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Da die Fürsten sich ohne Preußen mit Österreich allein sehr verwaist fühlten und sich keineswegs blindlings Österreichs Protektorat unterwerfen wollten, so blieb die Reformakte ein hübsches Stück Makulatur im historischen Archiv. Doch bis dahin gab es noch so viel Qual und Anstrengung, daß er an Nanne schrieb, nur demütiges Vertrauen auf Gott lasse nicht an der Zukunft verzweifeln. Zum Überfluß kamen noch zwei harte Schläge hinzu. Seine treffliche Schwiegermutter starb plötzlich, die ihm wie eine wirkliche Mutter war, und die er zärtlich liebte. »Ihre großen, blauen Augen sind für immer geschlossen, sie werden vieles nicht mehr sehen.« Sein tränenvolles Auge schweifte vom Sarg in die Ferne. Gleichzeitig erhielt einen Brief des Ministers Bodelschwingh. Der königliche Flügeladjutant Prinz Hohenlohe habe ihm die Weisung überbracht, dem Kronprinzen mitzuteilen, daß eine vom Ministerpräsidenten erbetene Audienz nun ausfallen müsse, bis dieser von Reinfeld zurückkehre.

Der Kronprinz hatte nämlich plötzlich am 3. September ein Schreiben an Otto gerichtet, das allem in Gastein Gesagten widersprach. »Der König weiß nunmehr, daß ich der entschiedene Gegner des Ministeriums bin.« Später sandte er eine Denkschrift an seinen Vater, die in wenig zulässiger Form die Gründe seines Frondierens entwickelte. Ein übermäßiges Selbstgefühl seiner kronprinzlichen Würde sprach heraus, das auch richtlich durchaus dem Familienbrauch und den Verfassungsbestimmungen ins Gesicht schlug, welche beide die Stellung eines Thronfolgers sehr umgrenzten und ihm keinerlei wirkliche Einmischung gestatteten. Die Antwort des Königs, gestützt auf viele Randglossen Ottos zu der kronprinzlichen Auslassung, fiel sehr hart und herb aus, enthielt auch die scharfe Anspielung, daß die englischen Verwandten des Kronprinzen naturgemäß englische und nicht deutsche Interessen verträten und hier pflichtgemäß Diskretion geboten sei.

Die Aussprache mit dem Thronfolger, nachdem Otto von Reinfeld zurückgekehrt, gestaltete sich stürmisch.

»Warum halten Königliche Hoheit sich von den Sitzungen des Staatsrates fern? Eines Tages wird die Regierung doch an Sie übergehen. Grade wenn und weil Sie einem anderen System huldigen, müßte es Ihre Aufgabe sein, den Übergang zu vermitteln. Opposition ist unfruchtbar.«

