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Unterwegs machte er Station bei Krupp in Essen und besah sich die Kanonengießerei, wobei er sich angelegentlich erkundigte, wann die neuen gezogenen Geschütze fertig würden. Österreich fing an, sein Artilleriesystem nach den Erfahrungen von Solferino umzugestalten und die älteren glatten Geschütze abzuschaffen. In Berlin kam er mit seinen Ministerkollegen fast auseinander, weil sie in der Zollsache ihm nicht zu Willen waren und seinen Wunsch durchkreuzten. Zar Alexander traf zum Besuch ein, es gab Parforcejagden und Whistspielen mit seinem alten Gönner. Gortschakow erschien auch auf der Bildfläche und gratulierte zum glorreichen Frieden.

»Wer hätte das gedacht! Sie hätten mir doch ein Sterbenswörtchen aus alter Freundschaft mitteilen können, wie Sie die heikle Sache zu führen gedachten. Aber nichts! Oubril hat uns nie avertieren können, Sie hielten so reinen Mund.«

»Habe ich Sie, meinen verehrten Meister, hinters Licht geführt? Ist's das, was Sie sagen wollen? Ich weiß mich frei von Schuld«, beteuerte Otto mit schwermütiger Gebärde. »Konnte ich vorhersehen, wie mein allergnädigster Herr sich entscheiden würde? Und war ich der Herren Österreicher so sicher?«

»Mit denen stehen Sie also jetzt intimer als mit uns«, schmollte der alte Projektenmacher. »Sensation in Petersburg, kann ich Ihnen sagen. In der Gesellschaft zerbricht man sich den Kopf, was Sie, den Österreichhasser, so umgewandelt hat.«

»Bah, man schlägt sich und man verträgt sich. Österreich hat sich zu vernünftigerer Auffassung bekehrt, und wir haben eben gemeinsame Interessen.«

»Ja, im Zwischenakt. Doch Ihre Intimität wird wohl nicht ein abendfüllendes Schauspiel entwerfen. Sie machen zu viele »Beiseite«sprünge, waren auch jetzt wieder in Paris und verkehren recht warm mit Italien«, fuhr der Mißtrauische fort, sich festzuhaken. Doch Otto schüttelte ihn leicht ab:

»Wir wollen eben mit aller Welt in Freundschaft leben. Wir möchten nach allen Seiten vermitteln und besänftigen. Nachdem nun endlich auch dieser Zankapfel beseitigt, wird Europa sich ungetrübten Friedens erfreuen. Dieser kleine Krieg war der letzte für lange, das glaubt auch Kaiser Napoleon.«

Gortschakow vertraute nachher dem russischen Gesandten Oubril seine Überzeugung an: »Er ist trotzalledem ein Mensch ohne Arg und Falsch, eine fast kindliche Natur. Der glaubt ernstlich, Österreich werde jetzt Frieden halten und jede Reiberei vermeiden, und wir wissen doch, wie es schon wieder mit Beust an einem deutschen Staatenbund gegen Preußen arbeitet. Davon ahnt mein guter Freund offenbar nichts.« –

Am gleichen Tage sagte Otto kalt und ruhig zu Roon: »Wir werden in einem oder ein paar Monaten Krieg mit Österreich haben, vielleicht auch erst in einem Jahre. Aber dieser Krieg ist so sicher wie der Tod. Wir müssen jeden Nerv anstrengen, um unsere acht Korps so schlagfertig wie möglich zu machen.«

»Verlassen Sie sich darauf! Übrigens studiert Moltke Tag und Nacht die verschiedenen Operationen. Soll er dabei auch Front gegen den Main nehmen?«

»Soviel er will, und gegen die Weser und Werra dazu. Als ich letzthin durch München kam, fand ich zwar den Minister Schrenk, meinen Kollegen vom Bundestag, sehr preußenfreundlich, doch v. d. Pforten ist ganz in Beusts Händen, und wir können nichts Gutes von dort gewärtigen.«

»Wird das nicht ein bißchen viel für uns werden?« machte Roon bedenklich.

»Viel Feind', viel Ehr'. Und wir werden auch Alliierte haben.« Roon sah ihn fragend an, ohne jedoch weiteres zu hören.

Der Schwarze Adlerorden und eine herzliche Umarmung des Königs belohnten den erfolgreichen Staatsmann, wie schon zuvor der Orden des heiligen Stephan, den ihm der Kaiser zufügte. Solchen bündigen Beweisen allerhöchsten Verdienstes vermochte auch Wrangels greises Feldherrnherz nicht zu widerstehen. Auf einem Hofdiner hatte Otto den Hochgenuß, den großen Feldmarschall als Tischnachbar neben sich zu sehen. Betretene Pause. Auf einmal lächelte der Alte verschämt: »Mein Sohn, kannst du nicht vergessen?« »Wie sollt' ich vergessen, was ich erlebte!« Neue Pause. »Kannst du auch nicht verzeihen?« »Von ganzem Herzen.« Händeschütteln und neue Freundschaft. Der Mensch hat keine Freunde, nur das Glück hat welche, sagte Napoleon. Die Welt ist schläächt, sagte der alte Kommilitone Keyserling in Kurland.

Das ist sie in der Tat. Eine besondere Belohnung ward dem Lotsen, der das Schiff durch alle Klippen bugsierte, zuteil im erneuten Furor der Fortschrittspartei und eines lächerlichen 36er Ausschusses. Dieser hatte schon früher die kühne Behauptung aufgestellt, daß nur die Allmacht der öffentlichen Meinung Preußen vorwärts trieb. Er selbst trieb es aber so arg, daß der Bundestag sich ihm entgegenwarf und sich hiermit selber jede Popularität in Deutschland verscherzte. Als im Dezember die Exekutionstruppen auf Bismarcks höfliche, aber bestimmte Weisung abmarschierten, suchte Beust für Sachsen eine Miene geräuschvoller Opposition zu retten. Doch machte dies gar keinen Eindruck, weil das englische Blaubuch mit zynischer Preisgabe von Staatsgeheimnissen offen enthüllte, wie zweideutig sich besonders Hannover benahm, das in der volkstümlichen Holsteinerei revolutionäre Bestrebungen haßte. Kaum bezog aber das neue k. k. Ministerium seine Wohnung am Ballplatz, als wieder die alte schnoddrige Zänkerei und Unheilstiftung der Ära Buol einsetzte. Die Erbansprüche Augustenburgs tauchten wieder auf, in Frankfurt meldete sich das wunderbare »Austrägalgericht«, welches Neuwort, im Kanzleijargon der Bundesverfassung geprägt, die ganze Verzopftheit in sich trug.

So hätte das neue Jahr unter ungünstigen Aussichten für Verwirklichung der Annexionspläne begonnen, wenn nicht Österreich plötzlich durch innere Verfassungskämpfe wegen seiner finanziellen Notlage lahmgelegt worden wäre. Unverzüglich setzte Otto dem untreuen Rivalen die Pistole auf die Brust mit sehr bestimmten Forderungen, kraft welchen die Herzogtümer als neues Staatswesen von vornherein in ein Vasallenverhältnis zu Preußen treten mußten, das Ende März seine Marinestation ohne weiteres von Danzig nach Kiel verlegte und von halben Zugeständnissen nichts wissen wollte. Der preußische und österreichische Zivilkommissar in Schleswig-Holstein lagen sich gegenseitig in den Haaren, der neue preußische Gesandte in Frankfurt, »Carlos« Savigny, führte eine drohende Sprache und verlangte zuletzt sogar Ausweisung des Augustenburgers. Noch aber wünschte der König keinen unheilbaren Bruch und ging, um die Risse des Bündnisgebäudes zu stopfen, Ende Juni mit Otto nach Karlsbad.

Dort befand sich auch der französische Botschafter in Wien, Herzog v. Grammont, zur Kur, natürlich zufällig, wie das bei Diplomaten immer so geht. Er schloß sich an den gefürchteten Preußen innig an und ließ sich mit ihm photographieren. Ironisch schrieb Otto an Nanne, daß sie endlich daraus ersehen werde, sie habe einen ungewöhnlich gut aussehenden Mann.

»Aber du glaubst es doch nicht, und ich schließe gereizt.« Er wohnte hoch über dem Städtchen und hörte jeden Abend Kühe brummen und the watchdogs honest bark, wie er mittendurch Byron zitierte, von dem er immer noch lange Stellen auswendig wußte. Edwin Manteuffel, Gustav Alvensleben, Leibarzt Bauer hatten den König begleitet, Kultusminister Mühler nebst unvermeidlicher Adelheid fand sich auch ein, Frau v. Mühler kneipte Aussicht, wenn sie nicht mit Prinzeß zur Lippe Kaffeeklatsch pflegte. Die schreckliche Politikerin Frau v. Stolypin vertrat den russischen Hofklatsch. Lauter Personen, vor denen er ins Abendrot flüchtete, manchmal vier Stunden in den Bergen herumkletternd. Nur der Tyrannin Adelheid, die nie genug damit hatte, ihrem jetzt so frommen Mann Pantoffelhiebe zu versetzen und ihm sein ruchloses einstiges Studentenleben heimzuzahlen, vermochte er nicht zu entrinnen. Ihre Eitelkeit und Vergnügungssucht ließen ihn nicht los und schleppten ihn in die Kaffeekränzchen der Fürstin Lippe, wo er mit jungen Mädchen schäkerte, um der ästhetischen Unterhaltung mit Frau Kultusminister zu entrinnen. Er hatte nicht übel Lust, bei aufgehendem Dianagestirn laut anzustimmen »Mond, wie siehst du so wunderlich aus! Schäme dich, schäme dich, alter Kujon!«, um mit der unsterblichen dichterischen Jugendsünde ihres frommen Gemahls die regierende Kultusdame zu ärgern. Seine Legationsräte Keudell, Abeken, Zitelmann hatten ihre liebe Not, ihm Besuche vom Halse zu halten und die Arbeit zu bewältigen, die er bei glühender Hitze sich und ihnen aufbürdete. Denn noch galt es, aus Rücksicht auf Bedenklichkeiten des Königs, einen casus belli zu vermeiden und Österreich zu annehmbarem Übereinkommen zu bewegen. Ein solches sollte in Gastein geschlossen werden.

Ehe er nach Karlsbad fuhr, genoß er noch den schönen Anblick der Fortschrittsseele in ihrer ganzen Pracht. Seine große Rede im Landtag am 1. Juni behandelte vor allem die einst deutschen Herzen so teure Flottenfrage, da er außerordentlichen Kredit für die Marine und den Kieler Hafen benötigte. Mit gutmütigem Spott hoffte er, den Liberalen »eine rechte Freude mit dieser Vorlage zu machen«, sah aber zu seinem Erstaunen den Geist des Auktionators Hannibal Fischer im Sitzungssaale erscheinen. Die so heißbegehrte Flotte schien den Unentwegten viel zu teuer erkauft durch irgendein Zugeständnis an den Verhaßten. Mit einem gewissen grimmigen Behagen stellte dieser fest, daß auch in einer großdeutschen Frage nur impotente Negation das Wort führe. Damit werde man aber dem König das Zepter nicht aus der Hand winden. Er forderte spöttisch die Opposition heraus, sich doch offen zu äußern, das Volk habe ein Recht zu erfahren, was seine weise Vertretung denke. Aber da schweigt des Sängers Höflichkeit. Er gab zu verstehen, was dieser Gewissenskonflikt bedeute: offenes Bekenntnis, daß immer die Partei dem Vaterland vorgehe, würde dem Volk die Augen öffnen und die Regierung stärken. Verweigert nur immer weiter, hoch über euch weg geht das Geschick seinen Gang!

