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Der Gott in Höflingen

Das Spaßhafte der Sache liegt nur darin: daß die Leser anfänglich glauben werden, ich mache Spaß, und die Höflinge unter ihnen, ich wolle ihrer spotten, und daß der letzteren einer, begreift er endlich, daß ich es ernst gemeint, voller Angst zu seinem Arzte schicken und dem Herbeigeeilten sagen wird: »Medizinalrat, ich bin ein Mann und zittere vor dem Tode nicht, darum Offenherzigkeit! Bin ich wirklich ein Schwärmer? Habe ich Religion? Liege ich an Ideen darnieder? Gerade heraus, ist die Krankheit immer tödlich, oder hat man Beispiele von deren glücklichen Heilung? Was halten Sie von meinem Zustande?« Ja, Herr Hofmarschall! Sie sind schwärmerischer als ein Verliebter, frömmer als ein Heiliger, phantastischer als Jakob Böhm; Sie leben in einer luftigen Ideenwelt und sind gar nicht praktisch. Aber beunruhigen Sie sich nicht, Sie haben eine gute Natur und werden nicht daran sterben! . . . Ich sage: das ist allein der Spaß; im übrigen aber wird man den heiligen Ernst nicht verkennen.

Jener Haushofmeister eines Prinzen Conti, der, nach beendigtem Festmahle, das er für seinen Gebieter angeordnet, sich den Degen in das Herz stieß und starb, weil auf dem Tische eine Schüssel Stockfische gemangelt – gemangelt ohne sein Verschulden (der Eilbote war damit eine Stunde zu spät aus dem Hafen gekommen) – gemangelt nur ihm, seinem Künstlerauge, nicht den Gästen und zur Sättigung – den Opfertod jenes edlen Haushofmeisters, werdet ihr ihn verspotten? Tut das nicht, nur seiner Zeit dürft ihr lachen. Gibt es einen himmlischen Lohn für jede irdische Hingebung, dann wird auch der Haushofmeister seine Palme finden. Freilich werden Brutus, Sokrates und Timoleon dem neuen Heiligen mit Lächeln entgegenschweben, aber sie werden ihm lächeln wie einem Kinde; und wenn der Himmel seine Spiele hat, werden sie ihn ergötzen, und der verklärte Haushofmeister wird mit seinem Degen an der Seite hinter dem Stuhle des großen Cäsar stehen, und die Majestät wird seine Kunst loben, und an Stockfischen wird's nicht mangeln! . . . Racine, welcher krank ward und starb, weil König Ludwig ohne Blick an ihm vorübergegangen war – er starb nur seinem Gotte, doch er starb dem Göttlichen. Der Himmel hat tausend Pforten, die Hölle hat nur eine, und seltener als man denkt, gelingt es Menschen und schwerer als man glaubt, sich verdammen zu lassen.

Der Ruhm glänzt, wie die Sonne, mit eigenem Lichte; die Ehre gleicht der Erde, die mit geborgten Strahlen leuchtet; die Eitelkeit ist der Mond dieser Erde, der Ehre kühler und kleiner Trabant. Aber das Licht der Tugend behält, wie Wein im Wasser, auch verdünnt von seiner Kraft. Der Mensch, so gemein sein Treiben auch sei, lebt in Ideen, bis in den Sumpf spiegelt sich der Himmel ab. Der Höfling, der sich alle seine Jahre um ein Band am Rocke, um ein Lächeln seines Gebieters, um den leeren Schall eines Titels martert, opfert er nicht Ruhe, Glück und Frieden, gleich dem edlern Schwärmer, auch einem Gedankenbilde? Und ist es sein Vergehen, wenn er mit den Zeitgenossen summt, die den vergoldeten Turmknopf, um den sie gleich Mücken kriechen, für einen Sonnenball halten? Ich habe einen Freund, der sich so gern an den Pranger stellte, als einen Orden trüge, den aber jede Volksgunst, die in alter oder neuer Zeit diesem oder jenem widerfahren, bis zu Tränen der Eifersucht bewegt. Er hat freilich ein größeres und schöneres Recht als jener Höfling, aber kein anderes. Wohl ist es größer und schöner, den nach Bewegung lechzenden Geist auf weiter See schiffen zu lassen, und das glühende Herz an Meeresstürmen abzukühlen, als sich auf einem Gartenteiche zu schaukeln und mit einem Fächer die heißen Wangen zu erfrischen; aber hier und dort ist Wind und Wasser, und das göttliche Element, woraus jeder schöpft nach Vermögen mit kleinerem oder größerem, mit irdenem oder goldenem Gefäße.

Der Weltmann spottet des Schwärmers, den er verkennt, nur weil er sich selbst nicht kennt. Nachdem er seinen Hunger gestillt und seinen Durst gelöscht, wofür bemüht er sich? Für ein Gedankenbild; er schwärmt selbst. Wir bewundern die großen Männer des alten Roms; kehrten diese zurück, sie würden uns mehr bewundern als wir sie. Was ist leichter: im Rausche der Begeisterung, die nicht rechnet, Leben und Gut an das Glück des Vaterlandes, eine Spanne Zeit an ewigen Nachruhm wagen – oder nüchtern fünfzig Jahre lang auf dem Seile der Intrige zu tanzen und mit klopfendem Herzen ängstliche Blicke rechts und links auf die Balancierstange der List zu werfen, um keinen andern Lohn, als sich von kindischen Zuschauern begaffen und beklatschen zu lassen? Was ist gewinnsüchtiger: schnödes Geld gegen Freiheit eintauschen – oder eine eiserne Kette zu schleppen, sich damit eine goldene zu verdienen? Darum nicht verachten oder hassen, belehren und belächeln soll man jene Weltleute, die jeder edeln Regung spotten. Wer nur wenige Jahre das Erziehungsrecht über sie selbst hätte, würde sie zu ihrer Beschämung dahin bringen, daß sie mit Füßen treten, was sie früher angebetet, und anbeten, was sie früher mit Füßen getreten. Alle Menschen aller Zeiten wurzeln in dem schmutzigen Boden des Eigennutzes; aber mit Stamm, Zweigen, Blüten und Früchten erhoben sie sich über die Erde und lebten im reinen Elemente, höher oder nieder wachsend, heller oder dunkler blühend, mit mehr oder minder süßer Frucht, je nach Samen, Witterung, Jahreszeit, Himmelsstrich und Pflege – aber alle nach dem Himmel strebend.


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