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Der Jude Shylock im Kaufmann von Venedig

1828

Als nach geendigtem Schauspiele die Frauenzimmer nach Hause kamen, erzählten sie, der Gastspieler, der den Shylock dargestellt, sei hervorgerufen worden, habe sich wie üblich zierlich bedankt und habe unter anderm gesagt: ein solches Ungeheuer, wie Shylock, finde man zum Glücke in der Wirklichkeit nie. Da war ich recht froh, daß ein schlimmer Husten mich abgehalten, der Vorstellung beizuwohnen. Doch vielleicht hatte der menschenfreundliche Mann nur aus Gutmütigkeit so gesprochen. Es leben in dieser Stadt viele und reiche Juden, die von ihren christlichen Mitbürgern gehaßt und geneckt werden. Weil nun der fremde Schauspieler der christlichen Einwohnerschaft die Schadenfreude gewährt, zu seinem Benefize den Kaufmann von Venedig zu wählen, wollte er den Juden, die das Haus bevölkern helfen, wohl auch etwas Artiges sagen. Aber ernst durfte es ihm mit seiner wunderlichen Rede nicht gewesen sein; sonst hätte er gezeigt, daß er seine Rolle gar nicht verstanden. Ob es in der Natur jüdische Menschenfresser und Vampire gibt oder nicht, darauf kommt es hier nicht ,in; aber daran ist sehr viel gelegen, daß man nicht glaube, der große Dichter habe uns einen kleinen Judenspiegel für einen Batzen, nach Art des Hundt-Radowsky, zeigen wollen. Wenn der Himmel uns unwissenden Menschen einen Propheten wie Shakespeare schickt, so geschieht es wahrlich nicht bloß, daß er uns lesen lehre, sondern zu größerer Botschaft. Oberhaupt ist Shakespeares Sendung das Predigen und das Lehren nicht. Wollte er aber ja einmal ein Schulmeister sein, so dachte er im Kaufmann von Venedig gewiß eher daran den Christen, als den Juden eine Lehre zu geben.

Shylocks Judentümlichkeit in Ehren gehalten, diese schöne Moral, die alle ungemünzten Leidenschaften verachtet – ist doch, sich selbst zum Trotze, etwas Großes, etwas Erhabenes in ihm, das auf seine eigene Niedrigkeit mit Stolz herabsehen darf. Shylock ist ein gestiegener Jude, ein Racheengel; er hat sich zu einer Höhe hinauf empfunden, wo er fähig wird, etwas zu tun, das nicht seinem Beutel wuchert, etwas zu tun für alle. Er will sein geschmähtes, niedergetretenes Volk an dessen Peiniger, dem Christenvolke, rächen. Den Geldbeutel in Shylock verabscheuen wir, den geplagten Mann bedauern wir, aber den Rächer unmenschlicher Verfolgung lieben und bewundern wir. Glaube man ja nicht, es sei eine Kleinigkeit, einem guten, christlichen Manne ein Pfund Fleisch aus der Brust zu schneiden! Das ist wohl eine Kleinigkeit für einen bösen Christen, aber nicht für einen Juden. Der Jude kann grausam sein von Geist, aber von Herzen ist er es nie; er hat ein weiches, mürbe geschlagenes Herz, er ist mitleidig, er kann kein Blut sehen. Wer weiß, ob es Shylock ausgeführt, wer weiß, ob ihm das Messer, das er so schadenfroh an seiner Sohle gewetzt, nach dem ersten Tropfen Blutes nicht aus den Händen gefallen wäre; Antonio hätte wagen dürfen, es darauf ankommen zu lassen. Und welche Opfer bringt Shylock seiner Rache! Dreitausend, sechstausend, neuntausend Dukaten! Und die Dukaten der Juden, das sind keine gewöhnlichen Dukaten, die sind viel mehr wert als die andern; ihre Liebe zu ihnen vergrößert sie in ihren Augen. Und nicht bloß diese Summe wagt er, er wagt mehr, die Zinsen dieser Summe; denn mehr ist dem Juden der Gewinn als der Besitz. Konnte Antonio nicht bezahlen zur Verfallzeit? Aber Shylock vertraut den Rachegöttern, vertraut den Meeresstürmen und den gefährlichen Winden böser Gerüchte, und sie täuschen ihn nicht. Auch lasse man sich von Shylock ja nicht irre machen, wenn er sagt, er hasse Antonio, weil dieser, wie ein Narr, Geld ohne Zinsen verleihe und dadurch die Zinsen in Venedig herunterbringe, und durch seine Entfernung werde er im Handel gewinnen. Nein, darum haßt Shylock den Antonio nicht. Die christliche Kaufmannschaft in Venedig wird auch nicht aus lauter edlen Antonios bestanden haben, und ein Mann allein, sei er noch so reich, kann den Wert des Geldes nicht verringern. Shylock ist ein Jude, er schämt sich vor sich selbst, bares Geld einer Einbildung aufzuopfern, und er sucht sich darum etwas weis zu machen. Schwärmt auch der Jude einmal, weiß er doch, daß er krank ist. Aber krank ist Shylock wirklich; nicht den Handelsfeind, den Glaubensfeind verfolgt er in Antonio und gibt im Fieberwahnsinne vollwichtige Dukaten für eine luftige Empfindung hin.