*

Wie es ihm ums Herz sei, vertraute er mit seiner üblichen absichtlichen Aufgeknöpftheit dem »schönen Grammont« an, als er ihn an einem Orte traf, wo man sich bei Trinken von Karlsbader Sprudel häufig zu begegnen pflegt. »Ihre staatsmännische Einsicht, mein teurer Herzog, hat die Lage richtig erfaßt. Österreich hat seine alten Nücken, und der Krieg ist nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig.« Das friß du, geckenhafter Dummkopf mit deinem Bronzegesicht! Er wußte genau, daß Grammont nicht reinen Mund halten werde. Je mehr er scheinbar heimlich drehte, desto sicherer schüchterte er das Ministerium Belcredi ein. Denn Österreich wünschte zurzeit keinen Krieg wegen innerer Wirren, und eine alte Erfahrung lehrte, daß niemand leichter in Angst gerät als der Bramarbas, dem man mit gleichen Waffen dient. Deshalb unterstrich er noch, als er nach Regensburg fuhr, um den bayerischen Premier v. d. Pforten zu bluffen. Der König ging vorauf, und es fand dort ein förmlicher Staatsrat statt, zu welchem die preußischen Gesandten aus Wien und Paris erschienen. Goltz pflegte immer noch Beziehungen zur Wochenblattpartei des Strebers Bethmann-Hollweg und betrachtete sich als baldigen Erben des Ministerpräsidenten. Er gab daher nur zögernd und ausweichend Bescheid über seine Eindrücke bei Napoleon und hielt für angemessen, zu bremsen. Der König blieb aber fest. »Ich binde Ihnen aufs Herz,« beauftragte er Otto, »alles Mögliche zu versuchen, um den Waffenkonflikt zu vermeiden. Bleibt aber Österreich dabei, ein falsches Spiel zu treiben und unsere gerechten Ansprüche zu durchkreuzen, so will ich Ernst machen. Wir müssen Kiel haben, darauf bestehe ich unbedingt.« Die militärische Seite der Frage, von Otto schlau in den Vordergrund gerückt, hatte den König entscheidend bestimmt. Kiel, Kiel! Eine Flotte und die Befestigung von Sonderburg, um gegen Norden gesichert zu bleiben! Verstärkung der Wehrkraft durch die Herzogtümer! Das gab den Ausschlag. –

Otto machte denn auch v. d. Pforten gegenüber aus seinem Herzen keine Mördergrube. Der Bayer erschrak vor solcher Eindeutigkeit, die ganz gelassen den Teufel an die Wand malte. »Der Krieg steht nach aller Wahrscheinlichkeit nahe bevor. Doch ich fasse es als bloßes Duell zwischen beiden deutschen Großmächten auf.«

»Bei dem das übrige Deutschland doch wohl den Sekundanten spielen muß.«

»Als Unparteiischer, mit Vergnügen. Warum nicht ganz als passiver Zuschauer?«

»Das dürften doch wohl vitale Interessen verbieten.«

»Inwiefern? Preußen – merken Sie auf meine Worte! – wird seine eigentliche Machtsphäre nie bis über den Main ausdehnen, nie! Nur Norddeutschland geht uns an.«

Der Bayer schien betroffen. »Man weiß, daß Sie es lieben, die Wahrheit zu sagen. Ist das so?«

»Mein Wort darauf. Übrigens wird ja die Entscheidung nicht lange auf sich warten lassen. Ein einziger Stoß, eine Hauptschlacht, und Preußen wird die Bedingungen diktieren.«

»Sie sind ungemein zuversichtlich. Wer bürgt Ihnen dafür? Halten Sie Österreich für so schwach?«

»Keineswegs, es ist militärisch sogar stärker, als Dilettanten glauben. Aber wir sind stärker, und davon wissen Dilettanten erst recht nichts. Nun, den Mittelstaaten gebietet ihr Lebensinteresse, irgendeine Stellung zu nehmen.«

»Wenn Preußen dies ermöglicht! Beust warnt aber davor, daß der sächsische Boden sicher nicht respektiert werde.«

»Wenn Beust seines Herzens Dichten und Trachten – böse von Jugend auf, sagt die Bibel – im Anschluß an Österreich enthüllt, dann gewiß nicht. Sonst aber sicher. Wir achten jede Neutralität.«

»Man sagt aber, strategische Rücksichten – siehe den Siebenjährigen Krieg – würden zur Verletzung Sachsens zwingen.«

»Die Strategie paßt sich der Politik an. Wir können den Krieg durchaus lokalisieren, indem wir den Stoß nur aus Schlesien ansetzen. Unsere kompetenteste Autorität, der General v. Moltke, hat dies ins Auge gefaßt. Außerdem ist Ihnen ja unbenommen, die bewaffnete Neutralität zu proklamieren.«

»Sie werden jedoch nicht verkennen, daß dies eine Maßregel á deux mains ist und man stets aus der Neutralität heraustreten kann.«

»Gegen den Schwächeren natürlich. Darauf lassen wir es ankommen. Vae victis. Wollen Sie jedoch erwägen, daß Bayern der natürliche Anwart auf Österreichs Machtstellung in Süddeutschland sein würde. Sind die Zeiten vergessen, wo Bayern aus berechtigter Abneigung gegen Österreichs Übergriffe sich mit Frankreich verband? Heute braucht es sich nur mit dem deutschen Preußen zu verbinden.«

Das Ergebnis der Unterredung bestand darin, daß Bayern entschiedene Abneigung bekundete, dem »gänzlich verfahrenen Karren der österreichischen Politik«, wie der vorige leitende Minister Schmerling sich ausdrückte, hilfreich in die Achsen zu greifen. –

Gastein! Der k. k. Unterhändler Graf Blome stellte sich vor, und das Unterhandeln ging los. »Ich muß mir strengste Verschwiegenheit ausbitten«, begann der Unterhändler. »Seine Majestät, der Kaiser, hat dies ausbedungen, indem er die Hand zur Versöhnung der Gegensätze bot. Unter keinen Umständen dürfen andere Mächte davon Witterung bekommen, daß wir das gemeinsame Kondominat durch Annexion teilen wollen.«

»Einverstanden, es liegt ganz in unserem Interesse, dies letzte Auskunftsmittel, womit wir die Risse verkleben können, geheim zu halten.« Doch er fürchtete des Königs unselige Schwäche, seine Gemahlin zu tief in Politisches einzuweihen, und flehte ihn in dringlichem Briefe an, einen schon abgesandten Feldjäger telegraphisch zurückzurufen, weil der König sich wenigstens halbe Andeutungen über eine Administrationsteilung (nicht Besitzergreifung) nach Koblenz entschlüpfen ließ. Bekäme man durch Familienindiskretionen nach London und im Augustenburger Lager davon Wind, so werde ein Sturm losbrechen und das Mißtrauen Franz Josefs geweckt werden, so daß daran die Verhandlung scheitern könne. Dahinter aber stehe dann unmittelbar der Krieg. Der König schrieb sofort freundlich an den Rand: »Einverstanden.« Er dachte übrigens skeptisch über den angebahnten Ausgleich und meinte: »Man ist doch für Augustenburg zu stark avanciert, um so sehr zurückzustecken. Werden Sie das wirklich deichseln?«

»Ich hoffe so. Unsere einzige Besitznahme gäbe man nicht zu, aber man kriegt doch Holstein, und damit läßt sich prunken. Auch fürchtet man den Krieg. Die Zeiten von Olmütz sind heute wiedergekehrt, nur vice versa

»Dank Ihrer vortrefflichen Leitung meiner Regierung!« Der König drückte ihm die Hand. Es erregte ihn freudig, daß so die Olmützer Schmach getilgt sei. »Aber die Mittelstaaten opfert Österreich ja dann auch, ich meine deren Parteinahme für den Erbprinzen. Und auch dazu sollte es sich verstehen?«

»Es wird und muß, weil es der Entscheidung ausweichen will, die auf des Messers Schneide steht. Die Kleinstaaten mögen also lernen, wie wenig das Wiener Kabinett sie achtet und wie leicht es sie im Stiche läßt.«

Otto dachte an einen merkwürdigen Traum. Als er den schwarzen Adler erhielt, stellte sich unter den schriftlichen Gratulanten auch sein alter Schullehrer, Direktor Bonnel, ein. Das rührte ihn so sehr, daß er sich eines Abends aufmachte und dem alten Herrn einen Besuch abstattete. Er plauderte von Biaritz und von den vielen Drohbriefen, die er erhielt. »Die Leute inkommodieren mich und sich. Mordanschläge – Träume sind Schäume. Der politische Mord erwirkt meist das Gegenteil. Siehe Harmodius und Aristogeiton, siehe Brutus und Cassius, was Ihnen, mein hochverehrter Lehrer, am geläufigsten ist. Doch ›Träume‹ sind so eine eigene Sache, und in Biaritz, wo ich mich so sauwohl fühlte – pardon für den rohen Ausdruck! – träumte ich mal sonderbar. Darf ich das erzählen?«

»Wir alle sind ganz Ohr«, versicherte der andächtige Familienkreis.

»Ich ging und ging auf Gebirgspfaden, bis ich plötzlich vor einer hohen engen Wand stand, neben ihr ein unergründlicher Abgrund. Sie kennen alle die Geschichte von Kaiser Max an der Martinswand. So war mir zumute. Doch kein hilfreicher Jäger kam mir zu Hilfe. Da sagte ich mir: du mußt umkehren. Da übermannte mich der alte Trotz, und ich schlug mit meiner Reitgerte gegen die Wand. Was geschah? Sie verschwand auf der Stelle, und der Weg wurde frei. Was sagen Sie dazu? Ist das ein Omen?«

Nach verschiedenen Gutachten über die Bedeutung von Träumen und Traumbüchern verabschiedete er sich: »Muß gehn, sonst ängstigt sich meine Frau.«

Ob die Wand so rasch verschwand, wenn er mit der Wünschelrute ausholte? Immer noch zu früh. Heute schon der 10. August, man muß sicher Krieg führen. Unsere Vorbereitungen militärisch noch nicht ganz beendet. Napoleon doch etwas unsicher, ich möchte ihn erst sondieren. Mit Italien noch nichts Festes. Intervention von irgendwem möglich. Sympathie für Österreich in der Armee infolge der Waffenbrüderschaft. Vorliebe des Königs für die alten Traditionen. So empfiehlt sich, einen letzten Termin in zwölfter Stunde zu stellen. Bleibt Österreich verstockt, dann werden König und Armee zur Besinnung kommen, daß Frieden nicht möglich sei. Nur nicht zu eifrig schreien! Auf die Jagd gehen! Kopfschuß über die Schlucht! Brutaler Lärm des Wasserfalls Tag und Nacht: Bächlein, laß dein Rauschen sein! Viel verlangt, da doch der eine Gedanke in meinem Hirn es nicht anders macht! Sonne? Is nich, dunkle Erinnerung besserer Vergangenheit. Feuchte Schwüle. »Ungewißheit, ob man vom Regen oder Schweiß naß wird,« schrieb er in seiner anschaulichen Art an Nanne. »Keudeken und Abel« tiefbedrückt, »was sie trinken sollen, schlechtes Bier, damit sie nicht schlechteren Wein trinken.« Adelheid, die Kultusregentin, war auch wieder da und wollte ihm »seine Häuslichkeit ersetzen«. Es gibt noch gute Menschen, mich schaudert.

