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Unterwegs in Jüterbogk stieg ein Dichtvermummter zu ihm in sein Abteil, der Stationschef salutierte mit Hand an der Mütze. »Ach, Roon, Sie sind's?« Das Frühlicht des 20. Septembers glomm am Horizont.
»Ich fuhr Ihnen entgegen, um Sie vom Stand der Schlacht zu unterrichten. Seit vorgestern rast die Debatte in der Kammer, sie will das Budget rundweg verwerfen. Majestät haben lange und schwer überlegt, es kostete Mühe, ihn zu bewegen, denn es ist ein großer Entschluß. Sowie Ihr Name auftauchte, erhob sich von allen Seiten ein Zetergeschrei. ›Bismarck, das ist der Staatsstreich‹, denunzierten die Fortschrittsblätter. Und was man am Hofe sagt, können Sie sich denken.«
»Ich würdige die Seelengröße des Königs. Es soll ihn nicht gereuen. Ich schöpfe daraus die freudige Gewißheit, daß er zum Kampf entschlossen ist?«
»Ja, doch auch jetzt erwachten ihm ernste Bedenken, welche Bedingungen Sie stellen, welches Programm Sie fordern würden?«
»Keine und keins. Mein Lehnsherr und oberster Kriegsherr ruft zum Appell, und ich antworte: Hier!«
Roon schüttelte ihm die Hand. »Sie stellen sich einfach zur Verfügung?«
»Ganz einfach. Die Krone ist in Gefahr und damit Preußen und damit Deutschland. Das müßte ja ein Hundsfott sein, wer sich da lange sperrte. Man wählt mich, um die Militärvorlage durchzubringen, nachher mag ich abtreten. Gut, ich werde die Order vollziehen.«
»Schwer werden Sie es ja haben. Die Fortschrittler rempeln alles an, kontrahieren Skandale, wo sie können, wissen sich vor Übermut nicht zu lassen. Die richtigen Jakobiner, der ›Berg‹ des Konvents! Die zersprengten Altliberalen gleichen auch der ›Ebene‹, den ›feigen Sumpfkröten‹ der seligen Konventszeit, sagen zu jeder Terrorisierung Ja und Amen und haben gegen Sie womöglich noch stärkeren Haß; weil sie mit Ihnen vor Alters zu fechten hatten. Die neuen Kampfhähne kennen Sie meistens nur per Renommee und bramarbasieren spöttisch über den hergelaufenen Krautjunker.«
»Und die Konservativen schimpfen desgleichen, nur hinter verschlossenen Türen.«
»Einige vielleicht«, begütigte Roon verlegen. »Man ist ein wenig irre geworden, ob Sie noch zur Fraktion halten. Aber jedenfalls wird man Sie unterstützen und wieder Regierungspartei werden.«
»Das höre ich gern. Der schöne Spruch: ›Mit der Regierung voll Mut, ohne die Regierung voll Wehmut, gegen die Regierung in Demut‹, womit man alle Eskapaden beschönigte, gibt nur Aufschluß über mangelnde Staats- und Königstreue. So sprachen die Quitzows auch auf ihren Raubburgen, bis die ›Faule Grete‹ ihnen ins Ohr donnerte, daß der Hohenzoller und nicht der Junker in Preußen regiert. Ich werde solche Seitensprünge nicht dulden. Eine konservative Partei darf sich so nur nennen, wenn sie unbedingt dem Staat sich unterordnet.«
»Prinzipiell ganz meine Meinung, es gibt aber Fälle –«
»Die ich nicht anerkenne. Die Herren Gerlach und Stahl haben sich zu fügen ohne jede Reservatio mentalis dem Befehl des Königs und seiner Ratgeber. Das sage ich Ihnen voraus. Glauben Sie denn, ich weiß nicht, was solche Kreise munkeln? Ich bin ihnen gut genug, die Kammer niederzutreten, doch nachher möchten sie mich fallen lassen, weil meine auswärtige Politik ihnen nicht paßt. Aber das sage ich Ihnen: entweder oder, aut Cäsar aut nihil ich bin ein Ganzes, das man zu nehmen hat mit allen Teilen, nicht sich etwas für den eigenen Hausbedarf heraussuchen kann. Wie lange ich Minister bleibe, steht in den Sternen geschrieben, denn alles ist Vorbestimmung der Vorsehung. Vielleicht drei, vielleicht neun Monate, und dann adieu! Doch solange ich am Steuer bin, lasse ich mir keine Widerrede blinder Passagiere gefallen. Was nicht dem Kapitän pariert, fliegt über Bord.«
Roon sah seinen Freund betreten an. So hatte er sich das doch nicht gedacht! Als konservativer Parteimann konnte er ja nicht bestreiten, daß viele Fraktionsgenossen den Schönhauser als Renegaten betrachteten.