Der Schauspieler, der die Rolle des Shylock übernimmt, mag zusehen, wie er damit fertig wird. Der blutdürstige Haß des Juden soll uns entsetzen, wie jede Glaubenswut, wie jeder Wahnsinn; aber Ekel und Abscheu darf er nicht erwecken, gleich einer körperlichen Krankheit. Shylocks vermaledeite Geldsucht und die Krämpfe, in die gestörter Eigennutz seine Seele werfen, sollen unser Inneres empören, aber lächerlich sollen wir das nicht finden – wenn uns der leibhaftige Teufel erscheint, ist wahrlich nicht Zeit zum Lachen. Nun aber im Teufel den Gott zu zeigen, durch eine Sandwüste von Sünde bis zur kleinen Quelle der Liebe vorzudringen, die so weit entfernt, so verborgen rieselt: das gibt wohl dem darstellenden Künstler Arbeit genug. Denn Shakespeare tut nicht wie gewöhnliche Menschen und gewöhnliche Dichter, die, es ihrem Herzen oder ihrer Kunst bequem zu machen, lebende vermischte Dinge, gleich Scheidekünstlern, in ihre toten Elemente auflösen, reine Charaktere darstellen, diese lieben, jene hassen, diese anziehen, jene abstoßen – so tut Shakespeare nicht. Er nimmt nicht Partei, er gibt keinem Recht als der Sittlichkeit, die lauter im Leben nie erscheint; sondern läßt die Erscheinungen miteinander hadern und mischt sich nicht in ihren Streit. Der Dichter hat alles mögliche getan, den Christenhaß der Juden zu rechtfertigen, und mit gleicher Anstrengung bemühte er sich, den Judenhaß des Christen zu entschuldigen. Wie sollte Shylock den Antonio nicht hassen, um so mehr hassen, je besser und edler der Mann ist! Antonio ist gut, edel und hülfreich, nur nicht für den Juden. Er beschimpft ihn vor den Augen aller Welt, er mißhandelt ihn, wo und sooft er ihm begegnet. ja in dem nämlichen Augenblicke, da er seine Gefälligkeit, sein Geld braucht, vermag er es nicht über sich, seinen Haß, seine Verachtung zu verbergen, und der gute edle Antonio, der seinem Freunde Bassanio alles aufopfert, ist doch nicht edel genug, dem Freunde zuliebe, einem Juden gütige Worte zu geben. Dann entführt ein Windbeutel von Christ Shylocks Tochter; diese beraubt und verläßt ihren alten Vater, und nur erst mit dem Vorsatze, eine Christin zu werden, beginnt sie ihre Bekehrung damit, den Vater zu verachten, weil er ein Jude ist. Das könnte wohl das Blut einer Taube in Drachenblut verwandeln. Der Christ haßt den Juden, der Jude vergilt es dem Christen, und indem er es tut, rächt Shylock die verspottete Tugend auch an sich selbst. Er gibt Geld hin, sein Volk zu rächen, und erfährt, daß Gold nicht Herr der Welt ist, wie der Jude glaubt, sondern daß Liebe mächtiger ist als Gold, selbst im Juden.