Graf Blome schauderte auch vor solcher Hartnäckigkeit, verborgen unter gemächlicher Nonchalance. Doch da war nichts zu machen, er unterschrieb am 14. August. Schleswig annektiert, Kiel gesichert, Lauenburg an Preußen abgetreten. Als der König an der Becksteiner Kirche vorbeikam, erhob sich Otto vom Steinsitz, wo er mit Edwin Manteuffel plauderte: »Heil dir, Than von Schleswig! Heil dir, Than von Kiel! Heil dir, Than von Lauenburg!« Er hätte im Stil der Macbethhexen fortfahren sollen: Heil dir, der du einst Herr der Deutschen sein wirst! Doch er verschluckte es klüglich. Der König lacht herzlich. Der Hohenzollern-Geschmack am Erobern erwachte in ihm, und er fühlte sich sehr wohl in der Haut, die sein kühner Berater ihm zuschnitt. Er antwortete in gleichem Ton: »Auf nach Ischl!« Dort sollte der Kaiser sich einfinden, um dem Vertrag die volle Genehmigung zu geben.

Otto dachte behaglich an den früheren Bündnisabschluß in Gastein mit Rechberg. Er erfuhr nachher, dieser habe Bedenken gehabt, ob man ihn nicht einseifen wolle, und ob der Preuße nicht eine tückische Seele sei. Dies zu probieren, dafür gab es ein einfaches Mittel. Jeder Mensch entpuppt seine wahre Natur beim Kartenspiel. Er schlug ein Ecarté vor. Sein Partner spielte miserabel, verlor viel Geld, zeigte nicht die geringste Gereiztheit, sondern gähnte und lachte. Ein guter Mensch ohne Arg!

Als er mit dem König nach Salzburg fuhr, befiel ihn wehmütige Zerstreutheit. Vor achtzehn Jahren erklomm ich hier mit Nanne den Schafberg. Und jetzt sitzt sie in Homburg am Taunus mit der Tochter, die uns damals noch unbekannt war! Die Kaiserin-Witwe Franz II. verlebte hier ihre letzten Jahre, man dinierte bei ihr und vernahm allerlei aus der verblichenen Ära.

»Eure Exzellenz kannten Metternich? Ach, war das ein großer Mann! Er ging ganz auf die Intentionen meines hochseligen Gemahls ein. Franz der Gütige oder der Weise, wie seine Völker ihn nennen, bewies ihm stets seinen allerhöchsten Dank. Er war so dankbar.« Ja, das lernten die Tiroler Kindsköpfe. Ob die hohen Herrschaften sich wirklich dem Wahne hingeben, ihre offiziellen Legenden würden im Volke fortleben? Freilich sind die Völker ja unmäßig dumm, und die Wiener schwärmten wirklich für den seligen Franz II., einen der herzlosesten Tyrannen und Selbstlinge, die je gelebt, weil er Wiener Dialekt sprach und hier und da mal einem kriechenden Bürgersmann ein paar Gulden schenkte. Er hat so a tiafs Gemüet. Wer wie Otto immer in den »höchsten« Kreisen verkehrt, bekommt einen seltsamen Begriff von Geschichte, die sich vor dem Forum der Nachwelt ganz anders liest. Das Edelweiß wächst nur auf Höhen, doch das Edelweiß der Wahrheit wächst eher in sozialen Niederungen. Wer also wie Otto ungetrübten Blick bewahrt, gerät in steten heimlichen Zwiespalt. Die höfische Atmosphäre verschwistert sich nie der freien Gottesluft da draußen. Mürrisch schrieb er an Nanne aus Ischl, wo es eitel Freundschaft und Einigkeit schien: das Hofleben strenge noch mehr an als die Geschäfte. Aus der politischen Wüstenei blicke er wie ein nächtlicher Wanderer nach dem Lichte der Herberge, nach dem häuslichen Herd.

Der Kaiser in seiner weißen, goldstrahlenden Uniform und den scharlachroten Paradehosen führte die schöne, junge Kaiserin am Arme, deren merkwürdige und unheimlich liebreizende Augen an den bayrischen Thronerben erinnerten. Doch der schlichtere König Wilhelm sah entschieden am vornehmsten aus. Von der Kaiserin Elisabeth sagte man, daß sie nur für zwei Dinge schwärme: die Ungarn und Heinrich Heine, beides recht verfängliche Gegenstände für ein k. k. Herz. Wenn ich den Namen Ungarn hör', wird mir das deutsche Wams zu enge, hatte der nämliche deutsche Verbannte gesungen, den nun fern im Père Lachaise der Rasen deckte. Und doch wußte er von Ungarn nichts als die toll übertriebenen Heldenmärchen der ungarischen Revolution. Werden die Deutschen, Männlein und Weiblein, nie vernünftig werden? Wenn sie nicht Franzosenaffen sind, müssen sie sich ausgerechnet für Ungarn begeistern, das ihnen das schöne Sprichwort aufklebte: »Der Deutsche ist ein Hundsfott.« –

Aus Baden-Baden schickte er Nanne zwei Aufnahmen, die ein taktloser Photograph ihm abgenötigt hatte. Die damals regierende Primadonna Lucca, die sich einen v. Rhoden als Ehemann gekauft hatte, eine kleine, dicke, muntere Person, drängte sich an den hochmögenden Ministerpräsidenten an und hing sich an seinen Arm, was er gutmütig geschehen ließ und in Badelaune scherzte. Solch ein historischer Augenblick, wo zwei solche Berühmtheiten zusammenstanden, durfte ein Geschäftsmann sich nicht entgehen lassen: schwupp war die Photographie da, wozu Otto jovial und arglos Beifall nickte. Wie ward ihm, als er bald darauf durch eine salbungsvolle Epistel des Predigers v. Roman, eines Jugendbekannten, das Ärgernis erfuhr, das er damit allen gottseligen Kreisen gegeben habe! Das kommt davon, wenn man gottlos sich den Lüsten dieser Welt hingibt und sieben Monate in kein Gotteshaus ging, worüber man treulich Buch geführt hatte!

Jetzt wurde er auch noch nach Koburg gehetzt, wo Ihre Großbritannische Majestät eintrafen. Großes Familienkonklave. Der Kronprinz in seiner hellblauen Dragoneruniform mit gelbem Kragen, später mit weißem Kürassierkollet seines Leibregiments abwechselnd, sah sehr gut aus. Ein blauäugiger Germanenrecke mit langem, blondem Vollbart und dabei sanftmütig und friedfertig wie jeder deutsche Michel, soweit es Kriege betraf, die er von ganzer Seele verabscheue. So beteuerte er seiner Schwiegermama, in deren Kolonialreich der Krieg sozusagen nie aufhörte und die selber für den blutigen Krimkrieg sich begeistert hatte, aber in Deutschland als die edle Pazifistin jeden Krieg verbat. Denn man unterscheide wohl: Kriege von schnöden Kontinentalen sind sündhaft, dagegen Englands Kriege höchst tugendhaft und geradezu menschenfreundlich. Es geht dabei schmerzlos zu wie bei bewährten Zahnausreißern, man merkte es kaum...

Bald mußte er der Übernahme der neuen preußischen Landschaft Lauenburg beiwohnen, wobei der König auf einem Thronsessel seinen Minister neben sich stehend hatte. Und zwar hieß dieser jetzt Graf, denn Mitte September erhob ihn der Monarch in diesen »Stand« als Lohn so »hoher Verdienste«, da Preußen durch seine »Umsicht und Einsicht« endlich eine Stellung einnahm, »die seiner Geschichte würdig ist«. Otto sträubte sich anfangs mit komischem Schrecken: »In Pommern sterben alle Grafen aus, und ich bin doch ein halber Pommer. Man nennt dies abergläubisch, doch ich hänge nun mal daran, habe es vielleicht von meiner Mutter geerbt. So vollziehe ich z. B. Freitags kein wichtiges Geschäft. Mag man mich auslachen, ich habe nun mal die Antipathie.« –

Die Veröffentlichung des Gasteiner Vertrages erregte natürlich allgemeine Aufregung. Während Lord Russel von »brutaler Gewalt« sprach, zeigte sich Napoleon keineswegs so freundlich, wie man gerechnet, sondern bezeichnete diesen Staatsakt als Raub in einer Zirkularnote. »Ich muß versuchen, ihn persönlich umzustimmen,« stellte Otto seinem Herrn vor, der jedoch davon nichts wissen wollte.

»Die Würde der Krone erlaubt dies erst, wenn Frankreich seine verletzenden Ausdrücke zurücknimmt.« Auffallenderweise ließ Napoleon sich dazu herbei, und der preußische Minister brach eilig nach Biaritz auf, natürlich unter dem Vorwande, seine Gesundheit bedürfe dieser Bäder, die ihn schon zweimal kräftigten.

*

Als in Baden der Musiker Joachim, der seine Geige »wunderbar gut streichelte«, und das Gräflich Flemmingsche Ehepaar ihn mit süßen Tönen einlullten, hatte er wirklich an die mondbeglänzte Zaubernacht von Biaritz und Kathi Orlows Spiel gedacht. Aber als er am 20. Oktober in der wohlbekannten Station ausstieg, sah er wenig mehr von den Reizen dieser himmlischen Natur. Er kam sich vor, als säße er noch am 20 Fuß im Durchmesser kreisrunden, grünbehangenen Bundestagstische und höre das grämlich eintönige Plätschern des Redeflusses. Ein Strafgefangener, der seine Galeerenkette mitschleift, wird man ein Sklave des Amtes, dem man nie entrinnt. Eine hübsche Badekur wird das hier werden! Ich muß irgendwie Napoleon Sand in die Augen streuen. Soll ich vielleicht den wilden Mann spielen, den ungeleckten Bären voll polternder Aufrichtigkeit? Die Rolle liegt mir ...

Napoleon empfing ihn kühler als sonst, was Otto nicht zu bemerken schien. Früher in Paris hatte man ihn in zeremoniöser Haltung gesehen, jetzt schlug er einen lauten, fröhlichen Ton an wie ein Schulbub in den Ferien. Es fiel nicht als unnatürlich auf, weil es zur freien Naturumgebung paßte.

Der Kaiser, immer in Zivil, doch in elegantem Gehrock, den glattgebürsteten Zylinder auf dem schweren Haupte, sah manchmal, wenn sie zusammen promenierten, verstohlen von der Seite zu diesem burschikosen Nordlandshünen auf, in salopper Joppe, einen zerknüllten, riesigen Filzhut übermütig aufs eine Ohr gestülpt. Sein dröhnendes Lachen hatte etwas Ansteckendes, er sprach laut und lärmend, schien sich völlig gehen zu lassen und setzte die Badegäste durch seine endlosen Fußtouren in Entsetzen, wenn er schweiß- und staubbedeckt zum Strande zurückkehrte. Nur an der kaiserlichen Tafel legte er den schwarzen Leibrock und die weiße Binde an. Sonst hielt sich alles auf über seine unvorschriftsmäßige Kleidung, sein völliges Verleugnen jeder Gêne, als ob er sich allein auf einer fremden Insel befinde.

»Er hat aber doch die Allüren eines großen Herrn«, urteilte der geistvolle Schriftsteller Prosper Merimée, der sich beim Kaiserpaar besonderer Beliebtheit erfreute und zurzeit bei Napoleon den Rang eines Vertrauten und befreundeten Günstlings einnahm.

»Finden Sie? Ja, er ist ein reizender Mensch, doch seine Politik ist nicht immer reizend.« Im Deutschen hätte er das Wortspiel hinzufügen können: »aber sie reizt«. Otto tat so, als vermeide er am liebsten politische Gespräche, froh, endlich Ferien zu haben. » Mais il est fou!« wisperte Napoleon seinem Vertrauten zu, auf dessen Arm er lehnte, während der lange Preuße zu seiner Linken allerlei Schnurren erzählte, Steine in die Brandung warf und mit dem Spazierstock Fechterstreiche in die Luft beschrieb. Daß er nicht die Marseillaise oder ein Kommerslied anstimmte, nahm wunder. Merimée antwortete nicht und schüttelte leicht den Kopf. Abends schrieb er an seine Geliebte (»Briefe an eine Unbekannte« hieß die Sammlung nachher im Druck): »Er hat mich ganz gewonnen, wie er auch den Kaiser bezauberte durch seinen Freimut und den Charme seiner Manieren.« Doch die politische Bezauberung ging nicht so glatt von statten. Napoleon schmollte.