»Unsere Hochkirchenmänner allerdings –«
»Die ›Himmelblauen‹, wie der alte Hertefeld sie höhnte! Ihre Schwärmereien mögen sie für sich behalten, mir aber nicht lästig fallen. Ich verlange unbedingte Subordination vor der Regierung, hier geht's um Leben und Sterben. Auch Sie waren schon verzagt geworden, aber ich sage Ihnen, das Königtum Preußen hat schon Schwereres überstanden. Napoleon war gefährlicher als Herr v. Bockum-Dolffs, und wir leben heute noch.«
»Viele schlagen sich nur noch für den Rückzug,« murrte Roon finster, »andere für ehrenvollen Untergang. Sie machen sich keinen Begriff von der Übermacht der Fortschrittlerei im Lande.«
»Alles Papier und Geschrei, ein Trommelwirbel tönt lauter. Bah, schon früher hatten sie mir ein Zuchthaus zugedacht, heut vielleicht ein schnelleres Ende. Nun, der Tod auf dem Schafott ist so ehrenvoll wie der auf dem Schlachtfelde, auch so stirbt man auf dem Felde der Ehre, und es gibt schlimmere Todesarten als Hinrichtung.«
»Es ist herrlich, Sie so reden zu hören.«
»Doch nehmen wir wohl die Sache zu tragisch. Ich hoffe auf friedliche Lösung, der Konflikt kann beglichen werden, wenn die Demokraten, die schließlich doch auch in ihrer Weise Patrioten sind, merken, wohin wir steuern. Ohne die Heeresreform wäre alles verloren, aber ich setze sie durch, ich bin voll Zuversicht.«
»Sie sind magerer als früher, aber sehr frisch, als wären Sie auf Kameel durch die Sahara geritten, gebräunt und verstaubt, aber wohlgemut und vollgetränkt von Ozon«, bemerkte Roon beifällig.
»Wollte Gott, daß ich aus der Wüste heraus bin für immer! Vierzig Jahre wanderten die Juden zum Gelobten Lande, wo da Milch und Honig fließt. Hoffen wir, daß die Trauben Kanaans nicht zu hoch hängen. Vorher ging's durchs Rote Meer.«
»Was meinen Sie?«
Aber Otto schwieg. Berlin! Alles aussteigen! Wilhelmstraße 74, die Auerswaldhöhle, das allgemeine Staatsministerium, war sein Absteigequartier. Nr. 76, das Auswärtige, kommt hernach dran. Kaum wusch er seine »Schornsteinfegerfarbe« von Eisenbahnruß ab, als der kleine Kleist-Retzow antanzte.
»Otto, welche Gnade des Herrn! Du wirst die Getreuen im Lande retten. Nicht wahr, du bist voll guter Hoffnung auf einen Staatsstreich mit Gewehr zur Attacke?«
»Lieber Onkel Hans, ich bin für gar nichts, als sich nach den Umständen richten. Leider muß ich dich verlassen. Mein Legationsrat Schlözer, der weiland Petersburger, wohnt Behrenstraße 60, da muß ich hin wegen Geschäften.« Aber ein Feldjäger platzte dazwischen:
»Seine Königliche Hoheit der Kronprinz bescheiden Eure Exzellenz zu sich, sofort, wenn's gefällig ist.«
Der Kronprinz? Was bedeutet das? Im Kleinen Palais Unter den Linden, der Residenz des Thronfolgers, fand er einen freundlichen, aber zurückhaltenden Empfang, den er mit gleicher Zurückhaltung erwiderte.