Sooft ich Shakespeare lese, habe ich einen wahren Kummer, daß er nicht in unsern Tagen lebt, sie uns klar zu machen. Es ist, als geschähen die Geschichten nicht auf die gehörige Art, wenn kein rechter Meister da ist, der sie auf die gehörige Art erzählt. Ein Charakter, ein Verhältnis, die dieser große Dichter nicht geschildert, weil sie ihm unbekannt waren, ist wie ein Buch ohne Titel, dessen Inhalt wir erst zusammenlesen müssen. Es geschieht oft, daß große Zeiten keine großen Geschichtschreiber, Dichter oder Künstler finden, die fähig wären, sie würdig zu beschreiben, zu schildern oder bildlich darzustellen. Die vornehmen Geschichten sind zu stolz, zu unruhig oder zu beschäftigt, gewöhnlichen Künstlern ruhig zu sitzen. Diese können ihre Züge nur im Fluge erhaschen oder müssen warten, bis die Zeit gestorben, um dann von ihrer Leiche einen Abguß zu nehmen, dem das Leben fehlt, wie dem Urbilde. Einem Maler wie Shakespeare aber halten die Zeiten stille, wohl wissend, daß die Natur nur der Kunst ihre Unsterblichkeit verdankt. Wie hätte Shakespeare unsere Shylocks, die großen Shylocks, mit christlichen Ordensbändern auf jüdischem Rockelor, geschildert! Wie hätte er die papierverkehrenden Shylocks ohne Rockelor gezeichnet, die das Fleisch und Blut ganzer Völker in Scheinen besitzen und die nicht mit Lumpen Papier, sondern mit Papier Lumpen machen! Wie hätte er die Ruchlosen dahin gemalt, welchen Gott ein Finanzminister ist, der spricht: es werde! und es wird eine papierne Welt; Adam, der erste Bankier; das Paradies, ein seliger Pari-Stand der Staatspapiere; der Sündenfall, der erste Fall der Kurse; welchen die Blätter der Geschichte Metalliques, Bankaktien, Partiale sind; welchen der Jüngste Tag ein Ultimo ist; Gott Mars, der dem Ruhme, der Ehre, dem Glücke der Völker, dem Glauben, dem Rechte und andern solchen schnöden Dingen die Ruhe der Kurse aufgeopfert, ein vermaledelter Baissier; Sultan Mahmud, der Beschützer der christlichen Papiere, ein großer Mann, ein gewaltig großer Mann, ein zweiter Josua; der österreichische Beobachter, das sechste Buch Mosis! O, wie hätte Shakespeare, dieser große Wechselmäkler zwischen Natur und Kunst, der das Geld der einen gegen das Papier der andern eintauscht, die Geheimnisse der Börsenherzen aufgedeckt! Wie hätte er unsere Börsenleute dahingestellt, welche die Griechen ein » Lumpenvolk!« schelten! – Hört ihr Catos Asche lachen? Was hat der venetianische Shylock getan? Dreitausend gute Dukaten für ein armes Pfund Christenfleisch hingegeben; das Gelüste war wenigstens teuer bezahlt. Aber unsere Shylocks, alten und neuen Testaments, ersäufen für ein Achtelchen ganz Hellas, als wär's ein blindes Kätzchen. Der Shylock von Venedig war ein Lamm, ein Kind, eine gute Seele; und doch hat der Schauspieler oben in Frankfurt gesagt: ein Ungeheuer wie Shylock gäbe es nicht in der Natur, und Shakespeare sei ein Verleumder! O, guter Schauspieler! Die Geschichte lügt, wenn sie Menschen Christen nennt, weil ihre Ahnen Wurst gegessen; aber Shakespeare lügt nicht.


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