»Unter uns, mein Lieber,« warf er hin, »Sie haben uns eigentlich dupiert, und niemand liebt so etwas.«

»Ich fühle mich ganz unschuldig, Sire. Sie zielen darauf hin, daß ich früher nie von Möglichkeit einer Annexion sprach? Natürlich nicht, denn ich dachte ja nie daran.«

»Dann haben Sie ein merkwürdiges Unglück, denn wenn man sich zwei und zwei zusammenzählt, kommt man zu der Rechnung, daß Sie allerlei Theorien aufstellten – von Rückgabe an Dänemark bis zu selbständigem Kleinstaat – und dabei, praktisch immer, auf etwas anderes lossteuerten, was wir da jetzt vor Augen haben.«

»Mein Gott, Sire, die Ereignisse wuchsen mir über den Kopf. Und dann unsere Militärpartei! Das werden Eure Majestät an Ihren eigenen Generalen kennen. Diese Herren möchten immer erobern, mit dem bloßen Ruhm begnügen sie sich nicht. Für solche Siege wie Düppel und Alsen verlangen sie etwas Handgreifliches.«

»Ja, ja, Sie hätten am liebsten die ganze Beute eingesteckt und müssen jetzt mit Österreich teilen.« Otto seufzte ostentativ, Napoleon lachte. »Das schmerzt Sie, wie? Ist Ihre plötzliche Liebe zu Österreich wieder erkaltet? Schon? Was wird erst kommen, wenn Sie sich in Ihren abgesteckten Provinzen zanken!«

»Wenn die Österreicher uns belästigen, werden wir sie hinausjagen.« Er sagte es ruhig und bedächtig.

»Ah, ah! Fängt das schon an? Sie haben wohl einen kräftigen Gouverneur in Schleswig eingesetzt?«

»Den General Edwin v. Manteuffel, einen sehr energischen Mann.«

»Je energischer, desto schlimmer. Sie werden uns noch eines Tages Europa in Brand stecken.« Napoleon freute sich unbändig. »Was hat Sie denn eigentlich zur Freundschaft für Österreich bekehrt?«

»Sie sind falsch unterrichtet, Sire. Von Freundschaft war bei dem allen keine Rede, sondern von harter Notwendigkeit. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel.«

»Ach, geh'n Sie! Es war für Sie ein gutes Spiel, sollt' ich denken. Jedenfalls darf ich Ihnen jetzt keine Versprechen mehr geben wie in früherer Zeit. Preußen hat die Ratschläge Frankreichs nicht befolgt, ich behalte mir daher meine eigene Initiative vor.«

»Wir erwarten sie mit unendlicher Spannung.« Otto verneigte sich tief. »Eure Majestät bleiben gewiß stets eingedenk, daß sich die allgemeine Lage bei unserem staatlichen Verhältnis nicht verschob. Preußen ist immer noch Ihr natürlicher Verbündeter bei gewissen Verwicklungen, die wohl nicht lange auf sich warten lassen.«

»Hm! Bah! Wie schön die Brandung sich kräuselt, nicht wahr? Kommen Sie morgen zum Frühstück! Adieu!« –

Otto kannte Louis' schwache Seite: sie hieß Italien. Sich in fremde häusliche Angelegenheiten einmischen, gebot ihm seine innerste Natur, und er verband mit der Härte eines Ränkeschmiedes die unklare Schwärmerei eines Träumers, der einem Eldorado nachjagt. Er glich einem Konquistador der Pizarrozeit, zwei Drittel Straßenräuber, ein Drittel Enthusiast. Italien bis zur Adria vereinen und es so als Vasallenstaat durch Pflichten der Dankbarkeit an sich fesseln, gaukelte ihm als Lieblingstraum vor. Otto begann gelegentlich von seiner Hochzeitsreise nach Venedig zu erzählen und vertiefte sich mit dem sachkundigen Merimée in eine Schilderung der alten Stadt Venetiens. Napoleon wurde bei Erwähnung Venedigs schon unruhig. Jetzt ergriff er Otto am Arme und führte ihn im Garten der kaiserlichen Villa umher, angeblich, um ihm seltene Pflanzen zu zeigen, tatsächlich, um jedem Lauscher zu entweichen.

»Haben Sie Venetien an Österreich garantiert? Ja oder nein? Ich frage Sie als Freund und bitte mir unumwundene Wahrheit aus.«

»Nein, Sire, mit keiner Silbe. Wir hätten dafür wohl Holstein bekommen, doch wir wollten nicht.«

»Bravo! Sie stehen ja auch gut mit Florenz, wie ich weiß.«

»Sehr, und wir werden uns noch besser stehen.«

»Wann? Haben Sie Absichten einer Allianz?«

»Gewiß. Ich wiederhole, Sire, mein Standpunkt Österreich gegenüber ist stets derselbe.«

»Schön! Dann haben wir uns mißverstanden. Es geht doch nichts über offene Aussprache unter Freunden. Sie denken also immer noch an ... an ... Sie wissen schon, was ich meine.«

»Ich denke daran, weil ich muß.«

»Ja, wenn Sie müssen, dann ist nichts mehr zu sagen. Wen sein Schicksal drängt, der hört eine unbezwingliche innere Stimme.« Seine eigene Stimme klang feierlich, sein Schicksalsaberglaube beherrschte ihn in solchen Augenblicken. »Ich selbst perhorresziere jede Gewaltsamkeit.« Otto dachte an den Spruch des Onkels: Über den unterworfenen Erdkreis herrschen wir ohne Gewaltsamkeit! »Ich, in der Schule des Unglückes erzogen, durch die Vorsehung und den Willen der Franzosen einer hohen Bestimmung zugeführt, betrachte mich als den natürlichen Vermittler von Fürsten und Völkern.« Dieser ideologische Größenwahn sah in der Nähe so süßlich fad aus, wie ein Porträt der Kaiserin Eugenie von Winterhalter. Doch dieser Hofmaler malte damals alle Potentaten zu ihrer vollen Zufriedenheit, der geleckte Kunstfirnis machte sich aus der Ferne erträglicher, und Louis' Phrasen wirkten in die Ferne besser. »Wollte ich nicht damals durch den geplanten Weltkongreß ein Pfand meiner Friedensliebe geben? Gerade ich, dem man am meisten ehrgeizige Absichten zuschreibt. Nichts dergleichen schwebt mir vor, ich will ein ruhiges Gewissen haben, wenn ich von hinnen scheide.« Ade, du schnöde Welt! Otto hätte sich am liebsten nach Mexiko erkundigt, wo Louis' abenteuerliche Ehrsucht spazieren ging. »Nicht durch Waffen, sondern durch ordnende Weisheit sollte man politische Kombinationen lösen und gruppieren.« Das paßt ihm so. Denn im Grunde haßt er das rauhe Handeln, mehr Fuchs als Löwe, und hält sich für einen Rechenkünstler wie die Dominospieler im Café Riche: wer zuletzt eingreift, gewinnt die Partie. Seine natürliche physische Trägheit schreibt ihm solche Kalküls auf lange Hand vor, und seine Rechenexempel bleiben ein Stück Papier. Während der rechnet, handelt ein anderer. »Nun, Sie haben nicht solche feste Systeme wie ich sie aufbaue. Ich bestaune Ihre reizvolle Inkonsequenz. So z. B. hatten Sie nichts eiligeres zu tun, als für die amerikanischen Nordstaaten Partei zu ergreifen, Sie, der Antidemokrat für die übermütigste Demokratie.« Dies war jetzt gerade ein wunder Punkt für Napoleon, der auf Niederhalten der Union gerechnet hatte, um sein mexikanisches Zaubermärchen auszuspinnen. Solche Theorien aus Tausendundeiner Nacht mit seiner Eugenie als Scheherezade regten seine träumerische Einbildung an.

»Sire, hier war die Demokratie die rechtmäßige Regierungsgewalt. Ich bin immer auf Seite starker Regierungen und auf Seite der Sieger. Nichts ist erfolgreich als der Erfolg, sagt das französische Sprichwort.«

»Ach, wie traurig, nach dem äußeren Erfolg zu urteilen! Grundsätze stehen mir höher. Doch was ich sagen wollte – Sie teilen meine Skrupel nicht, Sie wollen einen grausamen Krieg. Mein Militärattaché Oberst Stoffel an Ihrem Hofe sendet mir sehr eingehende, vielleicht etwas übertriebene Lobeserhebungen über Ihre Armee. Auch Ihr neues Gewehr soll große Vorzüge haben. Wir bereiten etwas ähnliches vor, auch einen Hinterlader, das Chassepot.« Er öffnete einen Augenblick sein mattes Auge zu einem ziemlich tückischen Seitenblick. »Nun gut! Was sagen Sie zu der kleinen Grenzberichtigung, die ich damals wünschte?«

»Das geht weniger Preußen als Deutschland an. Darauf läßt sich keine bestimmte Antwort geben, weil ich nicht weiß, wie die Süddeutschen sich zu dem kommenden Konflikt stellen werden. Doch warum suchen Eure Majestät die Grenzberichtigung nicht in Luxemburg und Belgien?«

Louis blieb stehen. Eine matte, düstere Flamme glimmte in seinem verschleierten Auge. Belgien! Sein anderer Lieblingstraum! »Würden Sie dazu die Hand bieten?«

»Warum nicht! Wenn wir unsere Garnisonen am Rhein in dem bewußten Falle entblößen dürften,« beide sahen sich an, »dann wäre ja der Augenblick da, um Kompensationen in angedeuteter Richtung zu suchen.«

Der Kaiser legte die Hände auf den Rücken und schritt eine Weile schweigend die Blumenbeete entlang. Dann entschloß er sich. »Hier meine Hand! Sie wollen schon morgen nach Berlin zurück? Nun, Sie tragen dorthin mit sich die Versicherung meiner wohlwollendsten Neutralität.«

Zu Merimée äußerte er später: »Ein sehr brauchbarer, tüchtiger Politiker, doch ich wiederhole immer noch, was ich früher urteilte, er ist nicht sehr ernst zu nehmen. Viel deutsche Träumerei. Die paar Siege über die Dänen stiegen ihm zu Kopfe, er glaubt, alles zerschlagen zu können. Die Österreicher sind stärker als er glaubt, wir erprobten es. Preußen wird in Bedrängnis geraten, die Überzahl muß es erdrücken, wenn das übrige Deutschland sich auf Österreichs Seite stellt. Das ist der Augenblick für uns, zu intervenieren. Ja, wir werden Venetien bekommen und manches andere ... was, weiß ich noch nicht ... der Krieg wird doch wohl von Preußen bezahlt werden, das ich jedoch vor Vernichtung bewahren werde. Ich sehe die Dinge klar voraus. Das ist mein wohlerwogener Entschluß. Der arme Bismarck tut mir leid, er ist ein Wagehals ohne richtiges Augenmaß.«

Ja, da war nichts zu machen. Wenn Louis so bestimmt redet, hörte er Widerrede mit so viel Nachgiebigkeit an, wie ein Granit Regentropfen auffängt. Er hörte zu, nickte freundlich und tat dann doch, was er wollte, nämlich das Gegenteil, er warf Dekrete in den Papierkorb, um deren Abschaffung man bat, und am selben Abend standen sie im Moniteur. »Mein sanfter Starrkopf« nannte ihn Mama Hortense schon als Knaben. So verkniff sich Merimée jede Antwort, doch in sein Tagebuch schrieb er gelassen: »Nur Herr v. Bismarck ist ein wahrer großer Mann ...« In späteren Jahren aber hieß der Preuße in Paris nur noch »Der Mann von Biaritz«, man raunte sich zu, dieser honigzüngige Ulysses habe den schlauen Empereur beschwatzt und überlistet.