»Ich muß Ihren Rat ablehnen, Herr Ministerpräsident. Einen solchen Übergang und solche Vermittlung wünsche ich nicht, da ich ganz gewiß auch mit allen Personen des früheren Systems keine Verbindung mehr pflegen werde.« Deutlicher konnte er nicht ausdrücken, daß er den »Übergang« mißverstand, als habe Otto ihm seine Dienste anbieten wollen, und daß er jede Anbahnung einer solchen Vermittlung verabscheue. Er warf dabei den Kopf zurück und einen Blick über die Achsel, der mit dem Zorn eines Olympiers kecke Anmaßung eines niederen Sterblichen von sich wies. Das Blut stieg ihm in die Wangen vor Entrüstung über solche Andrängelei, seine hoheitsvolle Haltung gewann Nachdruck durch seine schöne Stattlichkeit in Posen und Gesten. Dieser so überaus Liberale nährte nämlich ein schrankenloses Herrscherbewußtsein, und zwar persönlicher Art, sehr verschieden von dem unpersönlichen Monarchentum seines hohen Vaters, das sich immer nur auf sein von Gott verliehenes Amt bezog. Höchst merkwürdig verquickte sich aber damit eine leicht bestimmbare Schwäche fremden, besonders weiblichen Einflüssen gegenüber und eine von Mutter und Gattin übernommene falsche Demut vor England. Ganz problematisch verwickelte sich dies Wesen erst recht dadurch, daß er, trotz heftiger und herrischer Launen, einer nachhaltigen Tat- und Arbeitskraft entbehrte, im vollsten Gegensatz zum Vater, dafür aber eine edle, obschon zu weiche Menschlichkeit voll Mitleid und lauterster Herzensgüte besaß, der man etwas im besten Sinne Fürstliches nicht absprechen konnte. Eine gewisse Neigung zur Pose, eine gewisse Eitelkeit des schönen Mannes und eine reizbare Launenhaftigkeit nebst einem Behagen an schlechten Witzen oder taktlos persönlichen Schnurren, die er für witzig hielt, trugen dazu bei, daß sich ein falsches Bild bei skeptischen Beobachtern über seine geistigen Fähigkeiten festsetzte. Er stand, wie die allermeisten Fürsten, weit über dem Durchschnitt, was die demokratische Legende ja niemals Wort haben will, so wie er moralisch noch mehr als die meisten Fürsten (seinen verehrungswürdigen Vater ausgenommen) sich über den Troß der Vielzuvielen erhob. An starkem Bildungsdrang wäre er eher Otto verwandt gewesen, nur lagen seine literarischen Bedürfnisse mehr nach der historischen als der ästhetischen Richtung, obschon er sich, ähnlich wie der kommende König von Bayern als Schirmherr der Künste fühlte. Wegen Neigungen seiner begabten Gattin gab er hier der Malerei den Vorzug. Seine Lieblingslektüre bildeten Freytags »Bilder aus der deutschen Vergangenheit«, was jedenfalls einen von jeder Seichtigkeit entfernten Geschmack beweist. Auch hier kontrastierte sein lebendiger deutscher Nationalsinn mit der michelhaften Vorliebe für Fremdländisches. Sein Leiborgan waren die damals gegründeten »Grenzboten«, in denen Julian Schmidt, ein damals hochberühmter Kritikus, den Klassikerruhm Gustav Freytags verkündete. Dieser tüchtige, nur maßlos überschätzte Schriftsteller stellte klüglich der revolutionären Literatur des einstmaligen jungen Deutschland einen gothaisch-gemäßigten Liberalismus entgegen, dessen Mannesstolz vor Fürsten und Adel sich in höchst gesetzmäßigen Formen aussprach. Seine Bürgerlichkeit buchte gewissenhaft Soll und Haben, feierte die Journalisten, diese echte Pflanzschule der Bourgeoisie, und suchte nach der verlorenen Handschrift des einigen Deutschland ausgerechnet in Koburg bei seinem Gönner, dem Herzog Ernst. Dieser entschieden geistvolle, aber als Charakter nichts weniger als tadelfreie Fürst übte als Onkel der Kronprinzessin einen nicht heilsamen Einfluß, obschon die unparteiliche Geschichte weiß, daß er sich bei mehreren Krisen selbstlos in Preußens Dienst stellte. Eins verband die gothaischen Monarchisch-Liberalen alle mit seltener Einhelligkeit: ihr grenzenloser Widerwille gegen diesen Abenteurer Bismarck. Der politisierende Freytag wußte genau, daß der unheilvolle Junker Preußen ins Verderben reiße und die deutsche Einheit um Jahrzehnte aufhalten werde. Solches waren die Orakel, auf die der Kronprinz lauschte. Denn das brauchte er nicht zu wissen, daß der von rechts und links verfemte Ferdinand Lasalle den großen Julian Schmidt als Schmulian Jüd seichter Literatenfrechheit entlarvte und über den verruchten Ministerpräsidenten in sozialistischen Volksversammlungen belehrte: »Wir mögen mit ihm Schüsse wechseln, doch eins wissen wir von ihm, er ist ein Mann im vollsten Sinne.« Denn der Geniale erkennt den Genialen, das mittelmäßige Talent wird freilich ja auch den Genialen erkennen, nämlich durch die instinktive Abneigung, die er einflößt. –

