kleine Zahlung für so große Schuld!
Was schuldig ist der Untertan dem Herrn,
Das ist die Frau auch schuldig ihrem Mann.
Und ist sie kopfstarr, launisch, düster, sau'r,
Unfolgsam selbst dem billigsten Gebot,
Was ist sie, als aufsätzige Rebellin,
Danklos und frevelnd am liebreichen Herrn?
Ich fühle Scham, daß Weiber sind so dumm,
Krieg suchend, wo man sollte knien um Frieden;
Erstrebend Herrschaft, Macht und Tyrannei,
Wo besser ziemt Gehorsam, Lieb' und Treu.
Warum ist euer Bau zart, fein und sanft,
Kraftlos für Müh' und Ungemach der Welt?
Ein sanftes Herz und Sitte, zart und fein,
Soll stimmen mit dem Äußern überein.

Anfänglich machte Sophie einen spöttischen Mund; dann lächelte sie; dann ward sie still; dann wurde sie ernst; dann fingen ihre Augen zu tröpfeln an; dann entstürzte ihnen ein Strom von Tränen, dann schlüpfte sie hinaus, schloß den Janus-Tempel, kam zurück und fiel ihrem Manne schluchzend um den Hals. Shakespeare's Geist lächelte von den Sternen herab; ich aber eilte fort und ließ die Glücklichen allein mit ihrer Liebe.


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