*

Aber offenbar mit Opfer an Nervenkraft. Denn kaum betrat Otto wieder Berlin, als ihn erneut ein Anfall seines alten Leidens erschütterte. Das Gift arbeitete immer noch in seinem Körper, nicht völlig ausgeschieden. Er kränkelte in das Neujahr des zweiten großen Schicksalsjahres hinein. Zu seiner Erholung diente bis tief ins Frühjahr das tollste Rasen des inneren »Konflikts«. Die Beredsamkeit der Granaten, die Düppel niederschmetterten, prallte wirkungslos an den Säulen der Gelehrsamkeit ab, die eine Art päpstlichen Unfehlbarkeitskonzils ehrfurchtgebietend umstanden. Die Leuchten der Wissenschaft und des Liberalismus stellten sich nicht unter den Scheffel, sondern irrlichtelierten lustig weiter. Dieser erfolgreiche Junker, ein Mensch ohne jede tiefere Bildung, konnte doch sie nicht überreden, deren geläufige Zunge den Vortrag eines Sokrates mit der Schmähsucht eines Thersites verband. Professor Gneist, dies ambulante Bergwerk alles juristischen Wissens, tief und dunkel, fand wieder das erlösende Wort: »Ihre Armeereform trägt das Kainszeichen des Meineids auf der Stirn.« »Und Ihre Bemerkung trägt den Stempel der Arroganz und Unverschämtheit«, parierte Roon nicht minder hitzig.

Virchow der Gewaltige wagte sich an den Häuptling aller Verworfenheit selber heran und schleuderte ihm die Brandmarkung der Unwahrhaftigkeit ins Gesicht. »Was glauben Sie mit dieser Tonart auszurichten?« frug Otto gelassen. »Wünschen Sie wirklich, unseren politischen Zwist in Form der Horatier und Curiatier zu begleichen? Wenn so, ich bin bereit.« Und er sandte eine Forderung an den gelehrten Mann, der natürlich nicht die Wissenschaft eines ihrer Hohepriester berauben wollte. Auch hielt er den im Staatsexamen durchgefallenen Referendar nicht für satisfaktionsfähig. Er lehnte daher ab und empfing Dankadressen gläubiger Gemeinden für diese große, seines Weltruhms würdige Tat.

Eine Phäakenexistenz sei freilich behaglicher als eine spartanische – die Kammer gleiche der falschen Mutter im Urteil Salomonis, die lieber das Kind zerreißen will, als ihren bösen Willen aufgeben – solche Degenstiche des alten Fechters von Göttingen gingen durch und durch, selbst durch die Watte der in Würde gepanzerten Professorenherzen. Die abstrakten Dogmen, an die sich dieser gelehrte Konstitutionalismus klammerte wie der Ertrinkende an den Strohhalm, verlockten sogar zu dem Schwabenstreich, die Erwerbung Lauenburgs ohne Einwilligung des Parlaments für null und nichtig zu erklären, sintemal der König nach der Verfassung nicht gleichzeitig »fremde Länder« beherrschen könne! Reiches Unterscheidung von Königtum und Herzogtum tat Otto als sprachliche Wortklauberei ab. Mit gleichem Recht könne man einen Greis ein Kind und ein Kind einen Greis nennen, weil die Grenzen ihrer verschiedenen Alter vorerst nicht festgestellt werden können. Und er zitierte vier Zeilen aus Heinrich VI. (3. Teil, 2. Akt, 1. Szene). »Gottswunder! Er zitiert Shakespeare! Wo er das wohl aufgelesen hat?« »Der Legationsrat Keudell, der ihm immer Musik macht wie David dem Saul, wenn der böse Geist über ihm ist – und das ist immer –, soll'n gebildeter Mann sein. Der hat ihm das wohl zugesteckt.« Die Kammer amüsierte sich nicht wenig, daß dieser rohe Junker ein Shakespeare-Belesener sein wollte. Ein neuer Skandal brach im Februar aus. Der oberste Gerichtshof hatte dahin erkannt, daß verleumderische Beschimpfungen der Regierung nicht unter die Freiheit der Rede für Abgeordnete fielen. Den Protest gegen solchen Verfassungsbruch, nach dem die löblichsten Injurien nicht mehr gestattet sein sollten, belegte der unerbittliche Staatsmann mit einer scharfen Rüge, daß die Kammer sich so weit vergesse. Diese geriet fast von Sinnen über solche Beleidigung, worauf er sie ohne weiteres wie unartige Schulbuben heimschickte, damit sie sich abkühle und zur Besinnung komme. Merkwürdigerweise erregte diese erneute Auflösung kaum einen Sturm im Wasserglase, denn alle Welt witterte, daß hinter den Kulissen viel wichtigere Dinge vorgingen als diese inneren Zänkereien, an die Preußens Lenker seine kostbare Zeit und Kräfte seiner wankenden Gesundheit verschwenden mußte.

»Das Majoritätsgeheul klingt überhaupt schon hohl und blechern«, äußerte er zu Roon. »Die Masse der Wähler steht schon lange nicht mehr hinter den Schreiern. Als im vorigen Oktober der allgemeine Abgeordnetentag nach Frankfurt ausgeschrieben wurde, wieviel preußische kamen da? Sage und schreibe: acht. Und ich muß es Twesten zur Ehre rechnen, daß er rund heraus erklärte: der 36er Ausschuß existiere nicht mehr für ihn und seine Gesinnungsgenossen, seit man Deutschland gegen Preußen aufhetze, die einzige Macht, die für Deutschland etwas tun könne. Ich weiß bestimmt, daß die um Twesten und Waldeck jede Alternative einer Niederlage Preußens vorziehen.«

»Das hätt' ich nie erwartet. Diese Querköpfe wollen auch noch Patrioten sein?«

»Das sind sie auch«, sagte Otto sehr ernst. »Und wir werden uns eines Tages vertragen. Nicht mit den eiteln Lärmmachern, die sich auf ihrem Katheder in der Aula glauben und denen ihr eigenes Prestige allem vorgeht. Aber mit den Vernünftigen darunter, sobald sie einsehen, daß wir im Grunde bezüglich der deutschen Frage an einem Strange ziehen.«

»An einem Strange? Wie, was? Ich will nicht hoffen.«

»Doch! Sie wissen, lieber Freund, wie gräßlich mir diese Virchows und Konsorten sind. Aber der Mehrzahl der Fortschrittler versage ich trotzdem nicht meine Anerkennung für die Beharrlichkeit, mit der sie nach ihrer Meinung das Rechte tun. Bei vielen von ihnen, wie diesem wackern Twesten, der doch am wenigsten Grund hat, unserer Regierung wohlzuwollen und sich dennoch als guter Preuße fühlt, wenn das Vaterland in Gefahr, handelt es sich am Ende doch um einen Gewissenskonflikt. In ihrem Herzen sind sie froh und stolz über das Ergebnis, den Gasteiner Vertrag bedauern sie eher als zu entgegenkommend für Österreich, weil sie den politischen Hintergrund nicht kennen, doch sie verlassen eben den Posten nicht, daß sie unter allen Umständen festhalten wollen an Verfechtung des sogenannten Verfassungsrechts.«

»Das ist eben die Rebellion, die wir niederschlagen müssen.«

»Sachte, sachte! Kinder unserer gemeinsamen Mutter möchte ich doch nicht so ohne weiteres niederschlagen, ich gebe ihnen nur väterlich die Rute, wenn's nötig. Da sind viele gute Kräfte, die wir später brauchen können. Sie haben mit Gneist einen Zusammenstoß gehabt und waren ganz im Recht. Doch Gneist ist ein höchst ehrenwerter Charakter und als Jurist bedeutend. Sybel wird eines Tages sich zu uns bekehren, das weiß ich. Natürlich ist mir der alte Ranke lieber, der als echter Historiker die Dinge aus einer gewissen Ferne auf sich wirken und die Zeitpolitik ungeschoren läßt. (Seine Werke liest man mit Genuß, ich empfehle sie Ihnen.) Da ist ferner ein Hitzkopf, der Holsteiner Mommsen, von dem mir Thiers in Paris erzählte, und der hier außerhalb der Kammer den schönsten demokratischen Randal macht. Wissen Sie, was ich von dem befürchte? Daß er den Bogen überspannen und nachher den Ultrapreußen hervorkehren wird, ganz in Treuen. Der wird eines Tages zetern, daß man nicht preußisch genug ist und Deutschland so aufsaugt, wie sein geliebtes Rom die Italiker. Aber zuguterletzt sind das doch alles Ehrenmänner, und wenn sie auch ihre demokratischen Phrasen niemals einsalzen werden, so müssen wir doch trachten, so gute Deutsche mal in unser Staatsschiff zu bekommen. Freibeuter und Piraten werden manchmal die besten Matrosen.«

»Ich vermag Ihnen nicht zu folgen. Wollen Sie im Kampf gegen die Kammer nachlassen?«

Otto lachte. »Nicht um Zollbreit. Ich kneipe nur a bissel Zukunft. Im Gegenteil ist mir das renitente Verhalten der Kammer sehr recht. Wir sprechen unter uns?«

»Eine Frage! Wir stehen und fallen zusammen.«

»Gut. Der König hält den Konflikt mit Österreich für zwar nicht erledigt, doch vertagt ad calendas Graecas. Ich aber sage Ihnen, die große Stunde naht. Nun, da ist mir lieb, daß man ihm nur die Wahl läßt, entweder das ganze Regierungssystem zu ändern, d. h. uns beide zu entlassen und das Parlament regieren zu lassen oder unwiderruflich auf dem betretenen Wege vorwärts zu schreiten. Er wird in ersteres niemals willigen, ergo

Roon strich sich halb bedenklich, halb schmunzelnd den Schnurrbart. »Wie weit sind wir denn?«

»Es steht so. Im Januar kam Karolyi, wie Sie wissen, mit unannehmbaren Instruktionen zurück. Österreich fängt richtig wieder an, mit dem Augustenburger zu spielen. Eine Volksversammlung solcher Tendenz in Altona hat es gemütlich geduldet. Ich drohte sofort mit Bruch der Allianz, wenn Wien fortfahre, den Wiener Frieden und den Gasteiner Vertrag zu mißhandeln. Man antwortete gereizt. Natürlich geht den guten Leuten jetzt ein Licht auf, daß sie in eine Falle gerieten, aus der es nur gewaltsamen Ausweg gibt. Sie waren dumm genug, nicht zu begreifen, daß schon die geographische Lage den Besitz Holsteins für sie wertlos macht. Und Edwin Manteuffel in Schleswig versteht sein Amt, streng und doch gutmütig gewöhnt er die Einwohner an preußische Ordnung und Wohlfahrt und drückt zugleich auf Holstein, so daß der österreichische Kommissar seines Lebens nicht froh wird. Auch schwand der Nachteil der Gasteiner Konvention, daß unser Anbandeln mit Italien ins Stocken geriet. Im vorigen Dezember erlebte Österreich den Schmerz, daß wir als Herren der deutschen Zollunion den Handelsvertrag mit Italien durchsetzten, wobei die Mittelstaaten also das neue Königreich anerkennen mußten. Österreich tobte, dies seien die Folgen von ›Biaritz‹, und ich hätte meine tückische Seele gezeigt.« Er lächelte unheimlich. Ihn hatte das Nibelungenlied vorgeahnt: Der grimme Hagen blickte über die Achsel hin. In aller Welt was frag ich wohl nach Krimhildens Groll! Anders empfand Roon die Sache:

»Allianz mit der Revolution, mit diesem Usurpator-Re war mir nie sympathisch. Unsere – ich darf heute wohl nur sagen: meine – Kreise sträuben sich dagegen.«

Otto zuckte die Achseln. »Der Michel bleibt sich immer gleich. Dort ist er prinzipientreu aus Liberalismus, hier aus Konservatismus und ein biederer Dummkopf immer. Weiß Gott, wenn ich nicht wüßte, daß jeder Blutstropfen in mir unverfälschtes niedersächsisches Geblüt ist, ich würde mich für einen Fremdling halten.«

Dazu verstieg sich seine Bescheidenheit nicht, zu begreifen, daß die deutsche Nation als die eigentlich geniale notwendig auch das größte politische Genie aller Zeiten hervorbringen mußte. Doch bleibt sie deshalb immer noch dem Fluch verfallen, erbärmliche Diplomaten zu haben. Denn die innerste deutsche Natur ist unpolitisch. Und da die Deutschen unglaublich viele Genies, doch weniger ordinäre Talente als das Ausland hervorbringen, und im Staatsleben nur äußerst selten oder nie (ohne Revolution) die Genies an die Oberfläche kommen, so sind sie verraten und verkauft, bis die Gewalt ihrer Waffen die Lage ändert. In Deutschland sollten, da auf Erscheinen eines Genies in »höheren« Ständen nicht zu rechnen, immer nur Militärs die Diplomatenposten bekleiden, denn hinter denen steht doch wenigstens immer ein realer Wert. Der Militärattaché an den Botschaften ist fast immer der helläugigere, unbeirrbarere, pflichttreuere Diplomat. Aber war es denn nicht sinnbildlich, daß Otto am liebsten in Uniform erschien, daß er gänzlich dem kgl. preußischen Offiziersgeist verfiel?