Der so hoheitsvoll Niedergedonnerte dachte sofort (für ihn so bezeichnend) an den Infanten Carlos und Alba und erwiderte unbewegt, obwohl ein düsterer Titanenzorn ihm an der Leber nagte: »Königliche Hoheit haben mich wohl gründlich mißverstanden. Das Land und die Dynastie werden geschädigt, wenn König und Thronfolger sich entfremden. Mein Monarchismus zwingt mich, alles zu tun, um diese Irrung aufzuheben. Deshalb hielt ich Seine Majestät Ihren Herrn Vater von entscheidender Vergeltung ab, zu der er entschlossen schien. Ich bin sein treuer Diener. Ihnen aber wünsche ich, daß Sie bei Ihrer Thronbesteigung ebenso treue Diener finden. Eure Königliche Hoheit müssen sich den Irrtum aus dem Sinn schlagen, als ob ich jemals Ihr Minister zu werden hoffte. Erstens habe ich den Posten nur angenommen aus Pflicht, nicht aus Ehrgeiz, zweitens aus persönlicher Liebe und Treue für einen besonderen Herrn, Ihren Vater, drittens will, kann und werde ich Ihr Minister nicht sein, weil ich Ihre Grundsätze nicht billige. Ich habe es nicht verdient, wie ein Höfling und Stellenjäger behandelt zu werden. Auf welchem Standpunkt wir auch stehen mögen, sowohl Eure Königliche Hoheit als ich sind deutsche Männer.«

Es zuckte in dem schönen Gesicht des Kronprinzen, sein blaues Auge bekam einen feuchten Schimmer. Dann streckte er Otto die Hand hin und rief: »Verzeihen Sie meine Aufwallung! Ich war ungerecht. So weit unsere Wege auseinandergehen, ich fühle und weiß, daß Sie nicht nur ein bedeutender, sondern ein braver Mann sind. Ich scheide von Ihnen mit gesteigerter Achtung. Aber mich persönlich, wie immer die Würfel sonst fallen mögen und wir als Feinde uns gegenüberstehen, sollen Sie sich nie zu beklagen haben.« –

Mit der Ahnungsfähigkeit der Genialen und der Frauen schaute Otto, daß dies Versprechen sich noch mal bewähren werde in schicksalsschwerer Stunde ... einer solchen hinter den Kulissen, von der die Welt nichts weiß.

Und auch Rechberg honorierte endlich doch den bewußten geheimen Vertrauenswechsel. Die Zögerung und dann Weigerung der Mittelstaaten, das dualistische Prinzip aufzugeben und nach Preußens Austritt sich willenlos mit Österreich zu verbünden, wobei noch die Rheinbundgelüste besonders in Hessen-Darmstadt in Frage kamen, brachten in Wien einen Umschwung.

»Was denken sich die Leute?« grollte Rechberg. »Wir können uns mit meinem alten Freunde Bismarck viel leichter verständigen als sie.«

Der biedere Anton Prokesch v. Osten, eigentlich Militär und jetzt wieder zu hohem Posten in der Armee berufen, warnte freilich: »Sie unterschätzen diesen Mann. Er hat den Bund herabgewürdigt und zugrundegerichtet in der öffentlichen Meinung und kein Mittel verschmäht, uns lahmzulegen. Der ist klar wie ein Macchiavelli und aalglatt ohne Skrupel. Wie hat er die Presse benutzt, um uns in die Schuhe zu schieben, was er selber angerichtet!«

Rechberg brummte etwas Unverständliches und unterdrückte nicht ein boshaftes Lächeln. Entwarf Prokesch da nicht eine schnurrige ... Selbstcharakteristik? Es stimmte ja, daß dem Preußen jede Halbheit fremd war und er immer aufs Ganze ging, aber Rechberg wußte nur zu gut, welchen Kleinkrieg mit tausend Hinterhalten und Fallen die Vertreter Österreichs geführt. »Ich kam doch leidlich mit ihm aus«, warf er gelassen hin.

»Sie? Sie standen ja nicht mal mit ihm auf gutem Fuß gesellschaftlich, was meine Selbstverleugung doch fertig brachte. Sie und Thun hat er noch mehr gehänselt und provoziert.«

Rechberg, dem Empfindlichen, stieg die Zornröte ins Gesicht. »Ich muß bitten, solche Unterstellung zu unterlassen. Weder Thun, mit dem er übrigens von Haus zu Haus familiär verkehrte, noch meine Wenigkeit lassen sich hänseln. Sie sind voreingenommen. Hätte der Mann eine gediegene diplomatische Erziehung, so wäre er ein bedeutender Staatsmann. Sein Feuer und hochstrebender Mut hatten meine volle Achtung.«