Der schöne, blondbärtige, jüngere Mann in der Blüte der Jahre hatte etwas sehr Bestrickendes in seiner blauäugigen Siegfriedserscheinung. Doch bestand keinerlei herzliches Verhältnis zwischen ihm und Otto. Mutter und Gemahlin, deren schöngeistig unklaren Liberalismus er teilte, hatten ihm eine ziemlich abfällige Meinung eingeflößt.
»Nun, wie sehen Sie die Situation an?«
»Königliche Hoheit, ich sah mir keine Zeitungen an, drei Wochen lang auf Reisen im Ausland, und Zeitungen sind ja leider der Brennspiegel, in dem sich die Strahlen der öffentlichen Meinung fangen.«
»Ja, die Presse ist eine große Macht,« bestätigte der Prinz arglos, »besonders die liberale. Sie unterließen die Lektüre wohl aus Depit?« »Ehrlich gestanden, Königliche Hoheit, es war mehr Privatsache. Ich grollte meinem Schöpfer, weil ich nicht wußte, wo ich mein Haupt hinlegen sollte. Seine Majestät hatten verheißen, mir binnen sechs Wochen meine Wohnung in Paris oder London oder Berlin anzuweisen, und jetzt verstrichen schon zwölf.«
»Aber wer redet von Paris! Ihre Berufung an die Spitze der Geschäfte ist ja beschlossen und wohl schon vollzogene Tatsache. Daß ich mir Aufschluß über Ihr Programm erbitten möchte, unter den besonderen obwaltenden Umständen, begreifen Sie wohl.« Nein, das begriff Otto gar nicht. Was waren das für besondere Umstände? »Die Kammer erklärt uns den Krieg. Was werden Sie dagegen tun?«
»Ich bin über Einzelheiten nicht informiert, habe daher kein bestimmtes Programm.«
»Was, nicht? Aber man muß doch ein Programm haben!« rief der jüngere Mann entsetzt.
»Napoleon soll gesagt haben, er habe nie einen bestimmten Feldzugsplan gehabt, weil man sich nach des Gegners Maßregeln richten muß.«
»Der Ausspruch kommt mir sagenhaft vor.«
»Natürlich nur cum grano zu verstehen. Die Richtung der Offensive ist hier klar vorgezeichnet.«
»Auch die Rückzugslinie?«
Otto verneigte sich. »Hoheit wollen gnädigst verzeihen, aber ich darf mich wohl kaum aussprechen, ehe ich Audienz bei Seiner Majestät hatte.«
Der Kronprinz runzelte leicht die Stirn. »Ja, ja, ganz recht. Ich hatte jedoch erwartet, Sie würden nötig finden, unter den besonderen Umständen –« Er betonte scharf und fixierte den Schönhauser, dem er einst in jüngeren Jahren freundlich gesinnt war. Da er dessen unverkennbares Erstaunen sah, machte er leise: »Ach so!« und winkte mit der Hand Entlassung. –
Am Abend traf er Roon, und dieser sah ihm forschend ins Gesicht: »Sie konferierten mit dem Kronprinzen?«
»Auf Befehl, zu ihm beschieden.«
»So rasch? Der König ist verstimmt. Ipsissima verba; ›Mit dem ist's auch nichts, er war ja schon bei meinem Sohn.‹ Man sät da wohl absichtlich Mißtrauen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das dacht' ich mir, halte mich aber nicht befugt, Sie aufzuklären, ehe Majestät selber dies morgen in Babelsberg tut.« –