»Geht's denn nicht anders?« frug Roon halb beleidigt, halb kleinlaut.

»Woher sonst Verbündete nehmen? Von den lieben deutschen Brüdern erwarte ich höchstens Neutralität. Italien aber haben wir immer sicher, solange es sich im ›Krieg ohne Herolde‹, wie die alten Griechen es nannten, gegen österreichisch Venetien befindet. Es steht immer auf dem Sprunge, wenn wir nur wollen. Allerdings hat es, durch den Gasteiner Vertrag abgeschreckt, von Österreich etwas auf friedlichem Weg der Geldentschädigung abhandeln wollen, doch erfuhr eine brüske Abweisung. Jetzt wird ein General Govone herkommen unter dem Vorwand, unser neues Geschützmaterial zu besichtigen und das System unseres Festungsbaus zu studieren.«

»Ist es schon so weit, um loszuschlagen?«

»Nein, ich werde abwinken. Wir haben noch einige Stadien zu durchlaufen. Trotz dem großen ›Marschallsrat‹ in Wien wird dort noch nicht gerüstet, und unser neulicher Staatsrat, zu dem Moltke hinzugezogen, ergab wohl unsere militärische Bereitschaft, doch nicht den Willen des Königs, ohne Provokation den Bruch zu vollziehen. Die Wiener werden schon dafür sorgen, daß es daran nicht fehlt.«

»Man muß sich in die Seele Seiner Majestät versetzen«, entschuldigte Roon. »Es muß ihm schwer genug fallen, mit all seinen Herren Brüdern und Vettern zu brechen. Vergessen wir dabei nicht das Ewigweibliche! Unsere Königin-Witwe, die Kaiserin von Österreich, die Königin von Sachsen sind alle bayrische Prinzessinnen und da spinnen sich Fäden hin und her. Dagegen läßt sich nichts machen. Und doch hat der König sich schon vor Ihrer Ministerschaft ernstlich mit dem Gedanken beschäftigt, den Kampf aufzunehmen. Lesen Sie nur einen Artikel vom Mai 1862 in der Berliner Allgemeinen, dem Organ der Altliberalen! Ich habe das Blatt verwahrt. Es war eine Korrespondenz ›vom Main‹. Die mißkannte Situation Preußens wird darin beleuchtet und versichert, der König sei entschlossen, in der deutschen Frage eine Tat zu tun, ernstlich, entschieden und plötzlich alle Sondermachinationen niederzuwerfen.«

»Ich erinnere mich«, sagte Otto mit leisem Lächeln. Er stand jenem Aufsatz voll ›Anhaltspunkten‹ nicht fern. Unruh und Auerswald besorgten solche Sprachrohre im liberalen Lager. »Es waren Irrtümer dabei: Preußen habe seine Schritte mit Frankreich und Rußland vereinbart. Als Schreckschuß nicht übel, sonst falsch. Auch heute.«

»Wir zogen doch aber Artillerie vom Rhein nach den schlesischen Festungen, als ob am Rhein nie etwas zu befürchten wäre.«

»Vorläufig nein. Es kommt auf unsere Schnelligkeit an, wir müssen den Feind so rasch überrennen, daß jedes Interventionsgelüst zu spät kommt. Sie begreifen, daß wir dazu eine gute Jahreszeit bedürfen und dabei so spät, daß Frankreich erst im Herbst mobilisieren müßte, wo man doch ungern auf einen Winterfeldzug hinsteuert.«

»Ich begreife, daß Sie uns den Krieg im Juni machen wollen.«

»Wenn nicht der gräßliche Usedom uns in Florenz Unheil stiftet. Von Frankfurt hat man ihn nun glücklich fortbugsiert, doch kaum sitzt er in Italien, so macht er neue Geschichten. Er hat einen Menschen zum Generalsekretär, der ihm vorschwindelt, er sei ein Eingeweihter Mazzinis, in Wahrheit ist's ein österreichischer Spitzel. Dem liefert er alle Chiffern aus.«

»Das ist ja empörend. Und Sie wurden nicht sofort bei Seiner Majestät vorstellig?«

»Nur keine kleinlichen persönlichen Unannehmlichkeiten, jetzt wo der König seine ganze Seelenstärke braucht, um im großen den richtigen Überblick zu bewahren! Der Bruder Freimaurer kann ja im Grunde wenig schaden, sobald wir den Allianzvertrag mit Italien in der Tasche haben. Denn er wird auf so kurze Frist geschlossen werden, daß Österreichs Kenntnisnahme zu spät kommt, um seine Vorbereitungen zu beschleunigen. Natürlich nehme ich mich in acht, allzu plauderhafte Depeschen an diesen kuriosen Geschäftsträger zu richten. Inzwischen hat Graf Mensdorf bei allen deutschen Höfen angefragt, ob laut Artikel 19 der Wiener Schlußakte und Artikel 11 der Bundesakte das 7., 8., 9., 10. Bundeskorps zur Verfügung des Kaisers ständen, wenn Preußen sich Anheimstellung der Augustenburgerei an den Bundestagsbeschluß nicht gefallen lasse. Ich habe natürlich sofort mit einer Zirkularnote geantwortet und eine Bundesreform beantragt. Sonst werde Deutschland das Schicksal Polens treffen. Das ist den Herren freilich sehr gleichgültig, denn jeder denkt dabei seine eigene Haut zu retten, indes wir unsere zu Markte tragen.«

»Und wenn Österreich uns angreift, was tun sie dann?«

»So hab' ich gefragt. Die Antworten stehen noch aus, doch ausweichend oder ablehnend sind sie bestimmt. Freilich werden Hannover, Hessen, vielleicht auch Baden sich neutral salvieren wollen, doch – ich weiß noch nicht mal, ob mir das lieb wäre.« Er lächelte seltsam.

»Wieso? Sie scheinen auf möglichst viel Feinde erpicht.« Roon schnitt ein langes Gesicht. »Sie haben eine große Zuversicht, das muß ich sagen.«

»Hab' ich auch. Und der General Moltke auch, von dem man noch manches hören wird. Und den General Zündnadel kennen Sie ja intim.«

Roon atmete hoch auf. »Ja, unser Gewehr wird Wunder tun, unsere Taktik auch. Die Österreicher haben von Solferino nichts gelernt, sie werden Überraschungen erleben. Also vorwärts mit Gott für König und Vaterland!«

»Sobald es Zeit ist«, schloß Otto ernst die Unterredung.

*

»Der Kronprinz hat Max Duncker sein Leid geklagt, Bismarck habe sich ganz des Königs bemächtigt. Bei Ihrer Majestät der Königin hielt neulich der gräßliche Legionsrat Meyer eine Standrede über Bruderkrieg, auf die der Monarch nur milde erwiderte: ›Sie sind also mein Feind?‹ Mein Freund Droysen nennt solche Leute Wanzen, gegen die kein Insektenpulver hilft«, plauderte sich der Wichtigtuer Bernhardi vor Roon aus.

»Ja, die Hof- und Staatswanzen!« Der Soldat stieß grimmig die Säbelscheide auf den Boden. »Sie werden so lange jucken, bis Bismarck abgeht, wenn ihm gewisse Dinge gegen die Ehre gehen.«

»Der Kronprinz fragt, warum denn eigentlich Krieg geführt werden solle. Er will den Augustenburger wieder einsetzen. Der nähme gleich an, und damit wäre jedermann befriedigt.«

»Besonders Vicky!« brummte Roon unehrerbietig. »Der Kronprinz kennt zwei Autoritäten: seine Gemahlin und jeden Berliner Bezirksmann.«

»Doch der König will auch immer noch heimlich Frieden und klammert sich an jeden Strohhalm.« –

Der geplagte Botschafter Karolyi hatte es jetzt sehr streng mit seinem Dienst zwischen Berlin und Wien. Er überreichte eine Note mit der Frage, die er persönlich erläuterte: »Wollen Sie den Gasteiner Vertrag brechen?«

»Nein. Wollt' ich's aber, so wär' ich nicht so dumm, es Ihnen zu sagen.« Das war entschieden grob, die Unterredung nahm schon einen gereizten Verlauf.

»O ich bitt' schön! Ich dachte, Sie sagen alles, was Sie denken. Ihre Aufrichtigkeit ist so berühmt, damit können wir nicht konkurrieren.«

»Nun denn, aufrichtig: Es ist höchste Zeit und gebieterische Notwendigkeit, daß wir Klarheit in unsere Beziehungen bringen.«

»Ja, wären wir nur klar über Ihre Absichten! Unser alter Prokesch warnte immer vor ihrer Klarheit. Sie halten ihn für einen Dummkopf, und wir Österreicher sind nicht so geistreich wie Sie, aber auch nicht gerade auf den Kopf gefallen.«

»Prokeschs schlimmster Feind wird ihm alles vorwerfen, nur keine Dummheit«, sagte Otto ruhig. »Als ich das Vergnügen seines Umgangs genoß, war er schon verbraucht, und ein greiser Diplomat behält von seiner Sünden Maienblüte oft nur die impotente Bosheit. Doch als er jung war, arbeitete er in Griechenland unter schwierigen Umständen wacker. Seine militärische Erziehung kam ihm dabei zustatten.«

»Wie Ihnen«, verbeugte sich Karolyi. »Sie halten ihn wohl deshalb für unseren begabtesten Diplomaten?«

»Allerdings. Wie den General Fleury in Paris. Es laufen leider zu viel zünftige Berufsmüßiggänger herum, die Militärattachés sind auf vielen Gesandtschaften die schönere Hälfte der Menschheit. Prokesch hat Orientierungssinn und Beobachtungsgabe.«

»Er mißtraute Ihnen sehr«, versetzte Karolyi trocken. »In Frankfurt gewann er minder Ihren Beifall.«