»Ach, er ist ja immer unfähig, die Person von der Sache zu trennen!« wehklagte Prokesch in Erinnerung an so viele eigene Blamagen. »Einen Engel ohne preußische Kokarde schmisse er zum Fenster hinaus, und dem Teufel würde er biderb die Hand drücken, wenn der ihm eine fette Annexion für Preußen verspräche. Uns bleibt er feindselig gesinnt, verlassen Sie sich darauf, er ist ganz abgeschlossen in seiner Überzeugung von Preußens Beruf. Das ist eine fixe Idee, die jede Vorsicht überwältigt. Sollten Sie für möglich halten, daß er sogar mir anvertraute, Preußens Vorherrschaft in Deutschland sei unerläßlich?«

»Nun ja, mit solchen Träumereien fiel er auch mir lästig, doch wer nimmt das ernst! Er doch selber nicht. Praktischer Sinn ist ihm leider versagt, er steckt voll von Vorurteilen als Parteimann. Aber –«

»Ich behaupte nicht, daß er den Umguß in neue Form vollziehen könnte, dazu fehlt ihm das Talent und Preußen die Macht. Fähig aber ist er zu allem für seinen Einheitsfetisch, er riefe sogar die Revolution.«

»Ja, der schreckliche Mensch würde dafür den Staatsfrack ausziehen und selbst auf Barrikade treten«, lachte Rechberg halb humoristisch.

»Er kennt nur das preußische Interesse.«

»Und wir nur das österreichische.« Rechberg lehnte sich zurück und schloß die Augen. Er sah eine gewisse Depeschenszene vor sich. Das entschied bei ihm. »Jedenfalls ist er ein Mann von Ehre. Das weiß ich. Mit solchen Leuten darf man ein ehrliches Spiel wagen. Momentan gilt es, die Kleinstaaten zu strafen, und wir können ganz wohl ein Stück Weges Hand in Hand mit Preußen gehen!«

Nicht er war eigentlich Ministerpräsident, sondern ein obskurer Bureaukrat Schmerling. Doch als Minister des Auswärtigen hatte er den Rang, wenn nicht den Titel.

Plötzlich wurde sein Verkehr mit Berlin durch den zuverlässigen Karolyi äußerst freundlich, fast herzlich. Otto sann nach. Auf die Dauer hält's schwerlich, doch Rechberg scheint zur Einsicht zu kommen und das dualistische Prinzip in allen Konsequenzen anzuerkennen. Solange er die Regierung führt, habe ich nichts dawider, natürlich müssen wir handgreifliche Garantien haben. Freilich, wo die hernehmen?

Da auf einmal – es war der 15. November – platzte die Depesche herein, Friedrich VII. von Dänemark sei gestorben. Seinen Nachfolger bestimmte die weiland Londoner Konferenz, die mit englischer Unverschämtheit und Unwissenheit deutsche Verhältnisse nach ihrem Belieben auslegte. Aber schon König Friedrich hatte an den Vertragsklauseln gerüttelt, jetzt schäumte ganz Dänemark ins Gebiß und verlangte Herstellung der damals beseitigten Gesamtkonstitution – zu deutsch: die endgültige Losreißung des deutschen Schleswig-Holstein von deutscher Gemeinschaft, die Dänisierung deutscher Lande.

Als Otto diese Kunde aus Kopenhagen in Händen hielt, wurde sein Auge groß und starr und hellseherisch wie das eines Spoikekiekers der westfälischen Heide.

»Was hast du?« fragte Johanna.

»Hm, nichts ... oder alles. Ja, so wird es gehen.«

»Was denn?«

»Das kann ich dir nicht sagen. Schwierig, sehr schwierig, doch wenn Gott hilft, ist nichts unmöglich.«

Ist meine Mission erfüllt, kann ein Atom mich fällen, sagte der Korse, denn alle Großen wissen, daß es nur einen allmächtigen Alliierten gibt. Schicksal, sagte der Korse, Gott, sagte der Deutsche.

Die Schicksalsstunde schlug. Doch ihren ehernen Ton vernahm nur einer. Und der Gott der Deutschen lächelte von droben: Wohlauf, mein Auserwählter, die Stunde ist da!


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