»Ja, da war er nur ein Theaterbösewicht, ein Intrigant wie auf einer Schmierenbühne. Doch sein Debüt in Athen war vielversprechend.« Anton Prokesch hatte dort alle Versuchungen des heiligen Antonius in diplomatischem Sinne ausgestanden, und sein Briefwechsel mit Gentz zeigte eine stilistisch-gedankliche Gewandtheit, wie man sie unter heutigen Diplomaten höchstens noch bei Franzosen wie Hanotaux findet. »Ich weiß wohl, er war Schüler von Metternich und Gentz. Das waren Reichsdeutsche, Gentz ein Lump, doch ein an Ideen fruchtbarer Kopf, nur waren die Ideen meist unfruchtbar. Prokesch erzählte mir mal, der alte Napoleonhasser habe ihm gegenüber Österreichs Torheit bedauert, Napoleon zu stürzen, wodurch es nur das gefährlichere Rußland groß zog. Metternich kannte ich als Wrack und zog ihn auf, ohne daß er es merkte, doch ich gestehe heute, daß der Mann, über den ich mich in meinem jugendlichen Leichtsinn lustig machte, manchmal tiefe Gedanken hatte. Geistig stand er hoch über all den verflossenen Pygmäen, die englischen Koryphäen inbegriffen. Doch das Handeln war nicht seine starke Seite, seine heiligen Allianzen kamen nur Rußland und Preußen zugute. Und nun gar seine Nachfolger –«

»Danke für die Vorlesung!« unterbrach ihn Karolyi bitter. »Sie schweifen ab und weichen natürlich aus. Doch in dieser sehr dunklen Klarstellung fiel der Name Napoleon. Ich erlaube mir zu bemerken, daß unser Draht mit dem heutigen Napoleon noch nicht abgerissen ist.«

»Darf ich mich nach dem Befinden des durchlauchtigsten Erzherzogs Maximilian, Kaiser von Mexiko, erkundigen?« gab Otto kalt zurück. Karolyi quittierte über den bedeutungsvollen Gegenhieb, indem er sich rasch verabschiedete. –

Auf einem Diner beim sächsischen Gesandten Graf Hohenthal führte Otto die Dame des Hauses zu Tisch, die sich »der schrecklichen Gabe der Familiarität«, wie die Franzosen sagen, befleißigte und ihre politische Geschicklichkeit in naiv indiskreten Fragen suchte. Da Damen alles erlaubt ist, hauchte sie mit kindlicher Neugier:

»Bitte, Exzellenz, ist denn wirklich wahr, daß Sie Österreich bekriegen und Sachsen annektieren wollen?«

Ohne eine Miene zu verziehen versicherte der Ministerpräsident mit herzlicher Vertraulichkeit: »Aber ja, teuerste Gräfin, das ist gewißlich und nachweislich wahr. Seit der ersten Stunde meines Amtsantrittes hatte ich keinen anderen Vorsatz. Unsere Kanonen sind heute extra für diesen Plan gegossen, bald werden Sie sehen, wie sehr wir der k. k. Artillerie überlegen sind.«

»Gräßlich!« Die Dame ließ einen schmelzenden Schreckensseufzer ertönen. »Dann geben Sie mir einen Freundesrat, ich muß Ihre Offenheit benutzen, da Sie in solcher Gebelaune sind. Auf welche meiner Schlösser soll ich fliehen, nach Böhmen oder nach Leipzig?«

»Nicht nach Böhmen. Denn dort, und zwar in Nähe Ihrer Güter, werden wir die lieben Österreicher entscheidend schlagen. Meiden Sie so traurige Abenteuer! Aber nach Leipzig gehen Sie ruhig, nach Schloß Knauthain, wenn ich nicht irre, das ist der Name Ihrer Besitzung, nicht wahr?«

»Was Sie nicht alles wissen! Ein solches Gedächtnis! Also in Sachsen wird nichts passieren?«

»In Leipzig wird nichts passieren, nicht mal Einquartierung haben Sie zu fürchten. Liegt doch die Etappenstraße ganz wo anders als Ihr Schloß!«

»Auch das wissen Sie! Ach, man muß sich vorsehen bei einem so allwissenden Manne!«

Wie vorauszusehen, brachte die Gräfin eiligst die Kunde herum, welchen unsagbaren Freimut der schreckliche Preuße entwickelte. Noch am gleichen Abend umstand eine Gruppe deutscher Diplomaten den sonderbaren Schwätzer. »Wir müssen Eure Exzellenz besorgt interpellieren. Sie haben der Gräfin Hohenthal gegenüber so merkwürdige Andeutungen gemacht.«

Otto lachte aus vollem Halse. »Sind Sie so närrisch, verehrte Freunde? Wie können Sie von ironischer Verspottung einer so indiskreten Frage einer naiven Dame überhaupt Aufsehen machen! Das war Scherz, ein Ulk, wie der Berliner sagt.«

Doch der sächsische Staatsleiter Beust war anderer Meinung. Sein schlechtes Gewissen, seine eigene Feindseligkeit trieben ihn an, sofort nach Wien zu melden: »Bismarck hat sich nach seiner Gewohnheit verplaudert und diese Enthüllung ist von solcher Wichtigkeit, daß Österreich unbedingt sogleich rüsten muß. Wir Mittelstaaten rufen seinen Schutz an und werden unweigerlich mit den Waffen auf seiner Seite stehen. Sonst aber werden wir ihm für immer den Rücken kehren, falls es nicht Ernst macht und auf der Stelle rüstet.«

Das war es, was Otto wünschte, um beim König gegen die Hofklique und gegen die Fortschrittspartei eine Deckung für seine eigene Absicht zu bekommen.

*

Sieben Tage darauf fielen auf einem anderen Diner wichtigere Worte. Sein alter Bekannter von Frankfurt her, der italienische Gesandte Barral, gab ein diplomatisches Ehrenessen für den geheimen Emissär, General Govone. Diesen zog Otto beiseite und stellte ihm aufs neue vor: »Der Allianztraktat zwischen Italien und Preußen drängt. Welchen Nutzen dies bringen würde, brauche ich Ihnen nicht zu erörtern. Ich habe heute bestimmte Nachricht, daß die Österreicher außer sich sind, weil sie unsere Unterhandlung mit Italien wittern. Die Erbitterung dort wächst. Natürlich haben wir unsere Schiffe noch nicht verbrannt, doch sie brennen schon. Es wäre von Italien nicht hübsch, uns sitzen zu lassen, nachdem wir seinetwegen den Verdacht in Wien erregten.«

»Aber, Exzellenz, wer bürgt umgekehrt uns dafür, daß wir dem Bündnisvertrag, den Sie vorschlagen, voll vertrauen können?«

»Der Charakter Seiner Majestät König Wilhelms. Der wäre unbedingt der eine Souverän in Europa, der nie eine Verpflichtung bricht, die er übernahm.«

Govone verneigte sich zustimmend. »Übrigens scheint mir die Frage der italienischen Einheit reifer als die der deutschen. Es würde daher besser stimmen, wenn Sie selbst zuerst den Funken ans Pulverfaß legten, etwa Ihren Garibaldi gegen Venetien losließen, ehe offiziell der Krieg erklärt wird.«

Govone schüttelte den Kopf. »Dazu werden wir nicht zu haben sein. Unsere öffentliche Meinung möchte zuerst die Finanzen und die Verwaltung des neuen Italien ordnen, dann würde alles weitere von selber kommen. Natürlich würde man es aber gern sehen, wenn unvorhergesehene Ereignisse die Erwerbung schon jetzt begünstigten. Deshalb stehe ich hier im Namen des Premierministers Lamarmora. Wir glauben an Ihre Kriegsbereitschaft, möchten aber unseren eigenen Angriff nicht überstürzen. Eine Initiative können wir selber nicht beginnen, das überlassen wir Ihnen.«

»Sie können ja warten, Ihre Finanzen ordnen, binnen sechs Monaten können Sie fertig sein.«

»Gewiß, jedenfalls zwingt uns die Finanzlage nicht, unser Vorgehen zu beschleunigen, wie Sie vielleicht voraussetzen. Wir würden uns nicht sogleich fortreißen lassen. Indessen,« fuhr er fort, da Otto schwieg, »würde unsere Regierung auch nicht auf lange Frist warten und sich für entferntere Möglichkeiten verpflichten. Denn wenn wir dem Vertrag treu bleiben, müßten wir vielleicht unsere dringenderen Interessen hintansetzen. Ich erinnere an die römische Frage.«

»In der Sie niemals Frankreichs Beistand haben würden.«

»Wahr, sie könnte sich aber binnen kurzer Zeit aufrollen, und Sie begreifen unser Bedenken, ein Bündnis auf zu lange Sicht zu schließen.«

»Darüber werden wir uns verständigen. Der gute Genius beider Staaten weist mit erhobenem Finger auf unsere Allianz hin. Der Herzog von Savoyen und die Kurfürsten von Brandenburg erwarben zu gleicher Zeit die Königskrone. Dies große Sinnbild gemeinsamer größerer Zukunft mögen Sie sich vor Augen halten.«

Govone war sehr ergriffen. Unser Cavour, wie er leibt und lebt! dachte er und schrieb es auch an Lamarmora. Laut aber sagte er: »Ich vertraue unbedingt Eurer Exzellenz. Doch meinen Vorgesetzten, General Lamarmora, quält die Befürchtung, man wolle mit uns nur ein Scheinbündnis, um eine Pression auf Österreich zu üben, damit es Ihnen Holstein herausgibt. Ich bitte sehr um Verzeihung, doch Eure Exzellenz befolgen ja selbst die Methode, offen heraus die Wahrheit zu sagen.«

»Es ist die beste Methode für wirklich solide Geschäfte. Glauben Sie wirklich, wir haben so wenig im Auge als das bißchen Holstein? Das hätten wir jeden Tag bekommen, wenn wir Venetien garantierten.«

»Das wissen wir«, sagte Govone betroffen. »Indessen – auch Ihre höheren Ziele könnten Sie vielleicht auf diesem Wege der – der –«

»Erpressung, nicht wahr? Wie schlecht sind Sie informiert! Österreich würde noch eher Venetien opfern als seine Vormachtstellung in Deutschland. Der Kaiser Napoleon, den ich genau kenne, ist gleicher Meinung.«

»Hm! An dessen guter Meinung liegt uns natürlich unendlich viel. Herr v. Lamarmora würde eben sehr gern sehen, wenn man sich dessen unbedingtes Wohlwollen durch eine deutsche Grenzabtretung sicherte.«

»Ich bedaure, darauf nicht eingehen zu können. Der Kaiser weiß dies und versicherte mir, er verzichte.« Govone lächelte. »Sie werden mir entgegenhalten, daß Napoleon trotzdem neuerdings Ansprüche erhebt. Fragen Sie mal zu Hause an, ob Ihre Vertragstreue auch einer Verstimmung oder Feindseligkeit Napoleons gegen uns standhielte?«

Govone rief erschrocken: » Dio mio! Man würde sofort nach Paris depeschieren: Was sollen wir antworten?«

Otto kaute an seinem Schnurrbart. »Also nicht zu machen! Aber seien wir mal offen: ist das wirklich Ihr Freund? Wenn wir unterliegen, werden Sie nie Rom erhalten, Sie kennen die besondere Empfindlichkeit Napoleons auf diesen Punkt, er betrachtet den päpstlichen Segen als notwendig für seine Herrschaft. Frau Eugenie tut auch ihr Teil hinzu. Und scheint es Ihnen so verlockend, ewig ein Vasall französischen Protektorates zu bleiben? Nur durch uns können Sie Ihre Unabhängigkeit erlangen.«

Govone sagte ruhig: »Das ist alles sehr wahr. Was an mir ist, soll geschehen. Ich baue dabei auf Seine Majestät meinen König. Er ist Soldat wie sein tapferer Vater und wird mannhaft sein Los mit Ihnen in die Schicksalsurne werfen, wenn er darin das Heil sieht. Lamarmora ist weniger begeistert, Cavour ist tot, doch sein Geist lebt noch im König. Ich habe die Ehre. Werde sofort depeschieren.« –

Am 8. April ward der Vertrag unterzeichnet, wohl ein Unikum, da er, wie nie ein anderer, aggressiv nur auf sofortigen Krieg binnen drei Monaten lautete. Jenseits dieser Zeit verlor er seine Gültigkeit. König Wilhelm machte zwar ein bedenkliches Gesicht. Doch Österreich zog schon Truppen von Ungarn nach Böhmen, was ihn empörte. Auf die Frage Ottos, was dies bedeute, gab Karolyi eine geradezu beleidigende Auskunft: »Wir müssen wegen der antisemitischen Unruhen in Böhmen die Garnisonen verstärken.« Otto erwiderte mit einer stummen Verbeugung.

Der schneidige Vittorio Emanuele, il Re Galantuomo, handelte klug als wirklicher Patriot, der sich durch Frankreichs widerwilliges Wohlwollen nicht täuschen ließ. Venetien konnte er mit Frankreich bekommen, Rom nie. Natürlich wirkte auch Cavours politisches Testament, der stets Anschluß an Preußen empfahl. Acht Jahrhunderte des Mittelalters verflochten sich Deutschlands und Italiens Schicksale (Österreich ist nicht Deutschland), Guelfen und Ghibellinen, keine Länder Europas haben so alte historische Verknüpfungen wie diese beiden, nicht zum Heile beider. Diesmal aber schlug die Schicksalsstunde, wo die zwei genialsten Völker der Welt sich zu gegenseitigem Vorteil verbanden. Auch dies war das Werk des gleichen politischen Genius, der jetzt mit Blitz und Donner auf seinen weltgeschichtlichen Thron stieg.

Schon Ende März hatte der König eingewilligt, die Armee in Kriegsbereitschaft zu setzen. Er tat es mit schwerem Herzen, doch zögerte nicht, wie Verleumder und Herabsetzer ihm später unterschoben. Natürlich protestierten beide Kampfhähne feierlich gegen jede Unterstellung einer feindseligen Absicht, wenn sie rüsteten wie toll.

»Eure Majestät werden aus der Kölnischen Zeitung ersehen haben, daß nur mein Rücktritt Preußen retten kann. In Süddeutschland war anfangs die Volkspartei für Neutralität, niemand solle sie zwingen mitzukämpfen. Doch der verrückte Preußenhaß machte dies zunichte, man rüstet.«

»Warum haßt man nur Preußen?« klagte der König.

»Später wird man Deutschland hassen. Immer der gleiche Grund: instinktiver Haß der niederen Mikroben gegen die höheren. Gehaßt sein ist ein gutes Zeichen, es zeigt, daß wir beneidenswert sind.«

»Ja, ja, lieber Bismarck, doch der abscheulichste aller Kriege ist der Bürgerkrieg oder, wie man draußen sagt, der Bruderkrieg.«

»Daß Kroaten und Tschechen meine Stammesbrüder sind, ist mir neu. Die deutschen Brüder werden sich wohl noch besinnen. Und wenn nicht, der strenge Ernst wird sie heilen von dem Krebs, der an Deutschland frißt: der gedankenlosen Phrase, die uns ermattet und aufreibt, der hohlen Demagogie für nichts und wieder nichts.«

»Schon recht. Aber ich denke, was der alte York in Tauroggen sagt: »Ihr Jungen habt gut reden, doch mir Altem wackelt der Kopf auf den Schultern.« Es geht um Sein oder Nichtsein. Sind Sie Ihrer Sache sicher?«

»Fragen Eure Majestät Roon und Moltke! Wir werden Viktoria schießen, ehe wir's uns versehen. Im übrigen haben Eure Majestät es in der Hand, den Kampf zu vermeiden: Entlassen Sie mich!«

Da reckte der Greis sich auf, seine blauen Augen blitzten: »Niemals! Wofür halten Sie mich?«

Kaum hatte er das Bündnis mit Italien in Händen, ließ der Allesberechner am nächsten Tage seine Reformakte am Bundestage einreichen. Direkte Wahlen, allgemeines Stimmrecht, fester Termin zum Zusammentritt der deutschen Nationalversammlung, um die Reform zu beraten. Deutschland war wie vor den Kopf geschlagen. Der verdammte Volksfeind als Verfechter der Volksrechte!

Ein wohlberechneter Stillstand trat ein. Österreich parierte durch Antrag auf Einstellung aller Rüstungen. Otto lieh sich acht Tage Zeit mit der Antwort. Recht gern, nur möge Österreich, das mit dem Rüsten begann, mit dem guten Beispiel vorangehen. Angenommen. Die Königin weinte Freudentränen, doch ewig ist der Schmerz und kurz ist die Freude, denn Karolyi erschien mit der unschuldigsten Miene und drei verschiedenen aufeinanderfolgenden Noten.

»Man wird begreifen, daß wir uns gegen Italiens drohende Haltung sichern müssen. Der Premier Lamamora sagte in der Kammer, die Lage sei sehr ernst, sein König hat acht Altersklassen unter die Fahnen gerufen. Nicht wahr, es besteht kein Mißverständnis, daß unsere Abrüstung nur Preußen gegenüber gilt? Wir werden in Böhmen unverzüglich abrüsten, sobald Sie uns die Zusicherung geben, daß unsere eigenen friedlichen Beziehungen nicht unter der italienischen Frage leiden.« Sie wollen von uns herauslocken, ob wir ein Bündnis mit Italien haben. Nur weiter! »Bei der schleswig-holsteinischen Frage berücksichtigen wir gern alle Ihre Ansprüche, doch innerhalb des bestehenden Bundesrechtes.« Das heißt: mit sicherer Majorisierung Preußens.

Otto blieb völlig kühl. »Ihre bemerkenswerten Vorschläge werden wir demnächst beantworten.« Die Antwort ließ wieder acht Tage auf sich warten und bestand wesentlich in Mobilisierung von sechs Armeekorps. »Eurer Majestät klarblickender Geist wird den Sinn dieser Ausflüchte sofort erkannt haben«, stellte er dem König vor.

»Freilich, sie möchten erst mit Italien abrechnen und dann mit einem siegreichen Heere über uns herfallen. Darauf gibt es nur eine Antwort.«

» Quod non! Eure Majestät werden gut tun, auch gleich die Landwehr aufzubieten. Von Napoleon ist nichts zu fürchten. Nicht als ob er nicht wollte, doch in letzten Jahren hat Herr Thiers, den ich kenne, als Redner der liberalen Opposition so viel Boden gewonnen, daß er im gesetzgebenden Körper auf Schwierigkeiten stößt. Und das mexikanische Abenteuer endet schauerlich. Noch sind keine genauen Nachrichten da, doch mir scheint, das Schicksal des unglücklichen Kaisers Maximilian ist besiegelt.«

»Glauben Sie, die Rebellen würden sich an einem gekrönten Haupt vergreifen?« frug der Monarch erregt.

»In Amerika herrscht republikanische Staatsform, und man erklärt dort den Erzherzog selber als Rebellen, Usurpator, Hochverräter. Ich fürchte, er ist geliefert. Wer ihn aber ans Messer liefert, ist Frankreich, das erst wie ein Wächterhund heulte und jetzt vor der Union den Schwanz einzieht. Der überseeische Spaziergang kostete viel Menschen und sehr viel Geld, wofür man aber auch die schönste Blamage einkaufte. Herz, was verlangst du noch mehr! Bereichert hat sich, wie man sagt, der Marschall Bazaine, ein großer Hofstratege, der eine reiche Mexikanerin heiratete. Er scheint den armen Maximilian schändlich preiszugeben.«

»Dies Los seines Erzherzogs kann Franz Josef nicht gleichgültig sein, es erweitert die Kluft mit Frankreich«, meinte der König.

»Sozusagen privatim. Doch würde Österreich sich schwerlich bedenken, trotzdem mit Napoleon sich anzufreunden, wenn es sein Vorteil ist. Gefühlsdusel und Familienrücksichten in der Politik kennen nur Deutsche, keine anderen Staaten.« Der König trommelte mit der Hand auf den Tisch, leicht beunruhigt, der Stich traf, wohin er zielte. »Und mein Gönner in Paris schlägt in jede dargebotene Hand, falls nur was drin ist, Trinkgelder nimmt er gar zu gern für seine uneigennützigen Dienste. Eure Majestät erinnern sich, daß schon vor vielen Jahren der Herzog von Persigny herumreiste, um eine sogenannte Rektifikation der Grenze zu erwirken, wofür wir viele Güter im Monde einhandeln sollten. Jetzt wird er wieder mit solchen Ansinnen herausrücken. Österreichs Angebot war zu konditionell.«

»Wie? Es hat etwas angeboten?«

»Jawohl, ich erhielt erst heute geheime Kunde davon. Frankreich soll neutral bleiben und Italien dito, dafür wird es Venetien erhalten, sofern Österreich sich Schlesiens bemächtigte, für dessen Besitz Frankreich einsteht, nämlich wenn man uns die Friedensbedingungen diktieren kann.«

»Das ist häßlicher Verrat von beiden Seiten!« Der König schlug mit der Hand auf den Tisch. »Das wird meinem Sohn, dem Kronprinzen, die Augen öffnen. Wie sie alle das Fell des Bären teilen! Auch in Sachsen und Bayern baut man felsenfest auf unsere Niederlage.«

»Österreich blaguiert und die anderen haben gläubige Eselsohren. Doch Napoleon ist besser unterrichtet, er läßt sich nicht von Hypothesen anstecken, sondern sein Lockinstrument als bewährter Rattenfänger auch uns ertönen, heute früh erhielt ich eine Note, über die ich demnächst Vortrag halten werde, wenn Eure Majestät befehlen. Es kongresselt wieder, so möchte er uns Holstein und Italien Venetien schenken. Im Kriegsfalle will er uns 300 000 Mann zu Hilfe schicken und uns im Frieden um 8 000 000 Einwohner vergrößern.«

»Und was bekommt er dafür als Gebühren?«

»Eine Kleinigkeit, das ganze Land zwischen Rhein und Mosel, teils preußisch, teils badisch, teils hessisch.«

»Solche Unverschämtheit!« fuhr der König auf. »Ich habe keine Länder zu verschenken, weder preußische noch andere deutsche ... hoffentlich machten Sie nicht die kleinste Zusage.«

»Eure Majestät mögen ganz ruhig sein. Solche Fragen behandelt man dilatorisch, schleppt sie hin ohne Ja und Nein, bis die Antwort nicht mehr zu umgehen ist. Ich zähle auf die Schnelligkeit unserer Waffen, daß ich erst beim Friedensschluß Rede stehen müßte. Und da werde ich sehr deutsch reden. Übrigens ist er zurzeit ohnmächtig. Im gesetzgebenden Körper hat Herr Thiers schon lange eine kräftige Sprache geführt und Erweiterung der gesetzlichen Freiheiten geheischt. Gottlob, daß wir nicht solche glatte, höfliche, aber spitzige Redner in der Kammer haben! Thiers vermeidet jede Fußangel, die ihn mit der Staatsgewalt in unmittelbaren Konflikt brächte. Doch der Kaiser und Rouher schäumen vor Wut gegen ›eitle Theoreme‹, schon früher verwünschten sie ›jene Leute, die, kaum dem Schiffbruch entronnen, die Stürme zu Hilfe rufen‹. Als ob ein Umsturz drohte, weil die Franzosen etwa den zehnten Teil der Reformen und Freiheiten haben möchten, die wir lange besitzen.«

Der König lächelte wohlgefällig. Nichts tat ihm wohler als solcher Hinweis. »Er laboriert also wie wir an Konfliktszeit?«

»Thiers, Ollivier, Jules Favre und andere Advokatenmeister der Rede werden ihm keine Ruhe lassen. Ehe er sie abschüttelt, sind wir hoffentlich schon über alle Berge.«


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